Index
90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des K in L, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 16. November 1993, Zl. VerkR-390.948/5-1993/F, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 14. Mai 1993 wurde die dem Beschwerdeführer für Kraftfahrzeuge der Gruppe B erteilte Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß bis zur behördlichen Feststellung "der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen" keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Einer gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung versagt.
Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. November 1993 wurde der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers wegen "derzeit nicht gegebener geistiger Eignung" erfolge.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde erstattete unter Aktenvorlage eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde führte zur Begründung des angefochtenen Bescheides im wesentlichen aus, daß hinsichtlich der geistigen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen das amtsärztliche Gutachten vom 12. August 1993 eingeholt worden sei, woraus sich die Nichteignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kfz ergebe. In der Folge habe der Beschwerdeführer einen Befund einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 31. August 1993 beigebracht. Dieser sei der Amtsärztin vorgelegt und von ihr berücksichtigt worden. In ihrem ergänzenden Gutachten habe die Amtsrätin ausgeführt, daß sich auch auf Grund dieses fachärztlichen Befundes keine Veränderung in ihrer Beurteilung ergebe, die gegenwärtige Nichteignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen sei im (ersten) Gutachten ausführlich begründet worden. Im gegenständlichen Fall scheine ein Beobachtungszeitraum von etwa einem Jahr (gerechnet ab dem letzten stationären Aufenthalt in der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg bis 24. März 1993) erforderlich, um von einem ausreichend stabilen psychischen Zustand des Beschwerdeführers ausgehen zu können. Diese Schlußfolgerung des amtsärztlichen Gutachtens legte die belangte Behörde ihrer Beurteilung zugrunde, daß der Beschwerdeführer derzeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet sei, und entzog - wie aus dem Spruch ihres Bescheides ersichtlich - dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung.
Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber im wesentlichen ein, daß die Amtsärztin den von ihm vorgelegten fachärztlichen Befund vom 31. August 1993 nicht berücksichtigt habe, wonach beim Beschwerdeführer keine paranoide Symptomatik nachweisbar sei, ebenso keine Verhaltensstörungen und keine anderen Aggressivitätstendenzen. Die Fachärztin habe ausgeführt, daß aus nervenfachärztlicher Sicht voraussichtlich gegen den weiteren Besitz des Führerscheines nichts einzuwenden sei. Die belangte Behörde habe sich mit diesen Argumenten nicht auseinandergesetzt und habe nur global auf das vorliegende Amtssachverständigengutachten verwiesen.
Gemäß § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist. Was unter Behinderung im Sinne § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 zu verstehen ist, ergibt sich aus § 31 KDV 1967: Gemäß dieser Bestimmung gelten als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht eines krankhaften Zustandes ergibt, der die geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten einzubeziehen hat, anzuordnen.
Die Behörde hatte zunächst hinsichtlich der geistigen Eignung des Beschwerdeführers das amtsärztliche Gutachten vom 12. August 1993 eingeholt. Die Amtssachverständige hielt darin nach Darstellung der Vorgeschichte und des Befundes folgendes fest:
"Bei Herrn K besteht eine psychische Erkrankung (depressive paranoide Entwicklung, zunehmende paranoide Symptomatik), die derzeit noch nicht ausreichend gut behandelt ist. Der erste stationäre Aufenthalt in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg erfolgte im Juni 1992 (damals erster Suizidversuch), insgesamt kam es bisher zu fünf stationären Aufenthalten, der letzte stationäre Aufenthalt erfolgte bis 24. März 1993. Die bei der Untersuchung im hs. Amt (Anmerkung: diese erfolgte am 22. Juli 1993) festgestellten psychischen Auffälligkeiten (vor allem psychomotorische Unruhe, gesteigerter Antrieb, beschleunigter Gedankengang, paranoide Ideen etc.) sind Beweis dafür, daß der Beobachtungszeitraum von vier Monaten seit dem letzten stationären Aufenthalt zu kurz ist, um von einem psychisch weitgehend stabilisierten Zustand sprechen zu können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt läßt die psychische Störung des Herrn K eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens bzw. ein erhöhtes Unfallsrisiko erwarten. Herr K ist somit derzeit nicht geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B."
Der Beschwerdeführer legte im Verfahren vor der belangten Behörde einen Befund der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. P vom 31. August 1993 vor, der folgendes enthält:
"Der Pat. steht seit Sep. 1992 hier in Behandlung, insbes. seit Frühjahr dieses Jahres bei regelmäßiger Einnahme von Haldol 10 mg abends gab es keine Auffälligkeiten mehr, es ist keine paranoide Symptomatik nachweisbar, auch konnte keine Verhaltensstörung beobachtet werden, ebenso wie keine anderen Aggressivitätstendenzen, auch nicht Selbstaggressionen zu beobachten waren.
Aus dzt. Sicht ist voraussichtl. gegen den weiteren Besitz des Führerscheins nichts einzuwenden, allerdings sollte die medikamentöse Therapie von 10 mg Haldol abends weiter fortgeführt werden.
Diagnose: paranoide Persönlichkeit."
Dieser Befund wurde der Amtsärztin vorgelegt, welche sich in ihrer ergänzenden gutachterlichen Äußerung vom 22. September 1993 - nach Darstellung des Inhaltes des fachärztlichen Befundes - hiezu wie folgt äußerte:
"Aus hs. Sicht bleibt das Gutachten vom 12. August 1993 vollinhaltlich aufrecht. Wesentlich ist, daß für die gegenständliche Beurteilung einerseits das Ergebnis der Untersuchung im hs. Amt und andererseits die eingeholten Krankengeschichten über die stationären Aufenthalte in der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg maßgeblich waren. Durch die nunmehr vorgelegte fachärztliche Bestätigung ergibt sich aus hs. Sicht keine Änderung der Beurteilung, die gegenwärtige Nichteignung wurde im gegenständlichen Gutachten ausführlich begründet. Im gegenständlichen Fall scheint ein Beobachtungszeitraum von etwa einem Jahr (gerechnet ab dem letzten stationären Aufenthalt in der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg bis 24. März 1993) erforderlich um von einem ausreichend stabilen psychischen Zustand ausgehen zu können."
Verfehlt ist daher die Auffassung des Beschwerdeführers, daß sich die Amtsärztin mit dem fachärztliche Befund vom 31. August 1993 nicht auseinandergesetzt hätte und die belangte Behörde es verabsäumt hätte, der Amtsärztin diesen fachärztlichen Befund vorzulegen. Dennoch ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht, daß das amtsärztliche Sachverständigengutachten noch keine taugliche Entscheidungsgrundlage darstellen konnte. Es trifft wohl - im Einklang mit der Auffassung der belangten Behörde - zu, daß die Amtssachverständige auch die Krankengeschichten des Beschwerdeführers über seine mehrmaligen Aufenthalte in der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg zu berücksichtigen und insbesondere auch auf die persönliche Exploration des Beschwerdeführers vom 22. Juli 1993 Bedacht zu nehmen hatte. Dennoch ist schon aus dem ärztlichen Amtssachverständigengutachten vom 12. August 1993 - das die Amtssachverständige abschließend aufrecht hielt - nicht einwandfrei und schlüssig nachvollziehbar, welche konkrete Beeinträchtigung des Fahrverhaltens bzw. inwieweit ein erhöhtes Unfallsrisiko durch die psychische Störung des Beschwerdeführers zu erwarten sei. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß die gemäß § 31 KDV 1967 erforderliche Untersuchung des Beschwerdeführers durch den entsprechenden Facharzt unter Einbeziehung einer Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 91/11/0160) nicht stattgefunden hat. Hinzu kommt, daß die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in ihrem Befund vom 31. August 1993, somit mehr als ein Monat nach der Untersuchung durch die Amtsärztin, darlegte, daß es beim Beschwerdeführer - nach medikamentöser Behandlung - keine Auffälligkeiten mehr gebe, eine paranoide Symptomatik nicht nachweisbar sei und auch keine Verhaltensstörungen, keine anderen Aggressivitätstendenzen und auch keine Selbstaggressionen zu beobachten gewesen seien. Die Amtssachverständige nahm diese Ausführungen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie wohl zur Kenntnis, setzte sich mit ihnen in ihrer ergänzenden gutachterlichen Äußerung vom 22. September 1993 jedoch nicht im Detail auseinander und führte insbesondere auch nicht schlüssig aus, warum beim Beschwerdeführer jedenfalls ein Beobachtungszeitraum von etwa einem Jahr (ab 24. März 1993) erforderlich sei, sodaß das abschließende Amtssachverständigengutachten als nicht hinreichend anzusehen ist. Die Ermittlungsergebnisse sind daher noch nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, daß der Beschwerdeführer an einer psychischen Erkrankung leidet, die eine Beeinträchtigung seines Fahrverhaltens in der Weise erwarten läßt, daß er gemäß den §§ 30 Abs. 1 Z. 1, 31 KDV 1967 zum Lenken von Kraftfahrzeugen geistig nicht geeignet ist.
Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf überhöht verzeichneten Stempelgebührenersatz.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994110009.X00Im RIS seit
12.06.2001