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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Kufstein, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 4. November 2021, LVwG-2020/13/1790-7, betreffend Übertretungen der StVO (mitbeteiligte Partei: H K in L, vertreten durch Dr. Peter R. Föger, Rechtsanwalt in 6300 Wörgl, Josef-Speckbacher-Straße 8), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 16. Juli 2020 wurde dem Mitbeteiligten angelastet, er habe auf einer näher genannten Autobahn am 13. Februar 2020 zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einen zeitlichen Abstand 1. von 0,164 Sekunden bei Straßenkilometer 20,3 um 10:02 Uhr, 2. von 0,384 Sekunden bei Straßenkilometer 22,3 um 10:04 Uhr und 3. von 0,474 Sekunden bei Straßenkilometer 27,2 um 10:05 Uhr und damit nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst würde. Er habe dadurch zu 1. § 99 Abs. 2 lit. c iVm. § 18 Abs. 1 StVO iVm. § 7 Abs. 3 Z 3 FSG, zu 2. § 99 Abs. 2c Z 4 iVm. § 18 Abs. 1 StVO und zu 3. § 18 Abs. 1 StVO verletzt, weshalb über ihn zu 1. gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO eine Geldstrafe von € 363,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage und 6 Stunden), zu 2. gemäß § 99 Abs. 2c StVO eine Geldstrafe von € 180,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 2 Stunden) und zu 3. gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe von € 120,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 7 Stunden) verhängt und er zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens verpflichtet wurde.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) Folge, es hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Beweisverfahren habe Abweichungen von den angelasteten Tatorten um 330 m, 2,27 km und 245 m ergeben. Eine Präzisierung der Tatvorwürfe sei dem Verwaltungsgericht verwehrt gewesen, weil dem Mitbeteiligten innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 3 VStG die richtigen Tatortkilometer nicht vorgeworfen worden seien.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die von § 44a Z 1 VStG verlangte Umschreibung des Tatortes ab, weil die Gefahr der Doppelbestrafung geradezu denkunmöglich und ausgeschlossen sei. Die Delikte seien nämlich sekundengenau mittels Foto- und Videoaufnahmen dokumentiert.
9 Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten.
10 Es bedarf daher im Bescheidspruch der Anführung aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens und damit für die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die dadurch verletzten Verwaltungsvorschriften erforderlich sind. Wesentlich für die Bezeichnung der Tat ist der Ausspruch über Zeit und Ort der Begehung (VwGH 25.02.2004, 2001/03/0436). Die Umschreibung des Tatorts einer Übertretung des § 18 Abs. 1 StVO erfordert eine räumliche Abgrenzung (vgl. VwGH 20.9.1985, 85/18/0307, wo die Angabe „in Wien .... auf der Südosttangente vor der Ausfahrt Landstraße“ unzureichend war).
11 Der Umstand allein, dass im Spruch des Straferkenntnisses ein unrichtiger Tatort genannt wurde, rechtfertigt noch nicht die Einstellung des Verfahrens (vgl. dazu etwa VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0033, mwN). Das Verwaltungsgericht ist nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet, einen allenfalls fehlerhaften Spruch im behördlichen Straferkenntnis richtig zu stellen oder zu ergänzen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist rechtzeitig eine alle der Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung durch die Behörde gesetzt wurde (vgl. VwGH 15.10.2021, Ra 2021/02/0158, mwN).
12 In der Revision wird nicht aufgezeigt, dass es für die im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Tatorte innerhalb der Frist für die Verfolgungsverjährung entsprechende Verfolgungshandlungen gegeben hätte. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführte, steht dieser Umstand nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer Korrektur oder Präzisierung der Tatvorwürfe entgegen. Hinzu kommt, dass dem Mitbeteiligten die Tatzeiten nicht - wie in der Revision hervorgehoben - sekundengenau angelastet wurden, sondern nach ganzen Minuten.
13 Die in der Revisionsschrift zu ihrer Zulässigkeit zitierte Rechtsprechung hatte anders gelagerte Sachverhalte oder Rechtsfragen zu lösen. In VwGH 15.10.2021, Ra 2021/02/0158, und VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0033, beruhte die Befugnis zur Richtigstellung des Tatortes darauf, dass dieser bereits in der Aufforderung zur Rechtfertigung innerhalb der Frist für die Verfolgungsverjährung richtig angegeben wurde. Dem Beschluss VwGH 20.8.2019, Ra 2019/16/0101, lag ein nicht eindeutig erkennbarer Tatzeitraum eines Dauerdelikts zugrunde. Dass die Tatzeit aus der Sicht der erkennenden Behörde einen nur in der Vergangenheit liegenden Zeitraum umfassen kann (VwGH 4.5.1988, 87/03/0222), ist im vorliegenden Fall nicht strittig. Das Erkenntnis VwGH 20.5.2003, 2002/02/0236, beschäftigte sich mit dem Erfordernis der Tatortumschreibung nach § 44a Z 1 VStG für andere Delikte, nämlich § 5 Abs. 1 und § 4 Abs. 5 StVO; die zu dieser Frage für die Übertretung nach § 18 Abs. 1 StVO einschlägige Rechtsprechung wurde bereits oben in Rn. 10 zitiert.
14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. April 2022
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff TatortEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020250.L00Im RIS seit
16.05.2022Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022