TE Lvwg Erkenntnis 2022/4/6 LVwG 47.10-3371/2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2022
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.04.2022

Index

L92006 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Steiermark

Norm

StSUG §3 Abs1 Z2
BFA-VG §9 Abs6

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark erkennt durch die Richterin HR Dr. Clement über die Beschwerde des Herrn A B, geb. am ****, gegen den Bescheid der des Bürgermeisters der Stadt Graz, vom 22.10.2021, GZ: 111508/2021,

z u R e c h t:

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und hat der Spruch zu lauten:

„A B, geb. am ****, werden aufgrund des Antrags vom 22.09.2021 Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhaltes und Befriedigung des Wohnbedarfes für den Zeitraum 01.11.2021 bis 31.12.2021 von monatlich € 867,54 und vom 01.01.2022 bis 31.12.2024 von € 894,54 monatlich auf die Dauer unveränderter persönlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse gemäß § 3 Abs 1, § 4, § 5 Abs 1 bis 3, § 8 und § 16 Steiermärkisches Sozialunterstützungsgesetz, LGBl Nr. 51/2021 idF LGBl Nr. 18/2022 iVm § 1, 2 Abs 1 und § 3 Steiermärkisches Sozialunterstützungsgesetz-Durchführungsverordnung LGBl Nr. 66/2021 idF LGBl Nr. 128/2021 gewährt.“

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem aus dem Spruch ersichtlichen Bescheid vom 22.10.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 22.09.2021 auf Sozialunterstützungsleistungen ab 01.11.2021 mangels Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen gemäß § 3 StSUG abgewiesen. Begründend führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer als Drittstaatsangehöriger über einen vorübergehenden und befristeten Aufenthaltstitel Niederlassungsbewilligung – nur selbstständige Erwerbstätigkeit iVm § 43 Abs 2 NAG verfüge. Dieser Aufenthaltstitel berechtige den Beschwerdeführer nach den Bestimmungen des § 3 StSUG iVm den fremdenrechtlichen Bestimmungen zu keiner Form eines Leistungsbezuges aus der Sozialunterstützung. Der Beschwerdeführer verfüge über keinen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EU. Die Behörde habe zu überprüfen, ob dem Antragsteller aufgrund eines mehr als fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts in Österreich ein derartiger Aufenthaltstitel zustehe. Die Anfrage beim zuständigen Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 09.08.2021, Abteilung 3, Verfassung und Inneres, habe ergeben, dass kein Daueraufenthalt EU bestehen würde, sondern weiterhin bis vorerst 02.02.2022 die Niederlassungsbewilligung für selbstständige Erwerbstätigkeit. Da somit die persönlichen Voraussetzungen im Sinne des § 3 StSUG nicht gegeben seien, sei der Antrag auf Leistungen der Sozialunterstützung abzuweisen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde, mit welcher im Wesentlichen ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer serbischer Staatsbürger sei und seit 21.06.1999 in G gemeldet sei. Er verfüge über eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs 3 NAG, welche ihm von der zuständigen Aufenthaltsbehörde unter humanitären Gesichtspunkten erteilt worden sei. In den Erläuterungen zum StSUG werde in der Tabelle der bezugsberechtigten Aufenthaltstitel nach § 3 Abs 2 StSUG explizit die Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs 3 NAG aufgezählt. Der Beschwerdeführer erfülle daher die persönlichen Voraussetzungen und sei grundsätzlich bezugsberechtigt. Es wird der Antrag gestellt, Leistungen der Sozialunterstützung in gesetzmäßiger Höhe zuzuerkennen.

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 08.03.2022 wird nachfolgender Sachverhalt festgestellt:

Der Beschwerdeführer hat keine Berufsausbildung, er hat drei Jahre Volksschule absolviert. Er ist 1999 seinen Bruder in Österreich besuchen gekommen und ist dann hiergeblieben. Er ist serbischer Staatsbürger. Sein Haus in C ist im Krieg zerstört worden. Er hatte keine Wohnmöglichkeit mehr in C und ist daher in Österreich geblieben. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits von seiner Frau getrennt. Er hat dann etwa 6-7 Jahre in Österreich gearbeitet und dann eine schwere Knieverletzung erlitten. Er bezieht seither eine Unfallrente in Höhe von € 71,49 monatlich sowie Pflegegeld der Stufe 1. Gewohnt hat er zuerst bei seinem Bruder und dann über die D in der Wstraße, wo er etwa 12 Jahre gelebt hat. Der Beschwerdeführer hat keinerlei Verwandte in Serbien. Zu einem unehelichen Kind hatte er nie Kontakt gehabt. Eine andere Tochter ist mit 20 Jahren verstorben. Auch sonst bestehen keinerlei Kontakte nach Serbien und war der Beschwerdeführer seit etwa 20 Jahren nicht in diesem Land. Die einzigen Verwandten des Beschwerdeführers sind sein in G lebender Bruder und dessen Tochter und Enkelin. Der Beschwerdeführer ist von einfachem Gemüt und einfacher Auffassungsgabe und wird in allen wesentlichen Angelegenheiten von seiner Nichte unterstützt. Derzeit bewohnt der Beschwerdeführer eine Wohnung in der Kgasse, die mit Hilfe des Sozialamtes bzw. der D organisiert wurde. Die Miete beträgt € 371,87 inklusive Heizung. An Strom bezahlt der Beschwerdeführer € 30,00 monatlich. Der Beschwerdeführer hat einen befristeten Aufenthaltstitel bis 28.01.2023, wie in all den letzten Jahren seit 2011.

Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich des Lebenslaufes des Beschwerdeführers, stützen sich im Wesentlichen auf seine eigenen Angaben, die von der einvernommenen Zeugin E F bestätigt wurden. Auch die Einsichtnahme in den Reisepass des Beschwerdeführers hat keinen Hinweis darauf erbracht, dass er sich regelmäßig in seinem Geburtsland Serbien aufhält. Es haben sich auch sonst keinerlei Hinweise gefunden, dass ein familiärer Bezug außerhalb Österreichs vorliegt. Hinsichtlich des Aufenthaltstitels stützen sich die Feststellungen auf die befristet erteilte Niederlassungsbewilligung des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung, A3, Aufenthalts- und Sicherheitswesen und dem Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister. Die Feststellungen zum Einkommen ergeben sich aus dem Pensionsbescheid, dem Pflegegeldbescheid, dem Kontoauszug und hinsichtlich den Wohnverhältnissen aus dem vorgelegten Mietvertrag.

Rechtliche Beurteilung:

Folgende Bestimmungen des Steiermärkischen Sozialunterstützungsgesetzes (im Folgenden StSUG) LGBl. Nr. 51/2021 sind für die rechtliche Beurteilung wesentlich:

§ 3 StSUG:

„Persönliche Voraussetzungen

(1) Bezugsberechtigt sind Personen, die

1.

ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen Aufenthalt in der Steiermark haben und

2.

zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhalten, sofern nicht abweichende unionsrechtliche oder völkerrechtliche Bestimmungen anderes festlegen.

(2) Zum bezugsberechtigten Personenkreis nach Abs. 1 Z 2 zählen jedenfalls:

1.

österreichische Staatsbürgerinnen/Staatsbürger sowie deren Familienangehörige, die über einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG verfügen;

2.

EWR-Bürgerinnen/-Bürger und Schweizer Bürgerinnen/Bürger sowie deren Familienangehörige im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG;

3.

Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ gemäß § 45 NAG;

4.

Asylberechtigte gemäß § 3 AsylG 2005.

(3) Nicht bezugsberechtigt sind:

1.

EWR-Bürgerinnen/-Bürger und Schweizer Bürgerinnen/Bürger sowie deren Familienangehörige im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG in der Zeit ihres Aufenthaltes im Inland bevor sie das Recht auf Daueraufenthalt erworben haben und

a)

ihnen keine Arbeitnehmerinnen-/Arbeitnehmer- oder Selbstständigeneigenschaft zukommt oder

b)

die Erwerbstätigeneigenschaft nicht aufrecht ist;

2.

schutzbedürftige Fremde gemäß dem Steiermärkischen Grundversorgungsgesetz, insbesondere subsidiär Schutzberechtigte und Asylwerberinnen/Asylwerber;

3.

ausreisepflichtige Fremde;

4.

Personen während ihres visumsfreien oder visumspflichtigen Aufenthaltes im Inland, soweit sie nicht unter Z 1 fallen;

5.

Personen, die in stationären Einrichtungen untergebracht sind.“

§ 9 BFA-VG:

„Schutz des Privat- und Familienlebens

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

      1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

      2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

      3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

      4. der Grad der Integration,

      5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

      6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

      7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

      8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

      9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

§ 53 FPG:

„Einreiseverbot

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

      1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

      2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

      3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

      4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

      5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

      6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

      7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

      8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

      9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

      1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

      2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

      3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

      4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

      5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

      6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

      7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

      8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

      9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.“

Es ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die persönlichen Voraussetzungen im Sinne des § 3 StSUG für Leistungen nach dem StSUG erfüllt.

Gemäß § 3 StSUG zählen jedenfalls zum bezugsberechtigten Personenkreis nach Abs. 2 Z 3 Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ gemäß § 45 NAG. Bei der Aufzählung in § 3 Abs 2 StSUG handelt es sich um keine abschließende Aufzählung. Es ist daher möglich, dass auch anderen Personen als den aufgezählten Sozialunterstützung zusteht. Da der Beschwerdeführer zum Daueraufenthalt in der EU gemäß § 45 NAG nicht berechtigt ist, ist zu prüfen, ob er dennoch im Sinne einer Aufenthaltsverfestigung zum anspruchsberechtigten Personenkreis zählt, ob er also zu einem dauernden Aufenthalt im Inland gemäß § 3 Abs 1 Z 2 StSUG berechtigt ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in einer Entscheidung vom 20.12.2017, Ra 2016/10/0130 mit der Frage, was unter dem Auffangtatbestand „sonstigen dauernden Aufenthaltsrecht im Inland“ zum oberösterreichischen Mindestsicherungsgesetz befasst. Auf diese Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof in einer weiteren Entscheidung zum Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetz vom 27.3.2019, Ro 2018/10/0040 verwiesen. Dazu führte er aus, dass eine dauernde Aufenthaltsberechtigung im Inland im Sinne des § 4 Abs 1 Z 3 StMSG nach der Systematik des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers nicht auf die Tatbestände des § 4 Abs 2 StMSG beschränkt sei. Die Anspruchsvoraussetzung sei ihrem wesentlichen Norminhalt nach jener des oberösterreichischen Mindestsicherungsgesetzes vergleichbar. Es werde nicht auf einen Aufenthaltstitel, sondern auf ein - gegebenenfalls im Wege der Vorfragenbeurteilung zu ermittelndes - „sonstiges dauerndes Aufenthaltsrecht“ abgestellt. Ein solches dauerndes Aufenthaltsrecht komme jener Personengruppe zu, welche aufgrund einer Aufenthaltsverfestigung (vgl. dazu nunmehr § 9 BFA-VG) in Österreich bleiben darf, daher materiell-rechtlich über ein dauerndes Aufenthaltsrecht im Inland verfügt.

Der Beschwerdeführer ist mit Hauptwohnsitz seit 1999 in Österreich gemeldet und verfügte seit 01.02.2011 über eine Niederlassungsbewilligung als selbstständiger Erwerbstätiger, welche jeweils auf ein Jahr befristet war, derzeit bis 28.01.2023. Diese Bewilligung hat sich aus der Übergangsbestimmung des § 81 Abs 16 NAG abgeleitet, wonach beschränkte Niederlassungsbewilligungen als Niederlassungsbewilligung weitergelten sollten. Grundsätzlich haben Drittstaatsangehörige mit einem bloß befristeten Aufenthaltstitel oder einer Niederlassungsberechtigung keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Sozialsysteme verlangen nämlich traditionell eine gewisse territoriale Verbundenheit, was sich auch aus der bereits außer Kraft getretenen Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung ergeben hat. Der Grundsatzgesetzgeber hat in § 4 Abs 2 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, BGBl. I Nr. 41/2019 den Ausschluss von der Bezugsberechtigung definiert, in Abs 1 festgeschrieben, dass im Übrigen Leistungen der Sozialhilfe nur dauerhaft niedergelassenen Fremden zu gewähren sind, die sich seit mindestens 5 Jahren dauerhaft tatsächlich und rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Gemäß § 9 Abs 6 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits 8 Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs 3 FPG vorliegen. Eine schwerwiegende Gefahr geht vom Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 3 FPG nicht aus. Er befindet sich mehr als acht Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet. Der Aufenthalt war jeweils durch die erteilte befristete Niederlassungsberechtigung rechtmäßig. Längere Auslandsaufenthalte konnten nicht erhoben werden. Die ausschließlich sozialen Kontakte des Beschwerdeführers befinden sich in Österreich zur Familie seines Bruders. Es ist daher von einer Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers auszugehen, aus welcher sich ein materiell rechtlich dauerndes Aufenthaltsrecht im Inland ergibt, sodass eine Bezugsberechtigung im Sinne des § 3 Abs 1 Z 2 StSUG gegeben ist.

Zur Höhe des Anspruches:

Die wesentlichen Bestimmungen des StSUG und der StSUG-DVO für die Höhe des Anspruches lauten wie folgt:

§ 5 StSUG:

„Einsatz der eigenen Mittel

(1) Bei der Bemessung von Leistungen gemäss § 8 sind das Einkommen und das verwertbare Vermögen der Bezugsberechtigten, jeweils auch im Ausland, zu berücksichtigen.

(2) Zum Einkommen zählen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, die in einem Kalendermonat tatsächlich zufliessen. Im Zuflussmonat nicht verbrauchte Teile der Einkünfte wachsen ab dem Folgemonat dem Vermögen zu.

(3) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften über den Einsatz des Einkommens zu erlassen, insbesondere wie weit Einkommen zu berücksichtigen sind oder anrechnungsfrei zu bleiben haben.

(4) Bezugsberechtigten, die während des Bezugs von Leistungen gemäss § 8 eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder eine Lehrausbildung beginnen, wird für eine Dauer von höchstens zwölf Monaten ein Freibetrag im Ausmass von 35% des monatlichen Nettoerwerbseinkommens, höchstens jedoch 20% des Höchstsatzes gemäss § 8 Abs. 3 Z 1, gewährt. Eine erneute Gewährung des Freibetrages bei Beendigung der Erwerbstätigkeit oder Lehrausbildung während des Leistungsbezugszeitraumes ohne besonders berücksichtigungswürdige Gründe ist für die Dauer von 36 Monaten ausgeschlossen.

(5) Vermögen darf weder angerechnet noch verwertet werden,

1. wenn dadurch eine Notlage ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies gilt insbesondere für

a) Gegenstände, die der Erwerbsausübung oder der Befriedigung angemessener geistig-kultureller Bedürfnisse dienen;

b) Gegenstände, die als Hausrat anzusehen sind;

c) Kraftfahrzeuge, die berufsbedingt oder auf Grund besonderer Umstände (insbesondere Behinderungen, unzureichende Infrastruktur) erforderlich sind;

2. wenn dieses der Deckung des unmittelbaren Wohnbedarfes der Bezugsberechtigten oder ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen dient (Wohnvermögen). Werden Leistungen durchgehend länger als drei Jahre bezogen, können Ersatzansprüche grundbücherlich sichergestellt werden (§ 20); Unterbrechungen des Leistungsbezuges von bis zu zwei Monaten hemmen den fortdauernden Bezug nicht;

3. soweit es das Sechsfache des Höchstsatzes gemäss § 8 Abs. 3 Z 1 nicht übersteigt (Schonvermögen).“

§ 8 Abs 1, Abs 2 und Abs 3 Z 1 und 5 StSUG:

„Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs

(1) Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs werden, wenn dadurch die Ziele gemäss § 1 effektiver erreicht werden, Leistungen für den Wohnbedarf überdies, sofern dies nicht unwirtschaftlich oder unzweckmässig ist, in Form von monatlichen Sachleistungen, sonst in Form von monatlichen, pauschalierten Geldleistungen erbracht. Als Sachleistung gelten auch Zahlungen an Personen, die solche Sachleistungen für Bezugsberechtigte erbringen sowie Kostenerstattungen für Zahlungen für solche Sachleistungen, die auf Grund bestehender vertraglicher Verpflichtungen zu leisten sind oder bereits geleistet wurden. Sachleistungen sind im Ausmass ihrer angemessenen Bewertung auf Geldleistungen anzurechnen. Alle Monate werden mit 30 Tagen berechnet.

(2) Die Landesregierung hat den Höchstsatz gemäss Abs. 3 Z 1 ausgehend vom Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG abzüglich des Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung betragsmässig durch Verordnung festzusetzen. Dieser Höchstsatz ist zu Beginn des Kalenderjahres an die jeweilige Änderung des Ausgleichzulagenrichtsatzes abzüglich des Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung anzupassen und durch Verordnung der Landesregierung kundzumachen.

(3) Der Bemessung der zuzuerkennenden Leistungen sind folgende Höchstsätze und Zuschläge zu Grunde zu legen:

1.

Höchstsatz für Alleinstehende und Alleinerziehende

100%

2.

…“

 

§ 2 StSUG-DVO:

„(1) Das für die Berechnung der Sozialunterstützung massgebliche monatliche Einkommen errechnet sich bei regelmässig anfallenden Einkommen aus dem Jahresnettoeinkommen unter Berücksichtigung allfälliger Sonderzahlungen, bei unregelmässig anfallenden Einkommen aus dem tatsächlich zufliessenden Jahreseinkommen jeweils durch 12 dividiert.

(2)…..“

§ 3 StSUG-DVO:

Der Höchstsatz gemäss § 8 Abs. 3 Z 1 StSUG beträgt 977,94 Euro.

§ 4a StSUG-DVO:

In der Fassung der Verordnung LGBl. Nr. 128/2021 tritt § 3 mit 1. Jänner 2022 in Kraft.

Der Beschwerdeführer hat derzeit Wohnkosten von monatlich € 401,87. Aus § 8 StSUG iVm § 3 StSUG-DVO ergibt sich, dass der individuelle Höchstsatz für den Beschwerdeführer grundsätzlich 2022 € 977,74 beträgt und sich aus dem Lebensunterhalt (60 %) in Höhe von € 586,76 und dem Wohnbedarf (40 %) in Höhe von € 391,80 zusammensetzt. 2021 betrug der Höchstsatz € 949,46. Der Beschwerdeführer hat ein Einkommen von € 81,92 (2021) und € 83,40 (2022) inklusive Sonderzahlungen.

Der monatliche Anspruch des Beschwerdeführers setzt sich somit zusammen wie folgt:

für 2021:

Lebensunterhalt 60% vom Höchstsatz €  569,68

Wohnbedarf 40% vom Höchstsatz  379,78

        €      949,46

abzüglich Versehrtenrente  - €   81,92

Anspruch  867,54

für 2022:

Lebensunterhalt 60% vom Höchstsatz €  586,76

Wohnbedarf 40% vom Höchstsatz  391,18

        €     977,94

abzüglich Versehrtenrente  - €   83,40

Anspruch  894,54

Gemäß § 16 Abs 5 StSUG konnte die Leistung für 36 Monate zuerkannt werden, da der Beschwerdeführer das Regelpensionsalter erreicht hat.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da sie von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht.

Schlagworte

Sozialunterstützung, persönliche Voraussetzungen, Drittstaatsangehöriger, dauernder Aufenthalt, Aufenthaltsverfestigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGST:2022:LVwG.47.10.3371.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Steiermark LVwg Steiermark, http://www.lvwg-stmk.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten