TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/25 Ra 2020/01/0301

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Veröffentlicht am 25.04.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
25/01 Strafprozess
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §2 Abs3
AsylG 2005 §59 Abs4
AsylG 2005 §59 Abs5
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs3
FlKonv Art1 AbschnC
NAG 2005 §45 Abs8
StPO 1975 §37
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 2020, Zl. W123 1243000-2/17E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: Z H in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 30. November 2009 wurde in der Sache dem Mitbeteiligten, einem afghanischen Staatsangehörigen, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukomme.

2        Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. August 2018 wurde der Mitbeteiligte wegen Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten - unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren - verurteilt, hinsichtlich der weiteren Anklagepunkte (schwerer Raub und versuchte Erpressung) jedoch freigesprochen.

3        Mit Bescheid vom 24. September 2018 erkannte der Amtsrevisionswerber, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab, stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetz nicht mehr zukomme, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

4        Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass der Fluchtgrund (Konversion zum Christentum) nicht mehr bestehe und es der Mitbeteiligte daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Das Aberkennungsverfahren sei zwar erst am 13. Juni 2018 eingeleitet und der Status des Asylberechtigten sohin vor mehr als fünf Jahren zuerkannt worden, allerdings sei der Mitbeteiligte straffällig geworden, weil er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts falle, rechtskräftig verurteilt worden sei (Hinweis auf § 7 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005).

5        Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde statt, behob den angefochtenen Bescheid „zur Gänze“ und stellte fest, dass dem Mitbeteiligten auch weiterhin der Status des Asylberechtigten zukomme (A). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (B).

7        Begründend führte das BVwG aus, es sei unstrittig, dass die Asylaberkennung durch das BFA nicht innerhalb von fünf Jahren nach der Asylzuerkennung erfolgt sei.

8        Ferner sei unstrittig, dass der Mitbeteiligte mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. August 2018 wegen § 83 Abs. 1 StGB verurteilt und hinsichtlich der anderen Anklagetatbestände freigesprochen worden sei. Nach dem klaren Wortlaut gelange die Bestimmung des § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 aber nur dann zur Anwendung, wenn der Fremde wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts falle, rechtskräftig verurteilt werde. Die Straftat der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB falle gemäß § 30 StPO in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Der Mitbeteiligte sei zwar wegen Tatbeständen, die in die Zuständigkeit der Landesgerichte fielen, angeklagt, aber diesbezüglich freigesprochen worden. Die Verurteilung des Mitbeteiligten durch ein Landesgericht nach § 83 Abs. 1 StGB sei im vorliegenden Fall nur aufgrund der Prorogationsregel des § 37 StPO („Zuständigkeit des Zusammenhangs“) erfolgt. Dieser Umstand könne nicht dazu führen, dass hinsichtlich des Mitbeteiligten die Voraussetzung des § 7 Abs. 3 iVm § 2 Abs. 3 AsylG 2005 der Straffälligkeit erfüllt und der Status des Asylberechtigten abzuerkennen gewesen wäre.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG gehe davon aus, dass § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht anwendbar sei, weil die Fünfjahresfrist nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005 abgelaufen sei und der Mitbeteiligte nicht straffällig im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 geworden sei. Der Rechtsansicht, dass im vorliegenden Fall keine Straffälligkeit im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG vorliege, werde angesichts des klaren Wortlauts dieser Bestimmung nicht entgegengetreten; es liege diesbezüglich keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.

Es stelle sich jedoch die Rechtsfrage, ob nicht nur das BFA, sondern auch das BVwG verpflichtet sei, nach § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 die zuständige Aufenthaltsbehörde zu verständigen, was die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur insofern ähnlichen Konstellation nach § 59 Abs. 4 AsylG 2005 nahelege (Hinweis auf VwGH 12.12.2017, Ra 2017/22/0045). Die Revision hänge von dieser Rechtsfrage ab, weil nach Verständigung des BVwG und im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels das BVwG dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten hätte aberkennen müssen.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:

12       Die Revision ist im Hinblick auf das vorgebrachte Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur aufgezeigten Rechtsfrage zulässig; sie ist auch begründet.

13       Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (AsylG 2005), lauten auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) ...

...

(3) Ein Fremder ist im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er

1.   wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder

2.   mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist

rechtskräftig verurteilt worden ist.

...

Aberkennung des Status des Asylberechtigten

§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.   ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2.   einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3.   der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

...

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

...

Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘

§ 59. (1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen. ...

...

4) Das Bundesamt hat der örtlich zuständigen Behörde nach dem NAG unverzüglich mitzuteilen, dass

1.   die Voraussetzung des § 57 weiterhin vorliegen,

2.   der Antragsteller das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat, und

3.   die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 4 erfüllt sind.

Liegen die Voraussetzungen der Z 2 oder Z 3 nicht vor, hat das Bundesamt den Aufenthaltstitel gemäß § 57 zu erteilen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Abs. 1 ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 4 Monaten ab Einbringung des Antrages zu treffen.

(5) Im Falle einer Mitteilung gemäß Abs. 4 ist der Ablauf der Frist gemäß Abs. 4 letzter Satz gehemmt. ...“

14       § 45 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 (NAG), lautet auszugsweise:

Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU‘

§ 45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU‘ erteilt werden, wenn sie ...

...

(8) Liegt eine Verständigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl oder des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 vor, ist dem betreffenden Fremden ein Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU‘ von Amts wegen zu erteilen. Diese Amtshandlungen unterliegen nicht der Gebührenpflicht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder das Bundesverwaltungsgericht ist von der rechtskräftigen Erteilung des Aufenthaltstitels zu verständigen.

...“

15       Im vorliegenden Fall legte das BFA seinem Asylaberkennungsbescheid vom 24. September 2018 zu Grunde, dass hinsichtlich des Mitbeteiligten ein Asylendigungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 - nämlich der Wegfall der Verfolgungsgefahr im Sinne Art. 1 Abschnitt C Z 5 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK; vgl. zum Wegfall der für die Asylgewährung maßgeblichen „Umstände“ insbesondere VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, Rn. 21 ff) - eingetreten sei, und stützte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten des Mitbeteiligten - ausgehend von der Rechtsauffassung, dass der Mitbeteiligte straffällig im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 geworden sei - auf § 7 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005.

16       Demgegenüber ging das BVwG im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass eine Aberkennung nach dem ersten Satz des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 - mangels Straffälligkeit des Mitbeteiligten im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 - infolge Ablaufs der in dieser Bestimmung normierten Fünfjahresfrist nicht in Betracht komme.

17       Im vorliegenden Fall erfolgte die Asylaberkennung durch das BFA unstrittig mehr als fünf Jahre nach der Asylzuerkennung. Weiters ist die - in der Revision nunmehr auch vom BFA ausdrücklich akzeptierte - Rechtsauffassung des BVwG zutreffend, dass die Voraussetzung der Straffälligkeit im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 nicht erfüllt ist, wenn eine (einmalige) strafrechtliche Verurteilung wegen eines Delikts erfolgt, das in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fällt, und sich in concreto die Zuständigkeit des Landesgerichts zur Urteilserlassung lediglich auf eine strafprozessuale Sonderbestimmung (hier: § 37 StPO - Zuständigkeit des Zusammenhangs) gründet.

18       Lediglich einem Fremden, der im Sinn des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden ist, darf nach § 7 Abs. 3 AsylG der Status des Asylberechtigten auch aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen ohne zeitliche Einschränkung aberkannt werden (vgl. VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0372, Rn. 40).

19       Die Voraussetzungen für eine Asylaberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005 (durch das BFA) lagen somit im vorliegenden Fall nicht vor.

20       Das BFA weist in der Revision nun aber zutreffend darauf hin, dass diesfalls die Bestimmung des § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 (arg: „Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, ...“) zum Tragen kommt.

21       Wurde ein Fremder nämlich nicht straffällig, ist eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten aus den in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Gründen gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 erst nach Erteilung eines Aufenthaltstitels zulässig. Gemäß § 45 Abs. 8 NAG ist dem Fremden ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ zu erteilen. Die Erteilung dieses Aufenthaltstitels hat von Amts wegen zu erfolgen und setzt nach der letztgenannten Bestimmung lediglich eine Verständigung des BFA oder des BVwG gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 voraus. Anders als in jenen Fällen, in denen dieser Aufenthaltstitel vom Fremden angestrebt wird, hat nach § 45 Abs. 8 NAG eine Prüfung, ob die sonst zu erfüllenden Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels vorliegen, nicht stattzufinden (vgl. neuerlich das zit. hg. Erkenntnis VwGH Ra 2021/20/0372, Rn. 39).

22       Im vorliegenden Fall erfolgte eine Verständigung der Aufenthaltsbehörde im Sinne des § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 durch das BFA - offenkundig - deshalb nicht, weil dieses die Asylaberkennung zunächst auf § 7 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005 stützte.

23       Gegenstand des Verfahrens vor dem BFA und sohin auch des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG war aber die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als solche, wobei der Aberkennungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 angenommen wurde. Die Entscheidung über ein Vorgehen nach § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 - infolge Unanwendbarkeit des ersten Satzes leg. cit. - war damit von der vom BVwG zu entscheidenden Sache umfasst (vgl. allgemein zum weiten Verständnis der „Sache“ - auch des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens - bei Asylaberkennungen nach § 7 AsylG 2005 abermals VwGH Ro 2019/01/0014, Rn. 19).

24       In dieser Konstellation ist das BVwG - unbeschadet der Möglichkeit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. dazu grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) - demnach schon im Grunde des § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 verpflichtet, die dort vorgesehene Verständigung der zuständigen Aufenthaltsbehörde im Beschwerdeverfahren vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne auch das in der Revision zitierte Erkenntnis VwGH 12.12.2017, Ra 2017/22/0045, Rn. 17, zur Mitteilungspflicht nach § 59 Abs. 4 AsylG 2005). § 7 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 regelt, dass im Anschluss an eine Mitteilung der Aufenthaltsbehörde, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden kann. Das Wort „kann“ indiziert kein Ermessen, die zu treffende Entscheidung ist eine gebundene Entscheidung (vgl. idS zu § 59 Abs. 1 AVG iVm § 17 VwGVG VwGH 7.10.2019, Fr 2019/08/0008, mwN). Da das AsylG 2005 keine weiteren Voraussetzungen für eine andersartige Entscheidung als die Asylaberkennung bei einer solchen Mitteilung normiert, hat das BVwG zuzuwarten, ob eine solche Mitteilung der Aufenthaltsbehörde ergeht, und es ist erst nach einer Mitteilung berechtigt, das Aberkennungsverfahren, soweit nicht andere Aberkennungsgründe vorliegen, zu beenden (vgl. zur Hemmung der Entscheidungsfrist Rn. 26).

25       Nach der dem § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 korrespondierenden Bestimmung des § 45 Abs. 8 NAG trifft die Aufenthaltsbehörde im Fall ihrer Verständigung durch das BVwG die Verpflichtung zur Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ sowie die Verpflichtung zur Verständigung des BVwG von der rechtskräftigen Erteilung des Aufenthaltstitels.

26       § 7 Abs. 3 AsylG 2005 trifft indes keine näheren Regelungen für das beim BVwG anhängige Asylaberkennungsverfahren. Insbesondere sieht das Gesetz - im Gegensatz zur Regelung des § 59 Abs. 5 erster Satz AsylG 2005 - keine Hemmung der Entscheidungsfrist für die Dauer des Verfahrens der Aufenthaltsbehörde vor, was angesichts der das BVwG treffenden Entscheidungspflicht im Beschwerdeverfahren eine echte (dh. planwidrige) Rechtslücke darstellt. Diese Lücke ist durch Analogie zu schließen (vgl. zu den Voraussetzungen der Analogie im öffentlichen Recht etwa VwGH 14.12.2021, Ro 2020/04/0032, Pkt. 5.4.2.1., mwN), wobei als Analogiebasis die genannte Bestimmung des § 59 Abs. 5 erster Satz AsylG 2005 heranzuziehen ist. Im Falle der vom BVwG vorgenommenen Verständigung der Aufenthaltsbehörde nach § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 ist der Ablauf der Entscheidungsfrist des BVwG in dem bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren daher bis zum Einlangen der Verständigung der Aufenthaltsbehörde gemäß 45 Abs. 8 letzter Satz NAG gehemmt.

Ergebnis

27       Indem das BVwG im Revisionsfall entgegen der dargestellten Rechtslage den angefochtenen Bescheid ersatzlos behoben und den Status des Asylberechtigten des Mitbeteiligten als weiterhin bestehend festgestellt hat, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

28       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. April 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020010301.L00

Im RIS seit

19.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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