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27/01 RechtsanwälteNorm
AVG §68 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed, Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien, vertreten durch Dr. Michael Rohregger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 13, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. März 2021, Zl. VGW-101/092/290/2021-9, betreffend Bestellung eines Rechtsanwalts nach § 10 Abs. 3 RAO (mitbeteiligte Partei: W K in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (idF: revisionswerbende Partei) vom 14. Jänner 2020 war aufgrund des Antrags des nunmehr Mitbeteiligten vom 3. November 2019 Rechtsanwalt Dr. G L gemäß § 10 Abs. 3 RAO als anwaltlicher Vertreter des Mitbeteiligten zur Einbringung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bestellt worden.
2 Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 26. Mai 2020 wurde dem Antrag des Dr. G L vom 13. März 2020 auf Enthebung als Vertreter des Mitbeteiligten stattgegeben. Begründend wurde ausgeführt, der Mitbeteiligte habe das von Dr. L veranschlagte Honorar für die Erledigung der notwendigen Recherchen zur Erarbeitung einer Eingabe an den Verfassungsgerichtshof in der Höhe von € 30.000,-- nicht überwiesen; aufgrund dieser Verweigerung der Sicherstellung der Vertretungsgebühren müsse der nach § 10 Abs. 3 RAO bestellte Rechtsanwalt keine Vertretungstätigkeit übernehmen. Da die Bestellungsvoraussetzungen daher nicht (mehr) gegeben seien, sei dem Enthebungsantrag stattzugeben gewesen.
3 Der Aktenlage nach erging dieser Bescheid nur an Rechtsanwalt Dr. G L als Adressaten; dem Mitbeteiligten wurde nur eine Kopie zugestellt.
4 Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 8. September 2020 wurde der neuerliche Antrag des Mitbeteiligten vom 20. Juli 2020 auf Bestellung eines Rechtsanwaltes gemäß § 10 Abs. 3 RAO zurückgewiesen. Begründend führte die revisionswerbende Partei aus, dass über einen gleichartigen Antrag mit Bescheid vom 14. Jänner 2020 bereits entschieden worden sei und der neuerliche Antrag vom 20. Juli 2020 daher auf Grund der in dieser Sache bereits ergangenen Entscheidung vom 14. Jänner 2020 zurückzuweisen sei. Zudem lägen die Voraussetzungen für die neuerliche Bestellung eines Rechtsanwaltes gemäß § 10 Abs. 3 RAO nicht vor, weil schon aus dem vorangegangenen Verfahren ersichtlich sei, dass der Mitbeteiligte nicht zur Sicherstellung des Honorars bereit bzw. in der Lage sei.
5 Dagegen erhob der Mitbeteiligte eine - als „Einspruch“ bezeichnete - Beschwerde.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt und behob den bekämpften Bescheid (Spruchpunkt I.). Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt II.).
Das Verwaltungsgericht führte aus, „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht sei ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die revisionswerbende Partei habe zwar zutreffend erkannt, dass Ausfluss der materiellen Rechtskraft von Bescheiden deren Unwiederholbarkeit (Wiederholungsverbot oder Grundsatz des ne bis in idem) sei. Bei unverändertem Sachverhalt und unveränderter Rechtslage bewirke die Rechtskraft das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache, allerdings ende die Rechtswirkung der Unwiederholbarkeit mit der Beseitigung des Bescheids (Hinweis auf VwGH 21.5.2012, 2009/10/0178).
Zwar sei der Bestellungsbescheid vom 14. Jänner 2020 nicht formell beseitigt worden, doch sei ihm durch den Enthebungsbescheid vom 26. Mai 2020 derogiert worden.
Im Weiteren legte das Verwaltungsgericht seine Auffassung dar, dass die Honorarforderung Dris. L aus näher genannten Gründen unangemessen gewesen sei und die Ablehnung deren Zahlung durch den Mitbeteiligten die Annahme, dieser sei nicht zahlungsfähig oder zahlungswillig, nicht begründen könne.
Die für die Antragszurückweisung herangezogenen Gründe würden somit die Zurückweisung nicht tragen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Rechtsfolgen und der Wirksamkeit eines Abberufungsbescheides im Zusammenhang mit § 10 Abs. 3 RAO.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist aus dem geltend gemachten Grund zulässig; sie ist aber nicht begründet.
9 Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob das Prozesshindernis der entschiedenen Sache im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheids vom 8. September 2020 tatsächlich nicht bestanden hat und der zurückweisende Bescheid daher zutreffend vom Verwaltungsgericht aufgehoben wurde.
10 § 10 RAO, RGBl. Nr. 96/1868, in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 19/2020, lautet (auszugsweise):
„...
(3) Einer zahlungsfähigen Partei, deren Vertretung kein Rechtsanwalt freiwillig übernimmt, hat der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer einen Rechtsanwalt als Vertreter zu bestellen, in welchem Falle dieser gegen Sicherstellung der Vertretungsgebühren die Vertretung übernehmen muß.
...“
11 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass aus § 68 AVG abzuleiten ist, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (ne bis in idem). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung.
„Sache“ einer rechtskräftigen Entscheidung ist dabei stets der im Bescheid enthaltene Ausspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt, und der Rechtslage, auf die sich die Behörde bei ihrem Bescheid gestützt hat.
Identität der „Sache“ liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl. zu allem VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).
12 Im Revisionsfall hat der Mitbeteiligte die über Antrag des Dr. L erfolgte, nur an diesen gerichtete Enthebung von seiner Tätigkeit als Vertreter des Mitbeteiligten zum Anlass genommen, einen neuerlichen Antrag auf Bestellung eines Rechtsanwalts gemäß § 10 Abs. 3 RAO zu stellen.
Die Zurückweisung dieses Antrags durch den Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 8. September 2020 auf Basis der Annahme, es bestehe res iudicata, erweist sich als verfehlt, die Behebung dieses Bescheids durch das in Revision gezogene Erkenntnis also als zutreffend:
Zwar würde die mit Bescheid vom 26. Mai 2020 erfolgte, auf fehlende Zahlungsfähigkeit bzw. -willigkeit des Mitbeteiligten gestützte Enthebung des Dr. L res iudicata für den Folgeantrag des Mitbeteiligten begründen, solange keine Änderung des relevanten Sachverhalts vorliegt (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0041, zu den Konsequenzen der Aberkennung von internationalem Schutz nach dem Asylgesetz 2005 für einen späteren Folgeantrag).
Die Revision übersieht aber, dass der Mitbeteiligte nicht Adressat des Abberufungsbescheides vom 26. Mai 2020 war, er diesen vielmehr nur „in Kopie“ erhalten hat. Deshalb konnte ihm gegenüber auch keine Heilung der mangelhaften Zustellung nach § 7 ZustellG erfolgen (vgl. z.B. VwGH 17.10.2019, Ra 2018/08/0004, mwN) und dieser Bescheid gegenüber dem Mitbeteiligten nicht in formelle Rechtskraft erwachsen.
13 Nach dem Gesagten erweist sich die Revision als unbegründet; sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am 8. April 2022
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021030125.L00Im RIS seit
16.05.2022Zuletzt aktualisiert am
17.05.2022