TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/27 Ra 2020/11/0045

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Veröffentlicht am 27.04.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §36 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie den Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Dr. D S in J (Deutschland), vertreten durch Mag. Miriam Gschwandtner, Rechtsanwältin in 1130 Wien, Hietzinger Hauptstraße 145/5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. Jänner 2019, Zlen. VGW-162/006/9487/2015-15 und VGW-162/006/9488/2015, betreffend Befreiung und Überweisung von Fondsbeiträgen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Ärztekammer für Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist nach seinem Revisionsvorbringen österreichischer Staatsangehöriger, er habe am 28. Februar 2007 das Studium der Humanmedizin an der Universität Wien abgeschlossen. Danach habe er in Österreich bis 31. Juli 2011 die ärztliche Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis in Form einer Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin und zum Facharzt für Unfallchirurgie ausgeübt und entsprechende Beiträge zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien geleistet. Seit 1. August 2011 übe der Revisionswerber die ärztliche Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis in Deutschland aus und sei daher ordentliches Mitglied der Ärzteversorgung Thüringen. Daher sei der Revisionswerber mit (aktenkundigem) Bescheid der belangten Behörde vom 20. November 2012 von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien ab 1. August 2011 befreit worden.

2        Mit aktenkundigem Schriftsatz vom 6. Juni 2014 beantragte der Revisionswerber gemäß § 112 Abs. 2 ÄrzteG 1998, ihn rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Juli 2011 „von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer Wien“ zu befreien. Zur Begründung führte er aus, dass er in Deutschland als Mitglied der Landesärztekammer Thüringen und daher auch Mitglied der Ärzteversorgung Thüringen einen Anspruch auf Ruhegenuss habe und dass auf dieser Grundlage auch seinen Hinterbliebenen ein Versorgungsanspruch zustehe, sodass ihm in Deutschland ein gleichwertiger Anspruch auf Ruheversorgungsgenuss zu einem berufsständischen Versorgungswerk iSd. § 112 Abs. 2 ÄrzteG 1998 zustehe (die Gleichwertigkeit dieses Anspruches ergebe sich aus dem erwähnten Bescheid vom 20. November 2012).

3        Mit Bescheid vom 25. September 2014 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers „auf Befreiung von der Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer“ für Wien für den Zeitraum 1. Jänner bis 31. Juli 2011 gemäß § 10 Abs. 9 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien (im Folgenden auch kurz: Satzung) ab. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, die genannte Satzungsbestimmung sehe eine Befreiung nur aufgrund - und für die Dauer - des Bestehens eines annähernd gleichwertigen Anspruches auf Ruhegenuss aufgrund der Zugehörigkeit zu einem berufsständischen Versorgungswerk im Gebiet einer Vertragspartei des EWR vor. Gegenständlich sei diese Voraussetzung für den Antragszeitraum 1. Jänner bis 31. Juli 2011 nicht erfüllt, weil der Revisionswerber in diesem Zeitraum (noch) keinen gleichwertigen Anspruch auf Ruhegenuss gegenüber der Ärzteversorgung Thüringen gehabt habe.

4        Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2014 beantragte der Revisionswerber unter Hinweis auf die dauernde Verlegung seines Berufssitzes und die damit einhergehende, seit August 2011 bestehende Mitgliedschaft bei der Landesärztekammer und der Ärzteversorgung Thüringen, die von ihm an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien geleisteten Fondsbeiträge gemäß § 115 ÄrzteG 1998 an die Ärzteversorgung Thüringen zu überweisen.

5        Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 1. September 2014 ab und begründete dies mit § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 iVm. § 11 Abs. 3 der Satzung. Nach beiden Bestimmungen sei Voraussetzung für die Rückerstattung von Fondsbeiträgen, dass der Kammerangehörige schriftlich bestätigt, dass er nicht in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft von einem Zweig eines gesetzlich vorgesehenen Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst wird, der Leistungen für den Fall der Invalidität, des Alters oder an Hinterbliebene vorsieht.

6        Diese Voraussetzung sei beim Revisionswerber aufgrund der von ihm selbst vorgebrachten Zugehörigkeit zur Ärzteversorgung Thüringen offensichtlich nicht erfüllt.

7        Gegen die genannten Bescheide vom 1. und 25. September 2014 erhob der Revisionswerber jeweils Beschwerde.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. Jänner 2019 wies das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde gegen den Bescheid vom 1. September 2014 (mit der Maßgabe, dass im Spruch der Entscheidung § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 iVm. § 11 Abs. 3 der Satzung genannt wird) ab (Spruchpunkt 1.).

Gleichzeitig wurde auch der Bescheid vom 25. September 2014, „mit welchem der Antrag auf Befreiung von der Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien“ abgewiesen wurde, „vollinhaltlich bestätigt“ (Spruchpunkt 2.).

Zu beiden Spruchpunkten wurde gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

9        In der Begründung gab das Verwaltungsgericht zunächst (wörtlich) die Beschwerden und eine Stellungnahme der belangten Behörde (nach der eine Übertragung von Beiträgen unionsrechtlich - „VO 1408/71“ - nicht mehr zulässig sei) wieder und stellte danach als maßgebenden Sachverhalt fest, dass der Revisionswerber „in der Zeit von 2007 bis 31.7.2011“ Mitglied der Ärztekammer für Wien gewesen sei. Seit 1. August 2011 sei er Mitglied der Ärzteversorgung Thüringen; mit diesem Zeitpunkt sei er bescheidmäßig von seiner Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien befreit worden.

10       In der rechtlichen Beurteilung betreffend Spruchpunkt 2. des angefochtenen Erkenntnisses (Überschrift „Zur Befreiung von der Mitgliedschaft“) übernahm das Verwaltungsgericht die im Bescheid der belangten Behörde vom 25. September 2014 vertretene Rechtsansicht.

11       In der rechtlichen Beurteilung „Zur Überweisung der Beiträge“ (Spruchpunkt 1. des angefochtenen Erkenntnisses) verwies das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des § 115 ÄrzteG 1998 und des § 11 der Satzung auf die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern.

12       Nach dieser Verordnung sei im Falle der Migration eines Fondsmitgliedes in einen anderen EWR-Staat eine Überweisung von Fondsbeiträgen „nicht mehr möglich“. Vielmehr bleibe in einem solchen Fall die Leistungspflicht des Wohlfahrtsfonds weiterhin aufrecht. Die an den Wohlfahrtsfonds entrichteten Beiträge würden also nicht verfallen, sondern „bleiben ... stehen“, sodass der Revisionswerber nach Beendigung der ärztlichen Tätigkeit gegenüber dem Wohlfahrtsfonds einen Anspruch auf Versorgungsleistungen auf Basis der erworbenen Anwartschaften habe.

13       Eine Überweisung wäre „gemäß § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 ... nur dann möglich“, wenn der Kammerangehörige schriftlich bestätige, nicht vom System der sozialen Sicherheit in einem anderen EWR-Staat erfasst zu sein. Dies treffe auf den Revisionswerber, der seit 1. August 2011 in Deutschland Mitglied der Ärzteversorgung Thüringen sei, nicht zu. Dem Einwand des Revisionswerbers, dass § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 nach seinem Wortlaut nur für den „Rückersatz“ von Beiträgen gelte, entgegnete das Verwaltungsgericht sinngemäß, dass auch die vom Revisionswerber beantragte „Überweisung“ eine Form des Rückersatzes im Sinne der letztgenannten Bestimmung darstelle.

14       Gegen dieses zu den beiden eingangs genannten Geschäftszahlen ergangene Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschlüssen vom 28. November 2019, E 937/2019-12 und E 938/2019-16, ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 9. Jänner 2020, E 937/2019-14 und E 938/2019-18, zur Entscheidung abtrat.

15       Der Revisionswerber erhob hierauf die vorliegende außerordentliche Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - unter anderem - zu den Rechtsfragen, ob der nach dem Wortlaut für den „Rückersatz“ von Beiträgen geltende § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 auch auf die Überweisung von Beiträgen, wie sie gegenständlich beantragt wurde, anwendbar sei. Ebenso fehle hg. Rechtsprechung, ob zur Vermeidung von Unionsrechtswidrigkeiten in Bezug auf die Niederlassungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit § 112 Abs. 2 ÄrzteG 1998 dahingehend auszulegen sei, dass eine Befreiung auch für Zeiträume zulässig sei, in denen eine Zugehörigkeit zu einem berufsständischen Versorgungswerk im Gebiet einer Vertragspartei des EWR noch nicht bestanden habe.

16       Die belangte Behörde erstattete eine ausführliche Revisionsbeantwortung und führte - unter anderem - ins Treffen, dass die im angefochtenen Erkenntnis genannte Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bereits mit Ablauf des 30. April 2010 außer Kraft getreten sei und durch die mit 1. Mai 2010 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ersetzt worden sei. Nach der letztgenannten Verordnung (Hinweis auf die Art. 6 und 52) gelte der Grundsatz, dass in verschiedenen EU-Staaten erworbene Versicherungszeiten grundsätzlich zusammenzurechnen seien und der nach dem Wohnsitz des Versicherungsnehmers zuständige Versicherungsträger zur Leistungsauszahlung verpflichtet sei. Von diesem Grundsatz bestehe aber eine Ausnahme u.a. für die Alterspension der österreichischen Landesärztekammern (Hinweis auf Anhang VIII Teil 2 der Verordnung [EG] Nr. 883/2004), sodass es nach Meinung der belangten Behörde zutreffe, dass der Revisionswerber aufgrund der von ihm geleisteten Fondsbeiträge im Versorgungsfall gegenüber der Ärztekammer für Wien einen unmittelbaren Anspruch auf Versorgungsleistungen habe, was gegen seine Anträge auf Befreiung und auf Überweisung von Fondsbeiträgen spreche.

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

18       Die Revision ist aus den von ihr genannten Gründen zulässig, sie ist aus folgenden Überlegungen auch begründet:

19       Das ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses maßgebenden Fassung (VwGH 29.3.2011, 2010/11/0237) BGBl. I Nr. 59/2018, lautet auszugsweise:

„Einrichtung der Ärztekammern

§ 65. (1) Zur Vertretung des Ärztestandes ist für den räumlichen Bereich eines jeden Bundeslandes eine Ärztekammer eingerichtet. Diese Ärztekammern führen die Bezeichnung ‚Ärztekammer für ...‘ mit einem auf das jeweilige Bundesland hinweisenden Zusatz.

...

Versorgungsleistungen

§ 97. (1) Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind Leistungen zu gewähren

1.   an anspruchsberechtigte Kammerangehörige für den Fall des Alters, der vorübergehenden oder dauernden Berufsunfähigkeit,

...

4.   an ehemalige Kammerangehörige und Hinterbliebene von Kammerangehörigen, soweit deren Beiträge weder an eine andere Ärztekammer überwiesen noch dem Kammerangehörigen rückerstattet worden sind (§ 115).

...

§ 109. (1) Die Kammerangehörigen sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verpflichtet, Beiträge zum Wohlfahrtsfonds jener Ärztekammer zu leisten, in deren Bereich sie zuerst den ärztlichen oder zahnärztlichen Beruf aufgenommen haben, solange diese Tätigkeit aufrecht ist. ...

...

Befreiung von der Beitragspflicht

§ 112. ...

(2) Erbringt ein ordentlicher Kammerangehöriger den Nachweis darüber, dass ihm und seinen Hinterbliebenen ein gleichwertiger Anspruch auf Ruhe(Versorgungs)Genuss aufgrund der Zugehörigkeit zum Wohlfahrtsfonds einer anderen Ärztekammer des Bundesgebietes oder ein zumindest annähernd gleichwertiger Anspruch auf Ruhe(Versorgungs) Genuss aufgrund der Zugehörigkeit zu einem berufsständischen Versorgungswerk im Gebiet einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zusteht, wie dieser gegenüber dem Wohlfahrtsfonds besteht, wird er auf Antrag zur Gänze von der Beitragspflicht nach § 109 befreit. Eine diesbezügliche, längstens bis zum 1. Jänner 2005 rückwirkende Befreiung ist zulässig.

...

(5) Für den Fall der Befreiung von der Beitragspflicht ist die Gewährung von Leistungen entsprechend dem Ausmaß der Befreiung ganz oder teilweise ausgeschlossen.

...

§ 115. (1) Verlegt ein Kammerangehöriger seinen Berufssitz (Dienstort) dauernd in den Bereich einer anderen Ärztekammer oder Landeszahnärztekammer, ist ein Betrag in der Höhe von mindestens 70 vH der von ihm zum Wohlfahrtsfonds der bis her zuständigen Ärztekammer entrichteten Beiträge der nunmehr zuständigen Ärztekammer zu überweisen. [...] Bei Streichung eines Kammerangehörigen aus der Ärzteliste (§ 59 Abs. 3) oder Zahnärzteliste gebührt ihm der Rückersatz in sinngemäßer Anwendung der vorstehenden Bestimmungen in Höhe von mindestens 50 vH; [...]

(2) Während der Zeit der Ausbildung eines Kammerangehörigen zum Arzt für Allgemeinmedizin oder Facharzt hat keine Überweisung zu erfolgen. Diese ist erst nach Eintragung in die Ärzteliste als Arzt für Allgemeinmedizin oder Facharzt durchzuführen. In diesem Fall erhöht sich der Überweisungsbetrag auf mindestens 90 vH.

(3) Ein Rückersatz von Beiträgen nach Abs. 1 oder 2 ist nur dann möglich, wenn der Kammerangehörige schriftlich bestätigt, dass er nicht in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft von einem Zweig eines gesetzlich vorgesehenen Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst wird, der Leistungen für den Fall der Invalidität, des Alters oder an Hinterbliebene vorsieht.“

20       Die Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien (in der hier maßgebenden Fassung des Beschlusses der Erweiterten Vollversammlung der Ärztekammer für Wien vom 11. Dezember 2018) lautet auszugsweise:

„§ 10 ...

(9) Der Verwaltungsausschuss hat Fondsmitglieder, die den Nachweis darüber, dass ihnen und ihren Hinterbliebenen ein zumindest annähernd gleichwertiger Anspruch auf Ruhe(Versorgungs)Genuss aufgrund der Zugehörigkeit zu einem berufsständischen Versorgungswerk im Gebiet einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zusteht, wie dieser gegenüber dem Wohlfahrtsfonds besteht, über Antrag, für die Dauer dieser Zugehörigkeit, von den Fondsbeiträgen zur Gänze zu befreien. Für den Fall der Bewilligung dieses Antrages ist die Gewährung von Fondsleistungen ausgeschlossen.

Überweisung und Rückerstattung von Fondsbeiträgen

§ 11

(1) Verlegt ein Fondsmitglied, das als Arzt für Allgemeinmedizin, Zahnarzt oder Facharzt tätig ist, seinen Berufssitz, Dienstort oder Wohnsitz - sofern damit ein Wechsel der Fondsmitgliedschaft einhergeht - dauernd in den Bereich einer anderen Ärztekammer bzw. Landeszahnärztekammer, so hat die Ärztekammer für Wien an diese Ärztekammer nach Maßgabe der Gegenseitigkeit folgende Fondsbeiträge zu überweisen:

...

(3) Wird ein Kammerangehöriger aus der Ärzteliste oder Zahnärzteliste ohne eine Altersversorgung oder eine Versorgung aus dem Wohlfahrtsfonds zu erhalten gestrichen, werden ihm, sofern er die Fondsmitgliedschaft nicht freiwillig fortsetzt, auf seinen Antrag sowohl unter sinngemäßer Anwendung des Abs. 1 lit. a) 50 v.H. der für die Grund-und Ergänzungsleistung als auch der volle auf seinem Konto ausgewiesene Beitrag für die Zusatzleistung rückerstattet. [...]

Ein Rückersatz von Beiträgen ist nur dann möglich, wenn das Fondsmitglied schriftlich bestätigt, dass es nicht in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft von einem Zweig eines gesetzlichen Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst wird, der Leistungen für den Fall der Invalidität, des Alters oder an Hinterbliebene vorsieht.

§ 11a

Leistungsberechtigte

Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind Leistungen zu gewähren

1.   an anspruchsberechtigte Fondsmitglieder für den Fall des Alters, der vorübergehenden oder dauernden Berufsunfähigkeit,

...

4.   an ehemalige Fondsmitglieder und Hinterbliebene von Fondsmitgliedern, soweit deren Beiträge weder an eine andere Ärztekammer überwiesen noch dem Fondsmitglied rückerstattet worden sind.“

21       Zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Erkenntnisses:

22       Das Verwaltungsgericht begründete die Abweisung des Antrages des Revisionswerbers, die von ihm bisher an den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien geleisteten Fondsbeiträge an die Ärztekammer Thüringen zu überweisen, wie dargestellt, mit der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, nach der eine solche Überweisung „nicht mehr möglich“ sei.

23       Diese pauschale und nicht näher ausgeführte Rechtsmeinung - der insbesondere jegliche Bezugnahme auf konkrete Vorschriften der genannten Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 fehlt - entspricht somit von vornherein nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des angefochtenen Erkenntnisses (vgl. dazu etwa VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076), was die gemäß § 17 VwGVG iVm. § 60 AVG verlangte klare und übersichtliche Zusammenfassung der Beurteilung der Rechtsfrage betrifft.

24       Insbesondere aber verkannte das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang, dass, wie auch in der Revisionsbeantwortung vorgetragen wird, die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 durch Art. 90 iVm. 91 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 aufgehoben wurde.

25       Indem das Verwaltungsgericht somit ohne Konkretisierung und ohne Auseinandersetzung mit der maßgebenden Unionsrechtslage die Rechtsansicht vertrat, die vom Revisionswerber beantragte Überweisung von Fondsbeiträgen sei unionsrechtlich „nicht mehr möglich“, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

26       Der Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses lässt sich ohne Auseinandersetzung mit der maßgebenden Unionsrechtslage auch nicht auf die Hilfsbegründung stützen, dass § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 der beantragten Überweisung von Fondsbeiträgen entgegen stehe. Ob und mit welchem Inhalt § 115 Abs. 3 ÄrzteG 1998 (der nach seinem Wortlaut den „Rückersatz“ von Fondsbeiträgen regelt) gegenständlich überhaupt anwendbar ist, hängt nämlich auch davon ab, ob und inwieweit dieser Vorschrift unmittelbar anwendbares Unionsrecht, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 entgegensteht, womit sich das Verwaltungsgericht nach dem Gesagten nicht auseinander gesetzt hat.

27       An dieser Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses ändert nichts, dass die belangte Behörde in der Revisionsbeantwortung versucht, das Ergebnis des angefochtenen Erkenntnisses mit Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu unterlegen, weil die Revisionsbeantwortung nicht die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zu ergänzen oder korrigieren vermag (vgl. etwa VwGH 20.6.2017, Ro 2016/01/0012, Rz. 20, mwN).

28       Zu Spruchpunkt 2. des angefochtenen Erkenntnisses:

29       Der Revisionswerber begehrte mit seinem Antrag vom 6. Juni 2014, ihn gemäß § 112 Abs. 2 ÄrzteG 1998 rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Juli 2011 „von der Beitragspflicht zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer Wien“ zu befreien.

30       Demgegenüber wurde mit dem Spruch des Bescheides der belangten Behörde vom 25. September 2014 der Antrag des Revisionswerbers „auf Befreiung von der Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer“ abgewiesen und auch mit Spruchpunkt 2.) des angefochtenen Erkenntnisses ausdrücklich der Bescheid, „mit welchem der Antrag auf Befreiung von der Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien ... abgewiesen wurde“, bestätigt (vgl. ebenso die erwähnte Überschrift betreffend die Begründung von Spruchpunkt 2.).

31       Da die Befreiung von der Beitragspflicht und die Befreiung von der Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds unterschiedliche „Sachen“ des Verfahrens darstellen (vgl. VwGH 10.5.2021, Ro 2019/11/0014, Rz. 21 f.), erweist sich Spruchpunkt 2.) schon aus diesem Grund als rechtswidrig.

32       Das angefochtene Erkenntnis war somit in seinem gesamten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

33       Die Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG unterbleiben.

34       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020110045.L00

Im RIS seit

26.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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