TE Vfgh Erkenntnis 2022/2/28 E2802/2021

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Veröffentlicht am 28.02.2022
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Index

L9200 Sozialhilfe, Grundsicherung, Mindestsicherung

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Oö Sozialhilfe-AusführungsG §7
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Kürzung des Richtsatzes nach dem Oö Sozialhilfe-AusführungsG mangels Beurteilung der wirtschaftlichen Situation der gesamten Haushaltsgemeinschaft mit einem (mittlerweile) volljährigen behinderten Kind

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Türkei, verfügt über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" und lebt im gemeinsamen Haushalt mit ihren drei Kindern, einer volljährigen Tochter mit Behinderung sowie einer minderjährigen Tochter und einem minderjährigen Sohn. Die volljährige Tochter erhält monatlich Pflegegeld; die Pflegeleistungen werden von der Beschwerdeführerin durchgeführt. Für die minderjährigen Kinder wird vom Kindesvater ein Unterhalt geleistet. Für die volljährige Tochter wird die Leistung mobile Hilfe und Betreuung nach dem Oö. Chancengleichheitsgesetz (Oö. ChG) im Ausmaß von zwei Monatsstunden in Anspruch genommen.

2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 22. Jänner 2021 wurde der Beschwerdeführerin auf Grund ihres (Folge-)Antrages vom 16. Dezember 2020 auf Erteilung einer Leistung der Sozialhilfe zur Unterstützung des Lebensunterhalts sowie zur Befriedigung des Wohnbedarfs ab 1. Februar 2021 befristet bis 31. August 2021 Sozialhilfe für sie und ihre volljährige behinderte Tochter jeweils nach dem Richtsatz für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen gemäß §7 Abs2 Z2 lita Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (Oö. SOHAG) zuerkannt; die volljährige Tochter erhielt zudem den Zuschlag für Personen mit Behinderung gemäß §7 Abs4 Oö. SOHAG. Für ihre minderjährige Tochter wurde der Beschwerdeführerin Sozialhilfe nach dem Richtsatz für in Haushaltsgemeinschaft lebende unterhaltsberechtigte minderjährige Personen, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, bei einer leistungsberechtigten minderjährigen Person gemäß §7 Abs2 Z3 lita Oö. SOHAG zuerkannt. Der Antrag auf Sozialhilfe für den minderjährigen Sohn der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen.

Des Weiteren wurde ausgesprochen, dass die Summe der Geld- und Sachleistungen für die volljährige behinderte Tochter gemäß §7 Abs9 Oö. SOHAG auf Grund des fehlenden bzw geringen Wohnungsaufwandes reduziert werde. Zudem habe die Beschwerdeführerin als eigene Mittel das Kinderbetreuungsgeld, das anrechenbare Pflegegeld sowie jedes anrechenbare Einkommen ab Erhalt und in Hinblick auf ihre Kinder den Kindesunterhalt des Vaters einzusetzen.

3. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab der Bürgermeister der Stadt Linz mit Beschwerdevorentscheidung insoweit statt, als der Kindesunterhalt in Bezug auf die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin nicht mehr als Einkommen angerechnet wurde. Des Weiteren wurde ausgesprochen, dass der Zuschlag für Personen mit Behinderung auf Grund anrechenbarer Leistungen nach dem Oö. ChG entsprechend reduziert werde.

Im Vorlageantrag begehrte die Beschwerdeführerin den Zuschlag für Alleinerziehende im gesetzlichen Ausmaß, eine Reduktion des anrechenbaren Einkommens aus dem Pflegegeld auf Grund behinderungsbedingter Ausgaben sowie, dass für die volljährige behinderte Tochter keine Leistungsreduktion mangels Wohnaufwand durchgeführt werde.

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wies die Beschwerde insoweit ab, als der angefochtene Bescheid in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung bestätigt wurde.

4.1. Begründend führte es im Wesentlichen aus, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien unter "alleinerziehenden Personen" nach dem klaren Wortlaut der Legaldefinition in §7 Abs8 Oö. SOHAG jene Personen zu verstehen, die "ausschließlich" mit anderen Personen in Haushaltsgemeinschaft leben, gegenüber denen sie mit der Obsorge bzw der Pflege und Erziehung betraut sind. Die Obsorge (und sohin auch die Verpflichtung zur Pflege und Erziehung) für das Kind erlösche mit dem Eintritt seiner Volljährigkeit. Auf den Umstand, dass diese Person gegenüber einer in der Haushaltsgemeinschaft lebenden (volljährigen) Person allenfalls zum Unterhalt verpflichtet ist, stelle das Gesetz nicht ab. Daraus folge, dass der Alleinerzieherbonus nach §7 Abs3 Oö. SOHAG lediglich in Fällen gebühre, in denen die sozialhilfeberechtigte Person ausschließlich mit (weiteren) minderjährigen Personen in Haushaltsgemeinschaft lebe. Im vorliegenden Fall lebe die Beschwerdeführerin nicht ausschließlich mit ihren minderjährigen Kindern, sondern auch mit ihrer mittlerweile volljährigen behinderten Tochter in Haushaltsgemeinschaft; der Zuschlag für Alleinerziehende sei ihr daher zu Recht nicht erteilt worden.

4.2. Ebenso rechtmäßig sei, dass die der volljährigen Tochter gewährte Leistung auf Grund fehlender Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs reduziert worden sei. Gemäß §7 Abs9 Oö. SOHAG sei der Richtsatz für bezugsberechtigte volljährige Personen um 25 % zu verringern, wenn diese keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten haben. Da die Tochter wegen ihrer Behinderung nicht selbsterhaltungsfähig sei, habe ihr die Beschwerdeführerin gemäß §231 ABGB Unterhalt zu leisten. Im Fall aufrechter Haushaltsgemeinschaft sei primär Naturalunterhalt durch die Eltern zu leisten.

4.3. Auf den der volljährigen behinderten Tochter gebührenden Zuschlag gemäß §7 Abs4 Oö. SOHAG sei ferner die mobile Hilfe und Betreuung nach dem Oö. ChG anzurechnen. Ebenso ins Leere gehe das Beschwerdevorbringen, wonach Teile des Pflegegeldes der Beschwerdeführerin nicht als Einkommen anzurechnen seien.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Dazu wird im Wesentlichen ausgeführt, das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich habe §7 Abs8 Oö. SOHAG denkunmöglich angewendet, wonach als "alleinerziehend" jene Personen gelten, die ausschließlich mit anderen Personen in Haushaltsgemeinschaft leben, gegenüber denen sie mit der Obsorge bzw der Pflege und Erziehung betraut sind. Zwar sei eine Tochter der Beschwerdeführerin mittlerweile volljährig. Allerdings sei diese Tochter laut Behindertenausweis zu 100 % behindert und daher durchgehend auf die Pflege und Erziehung der Beschwerdeführerin angewiesen. Hinsichtlich der teilweisen Anrechnung des Pflegegeldes wird ferner unter Verweis auf §1 Bundespflegegeldgesetz dargetan, das Pflegegeld diene nicht der Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts, sondern der Deckung der Betreuung und Hilfe, die die betroffene Person benötige. Schließlich beteilige sich die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin am Mietzins, weshalb keine Reduktion des Richtsatzes erfolgen dürfe.

6. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat die Gerichtsakten vorgelegt, von einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

7. Der Bürgermeister der Stadt Linz hat eine Gegenschrift erstattet, in der er näher begründet, weshalb dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen sei.

7.1. Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens zum Alleinerzieherbonus verweist der Bürgermeister der Stadt Linz insbesondere auf die jüngste Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die auch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in die angefochtene Entscheidung einbezogen hatte. Demnach umfasse die in §7 Abs8 Oö. SOHAG genannte Personengruppe, denen gegenüber Alleinerziehende mit der Obsorge bzw der Pflege und Erziehung betraut sind, ausschließlich Minderjährige, sohin Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Dem Bürgermeister der Stadt Linz zufolge ergebe sich aus dem ABGB, dessen Begrifflichkeit das Oö. SOHAG übernommen habe, dass die "Obsorge" mit der Volljährigkeit erlösche. Im Rechtsbereich der Erwachsenenvertretung werde der Begriff "Obsorge" hingegen nicht verwendet. Abgesehen davon habe sich die finanzielle Situation der Bedarfsgemeinschaft mit Eintritt der Volljährigkeit der ersten Tochter der Beschwerdeführerin verbessert, da für diese nun der Richtsatz für volljährige, in Haushaltsgemeinschaft lebende Personen zur Anwendung komme und sich der Richtsatz für die beiden verbleibenden Kinder von 15 % auf 20 % erhöhe. Schließlich würde es die soziale Balance und Gerechtigkeit des Oö. SOHAG aus dem Gleichgewicht bringen, wenn der Alleinerzieherbonus dem jeweiligen Elternteil auch nach Eintritt der Volljährigkeit des im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindes noch zustünde.

7.2. Betreffend das Beschwerdevorbringen zur teilweisen Berücksichtigung des Pflegegeldes als Einkommen der Beschwerdeführerin als pflegende Person vermeint der Bürgermeister der Stadt Linz unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und die Erläuterungen zum Oö. SOHAG, dass von der Anrechnung als Einkommen nur diejenigen pflegebezogenen Leistungen ausgenommen seien, die für die Deckung des eigenen Pflegebedarfs zuerkannt worden seien. Geldleistungen pflegender Angehöriger würden demgegenüber sehr wohl einzusetzende eigene Mittel darstellen.

7.3. In Bezug auf die Reduktion des Richtsatzes mangels Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs führt der Bürgermeister der Stadt Linz aus, dass es zweifelhaft sei, ob ein volljähriges, nicht selbsterhaltungsfähiges Kind, das in Haushaltsgemeinschaft mit einem naturalunterhaltspflichtigen Elternteil lebe, überhaupt rechtlich zulässig mit Aufwendungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs belastet werden könne. Er rekurriert auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach ein Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem volljährigen, nicht selbsterhaltungsfähigen Kind nicht mindern könne, indem er sich darauf berufe, das Kind solle Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Daraus leitet der Bürgermeister der Stadt Linz ab, dass die Unterhaltsleistung jedenfalls dann auch die Wohnungsgewährung umfasse, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil selbst keine Sozialhilfeleistungen beziehe. Des Weiteren ließen die Erläuterungen zum Oö. SOHAG darauf schließen, dass auch dann keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs vorlägen, wenn etwa eine in Haushaltsgemeinschaft lebende Person keinerlei Verpflichtung zur Leistung des Mietzinses habe, da dieser Mietzins von einer anderen Person der Haushaltsgemeinschaft übernommen werde und es keine gesonderte Vereinbarung im Innenverhältnis gäbe.

II. Rechtslage

Das Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (Oö. SOHAG), LGBl 107/2019, idF LGBl 6/2020 lautet wie folgt:

"§6

Sachliche Voraussetzungen für die Leistung der Sozialhilfe

(1) Voraussetzung für die Leistung der Sozialhilfe ist, dass eine Person im Sinn des §5

     1. von einer sozialen Notlage (Abs2) betroffen ist und

     2. bereit ist, sich um die Abwendung, Milderung bzw Überwindung der sozialen Notlage zu bemühen (Abs4).

(2) Eine soziale Notlage liegt bei Personen vor,

     1. die ihren eigenen Lebensunterhalt und Wohnbedarf oder

     2. den Lebensunterhalt und Wohnbedarf von unterhaltsberechtigten Angehörigen, die mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft leben,

nicht decken können.

[…]

§7

Monatliche Leistungen der Sozialhilfe mit Rechtsanspruch

(1) Die Leistung der Sozialhilfe erfolgt in Form von monatlichen, zwölfmal im Jahr gebührenden pauschalen Geldleistungen oder Sachleistungen zur Unterstützung des Lebensunterhalts sowie zur Befriedigung eines ausreichenden und zweckmäßigen, das Maß des Notwendigen aber nicht überschreitenden Wohnbedarfs.

(2) Die Summe der Geld- und Sachleistungen (Richtsätze) nach Abs1 beträgt pro Person und Monat bezogen auf den Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatz für Alleinstehende

    1. für eine alleinstehende oder alleinerziehende Person  100 %

    2. für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen

      a) pro Person   70 %

      b) ab der dritten leistungsberechtigten Person   45 %

    3. für in Haushaltsgemeinschaft lebende unterhaltsberechtigte minderjährige Personen, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht:

      a) bei einer leistungsberechtigten, minderjährigen Person  25 %

      b) bei zwei leistungsberechtigten, minderjährigen Personen pro Person 20 %

      c) bei drei leistungsberechtigten, minderjährigen Personen pro Person 15 %

      d) bei vier leistungsberechtigten, minderjährigen Personen pro Person 12,5 %

      e) bei fünf oder mehr leistungsberechtigten, minderjährigen Personen pro Person 12%

(3) Für alleinerziehende Personen sind zur weiteren Unterstützung des Lebensunterhalts bezogen auf den Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatz für Alleinstehende folgende Zuschläge zu gewähren (Alleinerzieherbonus):

      a) für die erste minderjährige Person 12 %

      b) für die zweite minderjährige Person 9 %

      c) für die dritte minderjährige Person 6 %

      d) für jede weitere minderjährige Person 3 %

(4) Für volljährige und minderjährige Personen mit Behinderung (§40 Abs1 und 2 BBG, BGBl Nr 283/1990, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 150/2002) ist zur weiteren Unterstützung des Lebensunterhalts, sofern nicht höhere Leistungen auf Grund besonderer landesgesetzlicher Bestimmungen, die an eine Behinderung anknüpfen, gewährt werden, ein Zuschlag in Höhe von 18 % pro Person bezogen auf den Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatz für Alleinstehende zu gewähren.

(5) Eine Haushaltsgemeinschaft bilden mehrere in einer Wohneinheit oder Wohngemeinschaft lebende Personen, soweit eine gänzliche oder teilweise gemeinsame Wirtschaftsführung nicht auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden kann. Leben mehr als zwei bezugsberechtigte, volljährige Personen in Haushaltsgemeinschaft, ist für die beiden ältesten Personen der Richtsatz gemäß Abs2 Z2 lita heranzuziehen. Die Leistungen gemäß Abs2 Z3 sind nach dem Alter in absteigender Reihenfolge zu gewähren, wobei für die älteste minderjährige Person der Richtsatz gemäß Abs2 Z3 lita heranzuziehen ist.

[…]

(8) Als alleinerziehende Personen im Sinn des Abs2 Z1 und Abs3 gelten Personen, die ausschließlich mit anderen Personen in Haushaltsgemeinschaft leben, gegenüber denen sie mit der Obsorge bzw der Pflege und Erziehung betraut sind.

(9) Hat eine bezugsberechtigte volljährige Person keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten, ist der für sie anzuwendende Richtsatz nach Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b im Ausmaß von 25 % zu verringern. Hat die bezugsberechtigte volljährige Person zwar Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten, erreichen diese aber nicht ein Ausmaß von 25 %, ist der Richtsatz nach Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b im entsprechenden Ausmaß zu reduzieren.

(10) Die Summe aller Geldleistungen der Sozialhilfe, die unterhaltsberechtigten minderjährigen Personen einer bestimmten Haushaltsgemeinschaft auf Grund einer Berechnung gemäß §7 zur Verfügung stehen soll, ist rechnerisch gleichmäßig – mit Ausnahme von Leistungen gemäß Abs4 – auf alle unterhaltsberechtigten minderjährigen Personen aufzuteilen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungs-verfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen (vgl dazu jüngst VfGH 7.6.2021, E3494/2020):

3.1. Gemäß §7 Abs9 Oö. SOHAG ist für bezugsberechtigte volljährige Personen der Richtsatz nach §7 Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b Oö. SOHAG im Ausmaß von 25 % zu verringern, sollten diese keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten haben. Für den Fall, dass derartige Aufwendungen anfallen, diese aber nicht ein Ausmaß von 25 % des jeweiligen Richtsatzes erreichen, ist der Richtsatz im entsprechenden Ausmaß zu reduzieren. Den Materialien dieser Bestimmung zufolge soll es nur dann zu einer Kürzung des Richtsatzes kommen, wenn die bezugsberechtigte Person "nicht durch Aufwendungen im Bereich des Wohnbedarfs (Miete, Betriebs- und Energiekosten) belastet" wird. Als Beispiel wird die Tragung des Wohnungsaufwandes durch Dritte auf Grund vertraglicher Regelungen angeführt (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 13). Denkbar wäre zB die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährte Wohnbeihilfe nach dem Oö. Wohnbauförderungsgesetz 1993.

3.2. In den Erläuterungen zu §6 Abs2 Oö. SOHAG hat der Ausführungsgesetzgeber überdies klargestellt, dass soziale Notlagen jeweils auf der Ebene eines Haushalts betrachtet werden (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 10). Eine Haushaltsgemeinschaft bilden nach §7 Abs5 Oö. SOHAG mehrere in einer Wohneinheit oder Wohngemeinschaft lebende Personen, soweit eine gänzliche oder teilweise gemeinsame Wirtschaftsführung nicht auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden kann. Die grundsätzliche Annahme, dass mehrere in einer Wohneinheit oder sonstigen Wohngemeinschaft lebende Personen eine Haushaltsgemeinschaft bilden, ist – so die Erläuterungen – auf Grund der damit regelmäßig verbundenen Kostenersparnis gerechtfertigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob zwischen diesen im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen oder nicht (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 12; vgl auch VwGH 16.2.2021, Ra 2020/10/0147).

3.3. Wesentliches Kriterium für die Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt bzw eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt, ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – auf die in den Erläuterungen ebenfalls verwiesen wird – "dass zumindest in Teilbereichen eine gemeinsame Wirtschaftsführung besteht" (VwGH 23.10.2012, 2012/10/0020; 16.2.2021, Ra 2020/10/0147). Dem Grundsatz folgend, dass in Haushaltsgemeinschaft lebende Personen erfahrungsgemäß geringere Wohnkosten und – in einem gewissen Ausmaß – auch geringere Lebenshaltungskosten zu tragen haben (vgl VfSlg 20.244/2018, 20.297/2018, 20.300/2018, 20.359/2019), ist in §7 Abs2 Oö. SOHAG eine degressive Abstufung der Richtsätze festgelegt (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 11). Eine gemeinsame Wirtschaftsführung bringt es zwangsläufig auch mit sich, dass gewisse Ausgaben vordergründig nur von einer Person der Haushaltsgemeinschaft bezahlt werden, diese jedoch wirtschaftlich betrachtet Ausgaben der gesamten Haushaltsgemeinschaft darstellen.

3.4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht in seiner Begründung davon aus, dass gemäß §7 Abs9 Oö. SOHAG eine Kürzung des Richtsatzes mangels Aufwendungen zum Wohnbedarf dann vorzunehmen sei, wenn eine bezugsberechtigte volljährige Person keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten habe; dies sei hinsichtlich der volljährigen behinderten Tochter der Beschwerdeführerin der Fall. Die Beschwerdeführerin habe mangels Selbsterhaltungsfähigkeit ihrer volljährigen Tochter primär Naturalunterhalt zu leisten. Die Reduktion des Richtsatzes der volljährigen Tochter sei daher mangels Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs gerechtfertigt.

3.5. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 7. Juni 2021, E3494/2020, ausführte, kann allein aus der Tatsache, dass der gesamte Mietzins für die Wohnung von einer Person der Haushaltsgemeinschaft überwiesen wird, nicht darauf geschlossen werden, dass die übrigen im Haushalt lebenden (volljährigen) Personen mit keinen Aufwendungen für den Wohnbedarf belastet sind. Hinzukommt, dass die der Beschwerdeführerin gewährte Sozialhilfeleistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs nur ihren eigenen Wohnaufwand deckt, nicht aber auch jenen ihrer volljährigen Tochter. Deren Wohnaufwand ist in ihrem eigenen Richtsatz für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen berücksichtigt. Wie oben bereits dargestellt, wäre das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gehalten gewesen, die wirtschaftliche Situation der gesamten Haushaltsgemeinschaft zu beurteilen. Eine solche Gesamtbeurteilung führt zu dem Ergebnis, dass entweder für alle Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft ein zu deckender Wohnbedarf vorhanden ist und/oder dass dieser (zumindest teilweise) anderweitig, zB durch Dritte, gedeckt wird. Aus den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich ergibt sich jedoch unzweifelhaft, dass weder der Wohnbedarf der Beschwerdeführerin noch der ihrer Haushaltsgemeinschaft (von Dritten) gedeckt wird, sondern lediglich, dass die Beschwerdeführerin für die Wohnung Mietkosten in bestimmter Höhe zu leisten hat.

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat somit §7 Abs9 Oö. SOHAG einen denkunmöglichen Inhalt unterstellt, indem es alleine auf Grund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin Naturalunterhalt zu gewähren habe, davon ausgegangen ist, dass ihre in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Tochter keine Aufwendungen zur Deckung ihres Wohnbedarfs habe. Es hat daher seine Entscheidung mit Willkür belastet.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Sozialhilfe, Kinder, Entscheidungsbegründung, Unterhalt, Behinderte, Mindestsicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E2802.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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