TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/7 Ra 2021/03/0151

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Veröffentlicht am 07.04.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
27/01 Rechtsanwälte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §57
AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art130
RAO 1868 §26 Abs5
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Michael Enzinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Mai 2021, Zl. VGW-162/006/8380/2020-13, betreffend vorzeitige Altersrente (mitbeteiligte Partei: Dr. A L in W, vertreten durch Mag.a Elisabeth Brandstetter, Rechtsanwältin in 1130 Wien, Wattmanngasse 17), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei, den Mitbeteiligten zum Kostenersatz zu verpflichten, wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 2. April 2019 gab die Abteilung VI des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien dem Antrag des Mitbeteiligten auf Zuerkennung einer vorzeitigen Altersrente ab 1. März 2019 gemäß §§ 26 bis 29 der Verordnung der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages über die Versorgungseinrichtungen Teil A der österreichischen Rechtsanwaltskammern (Satzung Teil A 2018) statt (Spruchpunkt 1.). Die Höhe der vorzeitigen Altersrente wurde mit 79,1491 % der Basisrente von € 2.540,00 gemäß der Verordnung der Plenarversammlung der Rechtsanwaltskammer Wien über die Höhe der von der Versorgungseinrichtung zu erbringenden Leistungen (Leistungsordnung 2019), sohin € 2.010,39, festgesetzt (Spruchpunkt 2.). Hinsichtlich der Höhe der vorzeitigen Altersrente nach der Verordnung der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages über die Versorgungseinrichtungen Teil B der österreichischen Rechtsanwaltskammern (Satzung Teil B 2018) ergehe ein gesonderter Bescheid (Spruchpunkt 3.). Unter einem sprach die Behörde aus, dass die offenen Posten an der Umlage Teil A in der Höhe von € 5.804,07 gemäß § 56 der Satzung Teil A 2018 mit der Hälfte der zu erbringenden jeweiligen monatlichen Geldleistung und gemäß § 69 der Satzung Teil B zur Gänze aufgerechnet werden (Spruchpunkt 4.). In ihrer Begründung führte die Behörde aus, dass der Mitbeteiligte per 28. Februar 2019 auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet und die vorzeitige Altersrente ab 1. März 2019 beantragt habe. Der Mitbeteiligte habe von seiner Eintragung am 29. Jänner 1985 bis zum 28. Februar 2019 409 Beitragsmonate (bei 432 Normbeitragsmonaten) erworben. Die Berechnung der Rentenhöhe erfolge gemäß §§ 28 und 29 Abs. 2 der Satzung Teil A 2018.

2        Gegen die Spruchpunkte 2. und 4. erhob der Mitbeteiligte Vorstellung, welche zunächst wegen Verspätung vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien mit Bescheid vom 21. Mai 2019 zurückgewiesen wurde. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 10. Dezember 2019 behoben.

3        Mit Bescheid vom 10. März 2020 erließ der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien im Plenum - in Bestätigung der angefochtenen Spruchpunkte des Bescheids vom 2. April 2019 - einen hinsichtlich der angefochtenen Spruchpunkte 2. und 4. gleichlautenden Bescheid, wonach die Höhe der vom Mitbeteiligten beantragten und ihm bewilligten vorzeitigen Altersrente mit 79,1491 % der Basisrente von € 2.540,00, sohin € 2.010,39 festgesetzt und gleichzeitig ausgesprochen wurde, dass die offenen Posten in der Höhe von € 5.804,07 gemäß § 56 der Satzung Teil A 2018 mit der Hälfte der zu erbringenden jeweiligen monatlichen Geldleistung und gemäß § 69 der Satzung Teil B zur Gänze aufgerechnet werden. Die belangte Behörde führte in ihrer Begründung aus, dass die Berechnung der vorzeitigen Altersrente nach den §§ 28 und 29 Abs. 2 der Satzung Teil A 2018 erfolge und verwies dazu auf den Bescheid vom 2. April 2019. Gemäß § 56 der Satzung Teil A 2018 und § 69 der Satzung Teil B 2018 sei eine Aufrechnung von zu erbringenden Leistungen zum Teil bzw. zur Gänze mit fälligen Beiträgen zulässig.

4        Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht holte in weiterer Folge sowohl vom Mitbeteiligten als auch von der Rechtsanwaltskammer Stellungnahmen ein.

5        Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 10. März 2020 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Rechtsanwaltskammer Wien zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

Das Verwaltungsgericht führte in seiner Begründung aus, dass die belangte Behörde die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gänzlich unterlassen habe. Mit der rechtzeitigen Vorstellung des Mitbeteiligten sei der Mandatsbescheid vom 25. April 2019 ex nunc außer Kraft getreten. Ein ordentliches Verfahren sei von der Behörde in der Folge nicht eingeleitet worden bzw. es seien keine weiteren Verfahrensschritte im Ermittlungsverfahren gesetzt worden. Die Behörde nehme inhaltlich ausschließlich auf den Mandatsbescheid vom 25. April 2019 Bezug und übersehe dabei, dass dieser Mandatsbescheid Gegenstand des Vorstellungsverfahrens gewesen sei und durch den Vorstellungsbescheid vom 10. März 2020 ersetzt werde. Die Behörde verweise im Spruch des angefochtenen Bescheids unzulässigerweise auf die Ausführungen des Mandatsbescheids. Auf welche darüberhinausgehenden Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde ihre sonstigen Annahmen stütze, sei für das Verwaltungsgericht nicht ersichtlich. Der Mitbeteiligte habe zu Recht die Verletzung des Parteiengehörs moniert. Im Weiteren fehle es dem angefochtenen Bescheid an der Grundlage zur Berechnung der Rentenhöhe und es werde, anders als im außer Kraft getretenen Mandatsbescheid, auf die herangezogene Gesamtzahl der Beitragsmonate der mitbeteiligten Partei (409 Beitragsmonate, 432 Normbeitragsmonate) nicht Bezug genommen. Auch erfolge kein Hinweis auf die Berechnung des erfolgten Abzugs der berechneten Rentenhöhe. Darüber hinaus seien auch keine Kontoaufstellungen der Kammerbeiträge, der Umlage und der Zusatzpension beigefügt worden. Diese Berechnungen würden jedoch einen integrierten Bestandteil eines Bescheids zur Festsetzung dieser Leistungen darstellen. Im Übrigen erweise sich der Bescheid als widersprüchlich, da von der Behörde einander widersprechende Rechtsgrundlagen herangezogen worden seien. So habe die Behörde die Aufrechnungsmöglichkeit sowohl auf die Satzung Teil A 2018 als auch auf die Satzung Teil B 2018 gestützt. Insgesamt habe es die belangte Behörde daher unterlassen, dem angefochtenen Bescheid vollständige Ermittlungsergebnisse und die vorgenommenen Berechnungen zu Grunde zu legen.

6        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien, die zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen vorbringt, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht vorlägen.

7        Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie vorbringt, dass die Aufhebung und Zurückverweisung zu Recht erfolgt sei. Darüber hinaus sei auch von der Behörde das Existenzminimum zu beachten gewesen. Schließlich sei die Festlegung der Normbeitragsmonate aus näher genannten Gründen gesetzes- bzw. verfassungswidrig. Die mitbeteiligte Partei beantragte die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist im Sinne des Zulässigkeitsvorbringens zulässig und auch begründet.

9        Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

10       Dabei hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit (ausnahmsweise) als nicht gegeben annimmt. Es hat daher darzulegen, dass und aus welchen Gründen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG nicht erfüllt sind, insbesondere in welcher Weise der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht und inwiefern allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2018/22/0132).

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl VwGH 10.12.2021, Ra 2021/03/0143).

12       Im gegenständlichen Fall ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die revisionswerbende Behörde kein Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Der Bescheid vom 2. April 2019 sei mit der Vorstellung ex nunc außer Kraft getreten. Ein Verweis auf diesen Bescheid sei daher unzulässig.

13       Mit diesen Ausführungen verkennt das Verwaltungsgericht einerseits, dass es sich bei dem Bescheid vom 2. April 2019 um keinen Mandatsbescheid nach § 57 AVG handelt. Bei Vorstellungen gegen Bescheide („Beschlüsse“) des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer nach § 26 Abs. 5 RAO kommen lediglich die vergleichbaren Regelungen der (remonstrativen) Vorstellung gegen Mandatsbescheide zur Anwendung (vgl. dazu etwa VwGH 10.10.2018, Ra 2017/03/0061, mwN). Es kann daher bloß deshalb nicht ohne Weiteres gesagt werden, dass die revisionswerbende Behörde keine Ermittlungen vorgenommen habe.

14       Andererseits übersieht das Verwaltungsgericht überdies, dass der Bescheid vom 2. April 2019 nicht in allen Spruchpunkten angefochten wurde. Aus diesem, in seinen Spruchpunkten 1. und 3. rechtskräftigen, Bescheid ergeben sich bereits alle zur Berechnung der (vorzeitigen) Altersrente erforderlichen - im Verfahren unbestritten gebliebenen - Feststellungen zu den tatsächlich geleisteten Beitragsmonaten und der dem Geburtsdatum der mitbeteiligten Partei entsprechenden Anzahl von Normbeitragsmonaten. Diese Informationen wurden dem Verwaltungsgericht von der Rechtsanwaltskammer Wien in ihren Stellungnahmen auch erneut vorgelegt.

15       Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum es dem Verwaltungsgericht nicht möglich gewesen wäre, jedenfalls hinsichtlich des - im Übrigen trennbaren (vgl. VwGH 28.1.2021, Ra 2019/03/0076, mwN) - Spruchpunktes 2. des Bescheides (vorzeitige Altersrente) in der Sache selbst zu entscheiden.

16       Wenn darüber hinaus das Verwaltungsgericht aufgrund - aus seiner Sicht -fehlender Kontoaufstellungen die offenen Beiträge der mitbeteiligten Partei nicht nachvollziehen kann, übersieht es, dass die revisionswerbende Behörde im Rahmen der Aktenvorlage, aber auch in ihren Stellungnahmen (insbesondere in der Stellungnahme vom 14. Dezember 2020) Lohnkonten und Abrechnungsbelege vorgelegt hatte. Weitere fehlende Ermittlungen wären durch das Verwaltungsgericht selbst gemäß § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG durchzuführen gewesen und rechtfertigen keine Aufhebung und Zurückverweisung im Sinne der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

17       Schließlich ermächtigt der Umstand, dass das Verwaltungsgericht (offenbar) die rechtliche Beurteilung durch die Behörde nicht teilt (indem es diese für widersprüchlich hält und näher genannte Berechnungen vermisst) auch nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. VwGH 24.9.2020, Ra 2019/03/0048).

18       Nach dem Gesagten lagen die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde durch das Verwaltungsgericht nicht vor.

19       Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

20       Der Antrag der revisionswerbenden Partei, den Mitbeteiligten zum Kostenersatz zu verpflichten, war gemäß § 47 Abs. 4 VwGG abzuweisen.

Wien, am 7. April 2022

Schlagworte

Ermessen VwRallg8 Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021030151.L00

Im RIS seit

16.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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