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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des A F F, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2021, W257 2188270-1/70E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106, 40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 11. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Laufe des Verfahrens unter anderem damit begründete, zum Christentum konvertiert zu sein und dass ihm deshalb in Afghanistan Verfolgung drohe.
2 Mit Bescheid vom 19. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 12. Juni 2020 als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
4 Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof nach Erhebung einer außerordentlichen Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil das BVwG nicht alle bei seiner Beweiswürdigung in Betracht kommenden Umstände im Hinblick auf die vorgebrachte Konversion des Revisionswerbers vollständig berücksichtigt und Erfahrungssätze angewendet hatte, ohne deren generelle Geltung näher zu begründen (vgl. VwGH 11.3.2021, Ra 2020/18/0520).
5 Im zweiten Rechtsgang wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis erneut als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, dass der Revisionswerber nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei und ihm sohin keine Rückkehrgefährdung drohe.
Dagegen wendet sich die vorliegende Revision.
7 Mit Erkenntnis vom 30. November 2021, E 3228/2021-11, hob der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.
8 Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Zu I.:
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten vor, das BVwG hätte sich damit auseinandersetzen müssen, in welcher Weise sich der Revisionswerber christlich betätige und zu diesem Zweck die Zeuginnen, deren Einvernahme der Revisionswerber beantragt habe, befragen müssen. Das BVwG habe zudem die Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorliegens einer Scheinkonversion in unvertretbarer Weise vorgenommen.
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 1.9.2021, Ra 2021/19/0253, mwN).
14 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0398, Rn. 16, mwN). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 18.10.2021, Ra 2021/19/0262, mwN).
15 Das BVwG führte im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung an zwei Terminen durch, in welcher es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte und zwei Zeuginnen einvernommen wurden. In seiner Beweiswürdigung setzte sich das BVwG mit den für die Beurteilung einer Konversion maßgeblichen Aspekten auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass - wie sich unter anderem aus den beiden Zeugenaussagen ergebe - der Revisionswerber zwar aktiv am Leben der Kirchengemeinde teilnehme, er jedoch nicht habe darlegen können, dass seine Konversion aus innerer Überzeugung erfolgt sei. Diese Annahme stützte das BVwG tragend darauf, dass der Revisionswerber vage, oberflächliche und teils widersprüchliche Angaben zu seiner behaupteten Hinwendung zum Christentum gemacht und bloß rudimentär vorhandenes Wissen über seine neue Religion gehabt habe. Vor diesem Hintergrund vermag die Revision fallbezogen nicht aufzuzeigen, dass die - ausführlich begründete - Beweiswürdigung, in der den Beanstandungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 11. März 2021 Rechnung getragen wurde, insgesamt unvertretbar wäre.
16 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang die unterbliebene Befragung von Zeugen rügt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Fall einer unterbliebenen Vernehmung - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen - in der Revision konkret darzulegen ist, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0042, mwN). Diesen Anforderungen kommt die Revision mit ihrem nicht näher konkretisierten Vorbringen, die Zeugen hätten erläutern können, dass von einer inneren Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers auszugehen sei, nicht nach.
17 Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, mangels Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Zu II.:
18 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
19 Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt u.a. dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. VwGH 30.12.2021, Ra 2021/19/0289, mwN).
20 Der Revisionswerber teilte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 26. Jänner 2022 mit, im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof klaglos gestellt zu sein.
21 Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wendet, gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 erster Satz VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. April 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190329.L00Im RIS seit
19.05.2022Zuletzt aktualisiert am
03.06.2022