TE Vwgh Beschluss 2022/5/2 Ra 2021/19/0428

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.05.2022
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/19/0429

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision 1. des M I, und 2. des M I, beide vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2021, 1. L525 2147085-1/17E und 2. L525 2147089-1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und der Zweitrevisionswerber, Geschwister und Staatsangehörige Pakistans, stellten am 20. August 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, sie hätten gemeinsam in einem Geschäft gearbeitet, welches kurz vor ihrer Ausreise ausgeraubt worden sei. Als sie deswegen Anzeige bei der Polizei erstattet hätten, seien sie mehrmals anonym bedroht worden und die Polizei habe sie aufgefordert, die Anzeigen zurückzuziehen.

2        Mit Bescheiden vom 18. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Mit Beschluss vom 27. September 2021, E 3303-3304/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG sei seiner Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts nicht nachgekommen. Das BVwG dürfe sich, wenn es davon ausgehe, dass vorgelegte Urkunden gefälscht seien, nicht auf den Hinweis beschränken, es sei bekannt, dass aus einem bestimmten Herkunftsland regelmäßig gefälschte Urkunden vorgelegt würden. Es habe vielmehr konkret und nachvollziehbar darzulegen, weshalb es die vorgelegten Urkunden als nicht echt oder verfälscht ansehe.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.10.2021, Ra 2021/19/0261, mwN).

10       Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2020/19/0431, mwN).

11       Das BVwG erachtete das Fluchtvorbringen der Revisionswerber - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher die Revisionswerber umfassend zu ihren Fluchtgründen befragt wurden - als nicht glaubhaft und stützte sich in seiner Beweiswürdigung tragend auf die teils widersprüchlichen und wenig nachvollziehbaren Angaben der Revisionswerber. Entgegen den Ausführungen der Revision qualifizierte das BVwG die vorgelegten Anzeigen nicht nur unter Verweis auf die im Herkunftsstaat problemlos mögliche Beschaffung von gefälschten Urkunden als Fälschungen, sondern führte darüber hinaus auch aus, dass die vorgelegten handschriftlichen Dokumente lediglich eine Anzeige belegen könnten, aber keine Aufschlüsse darüber geben würden, ob sich der darin beschriebene Sachverhalt tatsächlich ereignet habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der angezeigte Einbruch stattgefunden habe, sei darin keine asylrelevante Verfolgungshandlung zu erkennen, zumal dieser einen rein kriminellen Hintergrund aufgewiesen habe.

12       Der Revision gelingt es mit ihren allgemein gehaltenen Ausführungen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen oder die Erforderlichkeit weiterer amtswegiger Erhebungen in grob fehlerhafter Weise beurteilt hätte.

13       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit des Weiteren vor, die Ausführungen des BVwG hinsichtlich der psychischen Erkrankung des Zweitrevisionswerbers und der daraus resultierenden Konsequenzen für sein Leben und seine Gesundheit sowie „das Vorliegen einer Bedrohung im Sinne des Art. 3 EMRK“ würden nicht den Vorgaben der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entsprechen.

14       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 15.6.2021, Ra 2021/19/0071, mwN).

15       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und der Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedoch jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mwN, und unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10).

16       Das BVwG traf - auf Grundlage eines eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens - Feststellungen zur psychischen Erkrankung des Zweitrevisionswerbers, zu seiner medikamentösen Behandlung und - unter Berücksichtigung hinreichend aktueller Länderberichte - zur Verfügbarkeit von Medikamenten sowie Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Erkrankungen in Pakistan und kam zu dem Ergebnis, dass beim Zweitrevisionswerber keine akut lebensbedrohliche Krankheit vorliege und die von ihm benötigten Medikamente im Herkunftsstaat vorhanden sowie erschwinglich seien. Bei Weiterführung der Behandlung trete im Fall der Überstellung des Zweitrevisionswerbers in seinen Herkunftsstaat auch keine signifikante Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ein.

17       Die Revision vermag mit ihrem pauschal gehaltenem Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG bei dieser Beurteilung von den Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung abgewichen wäre.

18       Schließlich wendet sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung und bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es sei Aufgabe der Höchstgerichte „im positiven Sinn klarzustellen, welche konkreten Integrationsmerkmale nachzuweisen sind, damit von einer herausragenden Integration auszugehen ist.“

19       Mit diesen Ausführungen betreffend die Rückkehrentscheidung, die keinen Bezug zu dem angefochtenen Erkenntnis herstellen, gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, zu welcher konkret zu lösenden Rechtsfrage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlen würde.

20       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. Mai 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190428.L00

Im RIS seit

30.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

15.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten