TE Lvwg Erkenntnis 2022/2/20 LVwG-M-71/001-2021

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Veröffentlicht am 20.02.2022
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Entscheidungsdatum

20.02.2022

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
StVO 1960 §91

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Mag. Dr. Goldstein als Einzelrichter über eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde der Frau A, vertreten durch B Rechtsanwälte in ***, im Zusammenhang mit einer Amtshandlung durch ein Organ des Bürgermeisters der Gemeinde *** (Schneiden eines Dirndlstrauches und zweier Spirensträucher), zu Recht erkannt:

1.   Der Beschwerde, die Beschwerdeführerin sei durch das Zurückschneiden eines Dirndlstrauches und zweier Spirensträucher auf ihrem Grundstück Nr. ***, KG ***, EZ ***, in ihren Rechten verletzt worden, wird gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben. Dieser Akt wird für rechtswidrig erklärt.

2.   Die Gemeinde *** hat der Beschwerdeführerin als Rechtsträger der unterlegenen Partei gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, 1.659,60 (Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Zum Beschwerdevorbringen:

Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 erhob die Beschwerdeführerin eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde gegen das Schneiden eines Dirndlstrauches und zweier Spirensträucher auf Erdbodenniveau auf ihrem Grundstück Nr. ***, KG ***, EZ ***, durch Organe der Gemeinde ***.

Sie habe am 9. November 2021 festgestellt, dass die Sträucher auf Erdbodenniveau abgeschnitten worden waren. Laut Auskunft des Gemeindeamtes sei dies durch einen Mitarbeiter des Bauhofes der Gemeinde *** erfolgt, welcher sich auf einen Auftrag des Gemeindeamtes berufen habe.

Das Schneiden der Sträucher sei ohne Wissen und Einverständnis der Beschwerdeführerin erfolgt. Die seitens der Gemeinde herangezogene Bestimmung des § 91 StVO 1960 ermächtige nur die Bezirksverwaltungsbehörden, Grundeigentümern die Ausästung oder Entfernung von Bäumen, Sträuchern udgl. bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen bescheidmäßig vorzuschreiben. Diese Bestimmung begründe jedoch weder Rechtsgrundlage für ein „verfahrensfreies“ Zurückschneiden von Sträuchern noch eine Kompetenz der Gemeinde.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Zuerkennung von Aufwandersatz gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung.

2.   Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 wurde die belangte Behörde eingeladen, binnen drei Wochen ab Zustellung hiezu eine Gegenschrift zu erstatten und dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die bezughabenden Akten vorzulegen.

In ihrer Gegenschrift bezweifelte die belangte Behörde zunächst das Eigentum der Beschwerdeführerin an dem Grünstreifen, auf welchem sich die Sträucher befinden. Der Grünstreifen sei zudem nicht eingefriedet und habe es keinen Hinweis auf ein Eigentum der Beschwerdeführerin gegeben. Die Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin seien daher bei der Rodung des Dirndlstrauchs einem wesentlichen Irrtum unterlegen, welcher einen Schuldausschließungsgrund zugunsten der Gemeinde *** darstelle. Außerdem sei die die Rodung des Dirndlstrauchs im Zuge der Ausübung einer Amtspflicht erfolgt.

Die Beschwerdeführerin replizierte auf dieses Vorbringen und legte umfangreiche Unterlagen über die Eigentumsverhältnisse am gegenständlichen Grundstück vor. Zudem wurde ein Lichtbild vorgelegt, auf welchem eine an der Einfriedung des Grundstückes angebrachten Tafel mit der Aufschrift „Privatgrundstück“ ersichtlich ist.

3.   Feststellungen:

3.1 Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. ***, KG ***, EZ ***, mit der Grundstücksadresse ***, ***.

3.2 Auf diesem Grundstück befindet sich entlang der *** eine Einfriedung, welche ca. 2 m neben dem Gehsteig der *** verläuft. Zwischen dem Gehsteig und der Einfriedung entsteht dadurch ein Grünstreifen im Ausmaß von 140 m2, der durch eine Einfahrt unterbrochen ist. Dieser Grünstreifen ist Teil des Grundstücks Nr. *** der Beschwerdeführerin. An der Einfriedung ist eine Tafel mit der Aufschrift „Privatgrundstück“ angebracht. Auf dem Grünstreifen befindet sich eine Straßenlaterne.

3.3 Es handelt sich hierbei um die ehemalige Teilfläche *** des Grundstücks ***, KG ***, die mit Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde *** vom 22. September 2000, ***, als Teil einer öffentlichen Verkehrsfläche aufgelassen und damit dem öffentlichen Verkehr entwidmet wurde. § 1 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt, dass diese Teilfläche *** mit dem Gst. Nr. *** vereinigt wird und in das Privateigentum von Frau C und Herrn D (den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführerin) übergeht. Mit Grundabtretungsurkunde vom 26. Juni 2001 wurde - zur Durchführung des Teilungsplanes des E vom 3. Juli 2000, GZ. *** - das in der Vermessungsurkunde mit *** bezeichnete Teilstück des Grundstückes *** im Ausmaß von 140 m2 von der Gemeinde *** an Herrn D und Frau C rückübertragen. Zur Herstellung der Grundbuchsordnung wurde die ausdrückliche Einwilligung zur grundbücherlichen Durchführung der Zuschreibung dieses Teilstücks zur EZ *** unter gleichzeitiger Einbeziehung in das Grundstück *** erteilt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes *** vom 12. Oktober 2001, TZ. ***, wurde die Eintragung der Zuschreibung des Teilstücks *** des Grundstückes *** zur EZ *** unter gleichzeitiger Einbeziehung in das Grundstück ***, bewilligt.

3.4 Auf diesem Grünstreifen befand sich neben der Einfahrt in einer Entfernung von ca. 70 cm zur Grundstücksgrenze in Richtung *** ein ca. 350 cm hoher Dirndlstrauch (Cornus mas) mit einem Stammumfang von 55 cm. Daran anschließend befinden sich in einer Entfernung von ca. 25 cm zur Grundstücksgrenze in Richtung *** Spirensträucher (Spiraea nipponica), die eine Hecke bilden.

3.5 In einem Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde *** an die Beschwerdeführerin vom 4. Juni 2019 wurde zunächst § 91 StVO 1960 im Volltext zitiert und finden sich im Anschluss folgende Ausführungen:

„Auch der Gehsteig ist Teil der Straße.

Es wurde gemeldet, dass die Einsicht auf die Fahrbahn der *** von der „***“ kommend durch die Hecke Ihrer Liegenschaft in ***, *** beeinträchtigt ist.

Bitte diesen Missstand umgehend beseitigen.

Besten Dank.“

3.6 Daraufhin wurde die Hecke von Mitarbeitern der Gemeinde *** auf eine Höhe von ca. 80 cm zurückgeschnitten. Auf diesem Umstand angesprochen gab eine Mitarbeiterin der Gemeinde *** gegenüber der Beschwerdeführerin an, dass es sich bei dem Grünstreifen um öffentliches Gut handle und sie berechtigt sei, die Hecke zu schneiden. Die Beschwerdeführerin wies darauf hin, dass es sich bei dem Grünstreifen um Privateigentum handelt und übergab der Mitarbeiterin der Gemeinde die unter Punkt 3.3 angeführten Unterlagen.

3.7 Im Herbst 2021 wurde die Hecke erneut durch einen Mitarbeiter der Gemeinde *** zurückgeschnitten. Die Spirensträucher wurden von einer Höhe von ca. 1 m auf eine Höhe von maximal 40-50 cm zurückgeschnitten. Der Dirndlstrauch wurde auf Erdbodenniveau abgeschnitten.

3.8 Die Beschwerdeführerin erlangte hiervon erstmals am 9. November 2021 im Rahmen eines Liegenschaftsbesuches Kenntnis. In einem Telefonat zwischen dem Ehemann der Beschwerdeführerin und einer Mitarbeiterin der Gemeinde *** berief sich diese auf das Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde *** vom 4. Juni 2019, aus welchem hervorgehe, dass die Gemeinde zum Zurückschneiden der Hecke berechtigt sei.

3.9 Die unter Punkt 3.3 angeführte Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde *** vom 22. September 2000 wurde von Bürgermeister E unterfertigt, ebenso die Grundabtretungsurkunde vom 26. Juni 2001. Der Grundbuchsbeschluss vom 12. Oktober 2001 wurde laut Verteiler sowohl der Gemeinde *** als Gemeinde, als auch der Gemeinde *** als Vertreterin des öffentlichen Gutes zu Handen des Bürgermeisters zugestellt.

4.   Beweiswürdigung:

Die Feststellung zu Punkt 3.1 ergibt sich aus dem im Gerichtsakt befindlichen Grundbuchsauszug vom 03.01.2022 über das gegenständliche Grundstück.

Die Feststellungen zu den tatsächlichen Gegebenheiten unter Punkt 3.2 ergeben sich aus den im Gerichtsakt befindlichen Lichtbildern (Beilage 1 der Gegenschrift der belangten Behörde sowie Beilage 8 der Replik der Beschwerdeführerin). Die Feststellungen zur Größe des Grünstreifens ergeben sich aus dem Teilungsplan des E vom 3. Juli 2000, GZ. ***. Die Feststellung, wonach der Grünstreifen Teil des Grundstücks Nr. *** der Beschwerdeführerin ist, ergibt sich aus dem im Gerichtsakt befindlichen Katasterplan (Beilage 6 der Replik der Beschwerdeführerin), aus welchem eindeutig ersichtlich ist, dass die nördliche Grundstücksgrenze des Grundstücks Nr. *** im Vergleich zum Verlauf der Grundstücksgrenze des öffentlichen Gutes auf dem Grundstück Nr. *** um etwa 2 m versetzt ist. Dies entspricht schließlich auch dem genannten Teilungsplan und wird auch durch die weiteren, unter Punkt 3.3 angeführten Unterlagen bekräftigt.

Die Feststellungen zu Punkt 3.3 ergeben sich aus den jeweils hierin genannten Unterlagen, welche sich im Gerichtsakt befinden (Beilagen 1 bis 5 der Replik der Beschwerdeführerin).

Die Feststellungen zu Punkt 3.4 ergeben sich aus den glaubwürdigen und unbestritten gebliebenen Angaben der Beschwerdeführerin. Mit Ausnahme der (nicht mehr vorhandenen Höhe der Sträucher) ergeben sich die Feststellungen auch aus den im Gerichtsakt befindlichen Lichtbildern (Beilage 1 der Gegenschrift der belangten Behörde sowie Beilage 8 der Replik der Beschwerdeführerin).

Die Feststellungen zu Punkt 3.5 ergeben sich aus dem hierin zitierten Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde ***, welches sich als Beilage zur Maßnahmenbeschwerde im Gerichtsakt befindet.

Die Feststellungen zu Punkt 3.6 ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu Punkt 3.7 ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung, den im Gerichtsakt befindlichen Lichtbildern (Beilage 1 der Gegenschrift der belangten Behörde sowie Beilage 8 der Replik der Beschwerdeführerin) sowie der in diesem Umfang übereinstimmenden Aussage des Mitarbeiters der Gemeinde *** im Rahmen der der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Eine Feststellung über das exakte Ausmaß des Zurückschneidens der Spirensträucher konnte mangels Relevanz für die rechtliche Beurteilung unterbleiben, zumal durch das Zurückschneiden jedenfalls ein Eigentumseingriff vorliegt.

Die Feststellungen zu Punkt 3.8 ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin sowie ihres Vertreters im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sind keine Umstände hervorgekommen, die hierüber hätten Zweifel aufkommen lassen.

Die Feststellungen zu Punkt 3.9 ergeben sich aus den unter Punkt 3.3 genannten Unterlagen, welche sich im Gerichtsakt befinden (Beilagen 1 bis 5 der Replik der Beschwerdeführerin).

5.   Rechtslage:

Die einschlägigen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 154/2021 lauten auszugsweise:

„[…]

§ 91. Bäume und Einfriedungen neben der Straße.

(1) Die Behörde hat die Grundeigentümer aufzufordern, Bäume, Sträucher, Hecken und dergleichen, welche die Verkehrssicherheit, insbesondere die freie Sicht über den Straßenverlauf oder auf die Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs oder welche die Benützbarkeit der Straße einschließlich der auf oder über ihr befindlichen, dem Straßenverkehr dienenden Anlagen, z. B. Oberleitungs- und Beleuchtungsanlagen, beeinträchtigen, auszuästen oder zu entfernen.

(2) Ein Anspruch auf Entschädigung für die Ausästung oder Beseitigung (Abs. 1) besteht nur bei Obstbäumen, die nicht in den Luftraum über der Straße hineinragen. Über die Entschädigung entscheidet die Behörde nach den Bestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954.

(3) An Einfriedungen, die von einer Straße nicht mehr als zwei Meter entfernt sind, dürfen spitze Gegenstände, wie Stacheldraht und Glasscherben, nur in einer Höhe von mehr als zwei Metern über der Straße und nur so angebracht werden, daß eine Gefährdung der Straßenbenützer nicht möglich ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 93/2009)

(5) Frisch gestrichene Gegenstände auf oder an der Straße müssen, solange sie abfärben, auffallend kenntlich gemacht werden.

[…]

§ 94b. Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde

(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist – der Landespolizeidirektion ergibt, die Bezirksverwaltungsbehörde

a)

für die Verkehrspolizei, das ist die Überwachung der Einhaltung straßenpolizeilicher Vorschriften und die unmittelbare Regelung des Verkehrs durch Arm- oder Lichtzeichen, nicht jedoch für die Verkehrspolizei auf der Autobahn,

b)

für die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden,

c)

für die Entfernung von Hindernissen (§ 89a) mit Ausnahme der Erlassung von Verordnungen nach § 89a Abs. 7a,

d)

für Hinweise auf Gefahren und sonstige verkehrswichtige Umstände, unbeschadet des Rechtes des Straßenerhalters nach § 98 Abs. 3,

e)

für die Führung des Verzeichnisses von Bestrafungen nach § 96 Abs. 7,

f)

für die Sicherung des Schulweges (§§ 29a und 97a),

g)

für die Anordnung der Teilnahme am Verkehrsunterricht und die Durchführung des Verkehrsunterrichtes (§ 101),

h)

für die Feststellung von unfallverhütenden Maßnahmen gemäß § 96 Abs. 1.

(2) Die Bezirksverwaltungsbehörde ist ferner Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes für Personen, die ihren Hauptwohnsitz im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde haben

(Anm.: lit. a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 39/2013)

b)

für die Erteilung einer Bewilligung sowie die Ausstellung eines Radfahrausweises nach § 65 Abs. 2.

§ 94c. Übertragener Wirkungsbereich der Gemeinde

(1) Die Landesregierung kann durch Verordnung von der Bezirksverwaltungsbehörde zu besorgende Angelegenheiten (§ 94b), die nur das Gebiet einer Gemeinde betreffen, wenn und insoweit dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit gelegen ist, dieser Gemeinde übertragen. Bei der Besorgung der übertragenen Angelegenheiten tritt die Gemeinde an die Stelle der Bezirksverwaltungsbehörde. Vor Erlassung der Verordnung ist der Bezirksverwaltungsbehörde Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(2) Die Übertragung kann sich, sofern sich aus Abs. 3 nichts anderes ergibt, sowohl auf gleichartige einzelne, als auch auf alle im § 94b bezeichneten Angelegenheiten hinsichtlich einzelner oder aller Straßen beziehen. Angelegenheiten des Verwaltungsstrafverfahrens mit Ausnahme der Vollziehung des § 50 VStG und Angelegenheiten des Verkehrsunterrichtes (§ 101) sind von der Übertragung ausgeschlossen. Die Übertragung ist durch Verordnung zu widerrufen oder einzuschränken, wenn die Voraussetzungen, unter denen sie erfolgt ist, überhaupt weggefallen bzw. nicht mehr im seinerzeitigen Umfang gegeben sind.

(3) Sofern eine Gemeinde über einen Gemeindewachkörper verfügt, kann ihr die Handhabung der Verkehrspolizei (§ 94b Abs. 1 lit. a) durch diesen übertragen werden. Hiebei können alle oder nur bestimmte Angelegenheiten der Verkehrspolizei hinsichtlich aller oder nur einzelner Straßen übertragen werden. Die Ermächtigung der übrigen Organe der Straßenaufsicht, die Verkehrspolizei im Gemeindegebiet zu handhaben, bleibt unberührt.

§ 94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:

1.

die Erlassung von Verordnungen nach § 20 Abs. 2a,

1a.

die Bewilligung von Ausnahmen nach § 24 Abs. 8,

1b.

die Bestimmung von Kurzparkzonen (§ 25),

1c.

die Erlassung einer Verordnung nach § 25 Abs. 5,

2.

das Verbot oder die Einschränkung von Wirtschaftsfuhren (§ 30 Abs. 6),

3.

die Verpflichtung eines Anrainers, die Anbringung von Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs zu dulden (§ 33 Abs. 1),

3a.

die Erlassung von Bescheiden betreffend Vermeidung von Verkehrsbeeinträchtigungen (§ 35),

4.

die Erlassung von Verordnungen nach § 43, mit denen

a)

Beschränkungen für das Halten und Parken,

b)

ein Hupverbot,

c)

ein Benützungsverbot für Radfahranlagen durch Rollschuhfahrer oder

d)

Geschwindigkeitsbeschränkungen

erlassen werden,

4a.

die Erlassung von Verordnungen nach § 43 Abs. 2a,

5.

Hinweise auf Gefahren und sonstige verkehrswichtige Umstände, unbeschadet des diesbezüglichen Rechtes des Straßenerhalters nach § 98 Abs. 3,

6.

die Bewilligung von Ausnahmen (§ 45) von den erlassenen Beschränkungen und Verboten,

7.

die Bewilligung der Ladetätigkeit nach § 62 Abs. 4 und 5,

8.

die Bestimmung von Fußgängerzonen und die Bewilligung von Ausnahmen für Fußgängerzonen (§ 76a),

8a.

die Bestimmung von Wohnstraßen (§ 76b),

8b.

die Bestimmung von Fahrradstraßen einschließlich der Bewilligung von Ausnahmen für Fahrradstraßen (§ 67),

8c.

die Bestimmung von Begegnungszonen (§ 76c),

9.

die Bewilligung nach § 82,

10.

die Bewilligung von Werbungen und Ankündigungen (§ 84 Abs. 3),

11.

die Anweisung eines Platzes zur Ausübung der Bettelmusik (§ 85 Abs. 3),

12.

die Entgegennahme der Anzeigen von Umzügen (§ 86), sofern sich nicht aus § 95 die Zuständigkeit der Landespolizeidirektion ergibt,

13.

die Erlassung von Verordnungen nach § 87 Abs. 1 (Wintersport auf Straßen),

14.

die Erlassung von Verordnungen nach § 88 Abs. 1 (Spielen auf Straßen, Rollschuhfahren auf Fahrbahnen),

15.

die Entfernung von Hindernissen (§ 89a),

15a.

Die Erlassung von Verordnungen nach § 89a Abs. 7a (Tariffestsetzung für die Entfernung und Aufbewahrung von Hindernissen),

16.

die Bewilligung von Arbeiten (§ 90) einschließlich der Erlassung der durch diese Arbeiten erforderlichen Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen,

17.

die Verpflichtung, Straßenverunreinigungen zu beseitigen bzw. die Kosten hiefür zu tragen (§ 92 Abs. 3),

18.

die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden nach § 93 Abs. 4 und 6 (Pflichten der Anrainer),

19.

die Handhabung der Bestimmungen des § 96 Abs. 4,

20.

die Sicherung des Schulweges (§§ 29a und 97a),

21.

die Erlassung von Verordnungen nach § 88b Abs. 1 StVO.

[…]“

6.   Erwägungen:

6.1 Zur Qualifizierung als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Bei der Wahrnehmung von Maßnahmen im Zusammenhang mit Bäumen, Sträuchern und Hecken neben der Straße im Sinne des § 91 StVO 1960 handelt es sich um eine öffentliche Aufgabe, zu der die zuständigen Verwaltungsbehörden gesetzlichen verpflichtet sind. Auf Grund des Schreibens des Bürgermeisters der Gemeinde *** an die Beschwerdeführerin vom 4. Juni 2019 unter Zitierung des § 91 StVO 1960 sowie der neuerlichen Berufung auf dieses Schreiben durch eine Mitarbeiterin der Gemeinde im Herbst 2021 ist davon auszugehen, dass sich die Gemeinde (fälschlicherweise) für die Vornahme solcher Maßnahmen als zuständig erachtete. Dies wurde zudem dadurch untermauert, dass sich die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift auf die Ausübung einer Amtspflicht zur Wahrung der Verkehrssicherheit berief. Das Schneiden der Sträucher war somit als einseitig hoheitliches Verwaltungshandeln, insbesondere als Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren (vgl. VfSlg 13.533/1993 zur Qualifizierung der Entfernung von Hindernissen auf Straßen als Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß der ständigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes).

Die Besorgung behördlicher Aufgaben obliegt sowohl im eigenen als auch im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde dem Bürgermeister (§ 38 Abs. 1 Z 2 und § 39 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973; Art. 119 Abs. 2 B-VG; siehe auch VfSlg 15.879/2000).

Das Schneiden der Sträucher durch einen Mitarbeiter des Bauhofes der Gemeinde *** ist daher dem Bürgermeister als belangte Behörde zuzurechnen.

 

6.2 Zum Vorbringen einer fehlenden Beschwer

Die belangte Behörde bringt vor, dass die Beschwerdeführerin keine Beschwer habe, weil über die Haftpflichtversicherung der Gemeinde *** bereits Schadensersatz für den Dirndlstrauch in der Höhe von 1.111,05 € freigegeben worden sei und die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Spirensträucher keinen Schadensersatz verlangt habe.

Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass das Zurückschneiden sämtlicher Sträucher einen Eingriff in das Eigentum der Beschwerdeführerin darstellt. Ob diesbezüglich Schadensersatz geleistet oder verlangt wird, hat keinen Einfluss auf den bereits entstandenen Eigentumseingriff.

Eine Person, die behauptet, durch Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt verletzt zu sein, hat ein subjektiv-öffentliches Recht darauf, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird (VwGH 05.12.2017, Ra 2017/01/0373). Zumal die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Amtshandlung von der belangten Behörde weiterhin bestritten wird, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Beschwerdeführerin keine Beschwer habe.

6.3 Zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme

Gemäß § 91 Abs. 1 StVO 1960 hat die Behörde die Grundeigentümer aufzufordern, Bäume, Sträucher, Hecken und dergleichen, welche die Verkehrssicherheit, insbesondere die freie Sicht über den Straßenverlauf oder auf die Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs oder welche die Benützbarkeit der Straße einschließlich der auf oder über ihr befindlichen, dem Straßenverkehr dienenden Anlagen, zB Oberleitungs- und Beleuchtungsanlagen, beeinträchtigen, auszuästen oder zu entfernen.

Hierbei handelt es sich um einen Entfernungsauftrag, den die zuständige Verwaltungsbehörde mit Bescheid aufzutragen hat (vgl. etwa VwGH 16.11.2012, 2012/02/0133). Die Bestimmung des § 91 bietet jedoch keine Rechtsgrundlage für verfahrensfreie Maßnahmen (VwGH 26.01.2001, 98/02/0420).

Die Bestimmung des § 94d StVO 1960 über den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde normiert keine Zuständigkeit zur Erlassung von Bescheiden gemäß § 91 Abs. 1 StVO 1960. Eine entsprechende Zuständigkeit wurde der Gemeinde *** auch nicht durch Verordnung der NÖ Landesregierung gemäß § 94c StVO 1960 übertragen.

Im gegenständlichen Fall ist daher für die Erlassung von Bescheiden gemäß § 91 Abs. 1 StVO 1960 die Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 94 Abs. 1 lit. b StVO 1960 zuständig (siehe auch Pürstl, StVO-ON15.00 § 91 Anm. 3; Stand 01.10.2019,rdb.at).

Für die gegenständliche Amtshandlung bestand daher weder eine abstrakte Zuständigkeit der Gemeinde *** und wäre das Schneiden der Sträucher außerdem (durch die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde) mit Bescheid aufzutragen gewesen. Mangels Rechtsgrundlage für den mit dem Schneiden der Sträucher verbundenen Eigentumseingriff erweist sich die Amtshandlung als rechtswidrig.

Die Gemeinde hätte, wenn sie von einer Verkehrsbeeinträchtigung durch die Hecke ausgeht, vielmehr die örtliche zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu informieren, damit diese ein Verfahren gemäß § 91 Abs. 1 StVO 1960 einleiten kann.

Insofern geht auch die Verantwortung der belangten Behörde ins Leere, wonach das Zurückschneiden des Dirndlstrauches in Ausübung einer Amtspflicht erfolgt sei. Die Annahme einer Amtspflicht würde nämlich eine entsprechende Rechtsgrundlage erfordern. Aus demselben Grund ist auch der von der belangten Behörde gezogene Vergleich zu einem Sicherheitswachbeamten verfehlt, „der aus dienstlichen Gründen eine Straße trotz Rotlicht zwecks Verkehrsregelung überschreiten darf“. Für derartige Handlungsweisen finden sich in der StVO 1960 nämlich entsprechende Rechtsgrundlagen (z.B. § 26 Abs. 3, § 36, § 97 StVO 1960).

Die einschreitenden Organe konnten auch nicht in vertretbarer Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für ihr Einschreiten annehmen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gemeinde keinerlei abstrakte Zuständigkeit für das Zurückschneiden von Sträuchern zukommt.

6.4 Zum Einwand eines Irrtums

Die belangte Behörde bringt schließlich vor, dass die handelnden Organe bei der Rodung der Sträucher einem wesentlichen Irrtum unterlegen seien, weil sie mangels Einfriedung davon ausgegangen seien, dass sich der Dirndlstrauch auf Gemeindegrund befinde. Dies stelle einen Schuldausschließungsgrund zugunsten der Gemeinde *** dar.

Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass Gegenstand der Prüfung durch das Verwaltungsgericht alleine ist, ob der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163). Es sind hierbei nur solche Sachverhaltselemente zu berücksichtigen, die dem einschreitenden Organ bei Anwendung der im Hinblick auf den Zeitfaktor zumutbaren Sorgfalt bekannt sein mussten (ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel des einschreitenden Organs; VwGH 05.12.2017, Ra 2017/01/0373; 25.01.1990, 89/16/0163; 06.08.1998, 96/07/0053).

Auch unter diesem Blickwinkel ist im gegenständlichen Fall jedoch davon auszugehen, dass es den handelnden Organen bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt bekannt sein hätte müssen, dass sich die gegenständlichen Sträucher nicht auf Gemeindegrund befanden. So kann der Verlauf der gegenständlichen Grundstücksgrenzen etwa ohne besondere Mühe aus dem Katasterplan entnommen werden. Auf der Einfriedung hinter dem Grünstreifen befindet sich zudem eine Tafel mit der Aufschrift „Privatgrundstück“.

Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass diese Tafel von einem unbeteiligten Dritten nicht zwangsweise mit dem Grünstreifen vor der Einfriedung in Verbindung gebracht werden muss. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist es auch durchaus zutreffend, dass sich Straßenlaternen üblicherweise auf öffentlichem Gut befinden.

Von den für die Grünflächenpflege verantwortlichen Mitarbeitern einer Gemeinde kann jedoch erwartet werden, dass Ihnen entweder die Grünflächen der Gemeinde bekannt sind oder sie sich im Falle von Unklarheiten vor dem Zurückschneiden von Sträuchern über die Eigentumsverhältnisse vergewissern - insbesondere, wenn ein ca. 350 cm hoher Strauch zur Gänze bis auf Bodenniveau abgeschnitten wird. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern für einfache Erkundungen, wie einen Blick in den Katasterplan, nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden wäre.

Wenn die Arbeitsteilung derart organisiert ist, dass durch die Mitarbeiter des Bauhofes lediglich Arbeitsaufträge des Gemeindeamtes ausgeführt werden, muss eine entsprechende Prüfung der Eigentumsverhältnisse bereits vor Auftragserteilung erfolgen.

Schließlich war ausgehend vom Ergebnis des Beweisverfahrens davon auszugehen, dass das Eigentum der Beschwerdeführerin an den Sträuchern durchaus amtsbekannt war. Insbesondere wurde die Beschwerdeführerin erst mit Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde *** vom 4. Juni 2019 aufgefordert, „die Hecke Ihrer Liegenschaft“ zurückzuschneiden. Zudem wies die Beschwerdeführerin anschließend eine Mitarbeiterin der Gemeinde unter Vorlage diverser Urkunden auf ihr Eigentum hin. Auch die Rückabtretung des Grünstreifens von der Gemeinde an die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin erfolgte bereits vor mehr als 20 Jahren, sodass ein Irrtum aufgrund kürzlicher Veränderungen ausgeschlossen werden kann.

7.   Zum Ausspruch über den Aufwandsersatz

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

Im konkreten Fall ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin als obsiegende Partei zu betrachten ist, sodass ihr antragsgemäß die Pauschalbeträge der VwG-Aufwandersatzverordnung (Schriftsatzaufwand in der Höhe von 737,60 € und Verhandlungsaufwand in der Höhe von 922,00 €) zuzuerkennen waren.

Der belangten Behörde war als unterlegene Partei kein Kostenersatz zuzusprechen.

8.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Lösung der maßgeblichen Rechtsfragen beruht vielmehr auf der jeweils zitierten Rechtsprechung sowie dem eindeutigen Wortlaut der angewendeten Bestimmungen.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Eigentum; Sträucher; freie Sicht; Verkehrssicherheit;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.M.71.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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