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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Köhler, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bundesminister für Justiz wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit des Strafvollzugs, zu Recht erkannt:
Spruch
Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG wird der Antrag des Beschwerdeführers vom 20. Juli 1993 auf Erlassung eines Bescheides betreffend die Zulässigkeit von Zahnbehandlungen durch Anstaltsärzte, die nicht zur Tätigkeit eines Facharztes für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde berechtigt sind, zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 6.672,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit an die belangte Behörde gerichtetem Antrag vom 20. Juli 1993 ersuchte der Beschwerdeführer, ein Strafgefangener in der Justizanstalt S., um die Erlassung eines Bescheides betreffend "eine grundsätzliche Regelung, ob ein Anstaltsarzt - wenn das sein Wille ist und es ein Häftling verlangt ... Zahnbehandlungen durchführen darf (dies sollte für alle Anstaltsärzte Österreichs gelten)".
Der Beschwerdeführer wies auf einen Erlaß der belangten Behörde vom 4. Juni 1993 hin, mit dem dem praktischen Anstaltsarzt Dr. St jede Zahnbehandlung in der Justizanstalt untersagt worden war. Er wolle sich jedoch weiterhin von Dr. St (auch) die Zähne behandeln lassen; dem zur Verfügung stehenden Zahnarzt der Justizanstalt bringe er "Mißtrauen entgegen".
Die belangte Behörde wies nach Prüfung der Angelegenheit den Leiter der Justizanstalt S. an, dem Beschwerdeführer mitzuteilen, daß Ärzte Behandlungen grundsätzlich nur in jenen medizinischen Bereichen vornehmen dürfen, die ihrer spezifischen Ausbildung entsprechen. Fachüberschreitende Tätigkeiten widersprächen den Bestimmungen des Ärztegesetzes und würden daher im Aufsichtsbereich der Vollzugsverwaltung (Anstaltsärzte) nicht gestattet. Eine bescheidmäßige Erledigung des Antrags erfolgte nicht.
Daher brachte der Beschwerdeführer die vorliegende Säumnisbeschwerde ein, in der hinsichtlich der Entscheidungspflicht der belangten Behörde ausdrücklich auf die §§ 66 und 73 des Strafvollzugsgesetzes 1969 sowie § 73 AVG verwiesen wird. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie einerseits den ärzterechtlichen Hintergrund des Erlasses vom 4. Juni 1993, mit dem die Durchführung von Zahnbehandlungen durch den praktischen Arzt Dr. St untersagt wurde, darstellt und andererseits im Hinblick auf die §§ 120 Abs. 1 StVG und § 122 StVG begründet, weshalb ihrer Ansicht nach aufgrund des Antrages des Beschwerdeführers kein Bescheid zu ergehen hatte. Die belangte Behörde beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 120 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz 1969, BGBl. Nr. 144/1969, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 799/1993, lautet:
"§ 120. (1) Die Strafgefangenen können sich gegen jede ihre Rechte betreffende Entscheidung oder Anordnung und über jedes ihre Rechte betreffende Verhalten der Strafvollzugsbediensteten beschweren. Über die Art der ärztlichen Behandlung können sich die Strafgefangenen jedoch nur nach § 122 beschweren."
§ 121 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz 1969 lautet:
"§ 121. (1) Über Beschwerden gegen Strafvollzugsbedienstete oder deren Anordnungen hat der Anstaltsleiter zu entscheiden. Richtet sich die Beschwerde gegen den Leiter eines gerichtlichen Gefangenenhauses oder gegen eine von ihm getroffene Entscheidung oder Anordnung und hilft er der Beschwerde nicht selbst ab, so steht die Entscheidung der Vollzugsoberbehörde zu, richtet sie sich gegen den Leiter einer Strafvollzugsanstalt oder gegen dessen Entscheidung oder Anordnung und hilft er der Beschwerde nicht selbst ab, dem Bundesministerium für Justiz.
(2) Gegen Entscheidungen der Vollzugsoberbehörde ist eine Beschwerde nur zulässig, wenn die Entscheidung über die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen einer gegen den Leiter eines gerichtlichen Gefangenenhauses gerichteten Ordnungswidrigkeit oder über eine gegen einen solchen Leiter gerichtete Beschwerde ergangen ist. Über die Beschwerde hat das Bundesministerium für Justiz zu entscheiden."
§ 122 Strafvollzugsgesetz 1969 lautet:
"§ 122. Die Strafgefangenen haben das Recht durch Ansuchen und Beschwerden das Aufsichtsrecht der Vollzugsbehörden anzurufen. Auf solche Ansuchen oder Beschwerden braucht den Strafgefangenen jedoch kein Bescheid erteilt zu werden."
Der Antrag des Beschwerdeführers war darauf gerichtet, daß die belangte Behörde einen Bescheid über die Frage erlasse, "ob ein Anstaltsarzt - wenn das sein Wille ist und es ein Häftling verlangt (wenn nicht, gibt er sowieso an den Spezialisten weiter) - Zahnbehandlungen durchführen" dürfe.
Der Beschwerdeführer erhob damit nicht eine Beschwerde im Sinne des § 120 StVG gegen eine seine Rechte betreffende Entscheidung oder Anordnung bzw. über ein seine Rechte betreffendes Verhalten der Strafvollzugsbediensteten. Der Antrag stellt weder eine Beschwerde gegen Strafvollzugsbedienstete noch eine solche gegen den Leiter eines gerichtlichen Gefangenenhauses im Sinne des § 121 Abs. 1 StVG dar. Es liegt auch keine Entscheidung der Vollzugsoberbehörde im Sinne des § 121 Abs. 2 StVG vor. Der Antrag war vielmehr auf die Erlassung eines Feststellungsbescheides durch den belangten Bundesminister gerichtet, der die grundsätzliche Zulässigkeit der Zahnbehandlung durch einen Anstaltsarzt, der nicht die Befugnis zur Ausübung der Tätigkeit eines Facharztes für Zahn- und Kieferheilkunde besitzt, aussprechen sollte.
Daraus folgt, daß die belangte Behörde nicht aufgrund der §§ 120 ff StVG zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers zuständig war, sondern die Frage zu klären war, ob aufgrund des wiedergegebenen Antrags des Beschwerdeführers die belangte Behörde verpflichtet war, einen Feststellungsbescheid zu erlassen.
Entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zur Judikatur des Verfassungsgerichtshofes die Nachweise bei Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 506, Fn 226, sowie die hg. Erkenntnisse Slg. 4175 A und 6978 A/1966 und vom 10. September 1974, Zl. 1333/72) ist ein Feststellungsbescheid, auch wenn er nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist, dann zulässig, wenn er entweder im öffentlichen Interesse gelegen ist oder für die Partei ein "notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverfolgung" darstellt.
Keine Notwendigkeit zur Erlassung eines Feststellungsbescheides besteht dort, wo nach dem Gesetz ein anderes Verfahren vorgesehen ist (vgl. z.B. die
hg. Erkenntnisse vom 18. Juni 1980, Zl. 657/79, vom 13. Mai 1981, Zl. 1410/80 u.a., vom 11. Mai 1977, Zl. 2076/76, vom 2. Juli 1982, Zl. 81/04/0230, u.v.a.), in dem über die strittige Rechtsfrage abzusprechen ist, bzw. dann, wenn der Feststellungsbescheid durch die maßgeblichen Rechtsvorschriften ausgeschlossen ist (vgl. Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 506 f).
Im Beschwerdefall stellte der Beschwerdeführer an die belangte Behörde den Antrag, daß festgestellt werde, daß ein Anstaltsarzt, wenn es ein Häftling verlange, (auch) Zahnbehandlungen durchführen dürfe. Erkennbares Ziel des Antrags war es (insbesondere entsprechend der Einleitung des Schreibens des Beschwerdeführers an die belangte Behörde, mit welchem er seinen Antrag stellte), die entsprechende Behandlung durch den Arzt seines Vertrauens in der Strafvollzugsanstalt zu erhalten. Dieses Ziel wäre jedoch auch durch eine entsprechende Antragstellung an den Anstaltsleiter und eine allfällige Beschwerde gegen die Erledigung dieses Antrages durch den Anstaltsleiter nach den §§ 120 ff StVG zu erreichen gewesen. Eine allfällige negative Entscheidung im Instanzenzug durch die belangte Behörde wäre vor dem Verwaltungsgerichtshof zu bekämpfen gewesen. Der Beschwerdeführer hätte somit einen anderen Weg beschreiten können, die strittige Rechtsfrage an den Verwaltungsgerichtshof heranzutragen. Es besteht somit im Beschwerdefall ein anderes Verfahren, in dem über die Zulässigkeit der vom Beschwerdeführer gewünschten Zahnbehandlung abgesprochen hätte werden können. Dabei kann es im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob - wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zum Ausdruck bringt - § 120 Abs. 1 zweiter Satz StVG eine Beschwerde gegen eine Anordnung des Anstaltsleiters betreffend die ärztliche Betreuung ausschließt oder nicht. Gemäß § 120 Abs. 1 zweiter Satz StVG können sich Strafgefangene "über die Art der ärztlichen Behandlung" nur nach § 122 StVG beschweren, also nur eine Aufsichtsbeschwerde erheben. Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob diese Ausnahme nur die ärztliche Behandlung selbst betrifft oder auch Anordnungen betreffend die ärztliche Behandlung (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl 92/01/0713). Soferne man - wie die belangte Behörde dies ersichtlich tut - die Ausnahme weiter faßt und auch ANORDNUNGEN im Vollzug, die die Art der ärztlichen Behandlung betreffen, von § 120 Abs. 1 letzter Satz StVG erfaßt ansieht, wäre für den Beschwerdeführer hinsichtlich der Zulässigkeit des beantragten Feststellungsbescheides nichts gewonnen. Aus der dann dahingehend zu verstehenden Rechtslage, daß bezüglich der Anordnung der Anstaltsleitung betreffend die ärztliche Behandlung keine Beschwerde zulässig wäre, folgte, daß der Gesetzgeber diesbezüglich nur aufsichtsbehördliche Maßnahmen zulassen wollte. Damit stünde es nicht im Einklang, wollte man annehmen, daß es den Rechtsunterworfenen freistünde, sich in derartigen Angelegenheiten mit Feststellungsbescheiden an den Bundesminister zu wenden. Bei diesem Ergebnis kann auch dahingestellt bleiben, ob der belangte Bundesminister funktional zur Erlassung eines derartigen Feststellungsbescheides in erster Instanz zuständig wäre.
Damit ergibt sich, daß für einen Feststellungsbescheid wie im Beschwerdefall beantragt im gegebenen Zusammenhang jedenfalls kein Raum bleibt.
Die belangte Behörde ist damit nur insoweit im Ergebnis im Recht, daß aufgrund des vom Beschwerdeführer gestellten Antrags keine Sachentscheidung zu treffen war.
Der Antrag des Beschwerdeführers wäre aber zurückzuweisen gewesen.
Auf diese Zurückweisung besaß der Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch (vgl. näher das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates VwSlg. 9458 A/1977).
Die belangte Behörde traf insofern eine Entscheidungspflicht, die sie durch die Nichterlassung eines Bescheides (in der in § 27 VwGG festgesetzten Frist) verletzte.
Für die vorliegende Säumnisbeschwerde bedeutet dies, daß der Beschwerdeführer zur Erhebung der Beschwerde legitimiert war. Er besaß als Antragsteller im Verwaltungsverfahren einen Erledigungsanspruch. Dieser Anspruch besteht nach dem oben genannten Erkenntnis und der seither ergangenen ständigen Rechtsprechung auch dann, wenn der Bescheid nur in einer Zurückweisung bestehen kann.
Die Säumnisbeschwerde ist daher zulässig und der Verwaltungsgerichtshof hatte über den Antrag des Beschwerdeführers vom 20. Juli 1993 gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache zu entscheiden.
Da der Antrag des Beschwerdeführers jedoch - wie oben dargestellt - zurückzuweisen gewesen wäre, war diese Zurückweisung gemäß § 42 Abs. 4 VwGG durch den Verwaltungsgerichtshof bei der Entscheidung in der Sache an Stelle der säumigen Behörde auszusprechen.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des Antrags auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche AngelegenheitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994200027.X00Im RIS seit
25.01.2001