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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M S, vertreten durch Mag. Michael Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1180 Wien, Dürwaringstraße 59/2/3, als bestellter Verfahrenshelfer gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Dezember 2021, W229 2193448-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan aus der Provinz Kapisa, stellte am 28. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er von den Taliban verdächtigt worden sei, als französischer Spion zu arbeiten. Er habe für französische Truppen als regionaler Polizist an einem Checkpoint gearbeitet. Nach deren Abzug hätten die Taliban jene Personen hinrichten wollen, die für die französischen Truppen gearbeitet hätten. Auf den Revisionswerber sei mittels eines Drohbriefes eine „Fatwa“ ausgestellt worden.
2 Mit Bescheid vom 26. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für seine freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - hinsichtlich des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab. Im Übrigen gab das BVwG der Beschwerde statt, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von Asyl stellte das BVwG fest, der Revisionswerber sei weder aufgrund seiner Tätigkeit als Ortspolizist für die französischen Truppen noch aufgrund seines Aufenthalts in Europa und einer „westlichen“ Orientierung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer asylrechtlich relevanten Bedrohung ausgesetzt.
5 In der Beweiswürdigung hielt das BVwG insbesondere fest, es werde nicht bezweifelt, dass der Revisionswerber als Ortspolizist für die französischen Truppen tätig und mit polizeilichen bzw. militärischen Aufgaben betraut gewesen sei. Allerdings sei nicht glaubhaft, dass er diese Tätigkeit wie behauptet acht bis neun Jahre lang und bis zu seiner Flucht im September 2015 ausgeübt hätte, zumal nach den Länderberichten die französischen Truppen die Sicherheitsverantwortung in der Provinz Kapisa im Juli 2012 an die afghanischen Streitkräfte abgegeben hätten und im Dezember 2012 die letzten französischen Soldaten aus Afghanistan abgezogen seien, sodass höchstens bis zu diesem Zeitpunkt eine Tätigkeit des Revisionswerbers für die französischen Truppen nachvollzogen werden könne. Die vom Revisionswerber vorgelegte ID-Karte weise eine Gültigkeit bloß von 1. August 2010 bis 1. Mai 2011 aus. Der Revisionswerber habe zwar einen Drohbrief vorgelegt, während der mündlichen Verhandlung jedoch ausweichende und nicht stringente Angaben zur Frage gemacht, wann und an wen dieser Brief übergeben worden sei. Auch die Aussagen dazu, wie es zu einer Verletzung des Revisionswerbers während bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen französischen Truppen und den Taliban gekommen sei, seien vage gewesen und im Widerspruch zu Aussagen während der Einvernahme vor dem BFA gestanden. Zwar ergebe sich aus den Länderberichten (das BVwG zitierte insbesondere das Länderinformationsblatt Afghanistan mit Stand vom 16. September 2021 sowie die EASO Country Guidance Note Afghanistan von November 2021), dass es zu Hinrichtungen von Zivilistinnen und Zivilisten und ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte gekommen sei. Da der Revisionswerber jedoch bloß ein einfaches Mitglied der Dorfpolizei und somit nicht in exponierter Stellung tätig gewesen sei, diese Tätigkeit fast zehn Jahre zurück liege und eine konkret gegen den Revisionswerber gerichtete Bedrohung nicht glaubhaft dargelegt worden sei, sei insgesamt auch im Lichte der aktuellen Ereignisse in Afghanistan und der Machtübernahme durch die Taliban nicht von einer asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr auszugehen.
6 Die außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend, das BVwG habe - insbesondere im Zusammenhang mit der Feststellung, der Revisionswerber habe die Tätigkeit als Dorfpolizist nur kurze Zeit wahrgenommen - entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen. Der Revisionswerber habe die wesentlichen Angaben zu seinen Fluchtgründen schlüssig und gleichbleibend begründet; das BVwG stoße sich lediglich an unbedeutenden Details. Hinsichtlich der „westlichen“ Orientierung des Revisionswerbers habe es gegen seine Verpflichtung verstoßen, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Wenn „selbst der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nach sechs Jahren möglich“ sei, müsste nach einer solchen Aufenthaltsdauer auch von einer „westlichen Orientierung“ ausgegangen werden.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist festzuhalten, dass in diesem Zusammenhang eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vorliegt, wenn die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 3.3.2022, Ra 2021/18/0325, mwN).
12 Den oben dargestellten Erwägungen des BVwG zur behaupteten Gefahr der Verfolgung des Revisionswerbers bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Tätigkeit als Dorfpolizist für französische Truppen vor seiner Flucht tritt die Revision ausschließlich mit dem pauschalen Vorwurf entgegen, dass sich das BVwG lediglich an unbedeutenden Details gestoßen habe, was, wie die in Rz. 5 auszugsweise wiedergegebene Beweiswürdigung zeigt, nicht zutrifft. Damit zeigt die Revision die Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung nicht auf.
13 Was die Frage eines Asylanspruches des Revisionswerbers wegen „westlicher Orientierung“ betrifft, stützte sich das BVwG insbesondere auf den Umstand, dass der Revisionswerber hierzu kein substantiiertes Vorbringen erstattet habe. Welche amtswegigen Erhebungen betreffend welche konkreten Umstände oder Verhaltensweisen in diesem Zusammenhang erforderlich gewesen wären, legt die Revision nicht dar. Weder im Vorbringen des Revisionswerbers in der Beschwerde oder während der mündlichen Verhandlung, noch in der vorliegenden Revision wird konkret dargelegt, welche Lebensweise der Revisionswerber angenommen haben will, die er bei einer Rückkehr nach Afghanistan unverzichtbar weiterleben würde und die ihn einer asylrelevanten Verfolgung aussetzen könnte (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2020/18/0059, mwN).
14 Soweit die Revision vorbringt, dass das BVwG widersprüchliche Feststellungen zur Sicherheitslage getroffen habe, ist anzumerken, dass dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, womit den existenzbedrohenden Unsicherheiten der Lage in Afghanistan und den zum Zeitpunkt der Entscheidung konkret abschätzbaren Entwicklungen fallbezogen hinreichend Rechnung getragen wurde.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 2. Mai 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180005.L00Im RIS seit
26.05.2022Zuletzt aktualisiert am
08.06.2022