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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juli 1995, Zl. 302.376/3-III/11/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Berufungsfrist i.A. Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Februar 1995, dem Beschwerdeführer zugestellt am 24. Februar 1995, wurde sein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz abgewiesen.
Mit einer am 24. März 1995 bei der erstinstanzlichen Behörde eingelangten Eingabe beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen diesen Bescheid und holte unter einem die versäumte Prozeßhandlung nach.
Der Beschwerdeführer brachte vor, er habe seinem damaligen Rechtsvertreter am 1. März 1995 den Bescheid vom 18. Februar 1995 mit dem Ersuchen übergeben, dagegen Berufung zu erheben. Im Hinblick auf das Datum der Zustellung dieses Bescheides am 24. Februar 1995 sei der 10. März 1995 der letzte Tag der Berufungsfrist gewesen. Am 9. März 1995 sei der Berufungsschriftsatz von der Konzipientin des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers diktiert und am 10. März 1995 geschrieben worden. Nach Durchsicht und Unterfertigung des Schriftsatzes durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sei dieser kuvertiert und mit Aufgabeschein versehen worden. In der Folge habe eine Kanzleiangestellte die gesamte Post dieses Tages an sich genommen. Da an diesem Tag viel Post aufzugeben gewesen sei, habe sie diese in zwei getrennten Fächern einer Aktenmappe verstaut und in der Folge auf dem Postamt lediglich die Normalpost aufgegeben, einige Einschreibsendungen, darunter auch die gegenständliche Berufung jedoch im anderen Fach der Mappe vergessen. Dieser Fehler sei erst am 13. März 1995, als ihr im Büro die Aufgabescheine abverlangt worden seien, aufgefallen. Die gegenständliche Fehlleistung sei die erste dieser Kanzleiangestellten gewesen. Sie sei nicht zu verhindern gewesen, obwohl der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die eingetragene Frist kontrolliert und sich überzeugt habe, daß seine Angestellte sämtliche Poststücke, darunter auch die gegenständliche Berufung, zur Aufgabe beim Postamt mit sich genommen habe.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juli 1995 wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, ein den Parteienvertreter treffendes Ereignis sei für die vertretene Partei nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn es für den Parteienvertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar und unverschuldet sei; das Verschulden des Parteinvertreters treffe die Partei. Ein Rechtsanwalt müsse gegenüber seiner Kanzlei als seinem Hilfsapparat, dessen er sich bei Wahrnehmung der ihm durch Bevollmächtigungsvertrag übertragenen Aufgaben bediene, alle ihm obliegenden Vorsorgen treffen. Dazu gehöre insbesondere die Wahrnehmung der dem Rechtsanwalt zumutbaren Überwachungspflicht. Diese habe der Vertreter des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht erfüllt, zumal das Überprüfen des Schreibens, Kuvertierens und Ausfüllens eines Aufgabescheines allein keine Garantie dafür sei, daß ein Schriftstück auch tatsächlich zur Post gegeben werde. Durch diese Handlungen werde lediglich das korrekte Abfassen des Schriftstückes kontrolliert. Eine geeignete und zumutbare Kontrolle, wie z.B. Eintragen in ein Aufgabebuch oder Kontrolle der gestempelten Aufgabescheine sei nicht durchgeführt worden. Sie wäre im gegenständlichen Fall umso mehr geboten, als an diesem Tag gerade "viel" Post aufzugeben gewesen sei. Es liege auch kein minderer Grad des Versehens vor, müsse doch gerade von einer zuverlässigen Kanzleikraft angenommen werden, daß sie von der gewichtigen Bedeutung eingeschriebener Postsendungen Kenntnis habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die hiedurch einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Ein an der Fristversäumnis schuldhaftes Verhalten ist der Partei nur dann zuzurechnen, wenn sie selbst oder ihr Vertreter dieses Verhalten gesetzt hat, wobei das Verschulden des Vertreters insbesondere auch in einem Organisationsverschulden und der Verletzung seiner Überwachungspflichten bestehen kann. Die diesbezügliche Überwachungspflicht eines Parteienvertreters geht jedoch nicht soweit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung seiner Angestellten zu kontrollieren. Die Aufgabe von Postsendungen gehört regelmäßig zu diesen einfachen Arbeitsverrichtungen, auf deren auftragsgemäße Erfüllung der Parteienvertreter vertrauen darf, es sei denn, daß für ihn Veranlassung besteht, das pflichtgemäße Verhalten seines Angestellten in Zweifel zu ziehen (vgl. den hg. Beschluß vom 15. März 1995, Zl. 94/13/0215, mwN).
Die Unterlassung der von der belangten Behörde verlangten Überprüfung der tatsächlichen Aufgabe des Schriftsatzes anhand eines Aufgabebuches oder gestempelter Aufgabescheine war dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers daher nicht als Organisations- oder Überwachungsverschulden anzulasten. Der Umstand, daß an diesem Tag "viel" Post aufzugeben war, bildet für sich allein genommen keinen hinreichenden Grund, das pflichtgemäße Verhalten einer sonst verläßlichen Angestellten in Zweifel zu ziehen.
Mit ihren Ausführungen zum Verschuldensgrad verkennt die belangte Behörde die Rechtslage insofern, als dem Beschwerdeführer nicht das Verschulden der Kanzleikraft seines Rechtsvertreters, sondern lediglich ein - hier gar nicht vorliegendes - Eigenverschulden seines Rechtsfreundes zurechenbar wäre.
Indem die belangte Behörde rechtsirrtümlich davon ausging, dem Vorbringen des Beschwerdeführers ließen sich keine tauglichen Wiedereinsetzungsgründe entnehmen, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodaß dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995190962.X00Im RIS seit
20.11.2000