TE Vwgh Beschluss 1996/5/14 96/19/0396

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Veröffentlicht am 14.05.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Dolp als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag des AG in W, vertreten durch seine Mutter RG als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Oktober 1994, Zl. 102.986/3-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Begründung

Dem Antragsvorbringen zufolge wurde der Bescheid, mit welchem dem Antragsteller ein Verfahrenshelfer bestellt wurde, diesem am 22. Mai 1995 samt Ablichtung des anzufechtenden Bescheides, Beschluß des Verfassungsgerichtshofes über die Bewilligung der Verfahrenshilfe und Belehrung über die binnen sechs Wochen einzubringende Beschwerde, zugestellt.

Es sei die zu wahrende Frist ordnungsgemäß mit sechs Wochen am Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien rot angemerkt, wie auch im Kanzleikalender entsprechend mit 3. Juli 1995 eingetragen worden.

In der Kanzlei des Verfahrenshelfers des Antragstellers dürften Fristen nur über ausdrückliche Anweisung des verantwortlichen Rechtsanwaltes gestrichen werden. Eine Streichung einer Frist dürfe, obwohl an sich ausreichende Sach- und Fachkenntnisse gegeben wären, nicht einmal von dem der Kanzlei des Verfahrenshelfers angehörigen Rechtsanwaltsanwärter vorgenommen werden.

Trotz dieser klaren Anweisung sei von der Kanzleileiterin des Verfahrenshelfers die Frist gestrichen worden. Sie sei bei der Streichung der Frist davon ausgegangen, daß die Beschwerde bereits ausgeführt sei. Dies habe sie deshalb angenommen, weil beim Verfassungsgerichtshof in einer Aufenthaltsbewilligungsangelegenheit andere Verfahren anhängig seien.

Von der Fristversäumnis habe der Verfahrenshelfer am 19. September 1995 aufgrund eines Telefonates mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Verfassungsgerichtshofes erfahren. Bei der Durchsicht der Akten habe der Verfahrenshelfer festgestellt, daß der Beschluß über die Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien, mit welchem er dem Antragsteller beigegeben worden sei, ordnungsgemäß erfolgt, jedoch die Ausführung der Beschwerde unterblieben sei. Die daraufhin vom Verfahrenshelfer in der Kanzlei unternommenen Nachforschungen hätten ergeben, daß die Kanzleileiterin die Streichung der Frist vorgenommen habe. Die Kanzleileiterin weise eine ca. 17-jährige Praxis in Rechtsanwaltskanzleien auf und gehöre der Kanzlei des Verfahrenshelfers seit 3 1/2 Jahren in dieser Funktion an. Sie verfüge über ausgezeichnete Kenntnisse des Fristenwesens, insbesondere hinsichtlich der durch Verfahrenshilfe in Gang gesetzten Verfahren. Da es schon vorgekommen sei, daß der Verfahrenshelfer des Antragstellers, welcher wiederholt Verfahrenshilfen auch außerhalb des "Zuteilungsrhythmus der Rechtsanwaltskammer" übernehme, nachträglich zum Verfahrenshelfer beigegeben worden sei, habe sich die Kanzleileiterin - offenbar aufgrund bereits einen anderen Bescheid betreffender Beschwerden - beirren lassen und habe vermeint, von der aufgetragenen Vorgangsweise abgehend, selbst eine Streichung der Frist vornehmen zu können.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dabei hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Hiebei trifft grundsätzlich das Verschulden des Parteienvertreters die Partei (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 656, angeführte Rechtsprechung), wobei jedoch ein geradezu weisungswidriges Verhalten des Kanzleiangestellten das Verschulden des Rechtsanwaltes ausschließt, sofern kein Verschulden des Rechtsanwaltes selbst hinzutritt (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 658, angeführte Judikatur).

Die im Antrag glaubhaft gemachte, die Fristversäumnis bewirkende Vorgangsweise der Kanzleiangestellten des Verfahrenshelfers der antragstellenden Partei stellt demnach ein Ereignis iS des § 46 Abs. 1 VwGG dar.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher zu bewilligen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996190396.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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