TE Bvwg Erkenntnis 2023/3/24 W119 2219885-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2023
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Entscheidungsdatum

24.03.2023

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W119 2219885-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred SCHIFFNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.4.2019, Zl. 1134538600 - 161523044 / BMI-BFA_NOE_AST_02, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste legal mittels Visum in das Bundesgebiet ein und stellte am 9.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.11.2016 gab sie im Wesentlichen an, in Tibet geboren zu sein und der Volksgruppe der Tibeter sowie der buddhistischen Religion anzugehören. Ihre Muttersprache sei Tibetisch, zudem spreche sie mittelmäßig Hindi sowie schlecht Chinesisch und Englisch. Die Grundschule habe sie zehn Jahre lang in XXXX und anschließend im südindischen XXXX vier Jahre lang ein College besucht. Ihr Lehrberuf sei Krankenschwester und Hebamme, zuletzt habe sie als Kellnerin gearbeitet.

Zu ihrem Fluchtgrund wurde protokolliert, dass die Beschwerdeführerin in Indien große Probleme habe und deshalb in Österreich bleiben wolle.

Am 20.12.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) eine Korrektur des Protokolls der polizeilichen Erstbefragung ein. Demnach habe die Beschwerdeführerin nie einen tibetischen Reisepass, somit auch nicht die chinesische Staatsbürgerschaft besessen und als Tibeterin auch kein Interesse an dieser. In Indien bekämen tibetische Flüchtlinge ein „Registration Certificate“ und ein „Identity Certificate“, mit dem sie reisen könnten. Letzteres sei am Flughafen weggeworfen worden und es handle sich nicht um einen Reisepass. Auch sei die Beschwerdeführerin ausgebildete Krankenschwester und Hebamme, als Kellnerin habe sie nur vorübergehend gearbeitet und sei dies nicht ihr Beruf.

Sie habe bereits als Zehnjährige (vor rund 16 Jahren) ihren Herkunftsstaat Tibet verlassen und mit ihren Geschwistern in Indien gelebt. Am 16.9.2016 habe sie beschlossen, nicht mehr nach Indien zurückkehren zu wollen. Die Beschwerdeführerin habe Indien und nicht ihr Heimatland Tibet legal verlassen. Der Fluchtgrund sei von der Polizei gar nicht protokolliert worden, die Beschwerdeführerin sei aus Tibet und nicht aus Indien geflüchtet, die Gründe für das Verlassen Indiens seien für das Asylverfahren nicht relevant. In Indien könne sie sich eine Identitätskarte besorgen, was sehr kompliziert sei. Ein Reisedokument aus ihrem Herkunftsstaat Tibet sei nicht erhältlich, die Beschwerdeführerin besitze ausschließlich indische Dokumente. Im Fall einer Rückkehr in die Heimat wäre sie großer Gefahr von Seiten der chinesischen Behörden ausgesetzt. Da ihr Bruder politisch aktiv gewesen und deshalb von der chinesischen Polizei verhaftet und vermutlich getötet worden sei, könne der Beschwerdeführerin die gleiche Gefahr drohen.

Am 14.2.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und gab im Wesentlichen zunächst an, sie sei aus Indien mit einer Identitätskarte und einem Visum ausgereist, erstere sei aber nunmehr überschritten und zudem habe sie sie am Flughafen zerrissen und weggeworfen. Das Visum habe sie wegen einer namentlich genannten Sponsorin in Österreich anhalten, die auch einen Brief geschickt hätte. Als sie sich in Indien aufgehalten habe, habe diese Person bereits 2003 eine Patenschaft über das SOS-Kinderdorf für die Beschwerdeführerin übernommen.

Geboren sei die Beschwerdeführerin in Tibet in XXXX und sie habe bis zum Alter von zehn Jahren dort gelebt. Dann seien sie nach XXXX gefahren, geplant wäre ursprünglich eine Pilgerreise gewesen. In dieser Zeit habe es politische Probleme für sie und ihren Bruder gegeben, weshalb sie mit zwei Geschwistern (dem älteren Bruder und der jüngeren Schwester) nach Indien gefahren sei. Die Eltern seien zu Hause in XXXX geblieben.

In Indien hätten sie sich zunächst eine Woche in einem Reception Center aufgehalten und dann sei sie gemeinsam mit ihrer Schwester über die XXXX in ein Internat geschickt worden, der Bruder sei schon älter und nicht mehr schulpflichtig gewesen. Im Jahr 2010 habe sie die Matura abgeschlossen und danach ca. vier Monate mit einer Freundin zusammengelebt, das Zeugnis erhalten und sei dann auf ein College in XXXX gegangen, habe dreieinhalb Jahre lang eine Krankenschwesternausbildung gemacht und in einem Hostel gelebt. 2014 habe sie Ausbildung abgeschlossen, sei danach mit tibetischen Freunden in ein Tibetan Settlement gefahren, habe dort von Mai bis November bei einer Freundin gelebt, auf das Zertifikat des Colleges gewartet und sich dann in weiteren näher genannten Orten aufgehalten. Im März 2015 sei sie nach XXXX gefahren um Arbeit zu suchen, habe jedoch keine bekommen. Während ihrer Ausbildung sei sie zuvor sechs Monate als Kellnerin tätig gewesen. Sie habe Teilzeit gearbeitet und sei von ihrer österreichischen Sponsorin unterstützt worden, zudem habe sie ein Stipendium erhalten.

Ihre Schwester mache eine Krankenschwesternausbildung in Indien, ihr Bruder sei 2002 nach Tibet zurückgegangen, wegen ihrer politischen Aktivitäten ins Gefängnis gekommen und dort im Jahr 2007 gestorben. Dies habe sie von einem aus ihrem Heimatort stammenden Koch in ihrer Schule erfahren.

Die Beschwerdeführerin stehe mit einem weiteren Bruder, der mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt lebe, in Kontakt.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte die Beschwerdeführerin folgendes vor:

„Wenn wir von XXXX nach XXXX kamen, haben wir bei meinem Onkel gelebt. Mein Bruder hat meinem Onkel in seinem Geschäft geholfen. Mein Bruder lebte davor bereits auch in XXXX . Er kam zu Besuch nach XXXX zu meinen Eltern und dann sind meine Schwester und ich mit ihm mitgegangen. Mein Bruder lebte schon seit ein paar Jahren in XXXX . Mein Bruder ging mit seinen Freunden weg und kam immer spät nach Hause. An einem Tag war mein Onkel zum Essen eingeladen, er hat meine Schwester mitgenommen und ich und mein Bruder waren alleine zu Hause. Am Abend wollte mein Bruder meine Freunde treffen und er hat mich mitten auf der Straße alleine stehen lassen. Ich habe gesagt, wenn er mich alleine lassen würde, würde ich das meinem Onkel erzählen. Er nahm mich dann mit. In diesem Haus gab es ein Lager, mein Bruder hat an die Tür geklopft, jemand ist gekommen und hat die Tür geöffnet. Dieser Mann, als er mich gesehen hat, war verärgert und hat sofort gesagt, warum er die Schwester mitgenommen hatte. Dieser Mann war so verärgert, ich hatte Angst und habe mich hinter meinem Bruder versteckt. Mein Bruder meinte, er sollte sich keine Sorgen machen. Mein Bruder sagte, ich soll mich in die Ecke setzen und still sein. Dann habe ich im Zimmer herumgeschaut, im Zimmer gab es eine Fahne und Bilder von Mönchen, manche Leute haben gearbeitet, sie hatten Kartons. Ich habe dann, als wir zurück nach Hause gegangen sind, gefragt, um welche Bilder es sich handeln würde und wann die Fahne aufgehängt wird. Mein Bruder sagte, ich soll ruhig sein, ansonsten er mich nicht wieder mitnehmen würde. Ich habe immer wieder gefragt. Dann zum Schluss hat er mir erzählt, dass das Bild von einem wichtigen Mönch war und die Fahne der Tibeter ist und es Vorbereitungen waren für Demonstrationen. Ich wusste nicht, dass Tibet unter China steht, ich habe dann die Geschichte von meinem Bruder erfahren und war sehr erstaunt. Dann war ich so motiviert, etwas für Tibet tun zu wollen. Ich habe meinem Bruder das gesagt, er meinte, ich könne gar nichts machen.

Ich bin dann auch öfters mit meinem Bruder mitgegangen, als er dorthin ging, um die Vorbereitungen zu treffen. Es waren mehrere Frauen dort, wir haben Tee ausgeschenkt und alles, wo ich behilflich sein konnte, habe ich getan. Deswegen durfte ich dann auch mitgehen und waren sie auch freundlich zu mir. In XXXX gibt es so eine Art Ringstraße, der XXXX stand vor der Tür und sie wollten an verschiedenen Plätzen Demonstrationen unternehmen. Ich wollte Flugzettel verteilen, mein Bruder wollte das nicht, aber ein anderer meinte, dass ich ein kleines Mädchen sei und man nicht Verdacht schöpfen würde. Ich habe das dann getan. Sie haben mir dann in einem Schulrucksack alles reingegeben und haben mir eine Namensliste gegeben, wem ich aller einen solchen Zettel geben sollte. Ich sollte das nur diesen Personen geben und niemand anderem. Sie haben mir auch ein bisschen chinesisches Geld geben für den Fall dass ich von chinesischen Polizisten aufgehalten würde, sollte ich sagen, dass ein Ausländer mir Geld gegeben hat, um das zu tun. Ich bin dann zu jedem gegangen, der auf der Liste gestanden ist. Sie haben mir gesagt, dass man keine Papiere in die Hand nehmen sollte, das sei zu gefährlich, man sollte es auswendig lernen. Dann habe ich auch von der Namensliste noch eine Kopie gemacht und im Socken versteckt, falls mich die Polizei aufhalten würde. Weil ich damals so klein war, hatte niemand den Verdacht, dass ich so eine große Sache mache. Am XXXX wäre die Demonstration gewesen, ein Freund ist drei Tage davor verhaftet worden. Ein anderer hat das gewusst, die haben Bilder in seiner Tasche gefunden. Der Freund hat das meinem Bruder erzählt und er hatte irrsinnig Angst und ich war ja auch dabei in dieser Gruppe. Dann hat mein Bruder meinem Onkel das alles erzählt, davor wusste mein Onkel nichts davon. Er hat dann alles erzählt, was ich und mein Bruder getan haben. Mein Onkel war in großer Sorge, er war auch sehr verärgert, dass mein Bruder solche Sachen gemacht haben und auch in die Sache hineingezogen war. Sie haben dann darüber gesprochen. Sie haben dann beschlossen, dass wir das Land verlassen sollten. Ich wollte meine Schwester auch mitnehmen, weil sie erst 7 Jahre alt war. Er hat dann organisiert, dass wir mit einem Lastwagen an die Grenze zu Nepal, XXXX , fuhren konnten, mein Bruder saß vorne und meine Schwester und ich hinten, wir waren versteckt unter den Sachen. Es kam dann auch ein anderer Mann und wir mussten durch den Wald gehen, ca. 3 Tage lang sind wir gegangen. Auf diese Weise sind wir geflüchtet. In Nepal angekommen, haben wir Kleidung erhalten. Als wir uns umgezogen haben, ist der Zettel aus dem Socken gefallen, wo die Namen oben standen, mein Bruder hat mich geschlagen, als er das gesehen hat, er war sehr verärgert. Dann sind wir weiter in das Tibetische Reception Center.“

Am 14.2.2017 wurde seitens der Behörde eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt, deren Ergebnis am 14.7.2017 einlangte. Demnach werde das Identitätszertifikat auf Empfehlung des Büros seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, an in Indien ansässige tibetische Flüchtlinge ausgestellt.

Dazu nahm die Beschwerdeführerin in einem am 8.5.2018 beim Bundesamt einlangenden Schriftstück dahingehend Stellung, die Anfragebeantwortung habe ergeben, dass die untersuchten Dokumente gültig und an die Beschwerdeführerin ausgestellt worden seien. Letztere wolle betonen, dass sie ihr Reisedokument nicht vernichtet hätte, um ihre Identität zu verschleiern, sondern aus der Befürchtung heraus, zurück nach Indien geschickt zu werden, bevor sie hier einen Asylantrag stellen könne. Die Lage in Österreich, die dieses Vorgehen unnötig mache, sei ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen. Das weit wichtigere Dokument, das Indian Registration Dokument for Tibetans, habe sie vorgelegt und befinde sich das Original in den Händen des Bundesamtes. Dieses Dokument sei die Grundlage des legalen Aufenthalts für Tibeter in Indien müsse jedes Jahr erneuert werden.

Angefügt wurde ein Konvolut von Integrationsunterlagen (unter anderem ÖSD Zertifikat A2) sowie eine Bestätigung der XXXX darüber, dass die Beschwerdeführerin dort registriertes Mitglied sei und der tibetischen Nationalität angehöre. Ihre Eltern seien Tibeter, sich selbst spreche Tibetisch und gehöre der buddhistischen Religionsgemeinschaft an. Angehängt wurde zudem ein Foto, das die Beschwerdeführerin bei einer Demonstration in Wien zeigt.

In weiterer Folge langte ein ÖIF Zeugnis zur Integrationsprüfung B1 der Beschwerdeführerin bei der Behörde ein.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Indien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde in vollem Umfang erhoben. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich die Beschwerdeführerin auch in Österreich weiterhin für ein freies Tibet engagiere, sich der XXXX angeschlossen habe und auch an den Kundgebungen gegen das chinesische Regime teilnehme. Sie sei Tibeterin und sehe sich selbst nicht als chinesische Staatsangehörige. Da Tibet nicht als eigenständiger Staat akzeptiert werde, sondern von China okkupiert worden sei, seien Fluchtgründe im Hinblick auf Tibet, somit China, zu prüfen. Die belangte Behörde habe zu Unrecht Indien als Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin angenommen, die nie die indische Staatsangehörigkeit besessen habe. Die Beschwerdeführerin mache begründete Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tibeter, die durch oppositionelle Betätigungen ins Visier der chinesischen Behörden geraten seien, geltend. Als Anhängerin des Dalai Lama engagiere sie sich auch in Österreich für ein freies Tibet, werde aufgrund ihrer politischen Gesinnung, Volksgruppenzugehörigkeit und ihrer Religion in Tibet bzw. China verfolgt.

Der Beschwerde angefügt wurden neben diversen Integrationsunterlagen eine aktuelle Bestätigung der XXXX sowie verschiedene Fotos der Beschwerdeführerin bei Demonstrationen sowie Veranstaltungen der XXXX und beim Besuch eines Mönchs ihrer Religionsgemeinschaft XXXX .

Am 18.9.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht das Abschlusszeugnis Ausbildung zur Heimhilfe, das Abschlusszeugnis „Unterstützung bei der Baisversorgung“ sowie die Teilnahmebestätigung an einem Erste-Hilfe-Kurs vorgelegt.

Am 10.2.2022 langten beim Bundesverwaltungsgericht zum Nachweis der tibetischen Herkunft der Beschwerdeführerin ihr Registration Certificat, das Green Book (eine öffentliche Urkunde der tibetischen Exilregierung), ein Schreiben des Büros der tibetischen Repräsentation mit dem Sitz in Genf vom 3.9.2021 sowie ein Bestätigungsschreiben der XXXX vom 12.9.2021 und ein Mitgliedsausweis der XXXX ein. Ebenfalls übermittelt wurden Integrationsunterlagen, weiters eine Fotodokumentation über die Teilnahme der Beschwerdeführerin an öffentlichen Demonstrationen gegen die chinesische Regierung in Österreich. Sämtliche Demonstrationen hätten vor der chinesischen Botschaft in Wien geendet, wodurch angesichts der bekannten Überwachung chinesischer Staatsangehöriger im Ausland die Asylwerberin in der Volksrepublik China im erheblichen Maße gefährdet erscheine. Auch aus diesem Grund liege eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Religion und der politischen Gesinnung vor.

Am 22.2.2022 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Tibetisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei wurden zunächst Fotos der Beschwerdeführerin als Zehnjährige in XXXX sowie Fotos der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern bzw. Verwandten vorgelegt. Ihre ganze Familie befinde sich noch immer in Tibet, konkret ihre Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie im Wesentlichen Folgendes vor:

„Mein Bruder und mein Onkel verkauften tibetische Sachen in XXXX . Als der Bruder im Jahr 2000 nach Hause gekommen ist die Eltern zu besuchen in XXXX , wollten meine Schwester und ich mit unserem Bruder nach XXXX gehen, um eine Pilgerreise zu machen. Wir haben dort ein Kloster besucht. Danach sind wir in XXXX geblieben. Wir sind dann in das Haus des Onkels gezogen, wir haben dort zu 4. gewohnt. Mein Bruder kam immer zu spät nach Hause. Freunde von meinem Onkel haben ihn zum Essen eingeladen und er hat meine jüngere Schwester mitgenommen. Ich und mein Bruder waren zu Hause. Mein Bruder wollte an diesem Abend seine Freunde treffen. Wir sind rausgegangen und er hat mich alleine auf der Straße stehengelassen. Er wollte seine Freunde treffen. Ich habe ihm gesagt, wenn du mich alleine lässt, werde ich dies dem Onkel sagen. Dann hat mich mein Bruder mit ihm genommen. Wir gingen in ein Lagerhaus und haben geklopft. Jemand hat die Tür geöffnet. Die Person hat mich gesehen uns war sehr verärgert. Er hat meinen Bruder gefragt, warum er mich mitgenommen hat. Ich hatte Angst und habe mich hinter meinem Bruder versteckt. Mein Bruder hat gesagt, bitte mach dir keine Sorgen, ich sollte in der Ecke stehenbleiben. Ich bin in der Ecke sitzen geblieben und habe in den Raum geschaut. Mit meinem Bruder waren ein paar Leute in dem Raum. Diese Gruppe hat etwas vorbereitet, ich habe ein Bild von einem Mönch und eine Fahne gesehen. Die Leute bereiteten etwas mit Kartons vor und schrieben etwas auf Zetteln. Ich fragte meinen Bruder, was hier los ist. Er meinte, ich soll ihn nicht fragen und ruhig bleiben, ansonsten würde er mich morgen nicht mehr mitnehmen. Aber ich war neugierig, ich habe immer wieder meinen Bruder gefragt. Zum Schluss hat mir mein Bruder alles gesagt. Das Bild war unsere Heiligkeit, der Dalai Lama. Die Fahne ist unsere tibetische Fahne und die Leute bereiteten eine Demonstration anlässlich des Solidaritätstages vor, am 10. März. Seit mein Bruder alles erzählt hat, weiß ich, dass China und Tibet nicht dasselbe sind. Mein Bruder sagte, dass Tibet von China besetzt wird. Seit der Besetzung Chinas gibt es in Tibet keine Freiheit mehr. Die Freunde meines Bruders bereiteten eine große Demonstration vor. Ich war schockiert und traurig, wie es um mein Land steht. Ich war motiviert mitzumachen, ich wollte etwas tun. Ich habe meinen Bruder gefragt, ob ich etwas tun kann. Er meinte, nein ich könne nichts machen. Ich durfte aber nichts meinem Onkel erzählen. Die nächsten Tage ging ich immer mit meinem Bruder zu den Demovorbereitungen. Die Männer bereiteten die Demo vor, die Frauen hingegen machten Tee. Ich habe auch geholfen, was ich im Alter von 10 Jahren tun konnte. Wir haben auf Schulhefte geschrieben, weil es kein Papier gab damals. Wir sollten die Zettel und Plakate, in denen das Datum der Demo stand, in jedem Haushalt verteilen. Diese Zettel zu verteilen war eine ziemliche Gefahr, es gab sehr viele Polizeikontrollen, weil sich das Kloster in der Nähe befand. Meine Idee war, dass ich die Zettel verteile, weil ich ein Schulkind war und niemand auf die Idee käme, dass ich die Zettel verteile. Mein Bruder wollte das nicht zulassen, weil es gefährlich war. Seine Freunde haben das aber für eine gute Idee gehalten, weil ich eben noch ein Schulkind war. Die Freund waren sehr überzeugt von der Idee und haben meinen Bruder überredet. Die Freunde meines Bruders haben eine Liste gemacht, an wen ich die Zettel austeilen soll. Sie haben gemeint, dass ich die Zettel nicht in der Hand halten soll, sondern ich es auswendig lernen soll. Ich habe gedacht, ich kann das nicht auswendig lernen, also habe ich noch einen Zettel geschrieben und den habe ich in meinen Socken gesteckt. Mein Bruder hat mir Geld gegeben und gesagt, wenn ich erwischt werde, soll ich sagen, dass ich von einem Fremden beauftragt wurde. Ich war fertig mit meiner Aufgabe. Vor dem 10. März, ein paar Tage vorher, wurde einer der Freunde von der Polizei erwischt. Ein Foto von Dalai Lama wurde auch bei ihm entdeckt und ein anderer Freund von meinem Bruder hat das erfahren und es meinem Bruder weitergeleitet. Mein Bruder war voller Sorge und hat meinem Onkel alles erzählt. An dem Tag hat mein Bruder entschieden, dass wir von dem Land weggehen sollen. Mein Onkel hat meinen Bruder geschimpft, warum er so etwas macht und warum er mich mithineinzieht. Wenn man solche Vorbereitungen macht, kann es passieren, dass man ins Gefängnis kommt oder sein Leben verliert.“

Die Beschwerdeführerin selbst sei nie das Blickfeld der Polizeibehörden geraten, jedoch sei ein Freund ertappt worden und es gebe die Gefahr, dass er etwas erzähle.

Auf der Flucht hätten sie in Nepal ihre Kleidung gewechselt, wobei die Namensliste rausgefallen sei. In Indien habe die Beschwerdeführerin zum ersten Mal den Dalai Lama getroffen, der ihnen gesagt habe, dass sie gut lernen sollten und sie ein freies Tibet bekommen würden. Nach einer Woche seien die Beschwerdeführerin und ihre Schwester in ein SOS-Kinderdorf geschickt worden, den Bruder hätten sie erst nach zwei Jahren wiedergesehen, als er sie besucht habe. Er sei dann nach Tibet zurückgegangen, 2007 habe die Beschwerdeführerin vom Koch im Kinderdorf erfahren, dass ihr Bruder im Gefängnis gestorben sei. Nach seiner Rückkehr nach Tibet habe man ihn wegen seiner Demonstrationsvorbereitungen festgenommen, gefoltert und er habe sein Leben verloren.

In Wien gebe es eine XXXX und die Beschwerdeführerin habe seit Dezember 2016 versucht, immer wieder an allen Demos teilzunehmen. Sie sei Mitglied der XXXX , Bei allen Feiern und möglichst allen Veranstaltungen dabei. Funktion habe sie keine, sondern sei nur Mitglied. Der Grund für diese Demonstrationen sei, dass die Tibeter keine Religionsfreiheit hätten und die XXXX versuche, durch Demos Informationen weiterzugeben, um zu zeigen, dass Tibet immer noch keine Freiheit habe. Ihr Land leide unter China. Die Demos endeten alle bei der chinesischen Botschaft in Wien und es gebe Berichte darüber, dass ausspioniert werde und Verfolgungsgefahr bestehe. In der Demonstration befänden sich auch Spione, nämlich Tibeter, die für die chinesische Regierung tätig seien.

Weiters bestätigte die Beschwerdeführerin, in Österreich eine Ausbildung zur Heimhilfe gemacht zu haben und in Indien ausgebildete Krankenschwester zu sein. Mangels Berechtigung dürfe sie im Bundesgebiet nicht arbeiten. Vorgelegt wurde ein Integrationszeugnis.

Die Beschwerdeführerin wohne mit einem Mann in einer buddhistischen Lebensgemeinschaft und zwar seit fünf Jahren in einem Haushalt. Neben ihrem Deutschkurs habe sie zudem in einem Altersheim ehrenamtlich gearbeitet. Vorgelegt wurden eine Bestätigung darüber sowie Empfehlungsschreiben. Verwandte gebe es im Bundesgebiet keine, jedoch Freunde und ihre Pateneltern.

In das Verfahren eingeführt wurden die Länderfeststellungen zur Situation in China wobei eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt wurde.

Diese Stellungnahme langte beim Bundesverwaltungsgericht am 8.3.2022 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, stammt aus Tibet, gehört der tibetischen Volksgruppe und dem XXXX an. Ihre Muttersprache ist Tibetisch.

Sie wurde in XXXX in Tibet geboren, wo sie zunächst im Familienverband aufwuchs und die Grundschule besuchte.

Als Zehnjährige begab sie sich mit ihrem älteren Bruder und der jüngeren Schwester auf eine Pilgerreise nach XXXX , wo sie den Bruder bei Vorbereitungen für eine Demonstration unterstützte. Wegen der Festnahme eines daran beteiligten Freundes des Bruders reisten sie nach Indien, wo die Beschwerdeführerin in einem SOS-Kinderdorf lebte und zunächst die Schule und anschließend in einem College die Ausbildung als Krankenschwester und Hebamme absolvierte. Ihr Bruder begab sich 2002 nach Tibet zurück, wo er wegen seiner politischen bzw. religiösen Aktivitäten verhaftet wurde und 2007 im Gefängnis verstarb.

Die Beschwerdeführerin reiste legal mit einem Visum in Österreich ein und stellte am 9.11.2026 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In Österreich entfaltet die Beschwerdeführerin rege exilpolitische Aktivitäten. Sie ist Mitglied bei der XXXX und nimmt regelmäßig an Veranstaltungen und Demonstrationen für ein freies Tibet in Wien teil, die vor der chinesischen Botschaft enden und bei denen sie auch in die tibetische Flagge gehüllt war bzw. Transparente hielt.

Insgesamt konnte die Beschwerdeführerin glaubhaft machen, dass sie bei einer Rückkehr nach China wegen ihrer politischen Aktivitäten – aber auch ihrer religiösen Überzeugung - ernsthaft von Verfolgung bedroht ist.

Feststellungen zur Situation in der Volksrepublik China:

Politische Lage Letzte Änderung: 17.12.2020

Die Volksrepublik (VR) China ist mit geschätzten 1,395 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2020) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 24.11.2020). China ist in 33 Verwaltungseinheiten, 22 Provinzen, die fünf autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) gegliedert. Es gibt sieben Militärzonen, die jeweils verschiedene Provinzen bzw. Teile umfassen (ÖB 10.2020; vgl. AA 6.11.2020). Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein „sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauer“ beruht (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 11.3.2020). Zentral für das politische System Chinas ist der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas, der auch in der Verfassung verankert ist. Andere politische Organisationen, Medien, Zivilgesellschaft und religiöse Aktivitäten haben sich den Zielen der Partei unterzuordnen und werden streng reguliert. Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016). Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird für fünf Jahre gewählt (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020) und ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019). Eine parlamentarische Opposition zur KP Chinas gibt es nicht (AA 1.12.2020). Seit dem Massaker vom Tiananmen-Platz im Jahr 1989, als die Volksbefreiungsarmee (PLA) gewaltsam gegen eine von Studenten geführte pro-demokratische Bewegung vorgegangen ist, hat es keine Versuche gegeben, den politischen Wettbewerb zu erhöhen. Nach dem „Vorfall“, der nach wie vor in China ein Tabuthema ist, wurden die politischen Reformer von der KP-Führung gesäubert 9 (BS 29.4.2020). Zwar sind acht sogenannte demokratische Parteien offiziell anerkannt, jedoch sind alle der KP Chinas unterstellt (BS 29.4.2020). Chinas Einparteiensystem unterdrückt die Entwicklung einer organisierten politischen Opposition rigoros. Selbst innerhalb der KPCh hat Xi Jinping seit 2012 seine eigene Macht und Autorität stetig ausgebaut, sowie eine selektive Antikorruptionskampagne geführt, um potenzielle Rivalen auszuschalten (FH 4.3.2020). Der vom Präsidenten Xi Jinping konzipierte „Chinesische Traum“ soll China den Status einer Weltmacht wiedererlangen helfen. Die chinesische Regierung verfolgt gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung als zwei zentrale Anliegen in ihrer Agenda. Demgegenüber stellt eine Transformation zur Demokratie auf der Grundlage der Herrschaft des Rechts keines der langfristigen strategischen Ziele der Regierung dar. Vielmehr verfolgt die Regierung als bewusste Strategie, einer Bedrohung durch pro-demokratische Tendenzen und Herausforderungen für die politische Hegemonie der Partei entgegenzuwirken (BS 29.4.2020). Zu Beginn der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte die Regierung an, dass trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich erhöht werden soll. Diese Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie den USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (FAZ 21.5.2020; vgl. WKO 1.12.2020). Ungeachtet internationaler Proteste hat Chinas Nationaler Volkskongress die Einführung eines Sicherheitsgesetzes für Hongkong gebilligt, mit dem nach Ansicht von Kritikern die Bürgerrechte in der Sonderverwaltungszone massiv beschnitten werden. Zum Abschluss der Jahrestagung beauftragten die Abgeordneten den Ständigen Ausschuss des Parlaments, das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Chinas Sonderverwaltungsregion zu erlassen (ZO 28.5.2020). Peking reagiert mit dem Sicherheitsgesetz auf die monatelangen, mitunter gewalttätigen Proteste der Hongkonger Demokratiebewegung im vergangenen Jahr. Das Gesetz soll „Abspaltung“, „Subverson“, „Terrorismus“ und die „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ unter Strafe stellen und den offenen Einsatz festlandchinesischer Sicherheitsbehörden in Hongkong ermöglichen. Die Pekinger Pläne haben neue Proteste in Hongkong ausgelöst, bei denen es zu gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei kommt (ARTE 28.5.2020).

Quellen: • AA – Auswärtiges Amt (1.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041768/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_B ericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_China _%28Stand_Oktober_2020%29%2C_01.12.2020.pdf, Zugriff 16.12.2020 • AA – Auswärtiges Amt (6.11.2020): China – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aus senpolitik/laender/china-node/-/200846 , Zugriff 11.12.2020 • ARTE – Association Relative à la Télévision Européenne (28.5.2020): Chinas Volkskongress billigt umstrittenes Sicherheitsgesetz zu Hongkong, https://www.arte.tv/de/afp/neuigkeiten/chinas-volksk ongress-billigt-umstrittenes-sicherheitsgesetz-zu-hongkong , Zugriff 11.12.2020 • BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2020): Allgemeine Landesinformationen: China, https://www.kooperation-international.de/laender/asien/china/allgemeine-landesinformatio nen/ , Zugriff 11.12.2020 10 • BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): Country Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2 029406/country_report_2020_CHN.pdf , Zugriff 11.12.2020 • CIA – Central Intelligence Agency (24.11.2020): The World Factbook - China, https://www.cia.gov/ library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html , Zugriff 11.12.2020 • FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (21.5.2020): China erstmals seit 1990 ohne Wachstumsziel, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/volkskongress-eroeffnet-china-erstmals-seit-1990-ohnewachstumsziel-16780739.html , Zugriff 11.12.2020 • FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/do kument/2025907.html , Zugriff 11.12.2020 • Heilmann, Sebastian (2016): Das politische System der Volksrepublik China, Springer Fachmedien Verlag • LVAk – Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.190 • ÖB Peking (10.2020): Asylländerbericht Volksrepublik China • WKO – Wirtschaftskammer Österreich (1.12.2020): Die chinesische Wirtschaft, https://www.wko. at/service/aussenwirtschaft/die-chinesische-wirtschaft.html#heading_wirtschaftslage , Zugriff 11.12.2020 • ZO – Zeit Online (28.5.2020): Volkskongress verabschiedet Sicherheitsgesetz für Hongkong, https: //www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/china-volkskongress-verabschiedet-sicherheitsgesetz-fuer -hongkong , Zugriff 11.12.2020

Sicherheitslage Letzte Änderung: 17.12.2020

Wegen der Ausbreitung von COVID-19 kommt es in China zu verschärften Einreisekontrollen, Gesundheitsüberprüfungen und seit 28.03.2020 zu einer Einreisesperre für Ausländer (BMEIA 24.11.2020). Die Fallzahlen haben sich in China auf einem niedrigen Niveau stabilisiert (AA 7.12.2020). Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 19.6.2020). Berichten zufolge wurden in den letzten zehn Jahren 170 Millionen Überwachungskameras in Städten und Gemeinden im ganzen Land installiert (DFAT 3.10.2020). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind in den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden (EDA 23.7.2020). Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die laufende Problematik der muslimischen Gemeinschaft über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (GW 17.6.2020). Zwar gibt es in China noch keine unversöhnlichen ethnischen, sozialen oder religiösen Spaltungen, soziale Unruhen sind allerdings an der Tagesordnung. Auch wenn die meisten Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik personell meist gering ausfallen, betreffen sie dennoch existentielle Fragen wie Lohnrückstände, dem Abriss von Häusern und der Umsiedlung oder Enteignung (BS 29.4.2020). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlich Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen 11 wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt. Wesentliche Störungen sind aufgrund einer starken Sicherheitspräsenz unwahrscheinlich (GW 17.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, BS 29.4.2020). China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019). Die staatliche Kontrolle durch eine massive, sichtbare Polizeipräsenz an strategischen Punkten und wichtigen Orten wird aufrechterhalten (BS 29.4.2020). Medienberichten zu Folge haben die chinesische Polizei und die Sicherheitsbehörden 2016 damit begonnen, Fotodatenbanken, künstliche Intelligenz und Überwachungskameras mit Gesichtserkennungstechnologie zu kombinieren, um Verdächtige und „destabilisierende Akteure“ in der Gesellschaft aufzuspüren (DFAT 3.10.2020). Berichten zufolge werden auch gewonnene DNA-Proben, Urinproben, Sprachaufzeichnungen, Fingerabdrücke, Fotos und eine Vielzahl von persönlichen Daten von den Sicherheitsbehörden gesammelt (BBC 19.12.2019; vgl. RFA 23.8.2019, HRW 16.5.2017). Auf der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte der Ministerpräsident an, dass auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten, der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich steigen soll. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie die USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (SN 22.5.2020; vgl. FAZ 21.5.2020, WKO 12.5.2020) China und Russland: Die chinesisch-russischen Beziehungen werden aus chinesischer Sicht als eine „stabile strategische Partnerschaft“ betrachtet (LVAk 5.2020; vgl. GH 17.2.2016). Diese politische, wirtschaftliche und auch militärische Partnerschaft beruht auf einer nüchternen Einschätzung der jeweiligen nationalen Interessen (CISR 2020; vgl. LVAk 5.2020). Langfristigen Aussichten für die chinesisch-russische Partnerschaft sind ungewiss. Vor dem Hintergrund eines unruhigen internationalen Umfelds stehen China und Russland vor großen Herausforderungen, um die Dynamik ihrer Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten (CISR 2020). Seit 2003 arbeiten Russland und China eng im UN-Sicherheitsrat zusammen. Um die jeweiligen Positionen zu koordinieren, werden die diplomatische Rahmenstrukturen der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika)-Gruppe und die SCO (Shanghai Cooperation Organization – SCO), Russland, China, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan genutzt. Äußerst relevant stellt sich die Sicherheitskooperation innerhalb der SCO dar. Diese widmet sich dem Kampf der „three evil forces“, Terrorismus, Separatismus (Taiwan, Tibet und Xinjiang) und Extremismus. In diesen Bereichen soll auch ein Austausch nachrich12 tendienstlicher Informationen erfolgen und Auslieferungsabkommen exekutiert werden (LVAk 5.2020; vgl. BAMF 2.2020). China und Indien: Der südasiatische Subkontinent ist der bedeutendste geopolitische Rivale Chinas in Asien (IPG 15.10.2020). Die Streitigkeiten zwischen China und Indien über den Grenzverlauf im bevölkerungsarmen Himalaya-Gebiet ist seit dem Grenzkrieg von 1962 nicht beigelegt (LVAk 5.2020). China und Indien beanspruchen gegenseitig Geländeabschnitte, wobei es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in diesem Grenzgebieten kommt (LVAk 5.2020; vgl. REUTERS 2.9.2020). Ein „Handgemenge“ zwischen indischen und chinesischen Soldaten führte zuletzt am 15. Juni 2020 zum Tod von Soldaten auf beiden Seiten (WSJ 17.6.2020). China betreibt im Zuge seiner „String of pearls Strategy“ (CEFIP 13.8.2019; vgl. FA 9/10 2019) den weiteren Ausbau von Häfen in befreundeten Staaten an der nördlichen Küste des Indischen Ozeans wie Kambodscha, Myanmar, Bangladesch, Sri Lanka, Pakistan, den Malediven und darüber hinaus in Afrika forciert aus und bedroht damit im Zuge der „Belt and Road“-Initiative Einflusssphären Indiens in diesem Raum (DRM 26.8.2019). Die guten Beziehungen zwischen China und Pakistan stellen besonders im Hinblick auf den verbindenden Wirtschaftskorridor und die Unterstützung Chinas der pakistanische Anliegen im Kaschmir ein weiterer Konfliktpunkt zwischen China und Indien dar (SWP 2016; vgl. DRM 26.8.2019). China und USA: Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA sowie eine zunehmend konfrontative diplomatische Sprache und militärische Haltung erhöhen das Risiko unbeabsichtigter Eskalationen in den umstrittenen Regionen (GW 23.8.2020; vgl. DRM 26.8.2020).

Quellen: • AA – Auswärtiges Amt (7.12.2020): China: Reise- und Sicherheitshinweise, Aktuelles, https://ww w.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/china-node/chinasicherheit/200466#content_1 , Zugriff 11.12.2020 • BBC – British Broadcasting Corporation (5.12.2019): Chinese residents worry about rise of facial recognition, https://www.bbc.com/news/technology-50674909, Zugriff 11.12.2020 • BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2.2020): Länderreport 22; China; Situation der Muslime, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025535/laenderreport-22-china.pdf, Zugriff 14.12.2020 • BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (24.11.2020): China, Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/china/ , Zugriff 11.12.2020 • BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): Country Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2 029406/country_report_2020_CHN.pdf , Zugriff 11.12.2020 • CEFIP – Carnegie Endowmwnt for International Peace (13.8.2019): New Delhi Remains Washington’s Best Hope in Asia, https://carnegieendowment.org/2019/08/13/new-delhi-remains-washingto n-s-best-hope-in-asia-pub-79666, Zugriff 11.12.2020 • DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (3.10.2019): DFAT Country Information Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019379/country-information -report-china.pdf , Zugriff 11.12.2020 • DRM – De Re Militaria (26.8.2019): The Chinese String of Pearls or How Beijing is Conquering the Sea, https://drmjournal.org/2019/08/26/the-chinese-string-of-pearls-or-how-beijing-is-conqueringthe-sea/, Zugriff 11.12.2020 13 • EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (23.7.2020): Reisehinweise für China, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/china/reisehin weise-fuer-china.html , Zugriff 11.12.2020 • FA – Foreign Affairs (9/10 2019): The India Dividend, New Delhi Remains Washington’s Best Hope in Asia, https://www.foreignaffairs.com/articles/india/2019-08-12/india-dividend?gpp=WlLQHrv60 hOMo/LWqt4OfjptV0xxVkgyaFRqSTlDUWN3TFhkQmNUNmRnVDZ2T3g3cjFvOU9Udm4zRTF NKzRDdTZ4bG5wWWdpdlVXTUdkT1JJOjlmMGVkZTNjMTY2NTg0YjBlYjJmODI0MTVkN2Q4M zhlYzFlMmE0MmVlMDhiMGQxZGRlMjA2OGY1ZmU3ZmY2MmU%3D, Zugriff 11.12.2020 • FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (21.5.2020): China erstmals seit 1990 ohne Wachstumsziel, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/volkskongress-eroeffnet-china-erstmals-seit-1990-ohnewachstumsziel-16780739.html , Zugriff 11.12.2020 • GH – Gateway House (17.2.2016): How China Sees Russia, https://www.gatewayhouse.in/howchina-sees-russia/, Zugriff 11.12.2020 • GW – GardaWorld (23.8.2020): China Country Report, Executiv Summary https://www.garda.co m/crisis24/country-reports/china , Zugriff 11.12.2020 • GW – GardaWorld (19.6.2020): China Country Report, Terrorism, https://www.garda.com/crisis24 /country-reports/china , Zugriff 11.12.2020 • GW – GardaWorld (17.6.2020): China Country Report, Social Stability, https://www.garda.com/cr isis24/country-reports/china , Zugriff 11.12.2020 • HRW – Human Rights Watch (16.5.2017): China: Police DNA Database Threatens Privacy, https: //www.ecoi.net/de/dokument/1400058.html, Zugriff 11.12.2020 • IPG – Internationale Politik und Gesellschaft (15.10.2020): Indische Visionen, https://www.ipg-jour nal.de/regionen/asien/artikel/indien-4712/, Zugriff 11.12.2020 • LVAk – Landesverteidigungsakademie (5.2020): Hauser, Gunther (5.2020): Chinas Aufstieg zur Globalmacht der Weg einer Regionalmacht zum weltpolitischen Akteur, Seite 101 - 108, 109 - 112. • LVAk – Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.228 • REUTERS (2.9.2020): Grenzkonflikt zwischen Indien und China flammt wieder auf, https://de.reu ters.com/article/indien-china-grenzkonflikt-idDEKBN25Z181, Zugriff 11.12.2020 • RFA – Radio Free Asia (23.8.2019): China Gears up to Collect Citizens’ DNA Nationwide, https: //www.rfa.org/english/news/china/collect-08232019115209.html, Zugriff 11.12.2020 • SN – Salzburger Nachrichten (22.5.2020): Chinas Volkskongress eröffnet - Hongkong und Corona im Fokus, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/chinas-volkskongress-eroeffnet-hongkong-und-coro na-im-fokus-87870631 , Zugriff 11.12.2020 • SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (2016): Wagner, C.: Die Auswirkungen des China-Pakistan Economic Corridor (CPEC). Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, https: //nbnresolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-46698-5, Zugriff 11.12.2020 • USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026349.html , Zugriff 11.12.2020 • WSJ – Wall Street Journal (17.6.2020): The China-India Clash, https://www.wsj.com/articles/the-c hina-india-clash-11592435121, Zugriff 11.12.2020

TIBET

Letzte Änderung: 17.12.2020

Das Autonome Gebiet Tibet (TAR) ist eines der fünf autonomen Gebiete Chinas. Die tibetischen Gebiete erstrecken sich jedoch über das autonome Gebiet hinaus, in die Provinzen Yunnan, Sichuan, Gansu und Qinghai. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sind Tibeter (92,8 Prozent), gefolgt von den Han (6 Prozent), Hui (0,4 Prozent), Monba (0,3 Prozent), Deng/Dengba, Sharpa und Thami (0,2 Prozent), Lhoba (0,1 Prozent), Naxi (0,1 Prozent), Bai (0,03 Prozent), Uiguren (0,03 Prozent), Mongolen (0,03 Prozent) und Sonstigen (0,1 Prozent) (ÖB 10.2020; vgl. FH 2020).

Der Lebensstandard der etwa 6 Millionen ethnischen TibeterInnen hat sich zwar erheblich verbessert, Tibet bleibt aber eine der ärmsten Regionen Chinas. Bei durchschnittlichem Jahreseinkommen, Lebenserwartung, Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie Analphabeten-Rate schneidet die tibetische Bevölkerung nach wie vor signifikant schlechter ab als der Landesdurchschnitt. Politische Schlüsselpositionen in der TAR sind überwiegend mit Han - Chinesinnen und Chinesen besetzt, auch wenn einige Schlüsselpositionen mit Tibeterinnen und Tibetern besetzt sind. Jedoch ist fraglich, ob sie – als ausschließlich atheistische Parteimitglieder – die Belange der tiefreligiösen tibetischen Bevölkerungsmehrheit adäquat vertreten können. Vielmehr wird der tibetische Buddhismus als potentielle Quelle separatistischer Bewegungen mit größtem Misstrauen beäugt, streng kontrolliert und strukturell behindert. Die in ihrer Zahl begrenzten Nonnen und Mönche müssen laut Berichten Schulungskampagnen zur patriotischen Erziehung durchlaufen, die auch eine öffentliche Distanzierung vom Dalai Lama beinhalten (AA 1.12.2020).

Die Bewegungsfreiheit innerhalb der TAR bleibt für die tibetische Bevölkerung maßgeblich durch Kontrollmaßnahmen eingeschränkt. Auch Reisen ins Ausland werden durch starke Verzögerungen bei der Passausstellung in Gebieten mit hohem Anteil ethnischer Minderheiten erschwert (AA 1.12.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Die Behörden in Tibet weiten den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie, verbesserten Personalausweisen und integrierten Überwachungssystemen aus, um die Bewegungen von Bewohnern und Reisenden in Echtzeit zu erfassen (FH 2020).

Die Zentralregierung verfolgt deshalb eine gezielte Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung und Integration Tibets in die Volksrepublik, wobei die Erhaltung der Stabilität und der Kampf gegen Separatismus immer im Vordergrund stehen (AA 1.12.2020). In einer zweigleisigen Strategie wird der Separatismus rücksichtslos mit militärischer Gewalt zurückgedrängt, während wirtschaftliche Entwicklungen und Investitionen zur Verbesserung des Lebensstandards der Menschen als langfristige Lösung der Probleme eingeleitet werden (Mühlhahn 2017; vgl. AA 1.12.2020, ÖB 10.2020). Von diesen Verbesserungen profitieren Minderheiten jedoch nur eingeschränkt (AA 1.12.2020).

Unter der tibetischen Bevölkerung besteht große Frustration angesichts der chinesischen Politik der wirtschaftlichen Expansion, die wenig Rücksicht auf Mitbestimmung, kulturelles Erbe und religiöse Freiheit nimmt (ÖB 10.2020). Die Zentralregierung schränkt die Möglichkeiten der tibetischen Bevölkerung ein, ihre Kultur, Identität und ihren Glauben auszudrücken. So wird, wann immer möglich, der Unterricht in tibetischer Sprache durch Unterricht in chinesischer Sprache ersetzt (HRW 5.3.2020; vgl. RFA 9.4.2020).

Zudem werden von der Regierung großangelegte Umsiedlungen, Arbeitsvermittlungsprogramme und Massenverhaftungen mit dem Zweck betrieben, die Demographie der ethnischen Minderheitenregion in Tibet langfristig zu verändern. Ein stetiger Anstieg des Anteils der Han-Chinesen an der Bevölkerung der Regionen trägt dazu bei. Im Laufe des Jahres 2019 wurde über neue Initiativen und Anreize zur Förderung interethnischer Ehen berichtet (FH 4.3.2020).

Durch die Behörden in den tibetischen Gebieten wird die Religionsfreiheit, wie auch die freie Meinungsäußerung, die Bewegungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit weiterhin stark eingeschränkt (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 10.2020) und werden in einem höheren Ausmaß angewendet als in anderen Regionen des Landes (USDOS 11.3.2020).

Seit 2009 haben sich insgesamt 156 überwiegend junge ethnische Tibeterinnen und Tibeter (28 Frauen und 128 Männer) aus Protest gegen die Beschränkung ihrer religiösen und kulturellen Autonomie öffentlich selbst in Brand gesetzt. Der letzte Fall wurde im November 2019 berichtet. Über die wenigen Überlebenden, die von den chinesischen Behörden als Extremistinnen und Extremisten behandelt werden, fehlt meist jede Information (AA 1.12.2020). In den tibetischen Gebieten der Provinzen Sichuans, Gansus und Qinghais kam es seit 2009 zu über 100, meist tödlichen Akten von Selbstverbrennungen, die von religiösen Versammlungen, Protesten und schließlich einer oft gewaltsamen Auflösung durch Sicherheitsorgane gefolgt waren. Einige Tibeter wurden wegen Anstiftung zur Selbstverbrennung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB 10.2020).

Die Beziehungen zwischen Chinas tibetischen Minderheiten und den Han-Chinesen bleiben nach den großen Unruhen von 2008 angespannt. Die staatliche Kontrolle wird durch einen massiven und offensiven Polizeieinsatz aufrechterhalten (BS 29.4.2020). In früheren Jahren flohen nach glaubhaften Berichten jedes Jahr mehrere tausend Tibeterinnen und Tibeter aus religiösen Gründen über die Grenze nach Nepal und weiter nach Nordindien. Ob dieser Trend anhält, ist aufgrund der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit fraglich. Gruppen von tibetischen Flüchtlingen wurden wiederholt auf Druck Chinas von den nepalesischen Behörden nach China zurückgeschoben, wo über ihr weiteres Schicksal häufig keine Informationen zu erlangen sind (AA 1.12.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (1.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041768/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_China_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_01.12.2020.pdf, Zugriff 16.12.2020

BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): Country Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029406/country_report_2020_CHN.pdf, Zugriff 10.12.2020

FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025907.html, Zugriff 10.12.2020

FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Tibet, https://freedomhouse.org/country/tibet/freedom-world/2020, Zugriff 10.12.2020

HRW – Human Rights Watch (5.3.2020): China: Tibetan Children Denied Mother-Tongue Classes, https://www.hrw.org/news/2020/03/05/china-tibetan-children-denied-mother-tongue-classes, Zugriff 11.12.2020

HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022687.html, Zugriff 10.12.2020

Mühlhahn, Klaus (2017): Die Volksrepublik China, Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 44, S. 150

ÖB Peking (10.2020): Asylländerbericht Volksrepublik China

RFA – Radio Free Asia (9.4.2020): Classroom instruction switch from Tibetan to Chinese in Ngaba sparks worry, anger, https://www.rfa.org/english/news/tibet/classroom-04092020184114.html, Zugriff 11.12.2020

USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026349.html, Zugriff 10.12.2020

Rechtsschutz / Justizwesen Letzte Änderung: 17.12.2020

Die Führung unternimmt Schritte, das Rechtssystem auszubauen (AA 1.12.2020). Auf der Plenartagung des Zentralausschusses der KPCh im Oktober 2019 wurde die Notwendigkeit betont, die Macht der KPCh zu festigen und ihre Kontrolle über alle Ebenen der chinesischen Gesellschaft auszuweiten (FH 4.3.2020). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt (DP 27.6.2019). Im März 2018 wurden neue Kontroll- und Ausgleichsmechanismen in die Verfassung aufgenommen, um die Umsetzung zentraler Richtlinien und Vorschriften durchzusetzen. Die Zentralregierung verlässt sich zunehmend auf große Datenmengen, die sie zur Überwachung und Kontrolle der Umsetzung der Reformpolitik auf den verschiedenen Verwaltungsebenen einsetzt. Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 12.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 10.2020). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen (FH 4.3.2020; vgl. AI 30.1.2020). Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, den politisch-juristischen Ausschüssen (FH 4.3.2020). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines „sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung“ unter dem Motto „den 24 Gesetzen entsprechend das Land regieren“. Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 10.2020; vgl. AA 1.12.2020). Die Richterernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen „Unabhängigkeit“ von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 10.2020). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll „Fehlverhalten“ von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden (AA 1.12.2020). Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde Ende 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 1.12.2020). Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die „Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte“ an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft befindlichen Personen innerhalb von 24 Stunden über die erfolgte Festnahme informiert werden. Es müssen von den Behörden jedoch keine Angaben zum Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort der festgenommenen Person gegeben werden. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein (ÖB 10.2020). Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem „designierten Ort“ bis zu sechs Monate unter „Hausarrest“ gestellt werden können (ÖB 10.2020). Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem „Verwaltungsstrafen“ verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer „Verwaltungshaft“ (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten „schwarzen Gefängnissen“ kann 25 zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 1.12.2020). Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind (AA 1.12.2020). Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 4.3.2020). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen „konterrevolutionären Straftaten“ abgeschafft und im Wesentlichen durch „Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden“ (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 1.12.2020). Der Handlungsraum für Menschenrechtsanwälte zur Ausübung ihrer Tätigkeit wird immer weiter eingeschränkt. Menschenrechtsanwälte sind behördlicher Überwachung, Belästigungen, Einschüchterungen und Inhaftierungen ausgesetzt (AI 30.1.2020). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder „Verrat von Staatsgeheimnissen“ lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 1.12.2020). Das mehrjährige harte Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte hat den Zugang der Angeklagten zu unabhängigem Rechtsbeistand geschwächt (FH 4.3.2020). Anwälten und Mitarbeitern von Kanzleien und Aktivisten droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TT 29.3.2016). Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht „geschaffen“ werden (ÖB 10.2020). Eine neue Form der außergerichtlichen Inhaftierung für Ziele von Antikorruptions- und offiziellen Fehlverhaltensuntersuchungen, die als „Liuzhi“ bekannt ist, wurde 2018 zusammen mit der Einrichtung der National Supervisory Commission (NSR) eingeführt. Einzelpersonen können unter Anwendung dieser Maßnahmen bis zu sechs Monate lang ohne Zugang zu Rechtsbeistand inhaftiert werden (FH 4.3.2020). 26 Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen seit einigen Jahren ab. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen (AA 1.12.2020; vgl. ÖB 10.2020).

Quellen: • AA – Auswärtiges Amt (1.12.2020): Bericht über

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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