TE Vfgh Erkenntnis 2022/2/28 E2810/2021

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57,
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
BFA-VG §49, §52
BG über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH §2
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Anwesenheit eines - ordnungsgemäß geladenen - Rechtsberaters (der BBU GmbH) bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz betreffend eine Staatsangehörige von China

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist chinesische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Han an und ist konfessionslos. Am 14. März 2016 stellte sie einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 13. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Volksrepublik China fest und gewährte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15. Juni 2021 als unbegründet ab. Eine asylrelevante Verfolgung schloss das Bundesverwaltungsgericht mangels glaubhaften Fluchtvorbringens aus. Eine solche sei auch auf Grund des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht stellte außerdem fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht vorlägen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg 11.196/1986 zum rechtsstaatlichen Prinzip festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss, und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl auch VfSlg 18.809/2009).

3.2. In VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009 sowie VfGH 2.10.2010, U3078/09 ua) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§48 bis 52 BFA-VG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält. In diesem Sinne judiziert auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass es auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann (VwGH 3.5.2016, Ro 2016/18/0001; 5.4.2018, Ra 2017/19/0515; 4.12.2020, Ra 2020/01/0419).

3.3. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 13. September 2017 wurde der Beschwerdeführerin die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin amtswegig zur Seite gestellt. Die Beschwerdeführerin bevollmächtigte am 21. September 2017 die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH und die Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe mit ihrer Vertretung im Verfahren und erhob durch ihre bevollmächtigte Vertreterin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

3.4. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16. April 2021, zugestellt am 11. März 2021, informierte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführerin in einem Merkblatt über die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme mit ihrer Rechtsberaterin BBU GmbH für den Fall, dass sie deren Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung wünsche. Mit Schreiben vom 10. März 2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht der BBU GmbH die Ladung zu dieser mündlichen Verhandlung zur Kenntnis.

3.5. In der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2021 wird die BBU GmbH, die nicht zu dieser Verhandlung erschien, als Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin ausgewiesen. Die mündliche Verhandlung wurde durchgeführt, ohne die Beschwerdeführerin angesichts der Abwesenheit einer Rechtsberaterin über ein allfälliges Vollmachtsverhältnis zu einer Rechtsberaterin zu befragen und ohne sie über ihre Rechte gemäß §52 BFA-VG aufzuklären, insbesondere über die Möglichkeit der Ladung einer Rechtsberaterin. Diese Handhabung des Verfahrensrechts stellt Willkür dar (VfSlg 19.490/2011; VfGH 24.2.2020, E2425/2019; 8.6.2021, E3947/2020; 22.9.2021, E2594/2021).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Ladung, VfGH / Vertreter, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E2810.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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