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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Dr. Farhad Paya Rechtsanwalt GmbH in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Jänner 2022, L506 2197405-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 24. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb im Iran Verfolgung zu befürchten.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Begründend stellte das BVwG unter anderem fest, der Revisionswerber sei am 23. April 2017 getauft und am 8. Juli 2017 gefirmt worden. Er gehöre nunmehr der römisch-katholischen Religionsgemeinschaft an und besuche Gottesdienste. Dass sich der Revisionswerber ernsthaft mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt und sich nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt habe bzw. dass dieser Glaube für ihn identitätsstiftend sei, könne nicht festgestellt werden. Ausgehend davon sei „naturgemäß auszuschließen“, dass es dem Revisionswerber ein Anliegen wäre, im Iran missionierend tätig zu sein oder den christlichen Glauben bei Rückkehr in den Herkunftsstaat so zu leben, dass er für die iranischen Behörden von irgendeinem Interesse wäre.
4 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem umfangreich vorgebracht wird, die Beweiswürdigung des BVwG zur Ernsthaftigkeit der Konversion sei unvertretbar erfolgt. Das BVwG habe diese Beweiswürdigung einseitig vorgenommen und gegen eine Scheinkonversion sprechende Umstände nicht beachtet.
5 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vorliegen, wenn anzunehmen wäre, dass der konvertierte Asylwerber nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen werden.
9 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. etwa VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
10 Im vorliegenden Fall hat das BVwG festgestellt, dass der Revisionswerber im Jahr 2017 römisch-katholisch getauft, etwas später auch gefirmt worden sei und Gottesdienste besuche. Im Rahmen der Beweiswürdigung finden sich überdies dislozierte weitere Feststellungen zu den religiösen Betätigungen des Revisionswerbers: Er habe nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jänner 2016 bereits ab März 2016 an den Veranstaltungen des Gottesdienstes und der Pfarrgemeinde teilgenommen und einen einjährigen Taufvorbereitungskurs absolviert. Er habe nach seiner Taufe und Firmung weiterhin aktiv am Pfarrleben teilgenommen, weise besondere Hilfsbereitschaft und soziales Engagement auf und werde in seiner Pfarre als engagierter Christ beschrieben. Die Besuche des Gottesdienstes erfolgten regelmäßig.
11 Trotzdem geht das BVwG in seiner Beweiswürdigung von einer bloßen Scheinkonversion des Revisionswerbers zum Zwecke der Asylerlangung aus. Es stützt sich dabei auf den persönlichen Eindruck, den der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung gemacht habe.
12 Zu Recht wendet die Revision ein, dass das BVwG bei dieser Beurteilung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. dazu etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/18/0017, mwN).
13 Das BVwG hat den Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2021 zwar umfassend zu seinen Motiven für den Glaubenswechsel und zu seinem Wissen über Inhalte des neuen Glaubens befragt. Es hat jedoch die Antworten des Revisionswerbers auf alle diese Fragen in einer nicht nachvollziehbaren Art und Weise als unzureichend erachtet, um einen ernsthaften Glaubenswechsel zu belegen.
14 Dabei definierte das BVwG wiederholt Erwartungshaltungen an das Verhalten und das Wissen eines (neu) konvertierten Gläubigen, ohne darzulegen, woher es diese Erfahrungssätze nahm. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits wiederholt erkannt, dass es den Anforderungen an eine schlüssige Beweiswürdigung nicht entspricht, wenn Erfahrungssätze angewendet werden, ohne deren unterstellte generelle Geltung näher zu begründen (vgl. etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/18/0017; VwGH 11.3.2021, Ra 2020/18/0520).
15 Es ist auch nicht zu erkennen, dass das BVwG in seinen beweiswürdigenden Überlegungen den sehr persönlichen und daher unterschiedlichen Zugang verschiedener Menschen zu ihrem religiösen Glauben in Betracht gezogen hätte.
16 So äußerte das BVwG in seiner Beweiswürdigung beispielsweise die Annahme, ein christlicher Konvertit müsse „nach Ansicht der erkennenden Richterin das erstmalige und eigenständige Lesen in der Bibel als einprägsames Ereignis“ empfinden und die entsprechende Stelle wiedergeben können. Dass der Revisionswerber auf die Frage nach den ersten Inhalten der Bibel, die er selbst gelesen habe, das Gebet „Vater unser“ genannt hatte und es, soweit er sich erinnern könne, dem Matthäus-Evangelium zugeordnet hatte, erschien dem BVwG hingegen nicht genug.
17 Mehrfach führte das BVwG auch aus, es sei zu erwarten, dass der Konvertit das Bedürfnis habe, von sich aus (und nicht bloß auf Nachfrage) über seinen neuen Glauben zu sprechen, dass er spirituelle Gedanken und Eindrücke schildere oder dass sich ihm „naturgemäß gerade zu Beginn eines neuen Glaubens zahlreiche Fragen“ stellten. All das erschien dem BVwG beim Revisionswerber in nicht hinreichendem Ausmaß vorhanden, obwohl er diesbezügliche Fragen des Gerichts stets zu beantworten versuchte. So gab er etwa auf die Frage nach den persönlichen Beweggründen zur Taufe an, die Taufe sei für ihn ein Zeichen, „dass Jesus wegen unserer Sünden sein Leben gegeben [habe]; durch die Taufe werden auch die Sünden verziehen. Jesus wurde wegen unserer Sünden getötet und begraben. Wie er wieder auferstanden ist, so werden wir unschuldig ein neues Leben beginnen; meine Sünden wurden verziehen, ich wurde gerettet und habe das ewige Leben.“
18 Es trifft nach dem Akteninhalt auch nicht zu, dass der Revisionswerber, wie das BVwG argumentierte, sich mit den Glaubensinhalten nicht auseinandergesetzt und kein Wissen über die römisch-katholische Kirche gehabt hätte. Er nannte beispielsweise von den Sakramenten der katholischen Kirche die Taufe und die Firmung, die Weihe, die Buße und die Ehe; die Frage nach der Bedeutung des Abendmahls beantwortete er dahingehend, dass es „mit Brot und Wein gemacht“ würde und für das letzte Zusammentreffen von Jesus mit seinen Schülern stehe. Jesus habe ihnen Brot gegeben und gesagt, dass es sich um ein „Zeichen seines Körpers“ handle, der Wein sei ein „Zeichen seines Blutes“. Auch auf Fragen des Gerichtes zum Ablauf des Gottesdienstes, zu den katholischen Festtagen, zu den Besonderheiten des katholischen Glaubens, usw. gab der Revisionswerber wiederholt zutreffende Antworten. Nur vereinzelt konnte er mit Fragen des Gerichts nichts anfangen, etwa wo in der Bibel von „Salz der Erde“ oder vom „Licht der Welt“ die Rede sei oder wofür die Farbe violett in der Kirche symbolisch stehe. Die Frage nach der Bedeutung des Adventkranzes beantwortete der Revisionswerber sinngemäß damit, dass damit die Zeit bis zur Geburt Jesu versinnbildlicht werde, während das BVwG, wie es in seiner Beweiswürdigung darlegt, nähere Ausführungen zur Symbolik der Kreisform des Adventkranzes, des Tannengrüns sowie der verwendeten Farben der Kerzen und Schleifen erwartet hätte.
19 Vor diesem Hintergrund macht die Revision im Ergebnis zutreffend geltend, dass das BVwG überzogene Erwartungen an den Detailgrad von Wissen eines Gläubigen zugrunde zu legen scheint und subjektive Fähigkeiten und Zugänge zum Glauben vollkommen ausblendet, wenn es dem Revisionswerber nur ein „bescheidenes Grundwissen der neuen Religion“ zugesteht und unter anderem deshalb „naturgemäß“ ausschließt, dass er seinen neuen Glauben auch bei Rückkehr in den Iran ausüben würde.
20 Insgesamt erweisen sich deshalb die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG als nicht schlüssig begründet.
21 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. April 2022
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180030.L01Im RIS seit
26.05.2022Zuletzt aktualisiert am
08.06.2022