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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des H H, vertreten durch Mag. Teresa Steininger, LL.M., Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kohlmarkt 5/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2021, W107 2177410-1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 17. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er damit begründete, dass er das Land aufgrund von Feindschaften verlassen habe müssen.
2 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das Bundesverwaltungsgericht führte, soweit hier maßgeblich, aus, der Revisionswerber habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Dies begründete das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst mit Widersprüchen in den eigenen Angaben des Revisionswerbers zum Fluchtvorbringen sowie zu den im Gutachten des länderkundlichen Sachverständigen wiedergegebenen Umständen einer Blutrache.
5 Dagegen brachte der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision ein.
6 Mit Erkenntnis vom 30. November 2021, E 3453/2021-12, hob der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, auf. Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.
7 Der Revisionswerber teilte nach Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof in einer schriftlichen Stellungnahme vom 4. Februar 2022 mit, im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof klaglos gestellt zu sein; im Übrigen hielt er seine Revision aufrecht.
8 Zu I.:
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung unschlüssig, einseitig und unvertretbar vorgenommen. Es sei fälschlich von der Unglaubwürdigkeit der Aussagen der Zeugin R. und des Revisionswerbers ausgegangen und habe die Angaben des Revisionswerbers zu Unrecht gegen ihn ausgelegt. Dabei habe es selektiv unklare Aussagen des Revisionswerbers herausgegriffen und sich allein auf die theoretischen Ausführungen des länderkundlichen Sachverständigen gestützt. Zudem sei das Bundesverwaltungsgericht seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen und habe Feststellungen zu entscheidungswesentlichen Tatsachen unterlassen.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 2.2.2022, Ra 2022/14/0005, mwN).
14 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte, in einer umfangreichen Beweiswürdigung mit den Verfahrensergebnissen, insbesondere den Angaben des Revisionswerbers und der Zeugin R. und deren Plausibilität auseinandergesetzt. So stellte es unter anderem dar, dass der Revisionswerber im Verfahren mehrmals widersprüchliche Angaben in Bezug auf seine Fluchtgeschichte gemacht habe. Dem Vorbringen des Revisionswerbers zur Bedrohung durch den Kommandanten G. bzw. General J. sprach es unter mehreren Gesichtspunkten die Glaubwürdigkeit ab und zeigte im Einzelnen auf, welche Aspekte nach Ansicht des Gerichtes gegen eine tatsächliche Verfolgung sprechen würden, wobei es seine Begründung unter anderem auf das eingeholte länderkundliche Sachverständigengutachten stützte. Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der vorgelegten Totfallsurkunde des Sohnes des Revisionswerbers auseinander und begründete in nicht unschlüssiger Weise, warum aufgrund dieser Urkunde nicht festgestellt werden könne, dass der Sohn des Revisionswerbers bei einem Anschlag zu Tode gekommen sei. Die Revision zeigt in ihrer Zulässigkeitsbegründung mögliche andere Deutungen für die Angaben des Revisionswerbers auf; damit gelingt es ihr aber nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wäre.
15 Weiters unterliegt die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermittlungspflicht von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 9.3.2022, Ra 2021/14/0248, mwN).
16 Vor diesem rechtlichen Hintergrund gelingt es der Revision im Hinblick auf das asylrelevante Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht, Derartiges darzulegen.
17 Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, mangels Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
18 Zu II.:
19 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
20 Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt u.a. dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. VwGH 4.2.2022, Ra 2021/14/0262, mwN).
21 Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wendet, gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 erster Satz VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. April 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021140302.L00Im RIS seit
16.05.2022Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022