Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi sowie MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen die beklagte Partei D*, Ungarn, vertreten durch Dr. Georg Kahlig und Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in Wien, wegen 61.000 EUR und Ausstellung einer Rechnung sowie einer Aufbaubescheinigung, über den (richtig:) außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 19. Jänner 2021, GZ 10 R 67/21k-114, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Das vom Kläger verfehlt – mit einem Antrag auf Abänderung des Ausspruchs über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses verbundene – ordentlich ausgeführte Rechtsmittel ist in einen außerordentlichen Revisionsrekurs umzudeuten (vgl RS0123405 [T1]).
[2] 2. Ein in zweiter Instanz verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz ist in dritter Instanz nicht mehr anfechtbar (RS0042963). Soweit eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens aufgezeigt werden sollte, wurde eine solche geprüft; sie liegt nicht vor (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).
[3] Warum Aktenwidrigkeit vorliegen sollte, wird nicht ausgeführt.
[4] Dass das Rekursgericht zu Unrecht der Meinung sei, von den vom Erstgericht aufgrund von unmittelbaren Beweisaufnahmen getroffenen Feststellungen nicht abgehen zu können, ist inhaltlich nichts anderes als eine in dritter Instanz unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen (vgl RS0069246 [T7]).
[5] 3.1. Maßgeblich für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind die Klageangaben (RS0115860; RS0050455); sind die schlüssigen (RS0116404), die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RS0115860 [T4]). Sie sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde zu legen, wenn sie vom Beklagten bestritten wurden (vgl RS0050455 [T1]), soweit sie nicht durch das bereits durchgeführte Beweisverfahren und die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eine Änderung erfahren haben (vgl 8 Ob 23/19v; 8 Ob 45/19d). Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, wonach das angerufene nationale Gericht im Fall des Bestreitens der Behauptungen des Klägers durch den Beklagten zwar nicht verpflichtet ist, im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit ein Beweisverfahren durchzuführen, aber alle vorliegenden Informationen zu würdigen hat, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören (C-12/15, Universal Music, Rn 44 f; vgl RS0050455 [T9]).
[6] 3.2. Gemäß Art 17 Abs 1 EuGVVO 2012 bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem 4. Abschnitt (Zuständigkeit bei Verbrauchersachen), wenn den Gegenstand des Verfahrens ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag bilden, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, wenn (lit c) der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt (1. Alternative) oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt (2. Alternative).
[7] Spezialgerichtsstände wie dieser sind nach der Rechtsprechung des EuGH autonom unter Berücksichtigung der Systematik und Zielsetzung der Verordnung (vgl C-96/00, Rudolf Gabriel, Rn 37 mwN) und – wie er bereits mehrfach betont hat (etwa C-464/01, Gruber – Bay Wa AG, Rn 32 f mwN) – als Ausnahme zur grundsätzlichen Allzuständigkeit des Wohnsitzstaats des Beklagten eng auszulegen (RS0128703; RS0112833; vgl 5 Ob 18/15f, 6 Ob 119/21z uva).
[8] 3.3. Der Begriff des „Ausrichtens“ erfasst alle auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichteten absatzfördernden Handlungen; für die zu fordernde Zielgerichtetheit der Tätigkeit des Unternehmens reicht ein bloßes „doing business“ aber nicht aus (vgl RS0125252). Der Gewerbetreibende muss vor dem möglichen Vertragsschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen, wozu alle offenkundigen Ausdrucksformen des Willens gehören, Verbraucher in diesem Mitgliedstaat als Kunden zu gewinnen, etwa das Anbieten von Dienstleistungen oder Produkten (5 Ob 18/15f mwN). Die Prüfung von Anhaltspunkten, die die Beurteilung erlauben, ob die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, ist Sache des nationalen Richters (vgl etwa EuGH C-585/08 und C-144/09, Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller).
[9] 3.4. Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Unionsrechts ab, so ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Nachprüfung dessen Anwendung auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief oder wenn das Berufungsgericht Urteile des EuGH in unvertretbarer Weise ausgelegt hätte (RS0117100 [insbes T1]).
[10] 4. Gründe für die Zulässigkeit seines Rechtsmittels von der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zeigt der Kläger nicht auf:
[11] 4.1. Dass der Kläger Verbraucher iSd Art 17 EuGVVO 2012 ist, ist unstrittig.
[12] 4.2. Die Vorinstanzen stellten fest, dass der Kläger einen österreichischen Dritten beauftragte, die Planung, Aufbaubeschreibung, Bauüberwachung, Abnahme und Typisierung sowie Abwicklung der Herstellung des Umbaus eines Lastkraftwagens zu einem Pferdetransporter zu übernehmen, und sich dieser vom Kläger selbst beauftragte Dritte an den ungarischen Beklagten wandte, der sich bereit erklärte, den Transporteraufbau nach den vom Dritten erstellten Lichtbildern vom bestehenden Fahrzeug, Plänen und einer Aufbaubeschreibung des Dritten herzustellen. Der Beklagte betrieb und betreibt bis heute keine Website, hatte keine Vermittlungsvereinbarung mit dem österreichischen Dritten und erbrachte an diesen für die Vermittlung des Klägers auch keinerlei Gegenleistung.
[13] 4.3. Die Vorinstanzen beurteilten dies zusammengefasst dahin, dass der Beklagte seine Tätigkeit nicht auf Österreich ausgerichtet hatte, verneinten dementsprechend das Vorliegen eines Verbrauchergerichtsstands in Österreich und die internationale Zuständigkeit des angerufenen österreichischen Gerichts.
[14] 4.4. Diese Beurteilung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der dargelegten unions- und innerstaatlichen Rechtslage sowie des ihnen in diesem Zusammenhang im Einzelfall zukommenden Ermessensspielraums.
[15] 4.5. Soweit der Kläger zum Ausdruck bringen will, die Vorinstanzen hätten für das Ausrichten zu Unrecht verlangt, dass der Vertrag im Fernabsatz geschlossen worden wäre, geht dies an deren Feststellungen und rechtlichen Erwägungen vorbei. Warum aus dem Umstand, wonach der vom Kläger selbst und nicht vom Beklagten beauftragte österreichische Dritte vorab Spezifikationen, Pläne und Aufbaubeschreibung herstellte, folgen sollte, dass der Beklagte mehr als vom Kläger selbst initiiertes „doing business“ unternommen haben sollte, ist nicht nachvollziehbar. Dass sich der Beklagte des Dritten nicht wissentlich und willentlich als ihm Kunden aus dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers zuführenden Vermittler bedient hat (vgl RS0125252 [insbes T9]), ist aufgrund der im vorliegenden Einzelfall zu beurteilenden Tatsachengrundlage zumindest vertretbar.
[16] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E134862European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00036.22F.0422.000Im RIS seit
24.05.2022Zuletzt aktualisiert am
24.05.2022