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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des Bürgermeisters der Stadt Graz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 18. Dezember 2020, LVwG 30.29-1894/2020-13, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: H in G, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2/4. OG), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Das Land Steiermark hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Strafverfügung des revisionswerbenden Bürgermeisters der Stadt Graz vom 25. Mai 2020 wurde dem Mitbeteiligten angelastet, er habe am 31. März 2020 um 8:53 Uhr in Graz ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug im Bereich des Vorschriftszeichens „Halten und Parken verboten“ (Abschleppzone) gehalten und dadurch § 24 Abs. 1 lit. a StVO verletzt. Über ihn wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von € 70,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) verhängt.
2 In dem dagegen erhobenen Einspruch brachte der Mitbeteiligte im Wesentlichen vor, von seinem behandelnden Arzt zur dringend benötigten Infusionstherapie bestellt worden zu sein. Dies sei als Notfall einzustufen gewesen. Er sei als Risikopatient, weil er aufgrund seiner chronisch entzündlichen Darmerkrankung Immunsuppressiva erhalte, mit seinem PKW zum Krankenhaus gefahren, um Kontakt mit anderen Personen zu vermeiden. Ihm sei jedoch aufgrund der Covid-19-Situation die Zufahrt zur Tiefgarage verwehrt worden und auch im angrenzenden öffentlichen Parkraum sei kein Platz frei gewesen. Nach Absprache mit dem Wachpersonal des Krankenhauses habe er sein Fahrzeug knapp neben einer Hausmauer nicht störend abgestellt.
3 Das daraufhin erlassene Straferkenntnis des revisionswerbenden Bürgermeisters vom 6. Juli 2020 enthält denselben Spruch wie die oben dargestellte Strafverfügung samt Verpflichtung zur Zahlung eines Kostenbeitrages und führt rechtlich u.a. aus, jeder Kraftfahrer müsse damit rechnen, in bestimmten Gebieten keinen Parkplatz zu finden; stelle er sich nicht darauf ein und habe er deshalb die Notstandssituation selbst verschuldet, so könne von einem schuldausschließenden Notstand nicht gesprochen werden. Aufgrund der Argumentation im Einspruch sei davon auszugehen, dass das Fahrzeug bewusst im Halte- und Parkverbot (Abschleppzone) gehalten worden sei, weil der Mitbeteiligte wegen der Covid-19 Situation keinen freien Parkplatz in der umliegenden Kurzparkzone gefunden habe. Seine Rechtfertigung könne nicht als Schuldausschließungsgrund gewertet werden.
4 Der vom Mitbeteiligten dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) statt, es behob das bekämpfte Straferkenntnis, stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe mit seinem Fahrzeug in die Tiefgarage eines bestimmten Krankenhauses in Graz einfahren wollen, um dort einen Behandlungstermin wegen akuter Schmerzen wahrzunehmen. Aufgrund der damals herrschenden Covid-19 Situation seien damals nur dringliche Termine vergeben worden und die Tiefgarage sei unvorhersehbar gesperrt gewesen. Der Mitbeteiligte habe sein Fahrzeug sehr knapp neben einer Hausmauer an einer mehr als drei Fahrzeugbreiten aufweisenden Stelle, wo noch Begegnungsverkehr und Umkehrmanöver für Einsatzfahrzeuge möglich gewesen seien, abgestellt. Sonst hätte er den ihm kurzfristig eingeräumten Termin zur Schmerzbehandlung nicht wahrnehmen können. Rechtlich bewertete das Verwaltungsgericht diese Situation als einen die Strafbarkeit ausschließenden Notstand im Sinne des § 6 VStG.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, zu der der Mitbeteiligte nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattete.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Der revisionswerbende Bürgermeister erachtet die Revision zunächst als zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 2.9.1992, 92/02/0214) abweiche, nach der die bloße Absicht, eine Unpünktlichkeit beim Arztbesuch zu vermeiden, keinen Anwendungsfall des § 6 VStG darstelle.
11 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung, ob eine die Strafbarkeit ausschließende Notstandssituation gemäß § 6 VStG vorliegt, am festgestellten Sachverhalt zu orientieren hat und damit keine über den jeweiligen Fall hinausgehende, grundsätzliche Rechtsfrage bildet (vgl. VwGH 7.9.2018, Ra 2018/02/0247, mwN).
12 Hinzu kommt, dass sich das in der Revision genannte hg. Erkenntnis vom 2. September 1992 vom hier vorliegenden Fall insofern wesentlich unterscheidet, als das Verwaltungsgericht von einer akut notwendigen Behandlung ausging. Soweit die Revision aus dem mit dem Einspruch vorgelegten Ambulanzbericht keinen Notfall abzuleiten vermag, ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher bereits im Einspruch ausdrücklich behauptet wurde und im Straferkenntnis nicht näher erörtert wurde. Das Verwaltungsgericht hingegen befragte den Mitbeteiligten dazu in der mündlichen Verhandlung, zu der für den revisionswerbenden Bürgermeister niemand erschien, und stützte sich im angefochtenen Erkenntnis beweiswürdigend auf die so gewonnene Aussage.
13 Entgegen den weiteren Revisionsausführungen nahm das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis eine durch das Krankenhauspersonal erteilte Erlaubnis zum Parken weder als Rechtfertigung noch als Schuldausschließungsgrund an, ging es doch davon aus, dass dem Mitbeteiligten das Bestehen des Halte- und Parkverbots wohl bewusst gewesen sei.
14 Auf das Vorbringen zur nunmehrigen Warnung auf der Homepage des Krankenhauses vor der Sperre der Tiefgarage und zur Möglichkeit in einer 100 m entfernten öffentlich zugänglichen anderen Tiefgarage zu parken ist schon aufgrund des im Revisionsverfahren herrschenden Neuerungsverbotes (§ 41 VwGG) nicht näher einzugehen.
15 Der Revision ist zwar zuzustimmen, dass eine konkrete Behinderung anderer Fahrzeuge durch das unerlaubte Parken kein Tatbestandselement darstellt, jedoch wurde es auch vom Verwaltungsgericht nicht als solches behandelt. Im angefochtenen Erkenntnis wird dieser Umstand für die nach § 6 VStG erforderliche Prüfung herangezogen, ob der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegt als der Nachteil, den die Tat abwenden soll (vgl. Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguny, VStG² (2017) § 6 Rz 11).
16 Letztlich macht die Revision zu ihrer Zulässigkeit geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage ab, ob jeder Kraftfahrer in der gegebenen Verkehrssituation damit rechnen müsse, in unmittelbarer Nähe des im inneren Stadtbereich gelegenen Zielortes keinen Parkplatz zu erhalten, und sein Verhalten deshalb darauf einstellen müsse. Die Begehung einer Verwaltungsübertretung (Parken trotz Parkverbot) könne daher mangels Unmittelbarkeit einer drohenden Gefahr nicht mit Notstand entschuldigt werden (Hinweis auf VwGH 11.12.1952, 1952/51, VwSlg 2783 A/1952, VwGH 29.5.1963, 1607/62, VwGH 19.12.1985, 85/02/0241, und VwGH 31.3.1993, 93/02/0008).
17 Auch hier fehlt in der Zulässigkeitsbegründung der Revision die Bezugnahme auf den im angefochtenen Erkenntnis konkret festgestellten Sachverhalt. Das Verwaltungsgericht ging nämlich ausdrücklich davon aus, dass es dem Mitbeteiligten in der konkreten Situation nicht vorhersehbar gewesen sei, dass die Tiefgarage des Krankenhauses gesperrt gewesen sei. Schon deshalb liegt die vorgebrachte Abweichung von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor.
18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. April 2022
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020032.L00Im RIS seit
27.05.2022Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022