Entscheidungsdatum
08.03.2022Norm
GewO 1994 §363Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch MMag. Dr. Michaela Lütte-Mersch als Einzelrichterin über die Beschwerde des A, vertreten durch Rechtsanwalt C, ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 21. Juli 2021, Zl. ***, betreffend 1. Wiederaufnahme und 2. Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister und Untersagung der Ausübung dieses Gewerbes nach der Gewerbeordnung 1994 (GewO), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:
1. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision gemäß § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) in Verbindung mit
Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
1. Feststellungen und wesentlicher Verfahrensgang:
1.1. Mit Schreiben vom 04. Dezember 2020 meldete die B OG, dessen unbeschränkt haftender Gesellschafter (insbesondere) A (in der Folge: Beschwerdeführer) gewesen ist, das Gewerbe „Baumeister“ bei der Bezirkshauptmannshaft Tulln (in der Folge: belangte Behörde) an.
1.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. Dezember 2020, Zl. ***, wurde gemäß §§ 9 Abs. 1, 39 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4, 95 Abs. 1 und 2, 340 Abs. 2 und 341 der Gewerbeordnung 1994 (GewO) festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes „Baumeister“ durch die B OG im Standort ***, ***, vorliegen und die Bestellung des Beschwerdeführers zum gewerberechtlichen Geschäftsführer für die Ausübung dieses Gewerbes genehmigt.
1.3. Die belangte Behörde trug mit Wirkung vom 19. Februar 2021 den Übergang der Gewerbeberechtigung „Baumeister“ im Standort ***, ***, der B OG (Rechtsvorgängerin) mit dem Ausscheiden des letzten Mitgesellschafters auf den Beschwerdeführer als natürliche Person (als verbleibenden Gesellschafter) in das Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) mit der GISA-Zahl *** ein (Rechtsnachfolge gemäß § 11 Abs. 4 ff GewO).
1.4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangen Behörde vom 21. Juli 2021, Zl. ***, wurde gegenüber dem Beschwerdeführer
1. die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 14. Dezember 2020, Zl. ***, abgeschlossenen Verfahrens (Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister durch die B OG und Genehmigung der Bestellung des Beschwerdeführers zum gewerberechtlichen Geschäftsführer) gemäß § 69 Abs. 3 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) verfügt und
2. festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des am 04. Dezember 2020 angemeldeten Gewerbes „Baumeister“ betreffend den Beschwerdeführer (als Rechtsnachfolger der B OG) nicht vorliegen und wurde die Ausübung dieses Gewerbes untersagt.
Begründend ist – auf das Wesentliche zusammengefasst – ausgeführt, dass seitens des Magistrates der Stadt Wien am 14. Mai 2021 im Wege der Amtshilfe um Übermittlung der der belangten Behörde vorgelegten Dienstzeugnisse betreffend den Beschwerdeführer angesucht worden sei, da diese einem Antrag auf Bestellung des Beschwerdeführers zum gewerberechtlichen Geschäftsführer für eine näher bezeichnete Gesellschaft in *** nicht angeschlossen gewesen seien. Seitens des Magistrates der Stadt Wien sei in weiterer Folge der Verdacht auf Fälschung/Verfälschung der Dienstzeugnisse festgestellt worden, was dem Amt der NÖ Landesregierung mit Schreiben vom 20. Mai 2021 zur Kenntnis gebracht worden sei. Darüber hinaus sei seitens des Magistrates der Stadt Wien festgestellt worden, dass „die vorzulegenden Dienstzeiten mit der Vorlage der Dienstzeiten im freien Gewerbe „Verspachtler“ nicht den laut Verordnung zu belegenden Dienstzeiten für das Baumeistergewerbe anzurechnen“ seien. Die Dienstzeugnisse seien zur strafrechtlichen Beurteilung der Staatsanwaltschaft *** vorgelegt worden. Da die vorgelegten Dienstzeugnisse zum Teil eine hohe Übereinstimmung von Text und Ausdruck aufweisen würden, werde der Verdacht der Verfälschung hervorgerufen. Die objektiv unrichtigen Angaben seien mit Irreführungsabsicht gemacht und dem Bescheid zugrunde gelegt worden. Die belangte Behörde mache daher von ihrem Recht zur Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 AVG Gebrauch. Aufgrund der dargelegten Sach- und Rechtslage sei festzustellen gewesen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister nicht vorliegen würden und sei die Gewerbeausübung zu untersagen gewesen.
1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche zur
Zl. LVwG-AV-1414/001-2021 protokollierte Beschwerde des Beschwerdeführers vom 09. August 2021, in der – auf das Wesentliche zusammengefasst – vorgebracht wird, dass die belangte Behörde kein eigenes Beweisverfahren durchgeführt, sondern sich begnügt habe, sich auf ein Schreiben des Magistrates der Stadt Wien vom 20. Mai 2021 an das Amt der NÖ Landesregierung betreffend den Verdacht auf Verfälschungen bzw. Fälschungen der Dienstzeugnisse zu stützen. Eine Überprüfung der Richtigkeit der Ausführungen des Magistrates der Stadt Wien sei seitens der belangten Behörde nicht erfolgt. Auch habe sich die belangte Behörde überhaupt nicht mit der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17. Juni 2021 bzw. 22. Juni 2021 auseinandergesetzt. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens seien nicht erfüllt, dem Beschwerdeführer seien sämtliche Dienstzeugnisse nach Beendigung des Dienstverhältnisses postalisch übermittelt worden. Er habe tatsächlich für die bezeichneten Unternehmen gearbeitet und habe einen Lohn bezogen. Die Dienstzeugnisse seien inhaltlich richtig und vom Beschwerdeführer nicht beanstandet worden. Es sei kein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers gegeben und habe sich dieser nicht die Gewerbeberechtigung erschleichen wollen. Auch fehle eine klare Feststellung der belangten Behörde, ob betreffend den Beschwerdeführer eine qualifizierte Tätigkeit im Sinne der Zugangsverordnung für das Gewerbe Baumeister anzunehmen sei oder nicht. Als wesentliche Neuerung sei zu beachten, dass der Beschwerdeführer am 10. August 2021 die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Maurer mit gutem Erfolg bestanden habe; auch habe er die Befähigungsprüfung Baumeister erfolgreich abgelegt. Die Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister durch den Beschwerdeführer seien gegeben. Beantragt wurde insbesondere die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und die Einholung der gewerberechtlichen Akten sowie von Firmenbuchauszügen betreffend näher bezeichnete (auf den Dienstzeugnissen des Beschwerdeführers aufscheinende) Unternehmen.
1.6. Parallel zu diesem von der belangten Behörde geführten Verfahren (betreffend 1. Wiederaufnahme und 2. Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister durch den Beschwerdeführer [als Rechtsnachfolger der B OG] und Untersagung der Ausübung dieses Gewerbes; gegenständliche Beschwerde protokolliert zur Zahl LVwG-AV-1414/001-2021) wurde mit Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 30. Juli 2021, Zl. ***, der Bescheid der belangten Behörde vom 14. Dezember 2020, Zl. ***, mit welchem festgestellt wurde, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister durch die B OG im Standort ***, ***, vorliegen und die Bestellung des Beschwerdeführers zum gewerberechtlichen Geschäftsführer genehmigt worden ist, gemäß § 363 Abs. 1 Z 3 GewO wegen unrichtiger Beurteilung des Befähigungsnachweises betreffend den Beschwerdeführer für nichtig erklärt. In einem wurde die Löschung der Eintragung mit der GISA-Zahl *** im GISA verfügt, mit welcher mit Wirkung vom 19. Februar 2021 der Übergang der Gewerbeberechtigung „Baumeister“ im Standort ***, ***, von der B OG auf den Beschwerdeführer eingetragen worden ist.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 19. August 2021 Beschwerde (protokolliert zur Zahl
LVwG-AV-1454/001-2021).
1.7. Der Beschwerdeführer teilte mit Schriftsatz vom 14. Februar 2022 mit, dass gegen den Beschwerdeführer ein Strafverfahren beim Bezirksgericht *** wegen des Verdachts der Urkundenfälschen und unmittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung anhängig sei und die Hauptverhandlung am 10. März 2022 stattfinden werde. Der Beschwerdeführer begehrte eine Unterbrechung der beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Beschwerdeverfahren zu den Zahlen LVwG-AV-1414/001-2021 und LVwG-AV-1454/001-2021 bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren vor dem Bezirksgericht ***.
1.8. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte am 18. Februar 2022 über die gegenständliche Beschwerde zur Zl. LVwG-AV-1414/001-2021 sowie über die Beschwerde zur Zahl LVwG-AV-1454/001-2021 eine gemeinsame öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen; ein Vertreter der belangten Behörde (und ein Vertreter der Landeshauptfrau von Niederösterreich in dem zur Zahl LVwG-1454/001-2021 protokollierten Verfahren) erschien nicht. In der Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Verlesung des Aktes der belangten Behörde, Zl. ***, des Aktes der Landeshauptfrau von Niederösterreich, Zl. ***, der Akten des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich zu den Zahlen LVwG-AV-1414/001-2021 und LVwG-AV-1454/001-2021, weiters durch Verlesung einer Aktenkopie der Staatsanwaltschaft *** zur Zl. *** und einer Aktenkopie des Bezirksgerichtes *** zur Zahl *** sowie durch die Einvernahme des Beschwerdeführers.
Weiters wurden folgende Auszüge aus dem Firmenbuch und aus dem GISA verlesen:
1. GISA Auszug D (Inhaber E e.U.)
2. GISA Auszug F e.U., Anmerkung: kein Eintrag (Suche auch mit FBNr.)
3. FB-Auszug F e.U.
4. GISA-Auszug G
5. GISA Auszug I e.U., Anmerkung: kein Eintrag
6. FB-Auszug I e.U., Anmerkung: kein Eintrag
7. GISA Auszug H e.U., Anmerkung: kein Eintrag (Suche auch mit FBNr)
8. FB-Auszug H e.U.
9. GISA-Auszug J
10. FB-Auszug K e.U., Anmerkung: kein Eintrag
11. GISA Auszug L, Anmerkung: kein Eintrag
12. GISA Auszug M e.U., Anmerkung: kein Eintrag (Suche mit FBNr)
13. FB-Auszug M e.U.
14. GISA-Auszug N GmbH, Anmerkung: kein Eintrag
(Suche auch mit FBNr)
15. FB-Auszug N GmbH
16. GISA-Auszug O e.U., Anmerkung: kein
Eintrag (Suche mit FBNr)
17. FB-Auszug O e.U.
18. GISA Auszug P (Inhaber O e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
19. GISA-Auszug Q, Anmerkung: kein Eintrag
20. GISA Auszug R, Anmerkung: kein Eintrag
21. FB-Auszug S e.U., Anmerkung: kein Eintrag
22. GISA-Auszug T (Inhaber H e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
23. GISA-Auszug U GmbH, Anmerkung: kein Eintrag (Suche auch mit FBNr)
24. FB-Auszug U GmbH
25. GISA-Auszug V
26. GISA Auszug W, Verspachteln Gipskartonplatten
27. GISA-Auszug W, Verspachteln Gipskartonplatten, anderer Standort
28. GISA-Auszug W, Güterbeförderung
29. FB-Auszug X e.U., Anmerkung: kein Eintrag
30. GISA-Auszug Y
31. FB-Auszug Z, Anmerkung kein Eintrag
32. GISA-Auszug AA (Inhaber F e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
33. GISA-Auszug BB, Anmerkung: kein Eintrag
34. GISA-Auszug CC e.U., Anmerkung. kein Eintrag
35. FB-Auszug CC e.U., Anmerkung: kein Eintrag
36. GISA-Auszug CC e.U., Anmerkung: kein Eintrag (Suche mit FBNr)
37. FB-Auszug CC e.U.
38. GISA-Auszug DD (Inhaber EE e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
39. GISA Auszug FF (Inhaber GG e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
40. GISA-Auszug HH
41. FB-Auszug II e.U., Anmerkung: kein Eintrag
42. GISA-Auszug KK (zu H e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
43. GISA-Auszug LL
44. FB-Auszug MM e.U., Anmerkung: kein Eintrag
45. GISA-Auszug GG e.U., Anmerkung: kein Eintrag (Suche mit FBNr.)
46. FB-Auszug GG e.U.
47. GISA-Auszug EE e.U., Anmerkung: kein Eintrag (Suche mit FBNr.)
48. FB-Auszug EE e.U.
49. GISA-Auszug JJ, Anmerkung: kein Eintrag
50. GISA-Auszug NN (Inhaber M e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
51. GISA Auszug OO (Inhaber PP e.U.), Anmerkung: kein Eintrag
52. GISA Auszug betreffend A
1.9. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 04. März 2022, Zl. LVwG-AV-1454/001-2021, wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 30. Juli 2021, Zl. ***, betreffend Nichtigerklärung gemäß § 363 GewO und Verfügung der Löschung einer Eintragung im GISA, keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt (Erlassung dieses Erkenntnisses durch Zustellung an die Landeshauptfrau von Niederösterreich am 04. März 2022).
1.10. Die Hauptverhandlung in der Strafsache gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 223 Abs. 1 und 228 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) findet am 10. März 2022 vor dem Bezirksgericht *** statt.
2. Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen gründen auf den eindeutigen – und insoweit auch unstrittigen – Inhalten der in der gemeinsamen öffentlichen mündlichen Verhandlung verlesenen Akten zu den Zahlen *** (belangte Behörde), *** (LH von NÖ), LVwG-AV-1414-2021 und LVwG-AV-1454-2021, *** (Staatsanwaltschaft ***) und *** (BG ***) (vgl. oben Punkt 1.8.).
3. Maßgebliche Rechtslage:
3.1. § 69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) lautet:
„§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“
3.2. § 363 der Gewerbeordnung 1994 (GewO) lautet:
„§ 363. (1) Bescheide, die auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassen worden sind, die an einem der nachstehend angeführten Fehler leiden, sind mit Nichtigkeit im Sinne des § 68 Abs. 4 Z 4 AVG bedroht, und zwar wenn
1. dieses Bundesgesetz auf die betreffende Tätigkeit nicht anzuwenden ist;
2. die Zugehörigkeit einer gewerblichen Tätigkeit zu den reglementierten oder freien Gewerben oder zu einem Teilgewerbe (§ 31) unrichtig beurteilt worden ist;
3. die Frage des Vorliegens der allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen gemäß §§ 8 bis 14 für die Ausübung von Gewerben durch den Gewerbeinhaber oder für die Ausübung der Tätigkeit als Geschäftsführer oder Filialgeschäftsführer unrichtig oder der Befähigungsnachweis (§§ 18 und 19) zu Unrecht als erbracht beurteilt worden ist und in allen diesen Fällen der Mangel noch andauert;
4. der Bestand oder die Dauer des Rechtes zur Gewerbeausübung unrichtig beurteilt worden ist;
5. die gesetzlichen Voraussetzungen eines Fortbetriebsrechtes (§§ 41 bis 45) zu Unrecht als gegeben beurteilt worden sind;
6. zu Unrecht festgestellt oder davon ausgegangen wurde, daß eine Tätigkeit nicht diesem Bundesgesetz unterliegt.
(2) In einem Verfahren betreffend die Nichtigerklärung gemäß Abs. 1 Z 1 sind die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft und die nach der Sachlage sonst in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen Parteien und es steht ihnen das Recht der Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Landes und der Revision wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof zu.
(3) In einem Verfahren betreffend die Nichtigerklärung gemäß Abs. 1 Z 2 ist die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft Partei und es steht ihr das Recht der Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Landes und der Revision wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof zu.
(4) Die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde kann in Ausübung des Aufsichtsrechtes mit Bescheid die Löschung einer Eintragung in das GISA verfügen, wenn
1. a) eine natürliche Person oder ein sonstiger Rechtsträger auf Grund einer Anmeldung eines Gewerbes gemäß § 340 Abs. 1 in das GISA eingetragen wurde oder
b) eine Maßnahme oder Tätigkeit, die Gegenstand einer Anzeige gemäß § 345 ist, in das GISA eingetragen wurde und
2. die Voraussetzungen für eine Nichtigerklärung gemäß Abs. 1 vorliegen.
Bis zum Eintritt der Rechtskraft des Löschungsbescheides darf das Gewerbe ausgeübt werden. Im Löschungsverfahren sind die Abs. 2 und 3 anzuwenden.“
4. Erwägungen:
4.1. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.
4.2. Die belangte Behörde stützte den angefochtenen Bescheid, mit dem in Spruchpunkt 1 amtswegig gegenüber dem Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt wurde und – darauf aufbauend – in Spruchpunkt 2 festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister betreffend den Beschwerdeführer (als Rechtsnachfolger der B OG) nicht vorliegen würden, und diese Gewerbeausübung untersagt wurde, insbesondere auf § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 AVG („Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist“).
4.3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG in jedem Fall, dass das Verfahren durch Bescheid abgeschlossen worden ist. Die Wiederaufnahme des Verfahrens hat nämlich den Zweck, ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren, dem besondere Mängel anhaften, aus der Welt zu schaffen und die Rechtskraft dieses Bescheides zu beseitigen (vgl. etwa VwGH 02.02.2012, 2011/04/0017, mwN).
4.4. Diese Voraussetzung ist zum Zeitpunkt der hg. Entscheidung nicht erfüllt:
Gemäß den oben getroffenen Feststellungen wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 14. Dezember 2020, Zl. ***, der das von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Juli 2021 wiederaufgenommene Verfahren abgeschlossen hat, mit Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich (als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde) vom 30. Juli 2021, Zl. ***, wegen unrichtiger Beurteilung des Befähigungsnachweises gemäß § 363 Abs. 1 Z 3 GewO für nichtig erklärt; die gegen diesen Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 04. März 2022, Zl. LVwG-AV-1454/001-2021, als unbegründet abgewiesen, wodurch der Bescheid der belangten Behörde vom 14. Dezember 2020, Zl. ***, rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist.
Da infolge dieser rechtskräftigen Nichtigerklärung des Bescheides gemäß § 363 GewO nunmehr kein – nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderliches – „durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren“ mehr vorliegt, dessen Rechtskraft im Wege eines Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG beseitigt werden könnte, liegen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zum Zeitpunkt dieser Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich über den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 21. Juli 2021 nicht (mehr) vor.
Mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG kommt auch eine meritorische Entscheidung, wie sie in Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides getroffen wurde, jedenfalls nicht mehr in Betracht.
4.5. Der Beschwerde war daher infolge des Wegfalls eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens, dessen Rechtskraft im Wege der Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 1 AVG beseitigt werden könnte, stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze ersatzlos zu beheben.
Abschließend wird nur darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung unabhängig vom Ausgang des beim Bezirksgericht *** anhängigen Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer getroffen werden konnte (wenngleich es – entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers – zutreffend gewesen wäre, dass die im gerichtlichen Strafverfahren zu klärende Rechtsfrage eine Vorfrage für die materiell-rechtliche Beurteilung eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG gebildet hätte; die hier vertretene Rechtsauffassung wurde überdies in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2022 erörtert).
5. Zur Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist nicht zulässig, da die gegenständliche Entscheidung nicht von der zitierten und einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, und sich auf den eindeutigen und klaren Gesetzeswortlaut stützen kann (aus der ständigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Revisionen derartigen Fällen vgl. zB VwGH 29.07.2015, Ra 2015/07/0095).
Schlagworte
Gewerbliches Berufsrecht; Baumeistergewerbe; Gewerbeberechtigung; Anmeldevoraussetzungen; Verfahrensrecht; Wiederaufnahme;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.1414.001.2021Zuletzt aktualisiert am
25.05.2022