Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S* S*, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagten Parteien 1. G* GmbH, *, 2. G* LLC, *, USA, beide vertreten durch Baker & McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen Unterlassung, über die außerordentliche Revision und den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei sowie die außerordentlichen Revisionsrekurse der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil und die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien als Berufungs- und Rekursgericht vom 28. Juli 2021, GZ 5 R 177/20s-45, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
2. Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
3. Der außerordentliche Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei wird, soweit er sich gegen die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses über die Zurückweisung des Sicherungsantrags richtet, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.
Im Übrigen wird der außerordentliche Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt die Unterlassung der Anzeige bestimmter in Österreich abrufbarer Suchergebnisse (URL-Adressen eines von der Zweitbeklagten betriebenen Onlinedienstes) und Autovervollständigungsvorschläge einer von der Zweitbeklagten betriebenen Internet-Suchmaschine und stellt inhaltsgleiche Sicherungsanträge.
[2] Das Erstgericht wies die Klage und den Sicherungsantrag gegen die Erstbeklagte mangels Passivlegitimation ab, weil diese die Suchmaschine nicht betreibe. Gegen die Zweitbeklagte wies das Erstgericht die Klage zurück, weil das Begehren mit dem Streitgegenstand eines beim Landesgericht Salzburg anhängigen Verfahrens ident sei. Auch den Sicherungsantrag gegen die Zweitbeklagte wies das Erstgericht zurück.
[3] Das Berufungs- und Rekursgericht bestätigte die Entscheidungen, soweit sie die Erstbeklagte betrafen. Hinsichtlich der Zweitbeklagten behob es die Klagszurückweisung ersatzlos und trug dem Erstgericht Fortsetzung des Verfahrens sowie inhaltliche Prüfung des Klagebegehrens auf. Die Zurückweisung des Sicherungsantrags gegen die Zweitbeklagte hob es als nichtig auf.
Rechtliche Beurteilung
[4] A. Die gegen die Bestätigung der Entscheidungen betreffend die Erstbeklagte gerichtete außerordentliche Revision und der inhaltlich gleichlautende außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin zeigen keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO oder des § 528 Abs 1 ZPO auf:
[5] 1.1 Die von der Klägerin behauptete Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3, § 528a ZPO).
[6] 1.2 Den in den außerordentlichen Rechtsmitteln neuerlich gerügten Verfahrensfehler erster Instanz im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Stoffsammlungsmangel hat das Berufungs- und Rekursgericht verneint. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Gericht zweiter Instanz nicht als solche anerkannt worden sind, in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371; RS0043919).
[7] 1.3 Die in den außerordentlichen Rechtsmitteln der Klägerin angesprochene Ausnahme von diesem Grundsatz liegt nur dann vor, wenn das Gericht zweiter Instanz einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat (RS0043051 [T5]; RS0106371 [T5]; RS0042963 [T37]), etwa weil es die Behandlung einer Mängelrüge infolge der vermeintlichen rechtlichen Unerheblichkeit des gerügten Mangels unterließ (RS0043051 [T5]). Die in diesem Sinn ergangenen Entscheidungen beziehen sich allerdings nicht auf den Fall, dass das zweitinstanzliche Gericht – wie hier – einen primären Verfahrensmangel nach ausdrücklicher Prüfung verneint hat, unterläge doch sonst jede zweitinstanzliche Entscheidung über eine Mängelrüge der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (vgl 5 Ob 64/19a; 4 Ob 85/12x; RS0043051 [T4]; RS0042963 [T55]).
[8] 2. Soweit die Klägerin – ohne dies näher darzulegen – eine Begründung für die Passivlegitimation der Erstbeklagten darin sieht, dass diese Vertreterin der Zweitbeklagten als der „verantwortlichen Person bezüglich die Verwendung von personenbezogenen Daten“ in Österreich gewesen sei und daher die Möglichkeit gehabt habe, die von der Klägerin relevierten Inhalte der von der Zweitbeklagten betriebenen Suchmaschine löschen zu lassen oder deren Aufnahme in die Ergebnisliste zu verhindern, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach das Erstgericht eine solche Einflussmöglichkeit der Erstbeklagten gerade nicht feststellen konnte. Überdies ergibt sich aus den Feststellungen auch sonst nicht, dass die behaupteten Eingriffshandlungen auf die Erstbeklagte zurückzuführen wären, weil diese durch Handlungen oder Unterlassungen die Voraussetzung dafür geschaffen habe, dass die Zweitbeklagte die Störungen begehen habe können (vgl 6 Ob 236/19b [ErwGr D.2]; 6 Ob 25/13i).
[9] B. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Zweitbeklagten ist, soweit er sich gegen die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses über die Zurückweisung des Sicherungsantrags gegen die Zweitbeklagte richtet, jedenfalls unzulässig:
[10] 1.1 Mit dem angefochteten Beschluss hat das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluss über die Zurückweisung des Sicherungsantrags gegen die Zweitbeklagte als nichtig (§ 477 Abs 1 Z 9 ZPO iVm § 402 Abs 4, § 78 EO) aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen, ohne einen Zulässigkeitsausspruch nach § 527 Abs 2 ZPO in seine Entscheidung aufzunehmen.
[11] 1.2 Nach § 527 Abs 2 ZPO, der auch im Exekutionsverfahren anzuwenden ist (RS0002467), ist ein Rekurs gegen einen Beschluss des Gerichts zweiter Instanz, mit welchem der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen wurde, nur zulässig, wenn das Rekursgericht dies ausgesprochen hat. Auf die Gründe für die Aufhebung kommt es nicht an (RS0044102). Hat das Rekursgericht – wie hier – den Beschluss des Erstgerichts wegen Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen, so ist der Beschluss des Rekursgerichts ein echter Aufhebungsbeschluss, der keine abschließende Entscheidung über die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des angefochtenen Beschlusses enthält. Er ist daher mangels Zulässigerklärung des Rekurses durch das Rekursgericht jedenfalls unanfechtbar (RS0109402).
[12] 1.3 Der dennoch erhobene (außerordentliche) Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig (1 Ob 157/21a).
[13] C. Soweit er sich gegen die ersatzlose Behebung der Klagszurückweisung richtet, zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs der Zweitbeklagten keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO auf:
[14] 1.1 Die Klägerin hat ihre Unterlassungsansprüche unter anderem auf § 1330 ABGB gestützt. Für solche Klagen ist die internationale Zuständigkeit nach § 83c Abs 3 JN auch dann gegeben, wenn das Verfahren in Österreich abrufbare Websites zum Gegenstand hat (6 Ob 137/19v). Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 6 Ob 26/16s die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte nach dieser Gesetzesstelle auch dann bejaht, wenn – wie im vorliegenden Fall – aus einem solchen Klagsvorbringen auch Unterlassungsansprüche nach § 16 ABGB im Zusammenhang mit Autocomplete-Vorschlägen einer Internet-Suchmaschine abgeleitet werden.
[15] Die Beurteilung des Rekursgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.
[16] 1.2 Darüber hinaus hat die Erstbeklagte ihren Sitz im Sprengel des Erstgerichts, sodass sich dessen Zuständigkeit insoweit aus § 83c Abs 1 JN ergibt. Damit stand im maßgeblichen Zeitpunkt der Klagseinbringung (§ 29 JN; vgl 6 Ob 208/02k) für die Klage auch gegen die Zweitbeklagte der Gerichtsstand nach § 83c Abs 2 JN zur Verfügung, der den Anwendungsbereich des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft auf die – hier jedenfalls vorliegende – formelle Streitgenossenschaft erweitert (4 Ob 62/02z). Schon deshalb ist das Erstgericht vor dem Hintergrund des § 27a JN für die Klage auch gegen die Zweitbeklagte international und örtlich zuständig (4 Ob 80/08f [ErwGr 3.2]).
[17] Ob die Frage der Abrufbarkeit der klagsgegenständlichen Suchergebnisse und Autovervollständigungsvorschläge von Österreich aus eine „doppelrelevante Tatsache“, also zugleich auch eine Anspruchsvoraussetzung darstellt und daher ungeachtet der erhobenen Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit nur die Klagsangaben maßgebend sind (vgl 6 Ob 19/18i [ErwGr 1.1 ff]; RS0056159; RS0050455; RS0046201), ist daher nicht relevant.
[18] 2.1 Die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit nach § 233 ZPO setzt zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie Identität der Parteien und der Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus (RS0039473). Streitanhängigkeit liegt demnach dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RS0039347). Bei Unterlassungsansprüchen verneint der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Streitanhängigkeit, wenn der vom Kläger im Vorprozess erhobene Unterlassungsanspruch aus einem anderen Gesetzesverstoß abgeleitet wird als das später gestellte zweite Unterlassungsbegehren und es daher – ungeachtet des gleichlautenden Urteilsantrags – an der notwendigen Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts mangelt (6 Ob 210/03f [spätere Wiederholung der selben ehrenbeleidigenden Äußerungen]; vgl 6 Ob 273/08b [Äußerung bei zwei verschiedenen Pressekonferenzen]; RS0039179).
[19] Die Frage, ob Streitanhängigkeit vorliegt, ist einzelfallbezogen zu beantworten und bildet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0044453).
[20] 2.2 Das Rekursgericht war der Ansicht, die Klägerin leite im vorliegenden Verfahren ihre Ansprüche aus anderen Gesetzesverstößen ab als im noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gegen die Zweitbeklagte vor dem Landesgericht Salzburg, weil sie sich auf zu späteren Zeitpunkten erfolgte Rechtsverletzungen und daher auf unterschiedliche rechtserzeugende Sachverhalte stütze. Der bloße Vergleich der Urteilsanträge vermöge das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit nicht zu begründen.
[21] Das Rekursgericht hat die Identität der Streitgegenstände daher nicht bloß deshalb verneint, weil unterschiedliche Beweismittel vorgelegt worden oder andere Internetadressen prozessgegenständlich seien. Mit der Beurteilung des Rekursgerichts, die Klägerin stütze sich auf (im Sinn der erörterten Rechtsprechung) später erfolgte und damit andere Gesetzesverstöße, setzt sich der Revisionsrekurs nicht auseinander. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung kann er damit auch insoweit nicht darlegen.
[22] 3. Eine Sachentscheidung kommt im vorliegenden Rechtsmittelverfahren über die Zurückweisung der Klage nicht in Betracht (vgl RS0042065). Auf die Ausführungen des Revisionsrekurses zur inhaltlichen Berechtigung des Klagebegehrens ist daher nicht einzugehen.
Textnummer
E134822European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00155.21V.0406.000Im RIS seit
19.05.2022Zuletzt aktualisiert am
19.05.2022