TE OGH 2022/5/11 23Ds1/21f

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Veröffentlicht am 11.05.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Mai 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Konzett und Mag. Brunar als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fischer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 13. April 2021, GZ D 8/20-15, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Kammeranwalts Dr. Müller, des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Stieger zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen, auch den rechtskräftigen Freispruch einer Beschuldigten enthaltenden Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er vom 1. Februar 2020 bis zum 13. April 2021 (ES 7) dadurch gegen § 10 Abs 1 RAO und gegen § 10 RL-BA 2015 verstoßen, dass er bzw die von ihm beherrschte D* OG die S* Aktiengesellschaft * in den Verfahren AZ 7 Cg 31/16b des Landesgerichts Feldkirch und AZ 54 Cg 7/18k des Handelsgerichts Wien gegen die H* GmbH vertrat, obwohl der seit 1. Jänner 2020 als unbeschränkt haftender Gesellschafter der D* OG für diese selbständig vertretungsbefugte (ES 4) Rechtsanwalt MMag. * A* zuvor für die V* GmbH in den genannten Streitsachen das Mandat der H* GmbH gegen die S* Aktiengesellschaft * bearbeitet hatte.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Die dagegen wegen Vorliegens der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobene Berufung des Beschuldigten geht fehl.

[4]       Die Mängelrüge (Z 5) verkennt grundlegend, dass die Strafprozessordnung unter dem Schuldspruch den Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO, welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen begründet wird, versteht (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 27 sowie Ratz, WK-StPO § 281 Rz 266, jeweils mwN). Mit dem Einwand, die im „Schuldspruch“ enthaltene Passage, MMag. A* sei für die V* GmbH als „Dauersubstitut“ eingeschritten, stehe nicht mit der Feststellung im Einklang, wonach der Genannte bei der V* GmbH als Rechtsanwalt angestellt gewesen sei, wird der Sache nach nicht der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO angesprochen, sondern ein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen den Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) geltend gemacht. Da die Unterscheidung, ob MMag. A* das in Rede stehende Mandat im Rahmen einer Substitution oder als angestellter Rechtsanwalt bearbeitet hat, hier weder schuld- noch subsumtionsrelevant ist, entzieht sich die Beschwerde aber insoweit einer meritorischen Erledigung (RIS-Justiz RS0106268).

[5]       Bei anwaltlichen Vertretungen im Rahmen einer Kanzleigemeinschaft stellt diese Gemeinschaft, nicht also der einzelne Rechtsanwalt, den Bezugspunkt für die Prüfung einer allfälligen Doppelvertretung dar (RIS-Justiz RS0113207 [T5]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 10 RAO Rz 14, § 1 DSt Rz 41 und § 10 RL-BA 2015 Rz 12), womit das Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a), der Beschuldigte habe die H* GmbH niemals persönlich vertreten, schon von vornherein ins Leere geht.

[6]       Die von der Berufung vermisste Feststellung, wonach das Dienstverhältnis des MMag. A* mit der V* GmbH mit 31. Oktober 2019 beendet worden und der Eintritt des Genannten als Gesellschafter der D* OG am 1. Jänner 2020 erfolgt ist, findet sich auf den S 3 f der angefochtenen Entscheidung. Die vom Disziplinarrat vorgenommene Subsumtion hindert die zwischen diesen beiden Ereignissen liegende Zeitspanne nicht (RIS-Justiz RS0054972; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 10 RAO Rz 13).

[7]       Mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen über die Doppelvertretung wird kein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht (RIS-Justiz RS0053859 [T3 und T6], RS0053916 [T1] und RS0099654 [T1]). Hinzugefügt sei, dass das Verbot der Doppelvertretung nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung nicht verletzt, weil es nicht grundsätzlich die Tätigkeit als Rechtsanwalt ausschließt (VfGH B1050/09 VfSlg 19.089).

[8]       Das Verbot der Doppelvertretung ist sowohl begrifflich als auch aus der Sicht rechtspolitischer Zielsetzung als weitreichend zu verstehen (RIS-Justiz RS0117715). Demzufolge verstößt die Doppelvertretung auch dann gegen das Gesetz, wenn gewiss ist, dass durch die Vertretung die Interessen der Gegenpartei nicht beeinträchtigt, geschädigt oder auch nur gefährdet werden können. Es ist also nicht notwendig, dass ein Vertrauensmissbrauch im materiellen Sinn stattgefunden hat. Eine Doppelvertretung ist vielmehr deshalb disziplinär strafbar, weil durch sie stets der Anschein erweckt wird, es würden materielle Interessen des ehemaligen Klienten preisgegeben (RIS-Justiz RS0118082). Daher kann der Einwand, der Beschuldigte habe „in seiner Kanzlei die notwendigen Vorkehrungen“ getroffen, die sichergestellt hätten, dass „die Belange der ehemals von MMag. * A* betreuten H* GmbH nicht beeinträchtigt“ worden seien, dahinstehen.

[9]       Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 3.000 Euro und wertete dabei das Festhalten an der Doppelvertretung über einen langen Zeitraum trotz laufendem Disziplinarverfahren als erschwerend, den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd.

[10]     Zum Argument der Berufung, der Beschuldigte habe in seiner Kanzlei „Strukturen“ geschaffen, die sichergestellt hätten, dass die Interessen der H* GmbH nicht beeinträchtigt werden, genügt der Hinweis auf die Darlegungen zum inhaltsgleichen Vorbringen der Rechtsrüge.

[11]     Der in der Berufung angestellte Vergleich mit der in einem anderen Disziplinarfall verhängten Sanktion ist unzulässig, weil die Strafe stets nach der individuellen Täterschuld in Bezug auf die konkrete Tat auszurichten ist (RIS-Justiz RS0090736).

[12]     Im Hinblick darauf, dass bei der Strafbemessung im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß anzuwenden sind (RIS-Justiz RS0054839), tritt der Umstand, dass der Beschuldigte mehrere strafbare Handlungen begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), erschwerend hinzu.

[13]     Ausgehend von den solcherart zu ergänzenden Strafbemessungsgründen erweist sich auf der Grundlage der Schuld sowie unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) die ausgesprochene Sanktion – der Berufung zuwider – einer Reduktion nicht zugänglich.

[14]     Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Textnummer

E134889

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0230DS00001.21F.0511.000

Im RIS seit

25.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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