TE Vwgh Beschluss 2022/4/25 Ra 2022/20/0074

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Veröffentlicht am 25.04.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen Spruchpunkt A) II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Jänner 2022, W232 2156828-5/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: Y P in A), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der aus Afghanistan stammende Mitbeteiligte stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet im November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Diesem Antrag wurde im Instanzenzug im Mai 2019 keine Folge gegeben. Unter einem wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (und es wurden weitere nach dem Gesetz vorgesehene Aussprüche getätigt).

2        Da der Mitbeteiligte in Österreich straffällig und wegen Vergewaltigung, Nötigung, versuchter schwerer Nötigung, Körperverletzung und Verleumdung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, fünf Monaten und 14 Tagen verurteilt worden war, wurde gegen ihn in der Folge - wiederum im Instanzenzug (letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2021) - (neuerlich) eine Rückkehrentscheidung erlassen, das mit einem unbefristeten Einreiseverbot verbunden wurde.

3        Am 15. Jänner 2021 wurde der Mitbeteiligte aus der Strafhaft entlassen und in Schubhaft genommen. Am 22. Jänner 2021 stellte er während der Anhaltung in Schubhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

4        Nach der am 7. Mai 2021 erfolgten Vernehmung des Mitbeteiligten hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom selben Tag den faktischen Abschiebeschutz auf. Dies wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Mai 2021 für rechtmäßig erklärt (gemeint: die von Gesetzes wegen als eingebracht geltende Beschwerde abgewiesen; vgl. zur Systematik der Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010; weiters etwa VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0329).

5        Der Mitbeteiligte wurde am 18. Mai 2021 in sein Heimatland abgeschoben.

6        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den vom Mitbeteiligten gestellten Folgeantrag mit Bescheid vom 16. Dezember 2021 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und sprach weiters aus, dass ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde. Eine (weitere) Rückkehrentscheidung wurde - im Hinblick darauf, dass bereits früher eine mit einem immer noch aufrechten Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung rechtskräftig ergangen war - nicht erlassen.

7        In ihrer Begründung vertrat die Behörde - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - die Ansicht, es sei für die Prüfung, ob entschiedene Sache vorliege, darauf abzustellen, ob sich im Vergleich zu der im ersten Asylverfahren getroffenen Entscheidung die Sachlage im Zeitpunkt der Abschiebung, also bezogen auf den 18. Mai 2021, maßgeblich anders präsentiert habe.

8        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 27. Jänner 2022 ab, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichtet hatte [Spruchpunkt A) I.]. Die übrigen Aussprüche des Bescheides vom 16. Dezember 2021 hob es auf [Spruchpunkt A) II.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei [Spruchpunkt B)].

9        Das Bundesverwaltungsgericht teilte in seiner Begründung die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Bescheid vom 16. Dezember 2021 geäußerte Rechtsauffassung nicht, sondern verwies auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach „das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten“ habe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die „zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung“ veröffentlichten aktuelleren Länderinformationen und die breite mediale Berichterstattung über die Entwicklung in Afghanistan unberücksichtigt gelassen und sei gestützt auf die zum Zeitpunkt der Abschiebung herangezogenen Länderberichte von einer im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK zulässigen Rückkehrsituation des Mitbeteiligten ausgegangen. Aufgrund der Berichterstattung über die Entwicklungen in Afghanistan sei davon ausgehen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan als extrem volatil einzustufen sei.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision wendet sich ausschließlich gegen den Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses. Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wiederholt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Rechtsansicht, es sei bei der Prüfung, ob der Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sei, auf die im Zeitpunkt der Abschiebung des Mitbeteiligten gegebene Sachlage abzustellen gewesen. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob diese Rechtsauffassung zutreffend sei.

14       Zur der hier in Rede stehenden Frage existiert allerdings bereits - aktuelle, auch auf unionsrechtliche Vorgaben Bedacht nehmende - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006; diese Entscheidung wird im Übrigen von der revisionswerbenden Behörde auch ausdrücklich zitiert). Nach dieser Rechtsprechung ist in jenem Fall, in dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH Ro 2019/14/0006, Rn. 51; vgl. weiters die in dieser Entscheidung getätigten Ausführungen, welche Teile der bisherigen Rechtsprechung zur Zurückweisung von asylrechtlichen Folgeanträgen wegen entschiedener Sache infolge unionsrechtlicher Vorgaben nicht weiter aufrechtzuerhalten sind, Rn. 74 ff).

15       Mit der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterbreiteten Rechtsansicht verfolgt diese Behörde somit in Wahrheit das Ansinnen, dass der Verwaltungsgerichtshof von dieser Rechtsprechung abgehen möge. Dafür bieten aber die Ausführungen in der Revision keinen Anlass. Den vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zitierten Regelungen ist kein Inhalt dergestalt zu entnehmen, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache auf den Zeitpunkt einer zeitlich vor dieser behördlichen Entscheidung vorgenommenen Abschiebung abzustellen wäre.

16       Mit dem übrigen Vorbringen spricht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wiederum nicht die hier vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Überprüfung der Rechtmäßigkeit der wegen entschiedener Sache erfolgten Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz an. Von den Fragen, die sich darauf beziehen, ob einem nicht in Österreich aufhältigen Fremden ein Schutzstatus zuerkannt werden könne (ob also dem Antrag wegen Fehlens eines Aufenthalts im Bundesgebiet keine Folge zu geben oder das weitere Verfahren - etwa nach § 24 AsylG 2005 - einzustellen sein wird) und ob - wenn eine Schutzgewährung trotz Aufenthalts im Ausland in Betracht käme - der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Mitbeteiligten wegen seiner Straftaten sowie der deswegen erfolgten Verurteilung Ausschlussgründe entgegenstünden (ob also der Antrag infolgedessen abzuweisen sein wird), hängt fallbezogen die Revision angesichts des oben dargestellten Gegenstands des hier abgeführten Beschwerdeverfahrens nicht ab.

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 25. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200074.L00

Im RIS seit

20.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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