TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/25 Ra 2021/20/0448

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Veröffentlicht am 25.04.2022
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Eisner und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revisionen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 20. Oktober 2021, 1. G305 2207953-1/31E, 2. G305 2207951-1/33E, und 3. G305 2207949-1/33E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Parteien: 1. H A, 2. S A, und 3. S A, alle in A, alle vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden in den Spruchpunkten A) II. bis A) IV. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die mitbeteiligten Parteien sind Staatsangehörige des Irak und stammen aus Basra. Sie sind der Ethnie der irakischen Araber und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig. Der Drittmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte sind miteinander verheiratet. Der Erstmitbeteiligte ist ihr gemeinsamer im November 2000 geborener Sohn.

2        Der Drittmitbeteiligte stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 17. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Von der Zweitmitbeteiligten und dem - damals 15-jährigen - Erstmitbeteiligten (diese hatten den Irak etwa fünf Monate nach dem Drittmitbeteiligten verlassen) wurden am 10. Februar 2016 nach unrechtmäßiger Einreise in Österreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

3        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies sämtliche Anträge mit den Bescheiden je vom 30. August 2018 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt I.) sowie des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (jeweils Spruchpunkt II.). Unter einem sprach die Behörde jeweils aus, dass den mitbeteiligten Parteien ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (jeweils Spruchpunkt III.), gegen sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung erlassen (jeweils Spruchpunkt IV.), und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde jeweils nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

4        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit den Erkenntnissen je vom 20. Oktober 2021 ab, soweit sie sich jeweils gegen die Versagung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichtet hatten [Spruchpunkt A) I.]. Jedoch wurden die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass den mitbeteiligten Parteien der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt [Spruchpunkt A) II.] und ihnen jeweils gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten erteilt wurde [Spruchpunkt A) III.]. Die Spruchpunkte III. bis VI. der Bescheide vom 30. August 2018 wurden ersatzlos behoben [Spruchpunkt A) IV.]. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.

5        In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es den mitbeteiligten Parteien nicht gelungen sei, die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft zu machen.

6        Jedoch - so das Bundesverwaltungsgericht weiter - lägen die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz vor. Speziell die Zweitmitbeteiligte „könnte, ihren Gesundheitszustand berücksichtigend, derzeit in eine Situation geraten, die ihrer Gesundung hinsichtlich ihrer Asthmaerkrankung“ hinderlich sei. „Auch die familiäre Struktur“ lasse es derzeit als nicht wahrscheinlich erscheinen, dass eine sichere Rückkehr in den Irak möglich sei, „zumal die Familie auch nicht in jenen Personenkreis eingegliedert werden“ könne, „der laut der EASO-Country Guidance Iraq ungefährdet in die Heimatregion zurückkehren“ könne. Eine Rückführung der mitbeteiligten Parteien „würde diese daher in ihren Rechten nach Art. 3 EMRK verletzen“. Eine innerstaatliche Fluchtalternative scheide „ob der derzeitigen Sicherheitslage für zurückkehrende Familien, aber auch ob der Tatsache, dass selbst alleinstehenden Männern laut EASO lediglich Bagdad, Erbil und Basra als Rückkehrdestinationen dienen, im gesamten Irak aus“. „Die in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat getroffenen Konstatierungen zur Situation in der Provinz“ verdeutlichten zudem, dass die mitbeteiligten Parteien im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine die Existenz bedrohende Situation geraten könnten.

7        Da den mitbeteiligten Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, sei ihnen nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 auch jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Die übrigen in den Bescheiden enthaltenen Aussprüche seien ersatzlos zu beheben, weil in allen Fällen die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung weggefallen seien.

8        Die Erhebung einer Revision sei in allen Fällen nicht zulässig, weil die Notwendigkeit der Lösung konkreter Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG weder in den Beschwerden vorgebracht worden noch im Verfahren hervorgekommen sei.

9        Gegen die mit den Spruchpunkten A. II. bis A) IV. getroffenen Entscheidungen wendet sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit den vorliegenden Revisionen, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Die mitbeteiligten Parteien haben Revisionsbeantwortungen erstattet.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionen erwogen:

11       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Revisionen geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe gegen die Begründungspflicht verstoßen. Aus dessen Begründung gehe nicht hervor, aufgrund welcher Umstände es annehme, dass den mitbeteiligten Parteien im Fall der Rückkehr nach Basra, die ihre Heimatstadt sei, eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe. Das Bundesverwaltungsgericht beziehe sich bloß auf den Gesundheitszustand der Zweitmitbeteiligten sowie auf eine drohende Existenzgefährdung und die fehlende Sicherheit in Bezug auf die Spannungen zwischen den USA und dem Iran. Es habe aber selbst festgehalten, dass die Asthmaerkrankung und der niedrige Blutdruck der Zweitmitbeteiligten keine schwerwiegenden Erkrankungen darstellten und einer Rückführung in den Herkunftsstaat grundsätzlich nicht entgegenstünden. Weiters habe es darauf verwiesen, dass die Zweitmitbeteiligte bereits im Herkunftsstaat eine Behandlung ihrer Erkrankung „erfahren“ habe. Somit stünden die rechtlichen Ausführungen mit den getroffenen Feststellungen „im Widerspruch“. Anhand der Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts lasse sich für den Fall der Rückkehr der Zweitmitbeteiligten auch keine ernste, rasche und unwiederbringliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ableiten, die für sie mit einem intensiven Leiden oder einer erheblichen Verkürzung ihrer Lebenserwartung verbunden wäre. Auf der Grundlage des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts sei dies vielmehr zu verneinen. Auch die nicht näher begründete rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, den mitbeteiligten Parteien drohe „eine Existenzgefährdung iSd Art. 3 EMRK im Irak“, lasse sich nicht mit den Feststellungen in Einklang bringen. Worin das Bundesverwaltungsgericht die für die Annahme einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation von der Rechtsprechung geforderten exzeptionellen Umstände erblicke, sei nicht zu erkennen. Soweit es zur Untermauerung des Vorliegens eines Rückkehrhindernisses auf die EASO Country Guidance Irak 2021 verweise, denen zufolge Familien mit Kindern eine Rückkehr nach Basra nicht zumutbar sei, sei zu entgegnen, dass sich die zitierten Ausführungen auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative bezögen. Basra sei aber die Heimatstadt der mitbeteiligten Parteien. Auf die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative kommt es daher nicht an. Zudem sei der Erstmitbeteiligte bereits (seit November 2018) volljährig.

12       Aufgrund dieses Vorbringens erweisen sich die Revisionen als zulässig und begründet.

13       Das Bundesverwaltungsgericht ist aus den nachstehenden Gründen in maßgeblicher Weise von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK - auf eine solche bezieht sich das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der hier erfolgten Gewährung von subsidiärem Schutz - eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

15       Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

16       Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen.

17       Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zu sämtlichen Aspekten dieser Rechtsprechung VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).

18       Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jüngst im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark, 57467/15 (auszugsweise in deutscher Sprache wiedergegeben in NLMR 6/2021, 508 ff), neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen (Rn. 130). Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (Rn. 135; vom EGMR in der Rn. 140 auch als „Schwellentest“ [„threshold test“] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen [„As noted in paragraph 135 above, it is only after that test is met that any other questions, such as the availability and accessibility of appropriate treatment, become of relevance.“]).

19       Die von der Zweitmitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung vertretene Ansicht, es sei für die Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK nicht weiter relevant, dass sie an „keiner schweren, akut lebensbedrohlichen Erkrankung“ leide, ist daher in dieser Allgemeinheit nicht zu teilen.

20       Soweit es den Gesundheitszustand der Zweitmitbeteiligten betrifft, führte das Bundesverwaltungsgericht unter der Überschrift „Feststellungen“ aus, dass sie seit dem Jahr 1991 als Folge einer Rauchgasexplosion unter Asthma leide, das im Krankenhaus von Basra behandelt worden sei. Seit ihrer Ankunft in Österreich habe sich ihr Gesundheitszustand verbessert. Sie inhaliere zweimal täglich ein Präparat aus einem Asthmaspray; einen weiteren Spray setze sie bei Bedarf ein. Seit kurzem leide sie zudem unter niedrigem Blutdruck. Diese Erkrankungen seien nicht als schwerwiegend einzustufen, weshalb sie einer Rückführung grundsätzlich nicht im Wege stünden.

21       Ausgehend davon ist nicht zu sehen, dass jene - oben dargestellte - hohe Schwelle überschritten wäre, die nach der Rechtsprechung in Bezug auf Erkrankungen zu einer Verletzung des mit Art. 3 EMRK geschützten Rechts führen könnte. Es wird vom Bundesverwaltungsgericht weder dargelegt, dass die Zweitmitbeteiligte lebensbedrohlich erkrankt wäre und durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, noch werden stichhaltige Gründe angeführt, infolge deren sie mit einem realen Risiko konfrontiert sein würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Herkunftsstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.

22       Schon deshalb ist am Boden der vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht davon auszugehen, dass es der Gesundheitszustand der Zweitmitbeteiligten gerechtfertigt hätte, eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK für den Fall der Rückführung in ihr Heimatland anzunehmen.

23       Es bleibt aber zudem auch im Dunkeln, worauf das Bundesverwaltungsgericht mit seinen - im Rahmen der Beweiswürdigung getätigten - Ausführungen, die „ob der COVID-19 Pandemie angespannte medizinische Versorgung im Irak“ sei „in Verbindung mit den gesundheitlichen Dispositionen“ der Zweitmitbeteiligten „zusätzlich in einem Blickwinkel zu sehen, der eine Rückkehr der Familie derzeit ausschließt“ abzielt. Dass die medizinische Versorgung im Irak - im Besonderen in Großstädten wie etwa Basra - nicht gewährleistet wäre, kann anhand der dazu vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht gesagt werden. Feststellungen zu den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf das Gesundheitssystem im Irak im Allgemeinen und in Basra im Speziellen hat das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen nicht getroffen.

24       Auch die weiteren rechtlichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts stellen sich als von den Feststellungen nicht ausreichend gedeckt dar. Worauf sich das Bundesverwaltungsgericht bezieht, wenn es die Ansicht vertritt, „die familiäre Struktur“ der mitbeteiligten Parteien lasse es „derzeit als nicht wahrscheinlich erscheinen, dass eine sichere Rückkehr in den Irak möglich“ sei, geht aus der angefochtenen Entscheidung nicht hervor.

25       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidungen auch der Erstmitbeteiligte - bereits seit längerem - volljährig war. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts sei der Drittmitbeteiligte in Basra geboren und habe dort seine Schulbildung (sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule, drei Jahre Gymnasium) erhalten. Seinen Lebensunterhalt habe er zunächst als Koordinator im Gesundheitsministerium und später als Verkaufsleiter und Produkthändler für ein näher genanntes Unternehmen verdient. Er habe bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit den weiteren mitbeteiligten Parteien in einem „Miethaus“, welches er aufgrund seines sehr guten Verdienstes habe anmieten können, gelebt. Die Zweitmitbeteiligte sei ebenfalls in Basra geboren und habe dort ihre Schulbildung genossen (sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule). Von ihrer Mutter habe sie den Beruf der Schneiderin erlernt, den sie zu Hause ausgeübt habe. Auch der Erstmitbeteiligte habe - wie seine Mutter - sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Mittelschule besucht. Der Drittmitbeteiligte habe für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen können. Bis zum achten Ehejahr habe die Familie bei den Eltern des Drittmitbeteiligten in einem Haus gewohnt, bevor sie aufgrund der verbesserten finanziellen Lage in das bereits erwähnte „Miethaus“ im Stadtteil al-Maqal von Basra umgezogen sei. Weiters traf das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zu den Lebensverhältnissen der - überwiegend ebenfalls in Basra lebenden und arbeitenden - Verwandten der mitbeteiligten Parteien.

26       Warum anhand dieser Feststellungen der rechtliche Schluss gezogen werden könnte, „die familiäre Struktur“ der mitbeteiligten Parteien stehe ihrer Rückkehr in den Irak entgegen, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Aus den Feststellungen ergeben sich keine konkreten Gründe, weshalb es den mitbeteiligten Parteien im Fall der Rückkehr in ihre Heimatstadt nicht (wie schon bisher) möglich sein sollte, dort für den zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz notwendigen Unterhalt Sorge tragen zu können.

27       Weiters enthält die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts - im Rahmen der Beweiswürdigung - die Erwägungen, die Länderberichte zum Irak, speziell zur Herkunftsregion der mitbeteiligten Parteien, aber auch die Entwicklungen der letzten Monate im Hinblick auf die Spannungen zwischen den USA und dem Iran, die den Irak teilweise zum Spielball internationaler Interessen hätten werden lassen, verdeutlichten, dass „derzeit mit einer sicheren Rückkehr nicht zu rechnen“ sei.

28       Auch mit diesen Ausführungen, die sich nicht näher mit den zur Lage in Basra getroffenen Feststellungen auseinandersetzen und auch nicht damit befassen, welche Situation die mitbeteiligten Parteien bei ihrer Rückkehr in ihre Heimatstadt vorfänden, wird vom Bundesverwaltungsgericht - anders als die mitbeteiligten Parteien in der Revisionsbeantwortung meinen - nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise dargelegt, dass es geboten wäre, ihnen subsidiären Schutz zuzuerkennen. Auf welche im Herkunftsstaat im Allgemeinen und in Basra im Speziellen gegebene Situation sich das Bundesverwaltungsgericht bezieht, legt es nicht offen. Dazu, ob und inwieweit sich „Spannungen zwischen den USA und dem Iran“ auf die konkrete Situation in Basra auswirkten, wurden vom Bundesverwaltungsgericht keine Feststellungen getroffen.

29       Nach den zur Lage in Basra getroffenen Feststellungen kann aber auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die mitbeteiligten Parteien im Fall eines Aufenthalts in der Stadt Basra konkret mit willkürlicher Gewalt solchen Ausmaßes konfrontiert wären, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erschiene, dass sie tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes würden.

30       Davon kann nämlich nach dem oben Gesagten selbst in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten ließe.

31       Das Bundesverwaltungsgericht trifft Feststellungen unter der Überschrift „Gouvernement Basra“ zur allgemeinen Lage in dieser Region. Es ist aber diesen Feststellungen nicht zu entnehmen, ob sich die in diesem Kapitel geschilderte Zahl der als „sicherheitsrelevant“ eingestuften Vorfälle, die sich in der Zeit von Anfang Dezember 2020 bis Ende Mai 2021 ereignet hätten, auf das gesamte Gebiet des Gouvernements Basra oder (allenfalls: allein) auf dessen Hauptstadt Basra bezieht. Weiters kann anhand der Feststellungen nicht hinreichend beurteilt werden, inwieweit mit der Aussage, es habe in diesem Zeitraum „304 sicherheitsrelevante Vorfälle“ gegeben, auch solche Vorfälle erfasst wurden, in denen die Ausübung von (willkürlicher) Gewalt nicht zu erwarten war, zumal im danach folgenden Klammerausdruck auch Vorfälle erwähnt werden, die nicht von vornherein als jedenfalls immer mit Gewalt einhergehend einzustufen sind, wie etwa Protestkundgebungen). Aber selbst dann, wenn eine nicht unbeträchtliche Zahl der Vorfälle der Stadt Basra zuzuordnen wäre, ließe sich nicht beurteilen, ob jene Vorfälle, bei denen letztlich Gewalt (auch) gegen Zivilisten ausübt wurden, sich auf das gesamte Stadtgebiet oder bloß Teile davon oder sich auf bestimmte Ziele (etwa solche, die die Ausübung von Staatsgewalt repräsentierten) bezogen hätten (wobei sich in der Begründung des Bundesverwaltungsgericht zudem auch keine Feststellungen zur Zahl der Einwohner und der Größe des Stadtgebietes von Basra finden).

32       Dass somit jene oben genannten Schwelle erreicht wäre, wonach allein schon die Anwesenheit in (der Stadt) Basra aufgrund der dort gegebenen Sicherheitslage dazu führen könnte, dass von einem „real risk“ der Verletzung der von Art. 3 EMRK geschützten Rechte auszugehen wäre, kann demnach aus den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen - auch wenn anlässlich der Wiedergabe von Informationen über „Stammeskonflikte in Basra“ davon die Rede ist, dass „[l]aut UNHCR [...] die Situation in Basra aufgrund der hohen Anzahl an Konflikten, einschließlich Stammeskonflikten, problematisch“ sei, wobei sich die Ausführungen zu diesen Stammeskonflikten (die häufig aus der Frage der Nutzung von Wasserquellen resultierten) gleichfalls auf die darin genannte „Provinz Basra“ beziehen - nicht abgeleitet werden. Somit war auch aus diesem Blickwinkel die Beleuchtung der konkret die mitbeteiligten Parteien betreffenden Situation, die im Übrigen nicht durch eine besondere Vulnerabilität der Familienmitglieder gekennzeichnet ist, unumgänglich (vgl. zur Möglichkeit der Rückkehr einer aus Basra stammenden Familie mit minderjährigen Kindern aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK etwa VwGH 10.9.2021, Ra 2021/18/0158 bis 0163; vgl. weiters zu Basra und der Notwendigkeit einer konkret den Einzelfall betrachtenden Beurteilung in Bezug auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz VwGH 2.11.2021, Ra 2021/14/0332, sowie VfGH 23.9.2019, E 1138/2019 u.a.).

33       Somit unterliegt das Bundesverwaltungsgericht einem Rechtsirrtum, wenn es davon ausgeht, die von ihm getroffenen Feststellungen hätten dazu zu führen, dass den mitbeteiligten Parteien der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wäre.

34       Die der Anfechtung unterzogenen Entscheidungen waren somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG in diesen Aussprüchen sowie in jenen Spruchpunkten, die infolgedessen ihre rechtliche Grundlage verlieren, aufzuheben.

35       Bei diesem Ergebnis war den mitbeteiligten Parteien nach § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Wien, am 25. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021200448.L00

Im RIS seit

20.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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