TE Vwgh Beschluss 2022/4/19 Ra 2021/21/0226

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Veröffentlicht am 19.04.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §68 Abs2
BFA-VG 2014 §22a
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §81 Abs1
FrPolG 2005 §81 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. Mai 2021, G303 2236640-1/21E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A U T N, G), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 15. Oktober 2020 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten, einen Staatsangehörigen von Kamerun, gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an. Die Rechtsfolgen dieses Bescheides sollten nach der Entlassung des Mitbeteiligten aus dem Vollzug einer damals verbüßten Strafhaft (voraussichtliches Strafende am 21. Mai 2021) erfolgen.

2        Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte am 6. November 2020 Beschwerde.

3        Mit Aktenvermerk vom 7. Mai 2021 hielt das BFA fest, dass bei der Botschaft der Republik Kamerun in Berlin bereits im Jahr 2017 um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Mitbeteiligten ersucht worden sei. Da ungeachtet näher dargestellter Betreibungen noch keine Antwort der genannten Vertretungsbehörde eingelangt sei, erscheine die weitere Aufrechterhaltung des Schubhaftbescheides nicht mehr verhältnismäßig, weil nicht gesagt werden könne, wann mit einer Antwort der Botschaft der Republik Kamerun gerechnet werden könne. Der - so heißt es daran anschließend wörtlich - „erlassene Schubhaftbescheid wird daher gem. § 81 FPG aufgehoben und gilt daher der ho. Bescheid vom 15.10.2021 als widerrufen“. Abschließend hielt das BFA fest, dass unter anderem im Hinblick auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und das Fehlen eines festen Wohnsitzes des Mitbeteiligten ein gelinderes Mittel anzuordnen sein werde.

Diesen Aktenvermerk legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im anhängigen Beschwerdeverfahren (am selben Tag) vor und brachte dessen Inhalt auch dem Mitbeteiligten (am 10. Mai 2021) zur Kenntnis.

4        Mit Bescheid vom 17. Mai 2021 ordnete das BFA über den Mitbeteiligten sodann gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG das gelindere Mittel (einer näher dargestellten, in der Folge abgeänderten Meldepflicht) zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an. Die Rechtsfolgen dieses Bescheides sollten nach der Entlassung des Mitbeteiligten aus dem Vollzug der (in Rn. 1 erwähnten) Strafhaft erfolgen.

Diesen Bescheid stellte das BFA dem Mitbeteiligten am 18. Mai 2021 eigenhändig zu. Die Bescheiderlassung wurde dem BVwG (unbestritten) nicht zur Kenntnis gebracht.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Mai 2021 gab das BVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Schubhaftbescheid vom 15. Oktober 2020 statt und erklärte diesen für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.). Das BVwG verhielt den Bund zum Kostenersatz an den vollständig obsiegenden Mitbeteiligten, wies jedoch den Aufwandersatzantrag des BFA jeweils in Anwendung des § 35 VwGVG ab (Spruchpunkte A.II. und A.III.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

6        Die Zustellung des Erkenntnisses an das BFA wurde elektronisch am 19. Mai 2021, demzufolge spätestens mit Wirksamkeit vom 20. Mai 2021, veranlasst. Ebenfalls am 20. Mai 2021 wurde das Erkenntnis dem Mitbeteiligten ausgehändigt.

7        Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision des BFA erweist sich als unzulässig.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10       Unter diesem Gesichtspunkt macht das BFA in der Revision zusammengefasst geltend, durch den Aktenvermerk vom 7. Mai 2021 sei es zu einem formlosen Widerruf des Schubhaftbescheides vom 15. Oktober 2020 gekommen. Eine Anhaltung des Mitbeteiligten auf der Grundlage dieses Bescheides sei somit nicht mehr zulässig gewesen. Daher sei das Rechtsschutzbedürfnis des Mitbeteiligten an einer inhaltlichen Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde weggefallen, sodass das BVwG nicht zu einer meritorischen Entscheidung, sondern zur Einstellung des Verfahrens verpflichtet gewesen wäre.

Zur Begründung seiner Rechtsansicht verwies das BFA auf die Bestimmung des § 81 Abs. 2 FPG, wonach bei formloser Aufhebung der Schubhaft nach § 81 Abs. 1 FPG, also durch Freilassung des Fremden, der ihr zugrundeliegende Bescheid als widerrufen gelte. Aus näher dargestellten Gründen müsse auch ein „Anschlussschubhaftbescheid“, der noch nicht in Vollzug gesetzt wurde, formlos aufgehoben werden können.

Selbst wenn eine derart formlose Aufhebung des Schubhaftbescheides vor der Inschubhaftnahme nicht möglich sein sollte, habe der am 18. Mai 2021 erlassene Bescheid vom 17. Mai 2021, mit dem gelindere Mittel angeordnet worden seien, dem Schubhaftbescheid vom 15. Oktober 2020 „derogiert“. Da dem BVwG die formlose Aufhebung des Schubhaftbescheides sowie die beabsichtigte Verhängung eines gelinderen Mittels bekannt gewesen seien, hätte es „in diesem Punkt näher ermitteln müssen“, sodass das Neuerungsverbot diesem Vorbringen in der Revision nicht entgegenstehe.

Rechtsrichtig hätte das BVwG, so folgerte das BFA abschließend in der Revision, das Beschwerdeverfahren einstellen müssen, und zwar ohne Kostenzuspruch an den Mitbeteiligten, weil eine dem § 55 VwGG vergleichbare Regelung „im § 35 VwGVG nicht existiert“.

11       Die in der Amtsrevision primär vertretene Auffassung, der Aktenvermerk vom 7. Mai 2021 hätte den Schubhaftbescheid in einer Konstellation wie der vorliegenden aus dem Rechtsbestand beseitigt, trifft allerdings nicht zu. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die in der Amtsrevision angesprochene, in § 81 Abs. 2 FPG normierte Rechtsfolge des Widerrufs eines Schubhaftbescheides nur für den Fall der Enthaftung aus einer bereits in Vollzug befindlichen Schubhaft vorgesehen ist. Vor dem Beginn ihres Vollzuges besteht lediglich die Möglichkeit einer Aufhebung der Schubhaftanordnung durch Bescheid, etwa nach § 68 Abs. 2 AVG; eine mit bloß internem Aktenvermerk festgehaltene Bescheidaufhebung geht dagegen ins Leere (vgl. das mittlerweile ergangene Erkenntnis VwGH 16.6.2021, Ra 2021/21/0019, Rn. 10/11).

12       Soweit das BFA ins Treffen führt, der Bescheid vom 17. Mai 2021 über die Anordnung gelinderer Mittel hätte dem Schubhaftbescheid „derogiert“, verstößt dieses Vorbringen gegen das sich aus § 41 VwGG ergebende Neuerungsverbot.

Entgegen der Ansicht des BFA hat das BVwG, dem nur der nach dem Gesagten in Bezug auf eine Aufhebung des Schubhaftbescheides unwirksame Aktenvermerk vom 7. Mai 2021 zur Kenntnis gebracht worden war, nämlich keine Ermittlungspflicht verletzt; vielmehr wäre das BFA verpflichtet gewesen, dem BVwG auch den Bescheid vom 17. Mai 2021, mit dem dann - insoweit ist dem BFA zu folgen - der Schubhaft anordnende Bescheid vom 15. Oktober 2020 (implizit) aufgehoben wurde, zur Kenntnis zu bringen. Dass das BFA diese Vorgangsweise, ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht, schon durch den Aktenvermerk vom 7. Mai 2021 sei es zu einem formlosen Widerruf des Schubhaftbescheides vom 15. Oktober 2020 gekommen, unterlassen hat, muss daher zu seinen Lasten gehen.

13       Die Revision, in der somit keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

14       Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Revision auch deshalb zurückzuweisen gewesen wäre, weil in der vorliegenden Konstellation bei einer Einstellung des Verfahrens infolge Aufhebung des bekämpften Bescheides durch das BFA mit dem Bescheid vom 17. Mai 2021 und der dadurch erfolgten Beseitigung des Anfechtungsobjektes eine analoge Anwendung des § 55 VwGG sachgerecht gewesen wäre, zumal das BFA durch die Aufhebung seines von ihm selbst als rechtswidrig erachteten Bescheides die mit einer dem entsprechenden Beschwerdestattgebung durch das BVwG verbundenen Kostenfolgen unterläuft.

Wien, am 19. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210226.L00

Im RIS seit

27.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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