Index
E3R E10303000Norm
BSVG §279 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen in Wien, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 27/28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2020, W145 2213059-1/3E, betreffend Pflichtversicherung in der Unfallversicherung nach dem BSVG (mitbeteiligte Partei: Ing. H W in D, vertreten durch die Gruböck & Lentschig Rechtsanwälte OG in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 29. Oktober 2018 sprach die Sozialversicherungsanstalt der Bauern (deren Rechtsnachfolgerin die nunmehr revisionswerbende Sozialversicherungsanstalt ist) aus, dass der Mitbeteiligte vom 20. Jänner 2014 bis 11. Juni 2018 in der Unfallversicherung gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 279 Abs. 5 BSVG pflichtversichert sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Mitbeteiligte sei aufgrund des Schenkungsvertrages mit seinem Vater vom 20. Jänner 2014 Eigentümer näher genannter forstwirtschaftlicher Flächen mit einem Ausmaß von 1,5629 ha geworden. Der vom zuständigen Finanzamt festgestellte Einheitswert für diese Flächen habe ab 1. Juli 2001 ATS 2.813,02 bzw. ab 1.4.2018 € 200,00 betragen. Der Mitbeteiligte habe die Erlangung des Eigentums an den betreffenden Flächen erstmals am 12. Juli 2018 der Revisionswerberin schriftlich gemeldet und zugleich angegeben, dass keine Bewirtschaftung erfolgt sei. Da der - durch Umrechnung des Einheitswertes von ATS 2.813,02 in € 204,43 zu ermittelnde und auf € 200,00 abzurundende - sozialversicherungsrechtlich zu berücksichtigende Einheitswert durchgehend über der in § 3 Abs. 2 BSVG festgelegten Grenze von € 150,00 liege, bestehe die Pflichtversicherung in der Unfallversicherung.
2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 27. November 2018 brachte der Mitbeteiligte u.a. vor, der im Zuge der Hauptfeststellung der Einheitswerte zum Stichtag 1. Jänner 2014 neu erlassene Einheitswertbescheid - in dem für die verfahrensgegenständlichen Grundstücke ein Einheitswert von € 200,00 festgestellt worden sei - entfalte aufgrund der Bestimmung des § 363 Abs. 1 BSVG keine Auswirkungen für Zeiträume vor dem 1. April 2018. Bis zu diesem Zeitpunkt sei der „ursprüngliche“ Einheitswert in Höhe von € 145,35 maßgebend, womit aufgrund der Unterschreitung der in § 3 Abs. 2 BSVG festgelegten Grenze von € 150,00 die Pflichtversicherung zu verneinen gewesen sei.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde teilweise statt und sprach aus, der Mitbeteiligte sei vom 1. April 2018 bis 11. Juni 2018 in der Unfallversicherung gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BSVG pflichtversichert. Im Zeitraum vom 20. Jänner 2014 bis 31. März 2018 sei der Mitbeteiligte nicht in der Unfallversicherung gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BSVG pflichtversichert. Es sprach weiters aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte u.a. fest, der vom Finanzamt festgestellte Einheitswert für die verfahrensgegenständlichen Grundstücke habe bis 31. März 2018 € 145,35 und seit 1. April 2018 € 200,00 betragen. Der Wert von € 145,35 ergebe sich aus einer Einheitswertabfrage vom 29. Oktober 2018. Im Zeitraum 1. April 2018 bis 11. Juni 2018 seien diese Grundstücke „landwirtschaftlich“ (Waldbewirtschaftung) genutzt worden, seit 12. Juni 2018 bestehe keine Nutzung mehr.
5 Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend - auf das Wesentliche zusammengefasst - weiter aus, schon beim Voreigentümer - dem Vater des Mitbeteiligten - sei der Einheitswert unter der relevanten Pflichtversicherungsgrenze von € 150,00 gelegen, womit im Zeitpunkt der Eigentumsübergabe kein Einheitswert vorgelegen sei, der iSd. § 279 Abs. 5 BSVG finanzrechtliche Wirksamkeit erlangt habe. Da die Neufestsetzung des Einheitswertes mit € 200,00 erst mit Bescheid vom 4. Dezember 2014 erfolgt sei, habe bis zu diesem Zeitpunkt keine Versicherungspflicht, und zwar auch nicht rückwirkend aufgrund der Umrechnung von Schilling in Euro, bestanden. Aus der Systematik der gesetzlichen Bestimmungen und aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich nämlich, dass sich die Pflichtversicherung im Übergangsrecht ausschließlich nach § 279 Abs. 4 BSVG richte.
6 Änderungen der Einheitswerte aufgrund der Hauptfeststellung zum 1. Jänner 2014 seien gemäß § 363 Abs. 1 BSVG für die Zeit vor dem 1. April 2018 nicht zu berücksichtigen. Der im Zuge der Hauptfeststellung mit Bescheid vom 4. Dezember 2014 auf € 200,00 angehobene Einheitswert für die verfahrensgegenständlichen Grundstücke sei daher erst ab 1. April 2018 wirksam, womit in der Zeit von 20. Jänner 2014 bis 31. März 2018 keine Pflichtversicherung in der Unfallversicherung bestehe. Eine Prüfung der Verjährung erübrige sich daher.
7 Für die Zeit ab dem 1. April 2018 bis zum 11. Juni 2018 (die Meldung der Nichtbewirtschaftung sei durch den Mitbeteiligten am 12. Juli 2018 erstattet worden) bestehe aufgrund des Beginns der Wirksamkeit des Einheitswertes von € 200,00 - iVm. der gesetzlichen Vermutung der Bewirtschaftung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 BSVG - die Pflichtversicherung in der Unfallversicherung.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte und der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Revisionsbeantwortung erstattet haben (wobei sich der Bundesminister inhaltlich allerdings dem Standpunkt der Revision anschloss), in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9 Zur Zulässigkeit und Begründung der außerordentlichen Revision wird - auf das Wesentliche zusammengefasst - geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei von (näher genannter) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es den vom Finanzamt bis zum 31. März 2018 berechnetem Einheitswert von € 145,35 als für die Pflichtversicherung nach dem BSVG maßgebend ansehe. Die Umrechnung des in Schilling festgestellten Einheitswertes habe aber nach der Bestimmung des § 279 Abs. 5 BSVG zu erfolgen, somit durch Umrechnung des ungerundeten Schillingbetrages in Euro und anschließende Abrundung auf volle hundert Euro. Dabei ergebe sich - bereits vor der Wirksamkeit des neuen Hauptfeststellungsbescheides - ein Einheitswert von € 200,00 (während sich der vom Finanzamt berechnete Betrag von € 145,35 aus einer Umrechnung der schon nach § 25 BewG gerundeten Schillingbeträge ergebe).
10 Die Revision ist aus den dargelegten Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.
11 Das Bundesverwaltungsgericht hat das Nichtvorliegen der Pflichtversicherung des Mitbeteiligten in der Unfallversicherung im Ergebnis damit begründet, dass der Einheitswert der verfahrensgegenständlichen Grundstücke schon beim Voreigentümer des Mitbeteiligten - ausgehend von der Umrechnung des Schillingbetrags des letzten festgestellten Einheitswerts durch das Finanzamt - unter € 150,00 gelegen und im Zeitpunkt der Übergabe kein (höherer) Einheitswert vorgelegen sei, der gemäß § 279 Abs. 5 BSVG „finanzrechtliche Wirksamkeit“ erlangt habe. Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht geschlossen, dass der für den Voreigentümer nach dieser Berechnung wirksame Einheitswert von € 145,35 aufgrund der - für die Beurteilung der Pflichtversicherung im „Übergangsrecht“ ausschließlich anzuwendenden - Bestimmung des § 279 Abs. 4 BSVG auch für den Mitbeteiligten gelte.
12 Diese Rechtsauffassung entspricht nicht dem Inhalt der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Bestimmungen: Gemäß § 279 Abs. 4 BSVG bleiben Personen, die nach der am 31. Dezember 2001 in Geltung gestandenen Versicherungsgrenze des § 3 Abs. 2 BSVG pflichtversichert waren, pflichtversichert, solange jener Sachverhalt unverändert bleibt, der für die Einbeziehung in die Pflichtversicherung am 31. Dezember 2001 maßgeblich war. Da im vorliegenden Revisionsfall keine Pflichtversicherung des Mitbeteiligten am 31. Dezember 2001 bestand, ist diese Bestimmung allerdings nicht anzuwenden (vgl. VwGH 14.10.2009, 2008/08/0207).
13 Im vorliegenden Fall ist hingegen die Übergangsbestimmung des § 279 Abs. 5 BSVG einschlägig, in der - bis zum Wirksamkeitsstichtag neu ergangener Feststellungsbescheide - geregelt ist, dass bei Einheitswertbescheiden mit finanzrechtlicher Wirksamkeit vor dem 1. Jänner 2002 der seitens der Abgabenbehörde im Vorfeld der endgültigen Einheitswertfeststellung (§ 25 BewG 1955) ermittelte Ertragswert ab dem 1. Jänner 2002 ungerundet in Schilling heranzuziehen, auf den Cent genau umzurechnen und das Ergebnis sodann auf volle hundert Euro abzurunden ist.
14 Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes lag im vorliegenden Revisionsfall mit dem Einheitswertbescheid vom 12. April 2001 im Zeitpunkt des Erwerbs ein Einheitswertbescheid „mit finanzrechtlicher Wirksamkeit vor dem 1. Jänner 2002“ für die verfahrensgegenständlichen Grundstücke vor. Der in diesem Bescheid festgestellte Einheitswert von ATS 2.813,02 wäre somit gemäß § 279 Abs. 5 BSVG ungerundet auf den Cent genau in Euro umzurechnen - entsprechend den Bestimmungen des Art. 1 der VO (EG) 2866/98 des Rates vom 31. Dezember 1998 mit dem Euro-Umrechnungskurs von ATS 13,7603 - und dann auf volle hundert Euro abzurunden gewesen, um den gemäß § 3 Abs. 2 BSVG für den Mitbeteiligten maßgeblichen Einheitswert zu ermitteln. Wie in der Revision zutreffend vorgebracht wird, ergibt die Umrechnung des ungerundeten Schillingbetrages einen Wert von € 204,43, die Rundung auf volle hundert Euro den maßgeblichen Einheitswert von € 200,00.
15 Indem das Bundesverwaltungsgericht den für die Pflichtversicherung gemäß § 3 Abs. 2 BSVG maßgeblichen Einheitswert entgegen der Bestimmung des § 279 Abs. 5 BSVG ermittelt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
16 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. April 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080123.L00Im RIS seit
18.05.2022Zuletzt aktualisiert am
21.06.2022