RS Vfgh 2022/3/1 E3799/2021

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya; Aktenwidrigkeit und Widersprüchlichkeit der - nicht klar erkennbaren - Feststellungen sowie Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung und des Ermittlungsverfahrens

Rechtssatz

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem vor dem Hintergrund des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers infolge seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya entscheidungswesentlichen Umstand, ob der Beschwerdeführer eine Sprache verwendet hat, die ebendieser Volksgruppe zuzuordnen ist, hat durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nicht stattgefunden. Insbesondere hat das BVwG ungeachtet der Tatsache, dass die Sprache der Rohingya der bengalischen Sprache nahesteht und beide der gleichen Sprachfamilie angehören, kein Sprachgutachten zur Klärung dieser Frage eingeholt, obwohl ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als es sich beim vom BVwG in der mündlichen Verhandlung beigezogenen Dolmetscher weder um einen Sachverständigen für die Sprache der Rohingya handelt, noch diesbezüglich jedwede Sprachkenntnisse des (für die Sprache Bengali bestellten) Dolmetschers überprüft oder auch nur behauptet wurden. Indem das BVwG - trotz ausdrücklichen Antrages durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers - kein Sprachgutachten zur Frage, ob der Beschwerdeführer tatsächlich, wie von diesem behauptet, die Sprache der Rohingya spricht, eingeholt hat, hat es jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen.

Des Weiteren stellt das BVwG fest, dass der Beschwerdeführer versuchte, durch einen zeitweiligen Wechsel in einen bengalischen Dialekt den Eindruck zu vermitteln, dass er in burmesischer Sprache antwortete. Wie sich aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ergibt, gab der Beschwerdeführer zwar mehrfach an, in der Sprache der Rohingya zu sprechen. Es wurde jedoch nie von ihm oder vom Dolmetscher behauptet, dass sich der Beschwerdeführer der burmesischen Sprache zu bedienen versuchte. Außerdem stellt das BVwG unter Berufung auf die im Rahmen des Verfahrens eingeholte Stellungnahme durch UNHCR fest, "dass das UNHCR zu der Person, dessen Namen der BF vorgibt zu haben, ausführte, dass die im Flüchtlingsbuch mit der Nummer 25018, welches der BF als Kopie vorlegte, genannten Personen am 02.01.1995 nach Myanmar repatriiert wurden, was auch mit der letzten Eintragung im Familienbuch korrespondiert." Aus der - im Übrigen wörtlich in der angefochtenen Entscheidung wiedergegeben - UNHCR-Stellungnahme ergibt sich jedoch ausdrücklich, dass sich der Name des Beschwerdeführers nicht in der UNHCR-Datenbank finden lässt. Demgegenüber wurden mehrere Personen, die im Familienbuch des Beschwerdeführers angeführt sind, in der UNHCR-Datenbank aufgefunden und laut dieser am 02.01.1995 nach Myanmar repatriiert. Weiters stellt das BVwG hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers fest, dass es diesem gelungen sei, aus der Polizeistation zu flüchten. Aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ergibt sich jedoch, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung ausführte, dass er von der Polizeistation weggebracht wurde, um den Anschlag zu verüben. Da die aufgezeigten Stellen der Entscheidung im klaren Widerspruch zur Aktenlage stehen, sind diese als aktenwidrig anzusehen.

Ferner stellt das BVwG zur Person des Beschwerdeführers fest, dass dessen Identität nicht geklärt sei, dass nicht festgestellt wird, ob der Beschwerdeführer ein Rohingya sei und dass dieser behauptet, in Myanmar geboren zu sein. In der rechtlichen Beurteilung geht das BVwG demgegenüber bei der Asylrelevanz des Vorbringens davon aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen bengalischen Staatsangehörigen "- als solcher ist der BF anzusehen -" handelt. Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen zur Herkunft des Beschwerdeführers ist für den VfGH nicht ersichtlich, von welchen Annahmen das BVwG ausgeht.

Hinzu kommt schließlich, dass das BVwG Feststellungen bzw die Beweiswürdigung zum Teil im Konjunktiv trifft bzw die Aussagen des Beschwerdeführers bloß wiedergibt. Bei dieser Vorgehensweise ist für den VfGH nicht erkennbar, ob und welches Vorbringen vom Gericht als glaubhaft erachtet wurde und worauf sich in weiterer Folge die Beurteilung dieses Vorbringens als unglaubwürdig stützt. Das Erkenntnis ist daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den VfGH nicht zugänglich.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E3799.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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