Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in K, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Februar 1995, Zl. 4.340.106/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Februar 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 20. Juli 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 24. Juli 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. August 1992 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte in seinem schriftlichen Asylantrag angegeben:
Er sei Kurde. Die Kurden würden in der Türkei in allen Lebensbereichen benachteiligt, was auch er zu spüren bekommen habe. Nach Abschluß der Schule im Juni 1991 sei er im Kurdengebiet in Kontakt mit Angehörigen der PKK gelangt. Er habe sich dazu überreden lassen, für die PKK tätig zu werden. Er habe einige Monate hindurch Hilfs- und Unterstützungshandlungen für die PKK geleistet. Dies sei aus ihm nicht bekannten Gründen den staatlichen türkischen Behörden bekannt geworden. Er sei Mitte Juni 1992 von der türkischen Polizei festgenommen, über seine Betätigung und seine Kontaktpersonen verhört und mehrere Tage in Haft gehalten worden. Dabei sei auf ihn massiver Druck ausgeübt worden, er sei auch geschlagen worden. Auch nach seiner Entlassung sei er unter ständiger polizeilicher Beobachtung gestanden. Nach der Haftentlassung habe er sich entschlossen, nicht mehr für die PKK tätig zu sein. Dies habe er seinen Kontaktpersonen mitgeteilt, welche damit jedoch nicht einverstanden gewesen seien und ihm erklärt hätten, er müsse weiterhin für die PKK tätig sein und Mitglied dieser Organisation werden. Würde er dies ablehnen, würde man ihn "fertigmachen". Er sei somit sowohl von seiten der PKK als auch der staatlichen Behörde unter Druck gestanden. Von den staatlichen Behörden habe er keinen Schutz vor Verfolgung durch die PKK erwarten können. Wäre er weiter für die PKK tätig, hätte dies weitere gravierende Verfolgungshandlungen seitens der staatlichen Behörden ausgelöst. Deshalb habe er sich zur Flucht nach Österreich entschlossen. Zudem würde eine illegale Ausreise gravierende Verfolgungshandlungen seitens der staatlichen Behörden auslösen. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat drohe ihm ein ernsthafter Nachteil für seine körperliche Unversehrtheit und Freiheit.
Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 12. August 1992 konkretisierte der Beschwerdeführer die im schriftlichen Asylantrag enthaltenen Angaben insoferne, als er seine Tätigkeit für die PKK mit dem Aufkleben von Plakaten "Es lebe Kurdistan" beschrieb. Hiebei sei er einmal von der Polizei auf frischer Tat betreten worden. Er sei daraufhin für zwei Tage eingesperrt worden. Er sei befragt worden, weshalb er Plakate aufhänge und weshalb er mit der PKK zusammenarbeite, wobei er auch geschlagen worden sei. Nach seiner Entlassung aus der Haft sei er von ehemaligen Arbeitskollegen bzw. jenen Personen, durch die er den Kontakt zur PKK gefunden habe, abgeholt und zum Arbeitsplatz zurückgebracht worden. Er sei für zwei Tage mit diesen PKK-Mitgliedern zusammen gewesen. Diese hätten ihm mitgeteilt, daß er in der Türkei nicht nur von der PKK gesucht werde, sondern auch von der Polizei. Weiters hätten sie dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß er aus der PKK nicht aussteigen könne. Er sei mit ihnen in einem Kaffeehaus zusammen gewesen und in einem unbeobachteten Augenblick geflüchtet. An anderer Stelle gab der Beschwerdeführer an, daß die Anschläge, die von der PKK verübt werden, nicht seine Zustimmung fänden. Als er gemerkt habe, daß "solche Sachen" von der PKK verübt würden, habe er die Flucht ergriffen. Der Beschwerdeführer gab zunächst an, direkt nach Istanbul und am gleichen Tag über Bulgarien, Jugoslawien und Ungarn nach Österreich geflüchtet zu sein, verbesserte aber noch während seiner Einvernahme in der Niederschrift, daß er nicht gleich nach seiner Haftentlassung geflohen sei, sondern sich für den Zeitraum von ca. drei Wochen bei Verwandten in Sorgun aufgehalten habe. Dort sei er von staatlichen Organen nicht verfolgt worden. Im Falle der Rückkehr würde er "sicher von den Freunden bzw. den bereits vorher zitierten PKK-Mitgliedern umgebracht" werden, weil er "davongelaufen" sei. Er könne wegen seines Anliegens nicht zur türkischen Polizei gehen, da ihm diese nicht helfen würde. Er kenne zwar keine wichtigen Mitglieder und keine Geheimnisse der PKK, weil er lediglich Plakate angebracht habe, jedoch glaube er, daß er von der PKK bis Istanbul verfolgt werde.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag sowohl mit der Begründung, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat keine Verfolgung zu befürchten habe, als auch damit ab, daß er in Staaten seiner Durchreise Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe.
In der dagegen erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer hinsichtlich der behaupteten Verfolgung "vollinhaltlich" auf sein bisheriges Vorbringen. Der Beschwerdeführer rügte in der Berufung auch die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens (unvollständige Sachverhaltsfeststellungen).
Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 13. Oktober 1993. Ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers befaßte sie sich mit seiner Flüchtlingseigenschaft und begründete, daß aufgrund der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben davon ausgegangen werden müsse, daß er nach der Entlassung aus der Polizeihaft keine gegen ihn gerichtete Verfolgung durch den Staat bzw. diesem zurechenbaren Organen zu befürchten gehabt habe. Bei seiner Furcht vor Übergriffen der PKK, wie auch bei der Behauptung, davor vom Staat nicht geschützt zu werden, handle es sich um ein rein subjektives Empfinden, das durch keinerlei Fakten oder Argumente belegt werde. Es sei dem Beschwerdeführer daher nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß ihm von seiten der PKK Gefahr drohe, bzw., daß der Staat den Beschwerdeführer vor einer solchen nicht schützen wolle oder könne.
Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde wurde der damals angefochtene Bescheid mit dem Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0233, infolge Anwendung des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 in der durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, Zl. G 92, 93/94, hinsichtlich des Wortes "offenkundig" als verfassungswidrig erkannten Fassung, aufgehoben.
Im fortgesetzten Verfahren bot die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz zu rügen. Mit Schreiben vom 13. Februar 1995 ergänzte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen durch den Hinweis, daß Amnesty International im Jahresbericht 1994 die politische Situation in der Türkei "kritisch durchleuchte, insbesondere die Übergriffe der türkischen Instanzen gegen Sympathisanten und Angehörige der PKK bzw. generell gegen die kurdische Minderheit anprangert".
Im nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid vom 17. Februar 1995 übernahm die belangte Behörde die Sachverhaltsfeststellung und die "zutreffende rechtliche Beurteilung" des Bescheides vom 13. Oktober 1993. Zur Rechtslage ergänzte die belangte Behörde, daß die vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgung seitens der PKK die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen vermöge, da sich mögliche Übergriffe von Angehörigen der PKK in keinster Weise als vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen erwiesen. Dies deshalb, da nicht festgestellt werden könne, daß die befürchteten Übergriffe von den staatlichen Behörden geduldet oder gebilligt worden wären, oder daß dem Beschwerdeführer staatlicher Schutz a priori verweigert worden wäre. Es handle sich bei der PKK um eine terroristische Organisation und es würden mögliche Übergriffe der PKK von den türkischen Behörden mit großer Konsequenz verfolgt und geahndet. Der Verweis auf den Jahresbericht von Amnesty International sei nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen, da nur individuell gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes 1991 von Relevanz seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Behörde geht zunächst davon aus, daß dem Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Polizeihaft keine weitere gegen ihn gerichtete Verfolgung durch den Staat bzw. diesen zurechenbaren Organen gedroht habe. In diesem Punkt ist eine Rechtswidrigkeit nicht zu erkennen, hat doch der Beschwerdeführer - abgesehen davon, daß er von PKK-Mitgliedern gehört habe, die Polizei suche ihn - kein objektiv nachvollziehbares Vorbringen erstattet, aus dem sich erkennen ließe, daß ihm nach der Haftentlassung eine asylrechtlich relevante Verfolgung seitens seines Heimatstaates zum Zeitpunkt des Verlassens seiner Heimat drohte.
Asylrechtlich relevante Verfolgung kann aber auch dann vorliegen, wenn von den staatlichen Stellen eine Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen durch nichtstaatliche Stellen zumindest geduldet worden wäre (vgl. zB das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0715).
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. ua die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als diesem nicht klar entnommen werden kann, aufgrund welcher Erwägungen die belangte Behörde zur Ansicht gelangte, daß die Furcht vor Übergriffen der PKK, nur ein subjektives Empfinden des Beschwerdeführers sei. Denn die vom Beschwerdeführer angestrebte Beendigung seiner Hilfsdienste für die PKK resultierte aus seiner geänderten politischen Gesinnung, weshalb einer daraus entstehenden Verfolgung durch die PKK asylrechtliche Relevanz nicht ohne weiteres abgesprochen werden kann. Der Beschwerdeführer hat weiters behauptet, daß ihm für den Fall, nicht weiter für die PKK tätig sein zu wollen, mit dem "Fertigmachen" gedroht worden sei. Ohne nähere Ausführungen der belangten Behörde ist aber nicht von vornherein auszuschließen, daß eine Organisation wie die PKK, die bekanntermaßen vor Gewaltakten nicht zurückschreckt, auch gegenüber Personen, die lediglich Hilfsdienste in Form des Plakatierens leisteten, und die keine Kenntnisse von Geheimnissen oder wichtigen Mitgliedern hatten, ihre dem Beschwerdeführer gegenüber geäußerte Drohung (unter "Fertigmachen" kann mangels näherer Darlegung jeder körperliche Übergriff bis hin zur Tötung verstanden werden) wahrmachen würde.
Zwar hat die belangte Behörde in ihrer Eventualbegründung die vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgung seitens der PKK zugestanden, für diesen Fall jedoch - abgesehen davon, daß sie die Behauptung des Beschwerdeführers, vor Verfolgung durch die PKK vom Staat nicht geschützt zu werden, als subjektives Empfinden des Beschwerdeführers wertete, ohne ihre Ansicht näher zu begründen - die asylrechtliche Relevanz damit verneint, daß solche Übergriffe nicht vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen seien. Die diesbezügliche Begründung der belangten Behörde, es handle sich bei der PKK um eine terroristische Organisation, und es würden mögliche Übergriffe der PKK von den türkischen Behörden mit großer Konsequenz verfolgt und geahndet, ist nur bedingt von der allgemein bekannten Tatsache des scharfen Vorgehens der türkischen Behörden gegen die PKK gedeckt. Denn es existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz, wie sich die türkischen Behörden gegenüber Personen verhalten, welche sich unmittelbar vor durch die PKK drohender Verfolgung wegen Unterstützung der Sache der Kurden - und sei es auch nur durch das Aufkleben von Plakaten - in polizeilicher Haft befunden haben und nunmehr Schutz vor Übergriffen der PKK suchen. Mangels näherer Ermittlungen hiezu ist der - erkennbar auf die zuvor erlittene Haft gestützten - Behauptung des Beschwerdeführers, staatliche Behörden würden ihn vor Übergriffen der PKK nicht schützen, nicht die Grundlage entzogen. Die Überlegungen der belangten Behörde erweisen sich daher nicht als schlüssig.
Da von der belangten Behörde somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200166.X00Im RIS seit
20.11.2000