TE OGH 2022/4/20 10ObS22/22s

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Veröffentlicht am 20.04.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zechmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. R*, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Haidingergasse 1, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. November 2021, GZ 10 Rs 107/21k-19, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. Juli 2021, GZ 25 Cgs 8/21f-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]            Der Kläger bezog anlässlich der Geburt seiner Tochter am 24. März 2012 im Zeitraum von 24. März 2013 bis 23. Mai 2013 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 3.550,20 EUR. Im Jahr 2013 erzielte er nach den der Beklagten übermittelten Daten der Abgabenbehörden Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit von insgesamt 21.523,80 EUR.

[2]            Mit Schreiben vom 31. Juli 2020 teilte die beklagte Österreichische Gesundheitskasse dem Kläger im Wesentlichen mit, dass aufgrund der ihr bekannt gegebenen Jahreseinkünfte aus selbständiger Arbeit vorerst vom Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung auszugehen sei. Da er Kinderbetreuungsgeld nur unterjährig bezogen habe, bestehe für ihn jedoch die Möglichkeit, binnen 8 Wochen die in den relevanten Anspruchsmonaten erzielten Einkünfte von den restlichen Einkünften des Jahres 2013 abzugrenzen, andernfalls werde von den Jahreseinkünften ausgegangen. Der Kläger erbrachte im Verwaltungsverfahren keinen Zuordnungsnachweis, in welchem Ausmaß Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit vor Beginn und nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind.

[3]            Mit Bescheid vom 17. November 2020 widerrief die Beklagte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 24. März 2013 bis 23. Mai 2013 wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze und verpflichtete den Kläger zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistung von 3.550,20 EUR.

[4]            In seiner Klage brachte der Kläger vor, den geforderten Zuordnungsnachweis tatsächlich nicht erbracht zu haben, weil er das Schreiben der Beklagten vom 31. Juli 2020 irrtümlich nicht behoben habe. Das schließe jedoch nicht aus, die Abgrenzung im sozialgerichtlichen Verfahren vorzunehmen. Aus den von ihm vorgelegten Urkunden gehe hervor, dass nur ein jährliches Pauschalhonorar von 10.000 EUR den betroffenen Anspruchsmonaten anteilig zuzurechnen sei. Mit Ausnahme vereinzelter unaufschiebbarer Arbeiten habe er sich während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes im Übrigen vollständig auf die Kinderbetreuung konzentriert und keine selbständigen Tätigkeiten entfaltet. Eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung habe er nicht erstellt, weil er im betreffenden Jahr keine Ausgaben geltend gemacht habe und seine Einnahmen durch die von ihm gelegten Honorarnoten nachgewiesen seien.

[5]            Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass nach Verstreichen der im Schreiben vom 31. Juli 2020 gesetzten Frist eine Abgrenzung der Einkünfte gemäß § 50 Abs 24 KBGG nicht mehr möglich sei. Abgesehen davon, dass die mit der Klage vorgelegten Nachweise somit schon von Gesetzes wegen nicht berücksichtigt werden könnten, handle es sich dabei auch nicht um taugliche Nachweise, wie etwa eine Zwischenbilanz oder eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung. Bei Berechnung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG sei daher von den durch die Abgabenbehörden bekannt gegebenen Jahreseinkünften des Klägers auszugehen, auf deren Basis die Zuverdienstgrenze von (6.100 EUR) weit überschritten worden sei. Darauf aufbauend sei der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG jedenfalls erfüllt.

[6]            Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Zwar könne die Abgrenzung nach § 50 Abs 24 KBGG grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2025 vorgenommen werden. Dies setze jedoch voraus, dass die Nachweise binnen zwei Monaten nach einer entsprechenden Aufforderung vorgelegt werden, was hier aber nicht der Fall gewesen sei. Da das Gericht diese Bestimmung trotz der sukzessiven Kompetenz anzuwenden und die dort normierten Voraussetzungen zu überprüfen habe, könnten die vom Kläger erst mit der Klage und damit verspätet vorgelegten Unterlagen nicht berücksichtigt werden.

[7]            Die Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof noch nicht zu der in § 50 Abs 24 KBGG normierten Vorlagefrist Stellung genommen habe.

[8]       In seiner Revision beantragt der Kläger, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass seinem Klagebegehren stattgegeben wird. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[9]       Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10]      Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen von der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 50 Abs 24 KBGG abgewichen sind. Sie ist Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[11]           1. Voranzustellen ist, dass auf den vorliegenden Fall § 24 Abs 1 KBGG in der Fassung BGBl I 2011/139 anzuwenden ist (§ 50 Abs 3 KBGG). Anspruchsvoraussetzung für Kinderbetreuungsgeld ist demnach, dass während des Bezugs keine Erwerbseinkünfte erzielt werden, wobei sich ein Gesamtbetrag an maßgeblichen Einkünften von nicht mehr als 6.100 EUR pro Kalenderjahr nicht schädlich auswirkt.

[12]           2. Der Kläger hält in seiner Revision an seinem Standpunkt fest, dass eine Abgrenzung der Einkünfte auch noch im sozialgerichtlichen Verfahren möglich sei, weil § 50 Abs 24 KBGG bloß eine formelle verfahrenstechnische Frist zur Abwicklung des Verwaltungsverfahrens darstelle. Dem ist zuzustimmen.

[13]           2.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung 10 ObS 119/21d vom 19. Oktober 2021 (im RIS veröffentlicht am 3. Jänner 2022) bereits ausführlich damit auseinandergesetzt, wie sich § 50 Abs 24 KBGG auf die Möglichkeit auswirkt, einen Abgrenzungsnachweis iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG erst im sozialgerichtlichen Verfahren zu erbringen. Die Kernaussagen diese Entscheidung lauten:

[14]           § 50 Abs 24 KBGG richtet sich schon nach seinem Wortlaut an die im Verwaltungsverfahren tätig werdenden Krankenversicherungsträger, die im Rahmen dieses Verfahrens aufgrund einer Verständigung der (nunmehr:) Österreichischen Gesundheitskasse Kenntnis davon erlangen, dass die Zuverdienstgrenze überschritten wurde. Das durch Klage eines Versicherten angerufene Arbeits- und Sozialgericht wird im Rahmen der sukzessiven Kompetenz tätig und hat über den Anspruch eigenständig zu entscheiden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist daher auch nach Inkrafttreten des § 50 Abs 24 KBGG die Frage, ob der von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze – bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz – zu Recht besteht. Die Ansicht, das sozialgerichtliche Verfahren habe sich auf die Frage der Versäumung der Zweimonatsfrist im Verwaltungsverfahren zu beschränken, liefe auf eine verfassungsrechtlich unzulässige partielle Bindung der Gerichte an Teilergebnisse des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens hinaus (vgl RS0106394).

[15]           2.2. Daran hat der Oberste Gerichtshof in den Folgeentscheidungen zu 10 ObS 178/21f und 10 ObS 124/21i festgehalten. Auch die Einführung des § 50 Abs 24 KBGG hat daher nichts an der bisherigen Judikatur geändert, dass Bezieher von Kinderbetreuungsgeld auch noch im Sozialgerichtsverfahren darlegen können, dass sie die Zuverdienstgrenze objektiv nicht überschritten haben (vgl RS0132593). Dies gesteht mittlerweile auch die Beklagte zu.

[16]           3. Darauf aufbauend ist die Sache noch nicht entscheidungsreif. Denn ausgehend von ihrem – vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten – Rechtsstandpunkt haben die Vorinstanzen keine Feststellungen zu den Einkünften des Klägers im relevanten Zeitraum, also in dem im Bezugs- bzw dem Anspruchszeitraum (24. März 2013 bis 23. Mai 2013) liegenden „vollen“ Kalendermonat (10 ObS 22/19m; 10 ObS 20/19t), getroffen. Dazu hat der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten auch schon in erster Instanz entsprechendes Vorbringen erstattet.

[17]           Soweit die Beklagte meint, über die Klage könne dennoch schon jetzt entschieden werden, weil auch in der Klage keine Abgrenzung vorgenommen worden sei, die den steuerrechtlichen Bestimmungen entspreche, kann dazu noch nicht abschließend Stellung genommen werden. Es ist richtig, dass die zeitliche Zuordnung der auf den Anspruchszeitraum entfallenden selbständigen Einkünfte anhand eines „konkreten Zuordnungsnachweises“ zu erfolgen hat und dem etwa durch eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung Rechnung getragen wird (vgl 10 ObS 4/19i [zu § 8 Abs 1 Z 2 KBGG idF vor der Novelle BGBl I 2011/139]). Dabei ist letztlich entscheidend, dass alle im Anspruchszeitraum entstandenen Einkünfte umfassend festgestellt werden und sich gegenüber den übrigen Einkünften des Kalenderjahres abgrenzen lassen (Konezny in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 § 8 Rz 27). Es wurde mit dem in erster Instanz unvertretenen Kläger aber weder iSd § 182a ZPO erörtert, ob und welche Unterlagen konkret fehlen, noch wurde ihm Gelegenheit gegeben, darauf aufbauend weitere Beweismittel vorzulegen. Die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen ist daher unumgänglich.

[18]           4. Im fortzusetzenden Verfahren werden mit dem Kläger daher zunächst die inhaltlichen Anforderungen des von ihm zu erbringenden Zuordnungsnachweises zu erörtern sein. Es ist ihm Gelegenheit zu geben, dazu allenfalls ergänzendes Vorbringen zu erstatten und sein Beweisanbot zu ergänzen. Darauf aufbauend sind sodann positive oder negative Feststellungen zu den Einkünften des Klägers im (einzigen vollen) Anspruchsmonat April 2013 zu treffen. Erst wenn der Sachverhalt in diese Richtung verbreitert wurde, kann abschließend über die Klage entschieden werden.

[19]     5. Der Revision ist daher Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[20]     Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO iVm § 2 ASGG.

Textnummer

E134826

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00022.22S.0420.000

Im RIS seit

19.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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