TE Vwgh Beschluss 2022/5/3 Ra 2020/15/0055

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Veröffentlicht am 03.05.2022
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Index

L34007 Abgabenordnung Tirol
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §198
BAO §201 Abs4
BAO §201 Abs4 idF 2002/I/097
BAO §202 Abs1
BAO §224 Abs1
BAO §279
BAO §279 Abs1
BAO §303
B-VG Art133 Abs4
EStG 1972 §82 Abs1
EStG 1972 §86 Abs2
EStG 1988 §100 Abs2
EStG 1988 §82
EStG 1988 §99 Abs1 Z5
KommStG 1993 §11 Abs1
LAO Tir 1984 §151 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der I GmbH in G, vertreten durch Martin Friedl, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. März 2020, Zl. RV/5101880/2017, betreffend Haftung für Abzugssteuern 2012 bis 2014, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin hat in den Jahren 2012 bis 2014 als Gestellungsnehmerin Leistungen von drei Arbeitskräftegestellern bezogen. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Revisionswerberin im Instanzenzug gemäß § 100 Abs. 2 EStG 1988 und § 202 iVm § 201 BAO zur Haftung für Abzugssteuern iSd § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 für die Arbeitskräftegestellung durch beschränkt steuerpflichtige Gesteller herangezogen. Im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses werden für das Jahr 2012 die Abzugssteuern in Bezug auf den Gesteller A, für das Jahr 2013 die Abzugssteuern in Bezug auf die Gesteller A, B und C sowie für das Jahr 2014 die Abzugssteuern in Bezug auf die Gesteller A, B und C ausgewiesen (in Bezug auf jeden Gesteller mit einem Betrag pro Jahr).

2        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob für die Geltendmachung der Abzugssteuer iSd § 99 EStG 1988 ein „Sammelbescheid“ zu erlassen gewesen wäre und ob das Bundesfinanzgericht die „Sache“ des Verfahrens überschritt, indem es für den Steuerabzug - anders als das Finanzamt, das die Rechnungslegung gegenüber der Revisionswerberin für relevant erachtete - an die Leistung der Zahlung an den jeweiligen Arbeitskräftegesteller anknüpfte.

3        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

5        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        § 201 BAO idF BGBl I 2002/97 lautet auszugsweise:

„(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

[...]

(4) Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen.“

7        Aus den Erläuterungen des Initiativantrages zu BGBl I 2002/97 (666/A BlgNR XXI. GP 44) ergibt sich, dass die zusammengefasste Festsetzung mehrerer Abgaben derselben Abgabenart in einem Abgabenbescheid durch § 201 Abs. 4 BAO auf Abgaben eingeschränkt werde, für die der Abgabenanspruch im selben Kalenderjahr entstanden ist. Dies solle ua die automationsunterstützte Festsetzung von Säumniszuschlägen (zB bei Dienstgeberbeiträgen) erleichtern.

8        § 202 Abs. 1 BAO lautet:

„Die §§ 201 und 201a gelten sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. Hiebei sind Nachforderungen mittels Haftungsbescheides (§ 224 Abs. 1) geltend zu machen.“

9        In dem Kommunalsteuer 2001 bis 2005 betreffenden Erkenntnis vom 7. Juli 2011, 2009/15/0223, sprach der Verwaltungsgerichtshof zu § 151 Abs. 2 Tiroler Landesabgabenordnung (TLAO), wonach innerhalb derselben Abgabenart die Festsetzung mehrerer Abgaben in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen konnte, aus:

„Die Kommunalsteuerschuld entsteht mit Ablauf des Kalendermonates, in dem Lohnzahlungen gewährt worden sind (§ 11 Abs. 1 KommStG 1993). Entsprechend § 151 Abs. 2 TLAO kann aber - da es sich insoweit jeweils um dieselbe Abgabenart handelt - die Festsetzung mehrerer (Monats)Abgaben in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen und es muss nicht für jeden Kalendermonat je ein Bescheid ergehen (vgl. - zu § 201 BAO - Stoll, Bundesabgabenordnung, § 201, 2125 f). Anders als § 201 Abs. 4 BAO (idF BGBl. I Nr. 97/2002) sieht § 151 Abs. 2 TLAO eine Einschränkung auf Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) nicht vor. Demnach ist es auch zulässig, die Kommunalsteuer für mehrere Jahre mit einem Bescheid festzusetzen. Im Hinblick auf verwaltungsökonomische Überlegungen erscheint die Vorgangsweise der Abgabenbehörde als unbedenklich (vgl. - zu § 150 NÖ AO 1977 - das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, 2005/15/0155).“

10       In dem die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers für Kommunalsteuerschulden betreffenden Erkenntnis vom 26. Mai 2021, Ra 2020/13/0073, führte der Verwaltungsgerichtshof aus:

„Wenn auch nach § 201 Abs. 4 BAO innerhalb derselben Abgabenart die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen kann (nach früheren Landesabgabenordnungen auch für mehrere Jahre; vgl. zu § 150 NÖ AO 1977 VwGH 28.5.2008, 2005/15/0155; zu § 151 Abs. 2 TLAO VwGH 7.7.2011, 2009/15/0223; vgl. auch VwGH 21.10.2015, 2012/13/0085), so ist für das Haftungsverfahren - insbesondere zur Abgrenzung des Zeitraumes, für den eine Haftung besteht - eine Ermittlung der Abgabe für jeden Fälligkeitstag vorzunehmen (vgl. auch VwGH 7.7.2011, 2009/15/0223, zur gesonderten monatlichen Ermittlung für die Säumniszuschlagsfestsetzung; eine § 217 Abs. 10 BAO entsprechende Bestimmung enthielt die damals zu beurteilende Landesabgabenordnung nicht).“

11       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde - ebenso wie mit dem Haftungsbescheid des Finanzamtes - gemäß § 201 Abs. 4 iVm § 202 Abs. 1 BAO eine zusammengefasste Nachforderung im Wege der Geltendmachung einer Haftung vorgenommen.

12       Im Zulässigkeitsvorbringen führt die Revision hiezu aus, der Verwaltungsgerichtshof habe bereits im Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, 92/14/0214, betreffend die Haftung für Lohnsteuer ausgeführt, dass ein „Sammelbescheid“ zu erlassen sei, wenn sich die Haftung auf mehrere Arbeitnehmer und Monate beziehe. Eine solche Rechtsprechung fehle für die Abzugssteuer iSd § 99 EStG 1988.

13       Im angesprochenen Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, 92/14/0214 (vgl. auch VwGH 19.3.1998, 97/15/0219, und 21.3.2005, 2003/17/0011), führt der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die Lohnsteuerhaftung für mehrere Arbeitnehmer und mehrere Lohnzahlungszeiträume aus:

„Nun stellt jedoch der Haftungsbescheid - wenn er sich auf mehrere Arbeitnehmer und Monate bezieht und von der gesetzlichen Bestimmung des § 86 Abs. 2 EStG 1972 kein Gebrauch gemacht wird - einen Sammelbescheid dar, weil die Lohnabgaben grundsätzlich pro Arbeitnehmer und Monat anfallen (vgl Ritz, SWK, A 382).

Vor diesem Hintergrund bedarf es aber keiner Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn der Arbeitgeber in einem Haftungsbescheid für Lohnabgaben eines Arbeitnehmers für mehrere Monate oder auch mehrerer Arbeitnehmer und in einem späteren Haftungsbescheid für Lohnabgaben anderer (weiterer) Arbeitnehmer in Anspruch genommen wird.“

14       Die im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses geltend gemachte Haftung mit jeweils einem Betrag pro Jahr und pro Arbeitskräftegesteller entspricht den Vorgaben des § 201 Abs. 4 iVm § 202 BAO und der hiezu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

15       Die Zusammenfassung der Festsetzung mehrerer Abgaben iSd § 201 Abs. 4 BAO bzw. die entsprechende Geltendmachung der Haftung für mehrere Abgaben gemäß § 202 Abs. 1 BAO ändert nichts am Vorliegen einzelner Abgaben mit eigenständigen Fälligkeitszeitpunkten (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 201 Tz 48; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, § 201 Anm 28).

16       Ob das angefochtene Erkenntnis als „Sammelbescheid“ bzw. als „Sammelerkenntnis“ bezeichnet werden kann, stellt, weil die BAO einen solchen Ausdruck nicht verwendet, entgegen dem Revisionsvorbringen keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG dar. Soweit die Revision auf Stoll, BAO, 2135 f verweist, wonach die Zusammenfassung mehrerer Haftungstatbestände bzw. unterschiedlicher Abgabenschuldner in einer einheitlichen Erledigung eine Aufschlüsselung der Nachforderungsbeträge je Abgabenschuldner, Nachforderungsgrund und Nachforderungszeitraum erforderte, und zwar in dieser Erledigung oder in einer Ergänzungsmitteilung der Behörde bzw. im bezughabenden Prüfungsbericht, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesfinanzgericht in der Begründung des hier angefochtenen Erkenntnisses klar - und getrennt nach den drei Arbeitskräftegestellern (als Steuerschuldner) - dargestellt hat, welche Haftungsbeträge auf welche Monate der Jahre 2012 bis 2014 entfallen.

17       Bei einem Bescheid, mit dem eine persönliche Haftung geltend gemacht wird, wird die Identität der Sache durch den Tatbestand begrenzt, der für die geltend gemachte Haftung maßgebend ist (VwGH 21.4.2016, 2013/15/0290; 24.5.2012, 2009/15/0182, zu § 95 Abs. 3 EStG 1988; sowie 9.2.2005, 2004/13/0126, zu § 82 EStG 1988; vgl hiezu Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 12).

18       So ist etwa die Geltendmachung der Haftung für Lohnsteuer auf den Haftungstatbestand des § 82 EStG 1988 gestützt. In einem solchen Verfahren ist die „Sache“ und damit die Änderungsbefugnis nach § 279 BAO durch Lohnsteuerschuldigkeiten für dieselben Arbeitnehmer und für dieselben Zeiträume festgelegt, die das Finanzamt im erstinstanzlichen Haftungsbescheid herangezogen hat, wobei innerhalb dieses Rahmens die Änderungsbefugnis selbst solche Fehler in der Lohnsteuerberechnung umfasst, welche vom Finanzamt nicht aufgegriffene Sachverhalte betreffen (vgl. neuerlich VwGH 9.2.2005, 2004/13/0126; Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 12).

19       Im gegenständlichen Fall ist der Haftungsbescheid des Finanzamtes auf den Haftungstatbestand des § 100 Abs. 2 EStG 1988 gestützt, wonach der Schuldner der Einkünfte für die Einbehaltung und Abfuhr der Abzugssteuerbeträge iSd § 99 EStG 1988 haftet. Gemäß § 101 Abs. 1 EStG 1988 sind die innerhalb eines Kalendermonates einbehaltenen Steuerbeträge unter der Bezeichnung „Steuerabzug gemäß § 99 EStG“ spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates an das Finanzamt abzuführen.

20       Aus der angeführten Rechtsprechung folgt, dass bei der Haftung nach § 100 Abs. 2 EStG 1988 für Steuerabzugsbeträge nach § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 aus der Gestellung von Arbeitskräften die Identität der Sache durch die Person des Gestellers und den Zeitraum, dem die Steuerabzugspflicht jeweils zugeordnet wird, festgelegt ist.

21       Soweit im Zulässigkeitsvorbringen die Frage aufgeworfen wird, ob das Bundesfinanzgericht die Grenzen der „Sache“ überschreitet, wenn es als den die Abzugssteuer iSd § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 auslösenden Vorgang die Leistung der Zahlung an den jeweiligen Arbeitskräftegesteller ansah, während das Finanzamt die Rechnungslegung des jeweiligen Arbeitskräftegestellers für maßgeblich erachtete, ergibt sich aus der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Umstand, dass eine solche Korrektur vorgenommen wird, für sich allein noch nicht bedeutet, dass die Grenzen der Sache überschritten sind.

22       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

23       Von der von der Revisionswerberin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 3. Mai 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150055.L00

Im RIS seit

30.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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