TE Vfgh Erkenntnis 2022/3/1 E3799/2021

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya; Aktenwidrigkeit und Widersprüchlichkeit der - nicht klar erkennbaren - Feststellungen sowie Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung und des Ermittlungsverfahrens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

         Der Beschwerdeführer stellte am 25. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya zu sein. Seine Familie sei 1992 von Myanmar nach Bangladesch geflohen. Dort sei er als Kind im Alter von neun Jahren an einen Bengalen verkauft worden, der ihn als Hausarbeiter einsetzte und missbrauchte. Mit fünfzehn Jahren sei dem Beschwerdeführer die Flucht gelungen, fortan habe er in den Slums von Gelegenheitsarbeiten gelebt. 2013 habe er seine Frau, eine Bengalin, kennengelernt. Am 19. Mai 2015 sei seine Tochter zur Welt gekommen. Bis zu seiner Ausreise habe er als Kühltechniker und Schweißer gearbeitet.

         Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er und einige andere Personen von der Polizei festgenommen, auf eine Polizeistation gebracht und dort misshandelt worden seien. Die Polizei habe von ihm verlangt, sich bei einer Veranstaltung der regierenden Awami League als Demonstrant auszugeben, Parolen der Oppositionspartei zu rufen sowie ein Bombenattentat zu verüben. Der Beschwerdeführer habe zugestimmt und sei nach seiner Freilassung bei der ersten Gelegenheit geflohen.

         Mit Bescheid vom 21. Juli 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß §46 FPG zulässig sei. Ferner wurde ausgesprochen, dass eine Frist von 14 Tagen gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise festgesetzt wird.

         Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17. August 2021 – mit Erkenntnis vom 3. September 2021 als unbegründet ab. Dem Beschwerdeführer sei es mit seinem Vorbringen nicht gelungen, eine individuelle gegen seine Person gerichtete Verfolgung glaubhaft zu machen. Insbesondere sei es nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer ein Rohingya sei.

         Gegen diese Entscheidung richtet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründet wird die Beschwerde damit, dass das Bundesverwaltungsgericht die Einholung des von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beantragten Sprachgutachtens unterlassen habe, aus dem sich eindeutig die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volksgruppe der Rohingya ergeben hätte.

         Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

         Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

         Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Für das Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht einen Dolmetscher für die Sprache Bengali bestellt und der mündlichen Verhandlung beigezogen, welcher nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes auch über Kenntnisse der burmesischen Sprache verfügt. Während der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer mehrfach an, er habe die Sprache gewechselt und in der Sprache der Rohingya gesprochen. Das Bundesverwaltungsgericht führt dazu bei der Darstellung des bisherigen Verfahrensganges aus, dass "[d]er BF […] offensichtlich während der Verhandlung den Eindruck zu erwecken [versuchte], er würde manchmal in die Sprache der Rohingya wechseln. Der vom BVwG bestellte Dolmetscher, welcher amtsbekannt auch der burmesischen Sprache mächtig ist, wies während der Verhandlung öfters darauf hin, dass der BF lediglich in einen bengalischen Dialekt wechselte (BVwG VS 8, VS 13, VS)." In den Feststellungen führt das Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich weiters aus, dass "[f]estgestellt wird, dass der BF versuchte, während der Beschwerdeverhandlung durch zeitweiligen Wechsel in einen bengalischen Dialekt den Eindruck zu vermitteln, dass er in burmesischer Sprache geantwortet habe, worauf der Dolmetscher, welcher sowohl der bengalischen als auch der burmesischen Sprache mächtig ist, entsprechend hinwies." In seiner Beweiswürdigung hält das Bundesverwaltungsgericht hiezu fest, dass der Beschwerdeführer unglaubwürdig sei und sich die Identität eines Rohingya zueignen wolle. Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge "[…] ergibt sich [dies] auch daraus, dass der BF während der Beschwerdeverhandlung versuchte den Eindruck zu erwecken, dass e[r] auch in der Sprache der Rohingya reden könne, dies jedoch vom erfahrenen und sprachkundigen Dolmetscher als bengalische Dialekte ausgewiesen wurde. Eine im letzten Augenblick von der engagierten Rechtsvertreterin beantragte Sprachuntersuchung zum Beweis dessen, dass der BF ein Rohingya sei, konnte in Anbetracht der Hinweise des Dolmetschers in der Verhandlung und den klar widersprüchlichen und unglaubwürdigen Aussagen des BF zum Familienbuch und seiner Identität unterbleiben."

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem vor dem Hintergrund des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers infolge seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya entscheidungswesentlichen Umstand, ob der Beschwerdeführer eine Sprache verwendet hat, die ebendieser Volksgruppe zuzuordnen ist, hat durch das Bundesverwaltungsgericht nicht stattgefunden. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht ungeachtet der Tatsache, dass die Sprache der Rohingya der bengalischen Sprache nahesteht und diese der gleichen Sprachfamilie angehören, kein Sprachgutachten zur Klärung dieser Frage eingeholt, obwohl ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als es sich beim vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung beigezogenen Dolmetscher weder um einen Sachverständigen für die Sprache der Rohingya handelt, noch diesbezüglich jedwede Sprachkenntnisse des Dolmetschers überprüft oder auch nur behauptet wurden. Indem das Bundesverwaltungsgericht – trotz ausdrücklichen Antrages durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers – kein Sprachgutachten zur Frage, ob der Beschwerdeführer tatsächlich, wie von diesem behauptet, die Sprache der Rohingya spricht, eingeholt hat, hat es jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen.

2.2. Des Weiteren stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer versuchte, durch einen zeitweiligen Wechsel in einen bengalischen Dialekt den Eindruck zu vermitteln, dass er in burmesischer Sprache antwortete. Wie sich aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ergibt, gab der Beschwerdeführer zwar mehrfach an, in der Sprache der Rohingya zu sprechen. Es wurde jedoch nie von ihm oder vom Dolmetscher behauptet, dass sich der Beschwerdeführer der burmesischen Sprache zu bedienen versuchte.

Außerdem stellt das Bundesverwaltungsgericht unter Berufung auf die im Rahmen des Verfahrens eingeholte Stellungnahme durch UNHCR fest, "dass das UNHCR (Stellungnahme vom 03.06.2020) zu der Person, dessen Namen der BF vorgibt zu haben, ausführte, dass die im Flüchtlingsbuch mit der Nummer 25018, welches der BF als Kopie vorlegte, genannten Personen am 02.01.1995 nach Myanmar repatriiert wurden, was auch mit der letzten Eintragung im Familienbuch (02.01.1995) korrespondiert." Aus der – im Übrigen wörtlich in der angefochtenen Entscheidung wiedergegeben – UNHCR-Stellungnahme ergibt sich jedoch ausdrücklich, dass sich der Name des Beschwerdeführers nicht in der UNHCR-Datenbank finden lässt. Demgegenüber wurden mehrere Personen, die im Familienbuch des Beschwerdeführers angeführt sind, in der UNHCR-Datenbank aufgefunden und laut dieser am 2. Jänner 1995 nach Myanmar repatriiert.

Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers fest, dass es diesem gelungen sei, aus der Polizeistation zu flüchten. Aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ergibt sich jedoch, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung ausführte, dass er von der Polizeistation weggebracht wurde, um den Anschlag zu verüben.

Da die aufgezeigten Stellen der Entscheidung im klaren Widerspruch zur Aktenlage stehen, sind diese als aktenwidrig anzusehen.

2.3. Ferner stellt das Bundesverwaltungsgericht zur Person des Beschwerdeführers fest, dass dessen Identität nicht geklärt sei, dass nicht festgestellt wird, ob der Beschwerdeführer ein Rohingya sei und dass dieser behauptet, in Myanmar geboren zu sein. In der rechtlichen Beurteilung geht das Bundesverwaltungsgericht demgegenüber bei der Asylrelevanz des Vorbringens davon aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen bengalischen Staatsangehörigen "– als solcher ist der BF anzusehen –" handelt. Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen zur Herkunft des Beschwerdeführers ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, von welchen Annahmen das Bundesverwaltungsgericht ausgeht (vgl VfGH 25.2.2021, E2687/2020; 29.11.2021, E3695/2021).

2.4. Hinzu kommt schließlich, dass das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen bzw die Beweiswürdigung zum Teil im Konjunktiv trifft bzw die Aussagen des Beschwerdeführers bloß wiedergibt ("Festgestellt wird, dass der BF behauptet …"). Bei dieser Vorgehensweise ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, ob und welches Vorbringen vom Gericht als glaubhaft erachtet wurde und worauf sich in weiterer Folge die Beurteilung dieses Vorbringens als unglaubwürdig stützt. Das Erkenntnis ist daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich (vgl VfGH 25.2.2021, E2687/2020 mwN; 29.11.2021, E3695/2021).

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet, weshalb das Erkenntnis bereits aus diesem Grund aufzuheben war.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E3799.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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