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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung von Anträgen auf internationalen Schutz betreffend eine Familie ungeklärter Staatsangehörigkeit; mangelhafte Ermittlungstätigkeit und Beweiswürdigung hinsichtlich einander widersprechender Sprachgutachten betreffend den Herkunftsstaat - Iran oder Armenien - der BeschwerdeführerSpruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und deren fünfzehnjähriger Sohn, stellten am 28. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gaben an, dass sie aus dem Iran stammen und Angehörige der Minderheit der armenischen Christen seien. Vor ihrer Flucht hätten sie in einem von Armeniern bewohnten Viertel in Teheran gelebt. Ihre Muttersprache sei armenisch, die iranische Landessprache Farsi würden sie zwar verstehen, aber kaum sprechen. Sie hätten Teheran verlassen, weil sie geschlagen worden seien, ihnen sämtliche Dokumente weggenommen und sie der Missionierung beschuldigt worden seien.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beauftragte zur Beurteilung des Herkunftsstaates der Beschwerdeführer – Iran oder Armenien – ein Sprachinstitut, das mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin eine Sprachanalyse durchführte. Es kam zum Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der sprachliche Hintergrund der Beschwerdeführer in Armenien liege, sehr hoch sei, dass er im Iran liege, sehr gering sei. Die beiden Beschwerdeführer würden nämlich ostarmenisch, wie es Armenier aus Armenien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken sprechen würden, sprechen und nicht Westarmenisch, wie Armenier mit Ursprung in der östlichen Türkei, die hauptsächlich in den USA, in Frankreich, Kanada, im Iran, in Syrien, im Libanon und in der Türkei, "verstreut seien". Nach dem Einwand der Beschwerdeführer, dass Ostarmenisch auch im Iran gesprochen werde, verzichtete das Sprachinstitut auf die Einteilung in West- und Ostarmenisch und stufte die angegebenen Wahrscheinlichkeiten von "sehr hoch" auf "hoch" und von "sehr gering" auf "gering" zurück.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging auf Grund des Sprachgutachtens davon aus, dass der Herkunftsstaat der Beschwerdeführer Armenien sei. Das Fluchtvorbringen erachtete es für unglaubwürdig. Mit Bescheiden vom 10. Oktober 2014 wies es die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ab, erteilte keine Aufenthaltsbewilligungen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Armenien zulässig sei. Es gewährte eine vierzehntätige Frist zur Ausreise.
2. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht Folge, hob die Bescheide auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Begründend führte es aus, dass die Ermittlungen zum Herkunftsstaat unzureichend seien.
In einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er mit Ermittlungen im Iran und in Armenien nicht einverstanden sei.
Mit Bescheiden vom 10. Juli 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz erneut ab, erteilte keine Aufenthaltsbewilligungen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Armenien zulässig sei. Es gewährte eine vierzehntätige Frist zur Ausreise.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach der Veranlassung von Erhebungen sowohl im Iran als auch in Armenien zur Identität und Herkunft der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung zweier Verhandlungen mit einer hier nicht relevanten Maßgabe ab. In Würdigung der Erhebungsergebnisse, vorgelegter Dokumente und des Sprachgutachtens kann es zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer aus Armenien stammten. Das Fluchtvorbringen erachtete es unabhängig davon für unglaubwürdig.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Ausgeführt wird im Wesentlichen, dass das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet habe, weil es zur Frage der Identität und der Herkunft der Beschwerdeführer mangelhafte Ermittlungen geführt und den Beschwerdeführern nachteilige Beweisergebnisse vorenthalten habe.
5. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die ihre Verfahren betreffenden Akten vorgelegt; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Im Verfahren ist vorerst die entscheidungsrelevante Frage zu klären, ob die Beschwerdeführer aus Armenien oder dem Iran stammen.
Zur Begründung der armenischen Herkunft der Beschwerdeführer stützte sich das Bundesverwaltungsgericht unter anderem auf das im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete Sprachgutachten, das zum Ergebnis gekommen war, die Beschwerdeführer stammten auf Grund ihrer Sprachfärbung mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Armenien.
Bei seiner Würdigung ließ es aber ein im Akt einliegendes weiteres – vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl selbst veranlasstes und dem Bundesverwaltungsgericht übermitteltes – Sprachgutachten eines anderen Sprachinstitutes vom 8. Juni 2018 betreffend den Erstbeschwerdeführer völlig unberücksichtigt, das gegenteilig zum Ergebnis kam, der Erstbeschwerdeführer spreche Ostarmenisch, wie es im Iran gesprochen werde. Dieses Gutachten erhärtet die Behauptung des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich seines überwiegenden Aufenthalts- und Wohnorts.
Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht die Annahme der armenischen Herkunft noch auf andere Erhebungsergebnisse stützte, ließ es durch die Nichtberücksichtigung des für die Herkunft der Beschwerdeführer aus dem Iran und ihrer Zugehörigkeit zur armenischen Minderheit sprechenden Sprachgutachtens bei Beurteilung der für seine Entscheidung zentralen Frage nach dem Herkunftsstaat der Beschwerdeführer ein entscheidendes Beweismittel in einem wesentlichen Punkt außer Acht und belastete damit seine Entscheidung mit Willkür.
Das Bundesverwaltungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren unter Berücksichtigung des Sprachgutachtens die Frage des Herkunftsstaates der Beschwerdeführer erneut zu beurteilen haben. Vor diesem Hintergrund wird auch das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer nochmals zu bewerten sein.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher schon deshalb aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz erhöht um einen Streitgenossenzuschlag von 15 vH des Pauschalsatzes zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, KinderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E778.2021Zuletzt aktualisiert am
02.06.2022