TE Vwgh Beschluss 2022/4/27 Ra 2021/22/0052

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Veröffentlicht am 27.04.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/22/0053

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. der M G, und 2. des K B, beide vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 14. Dezember 2020, 1. VGW-151/059/5413/2020-31 und 2. VGW-151/059/5410/2020, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers, beide sind serbische Staatsangehörige. Am 13. Juni 2019 stellten die revisionswerbenden Parteien unter Berufung auf die von der Erstrevisionswerberin am 26. Mai 2014 geschlossene Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger (im Folgenden: Zusammenführender) jeweils Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Am 16. Juli 2019 wurden zudem jeweils Zusatzanträge gemäß § 21 Abs. 3 NAG sowie gemäß § 21a Abs. 5 NAG gestellt.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 21. April 2020 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) die Anträge der revisionswerbenden Parteien ab, weil die Inlandsantragstellung unzulässig gewesen sei, der Aufenthalt der revisionswerbenden Parteien zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne und kein Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft im Bundesgebiet bestehe. Die Abweisung des Antrages der Erstrevisionswerberin wurde zudem auf das Fehlen eines Nachweises von Kenntnissen der deutschen Sprache auf Niveau A1 gestützt.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Dezember 2020 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für die vorliegenden Revisionssachen relevant - Folgendes fest: Mit Beschluss vom 14. Dezember 2017 sei der Bruder der (seit August 2017 an einem hirnorganischen Psychosyndrom leidenden) Erstrevisionswerberin, V J, zu deren Sachwalter bestellt worden. Die Erstrevisionswerberin sei aufgrund ihrer schweren Erkrankung auf ständige Betreuung angewiesen, die nicht vom Zusammenführenden (der selbst in hohem Maße pflege- und betreuungsbedürftig sei), sondern von ihrem Erwachsenenvertreter und dessen Tochter wahrgenommen werde. Der Zusammenführende sei mit Beschluss vom 20. Februar 2019 zum Obsorgeberechtigten des Zweitrevisionswerbers bestellt worden. Die revisionswerbenden Parteien seien seit März bzw. Juni 2018 ständig in Österreich aufhältig (zudem stellte das Verwaltungsgericht die Meldedaten der revisionswerbenden Parteien und des Zusammenführenden seit dem Jahr 2013 dar). Die Erstrevisionswerberin und der Zusammenführende würden kein gemeinsames Ehe- und Familienleben führen; eine Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft liege ebenso wenig vor wie (trotz Unterkunftnahme in derselben Wohnung) eine Haushaltsgemeinschaft. Der Zusammenführende übe auch die Obsorge über den Zweitrevisionswerber nicht tatsächlich aus. Sämtliche die revisionswerbenden Parteien betreffenden Angelegenheiten würden von V J erledigt.

Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, die revisionswerbenden Parteien seien aufgefordert worden, unter Verweis auf das vermutete Vorliegen einer Aufenthaltsehe alle Tatsachen und Beweismittel zur Untermauerung ihres Rechtsanspruchs vorzulegen bzw. geltend zu machen; dieser Aufforderung seien die revisionswerbenden Parteien (abgesehen von der Vorlage einiger weniger Fotos) nicht nachgekommen. Der Zusammenführende - so das Verwaltungsgericht weiter - habe vor der Hochzeit mit der Erstrevisionswerberin mit deren Schwester eine Beziehung geführt, aus der ein Sohn stamme. Zwar könne ein im Zeitpunkt der Eheschließung geführtes tatsächliches Eheleben zwischen der Erstrevisionswerberin und dem Zusammenführenden nicht ausgeschlossen werden, dessen Fortdauer aber schon. Die Erstrevisionswerberin habe zu der seit immerhin sechs Jahren andauernden Ehe nur Fotos von der Hochzeit sowie ein inszeniert wirkendes Foto vom Krankenbett des Zusammenführenden im Oktober 2020 vorgelegt. Ein tatsächliches Eheleben sei in keiner Weise bescheinigt oder durch plausible Ausführungen untermauert worden. An einer gemeinsamen Adresse seien die Eheleute von Oktober 2013 bis März 2015 gemeldet gewesen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Ehegatten schon bald nach der Eheschließung nicht mehr zusammengewohnt hätten. Daran anschließend hätten sich die Eheleute in Serbien aufgehalten, dort aber nach den Aussagen der revisionswerbenden Parteien nicht zusammengewohnt. Dass nach der Wiedereinreise nunmehr wieder eine gemeinsame Wohnanschrift bestehe, sage nichts über ein (wieder aufgenommenes) Eheleben aus. Der Zusammenführende habe sich bei seiner Befragung zum Ehe- und Familienleben trotz wiederholter Aufforderung weitgehend verschlossen gezeigt. Die Erstrevisionswerberin habe angegeben, aktuell bei ihrem Bruder zu wohnen. Auch im unmittelbaren persönlichen Eindruck sei zwischen den Ehegatten keine emotionale Hinwendung zu erkennen gewesen, nicht einmal Blickkontakt sei gesucht worden.

Gestützt auf diese Feststellungen ging das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass (ua.) das allgemeine Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG (Aufenthaltsehe) vorliege. Des Weiteren erfolgten Ausführungen zu den weiteren (teilweise als fehlend erachteten) Erteilungsvoraussetzungen sowie zur Abwägung nach Art. 8 EMRK.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich der Ehe der Erstrevisionswerberin mit dem Zusammenführenden keine genaueren Feststellungen getroffen und sei pauschal von einer Aufenthaltsehe ausgegangen. Dass die Ehe ausschließlich zum Zweck eingegangen worden sei, eine fremdenrechtlich bedeutsame Berechtigung zu erhalten, habe das Verwaltungsgericht in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht festgestellt. Zudem monieren die revisionswerbenden Parteien, das Verwaltungsgericht habe es verabsäumt, die gebotene Gesamtbetrachtung im Sinn des Art. 8 EMRK vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalles Bedacht nehme. Dabei komme der Bindung eines Fremden zu einem österreichischen Ehepartner große Bedeutung zu.

7        Dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Tatbestand des § 30 Abs. 1 NAG dann erfüllt ist, wenn sich der Ehegatte zur Erteilung eines Aufenthaltstitels auf eine Ehe beruft, obwohl kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt wird. Dabei erfordert § 30 Abs. 1 NAG nicht, dass die Ehe (quasi in Missbrauchsabsicht) zu dem Zweck geschlossen wurde, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, sondern dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde oder des Verwaltungsgerichtes kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK (mehr) geführt wird (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2019/22/0020, Rn. 9, mwN).

8        Das Verwaltungsgericht schloss zwar nicht aus, dass die Erstrevisionswerberin und der Zusammenführende im Zeitpunkt ihrer Eheschließung im Jahr 2014 ein Eheleben geführt haben, ging aber davon aus, dass ein solches im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses jedenfalls nicht (mehr) bestehe und daher der Tatbestand des § 30 Abs. 1 NAG erfüllt sei. Das von den revisionswerbenden Parteien geltend gemachte Abweichen von der hg. Rechtsprechung liegt somit nicht vor.

9        Soweit die revisionswerbenden Parteien mit ihrem Vorbringen die diesbezügliche Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes bekämpfen, ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. VwGH 22.4.2021, Ra 2020/22/0237, Rn. 7, mwN). Eine nach diesen Kriterien vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der vorliegenden Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes zeigen die revisionswerbenden Parteien mit ihrem insoweit nicht weiter substantiierten Vorbringen nicht auf.

10       Soweit die revisionswerbenden Parteien schließlich das Unterbleiben einer Gesamtbetrachtung im Sinn des Art. 8 EMRK rügen, ist darauf zu verweisen, dass eine Aufenthaltsehe den absoluten Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG erfüllt, weshalb in diesem Fall keine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG bzw. Art. 8 EMRK vorzunehmen ist (vgl. VwGH 30.9.2020, Ra 2020/22/0136, Rn. 11, mwN).

11       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

12       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 27. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220052.L00

Im RIS seit

30.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.07.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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