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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch Bestimmungen der 6. COVID-19-SchutzmaßnahmenV betreffend eine Ausgangsbeschränkung sowie ein Betretungsverbot von Betriebsstätten für Personen, deren Genesung längere Zeit zurückliegt; Risikoreduktion angesichts der wissenschaftlichen Datenlage zu neutralisierenden Antikörpern (auch in Kombination mit einem negativen Testergebnis) noch im Spielraum der verordnungserlassenden Behörde; keine Verletzung im Recht auf Freizügigkeit durch die – von Ausnahmen durchbrochenen – Beschränkungen auch angesichts der gesunkenen HospitalisierungszahlenRechtssatz
Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung des §3 Abs1 und §6 Abs1 und Abs1a 6. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung idF BGBl II 24/2022 (6. COVID-19-SchuMaV) des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK). Zurückweisung des Antrags soweit er gegen §2 Abs2 Z4 und §7 Abs1 leg cit gerichtet ist wegen zu engem Anfechtungsumfangs.
Der gewählte Anfechtungsumfang in Bezug auf §3 der 6. COVID-19-SchuMaV ist nicht deshalb zu eng gewählt, weil die Antragstellerin §14 der 6. COVID-19-SchuMaV nicht mitangefochten hat, denn die "spezielle Ausgangsregelung" des §14 leg cit ist auf den "Zweck der Teilnahme an Zusammenkünften" beschränkt. Es ist der Antragstellerin unbenommen, sich bloß gegen die allgemeine Ausgangsregelung des §3 der 6. COVID-19-SchuMaV zu wenden, wenn sie sich - aus welchen Gründen auch immer - durch die spezielle, auf Zwecke der Teilnahme an Zusammenkünften gerichtete Ausgangsregelung des §14 leg cit, die mit ersterer auch nicht in untrennbarem Zusammenhang steht, nicht als belastet erachtet. Der VfGH vermag auch nicht zu sehen, inwiefern eine bloße Aufhebung von §3 der 6. COVID-19-SchuMaV, träfen die geltend gemachten Bedenken zu, ohne gleichzeitige Aufhebung von §14 leg cit zu einem dem Verordnungsgeber nicht zusinnbaren Inhalt führen würde. §7 Abs1 der 6. COVID-19-SchuMaV steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit Abs7 und 8 leg cit, weshalb eine isolierte Anfechtung des Abs1 zu eng ist. Soweit sich der Antrag gegen §2 Abs2 Z4 der 6. COVID-19-SchuMaV wendet, ist er ebenfalls unzulässig: §2 Abs2 Z4 der 6. COVID-19-SchuMaV enthält eine Legaldefinition des 3G-Nachweises, die ihre rechtliche Wirksamkeit lediglich iVm anderen Vorschriften der Verordnung (etwa über Orte der beruflichen Tätigkeit) entfaltet, welche die Antragstellerin nicht mitangefochten hat. Mit Blick auf die vorgebrachten Bedenken ist der auf §2 Abs2 Z4 der 6. COVID-19-SchuMaV bezogene Antrag, der auch in keinem normativen Zusammenhang mit den anderen (nicht auf einen 3G-Nachweis, sondern auf einen 2G-Nachweis abstellenden), zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen steht, zu eng gefasst.
Keine Ungleichbehandlung von Personen, bei denen neutralisierende Antikörper nachweisbar sind:
§1 Abs5a COVID-19-MG, der den Nachweis über neutralisierende Antikörper als einen von mehreren möglichen Nachweisen einer lediglich geringen epidemiologischen Gefahr nennt, enthält kein bedingungsloses Gebot an den Verordnungsgeber zur Berücksichtigung nachgewiesener neutralisierender Antikörper, sondern steht unter dem Vorbehalt des - jeweiligen - Standes der Wissenschaft.
Aus den "Fachlichen Begründungen", die den Verordnungsakten zur 6. COVID-19-SchuMaV beigefügt sind, ergibt sich, dass die Reinfektionswahrscheinlichkeit rezent Genesener gering ist, dass die natürlich erworbene Immunität jedoch nach dem Stand der Wissenschaft im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung in der Regel sechs bis acht Monate nach der Genesung abnimmt. Der VfGH vermag dem BMSGPK nicht entgegenzutreten, wenn dieser angesichts der noch unzureichenden wissenschaftlichen Datengrundlage zur Risikoreduktion neutralisierender Antikörper bei Personen, deren Genesung schon länger als sechs Monate zurückliegt, einerseits und angesichts der im Zeitpunkt der Verordnungserlassung dominanten neuen Omikron-Variante anderseits im Rahmen seines Einschätzungs- und Prognosespielraumes von einer Gleichstellung jüngst genesener Personen mit Personen, deren Genesung bereits längere Zeit zurückliegt, die aber (noch) über neutralisierende Antikörper verfügen, im Zusammenhang der §§3 und 6 der angefochtenen Verordnung abgesehen hat. Angesichts der noch unzureichenden wissenschaftlichen Datengrundlagen zu neutralisierenden Antikörpern liegt es ebenso noch im Spielraum des BMSGPK, auch eine Kombination von neutralisierenden Antikörpern mit einem negativen Testergebnis nicht einer Schutzimpfung oder einer weniger als sechs Monate zurückliegenden Genesung gleichzustellen. Der BMSGPK hat daher mit seiner Unterscheidung zwischen geimpften oder genesenen Personen einerseits und Personen, bei denen (bloß) neutralisierende Antikörper nachweisbar sind, anderseits in den §§3 und 6 Abs1 und 1a der 6. COVID-19-SchuMaV weder gegen §1 Abs5, 5a und 5b COVID-19-MG verstoßen, noch das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes verletzt. Die in diese Richtung gehenden Bedenken der Antragstellerin erweisen sich daher als nicht berechtigt.
Auch soweit die Antragstellerin der Sache nach geltend macht, die Ausgangsregelung des §3 Abs1 der 6. COVID-19-SchuMaV und das Betretungsverbot nach §6 Abs1 und 1a der 6. COVID-19-SchuMaV würden den Gleichheitssatz sowie das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freizügigkeit verletzen, weil diese Beschränkungen infolge der gesunkenen Hospitalisierungszahlen in den letzten Wochen des Jänner 2022 nicht mehr erforderlich gewesen seien, ist ihr Vorbringen nicht berechtigt (E v 29.04.2022, V23/2022). Die - von mehreren Ausnahmen durchbrochene - Ausgangsregelung des §3 der 6. COVID-19-SchuMaV greift auch nicht in den Schutzbereich des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) ein.
Schlagworte
COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, Verhältnismäßigkeit, Rechtspolitik, Freiheit persönliche, Verordnung, VfGH / Verhandlung, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V35.2022Zuletzt aktualisiert am
30.05.2022