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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten betreffend die Tätigkeit als Polizist sowie dem Bestehen einer innerstaatlichen FluchtalternativeSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an.
2. Am 30. Oktober 2015 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung, dass er in Afghanistan als Polizist gearbeitet habe und deswegen von den Taliban verfolgt werde.
3. Mit Bescheid vom 23. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer nicht (Spruchpunkt III.), sondern erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).
4. Mit Erkenntnis vom 16. Juni 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer habe zwar als Polizist eine Gruppe von zehn bis zwölf Personen geleitet und an Kampfhandlungen teilgenommen, jedoch bestehe keine Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban, weil der Beschwerdeführer seine Tätigkeit für die afghanischen Streitkräfte eingestellt habe. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erachtet das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben. Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz sei für den Beschwerdeführer nicht zumutbar, der Beschwerdeführer könne jedoch in die Stadt Mazar-e Sharif zurückkehren: Die Stadt Mazar-e Sharif sei unter Kontrolle der afghanischen Regierung. Aus den Länderberichten ergebe sich nicht, dass von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung oder deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen sei. Die Zahl der zivilen Opfer sei zwar in letzter Zeit deutlich gestiegen, doch liege diese immer noch deutlich unter jener in anderen Landesteilen. Es komme auch immer wieder zu Anschlägen, insbesondere auf "High-Level"-Ziele durch Aufständische (insbesondere die Taliban). Besondere Gefährdungsmomente, die in der Person des Beschwerdeführers liegen würden, seien im Verfahren nicht vorgebracht worden.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der dem Beschwerdevorbringen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers entgegengetreten wird.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise in seinem Herkunftsstaat als Polizist tätig gewesen ist und als solcher eine Gruppe von zehn bis zwölf Personen geleitet und an Kampfhandlungen teilgenommen hat. Eine individuelle Bedrohungssituation für den Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr erachtet das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben. Ein Entkommen der Verfolgung durch die Taliban sei durch "Bereuen" möglich. Der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeit für die afghanische Polizei zwar nicht ausdrücklich bereut, jedoch habe er sie durch seine Ausreise aus seinem Herkunftsstaat eingestellt. Aus diesem Grund geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass für den Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr keine Gefahr von Handlungen oder Maßnahmen durch die Taliban in seinem Herkunftsdistrikt bestehe. Bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens stehe dem Beschwerdeführer die Stadt Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative offen.
2.2. Zur Beurteilung der Lage von (ehemaligen) Polizisten zieht das Bundesverwaltungsgericht einen Bericht von Landinfo (Landinfo, Afghanistan: Taliban's Intelligence and the intimidation campaign – Report by Dr. Antonio Giustozzi for Landinfo, 23.8.2017) und einen EASO-Bericht aus dem Jahr 2017 (EASO COI Report Afghanistan – Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017) heran. Auf diese Berichte stützt das Bundesverwaltungsgericht die Feststellung, dass ein Entkommen der Verfolgung durch die Taliban durch "Bereuen" möglich sei.
2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat es jedoch unterlassen, die in diesen Berichten enthaltenen Ausführungen mit der aktuellen Lage in Bezug zu setzen. Auf Grund der im Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren Länderinformationen, insbesondere dem Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021, das das Bundesverwaltungsgericht seinen Feststellungen jedoch nicht zugrunde legt, war eine maßgebliche Änderung der Sicherheitslage und damit eine mögliche Machtübernahme durch die Taliban zu befürchten. So wird etwa im Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021 festgehalten, dass auf Grund des US-Truppenabzuges der Beginn "eine[r] neue[n] Phase des Konflikts und des Blutvergießens", der "Zusammenbruch der afghanischen Regierung" und die "Übernahme durch die Taliban" zu befürchten sei, und in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die "Luftwaffe, vor allem die der Amerikaner, […] in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigetragen [hat], den Vormarsch der Taliban aufzuhalten". Zu den Taliban wird weiters ausgeführt, dass der Sieg ihnen gehöre und die Errichtung einer "islamischen Struktur" eine Priorität für die Taliban sei.
2.4. Vor diesem Hintergrund musste das Bundesverwaltungsgericht im Entscheidungszeitpunkt die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer als Polizist den Taliban durch "Bereuen" entkommen könne, mit den maßgeblichen Änderungen der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in Bezug setzen. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der sich rasch ändernden Sicherheitslage und damit verbundenen Gefahr der Machtübernahme durch die Taliban weiterhin Gültigkeit aufweisen, hat das Bundesverwaltungsgericht unterlassen. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlung des Sachverhaltes hinsichtlich des Fluchtvorbringens in einem wesentlichen Punkt unterlassen und Willkür geübt (vgl VfGH 23.2.2015, E882/2014; 7.6.2021, E850/2021; 24.9.2021, E3047/2021).
2.5. Hinzu tritt, dass das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Fluchtvorbringens die Stadt Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative heranzieht. Da das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen hat, die in diesem Zusammenhang getroffene Annahme in Bezug zu den aktuellen Länderberichten zu setzen, hat es die Entscheidung mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E2765.2021Zuletzt aktualisiert am
24.05.2022