Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * M* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 und 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * C* gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 29. November 2021, GZ 50 Hv 52/21f-101, sowie die Beschwerde dieses Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu A/1 und A/2, weiters in der Subsumtion der von B/2 erfassten Taten auch nach § 27 Abs 3 SMG, demgemäß auch in sämtlichen Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen), im Einziehungserkenntnis betreffend Cannabisblüten und im Konfiskationsausspruch, sowie der Widerrufsbeschluss aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Darauf wird der Angeklagte C* mit seiner Berufung und seiner Beschwerde verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Dem Angeklagten C* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * M*, * G* und * C* (zu A/1) jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 und 3 (Letzterer auch nach Abs 4 Z 1) SMG, M* (zu A/2 nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall und Abs 4 Z 2 SMG) und C* (zu B/2 nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG) je eines Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und C* überdies eines Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 SMG (B/1) schuldig erkannt.
[2] Danach haben
A/ als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung
1/ M*, G* und C* in B* vorschriftswidrig Suchtgift erzeugt, indem sie beginnend mit Februar 2021 Cannabiskraut anbauten und am 3. Juni 2021 etwa sechs Kilogramm (46,2 Gramm Delta-9-THC und 601,2 Gramm THCA) ernteten;
2/ M* am 2. Juni 2021 in Wien Suchtgift, nämlich (Delta-9-THC- und THCA-hältiges) Cannabiskraut, * B* durch gewinnbringenden Verkauf überlassen;
B/ C*
1/ am 3. Juni 2021 in W* Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen, nämlich 1.027,07 Gramm Cannabisharz (285,3 Gramm Delta-9-THC);
2/ von Anfang Dezember 2020 bis zum 2. Juni 2021 gewerbsmäßig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut, diversen Abnehmern überlassen, indem er es „unter anderem“ folgenden Personen verkaufte, und zwar
a/ * Mu* von Anfang Dezember 2020 bis Ende Februar 2021,
b/ * Mo* von Anfang 2021 bis Anfang Juni 2021,
c/ * B* Ende Mai 2021.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen vom Angeklagten C* aus den Gründen der Z 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise im Recht.
[4] Zutreffend zeigt die Mängelrüge auf, dass die zu A/1, insbesondere zur subjektiven Tatseite, getroffenen Feststellungen undeutlich (Z 5 erster Fall) sind. Nach Konstatierungen zum Entschluss der drei Angeklagten, „gemeinsam eine Cannabisplantage zu betreiben“, zu den unterschiedlichen Aufgaben der drei und zur Ernte von etwa sechs Kilogramm Cannabiskraut (mit einer die Grenzmenge 17,34-fach übersteigenden Reinsubstanz an Delta-9-THC und THCA) enthält das Urteil (zur subjektiven Tatseite) – soweit hier entscheidend – folgende Passage: „Alle drei Angeklagten handelten mit dem Wissen und Wollen eine kriminelle Vereinigung über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten für die Erzeugung und Handel einer großen
– jedenfalls über dem 15-fachen der Grenzmenge – liegenden Menge Suchtgift zu gründen und setzten als Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung die unter Punkt A./1. im Urteilsspruch beschriebenen Tathandlung“. Zudem hätten die Angeklagten „im Wissen um das arbeitsteilige Zusammenwirken ihrer Mittäter im Rahmen dieser Vereinigung“ gehandelt (US 7).
Solcherart bringen die Entscheidungsgründe, die hier auch durch Heranziehung des Referats der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nicht verdeutlicht werden können, weil dieses keine Aussagen zur subjektiven Tatseite enthält, nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft zum Ausdruck, dass sich der Vorsatz des Beschwerdeführers (neben dem Handeln als Mitglied einer kriminellen Vereinigung) auch auf die Erfüllung sämtlicher Tatbestandselemente des § 28a Abs 1 und Abs 2 Z 3 SMG bezog (RIS-Justiz RS0117995).
[5] Der aufgezeigte Begründungsmangel erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung des Schuldspruchs zu A/1 hinsichtlich des Beschwerdeführers bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO). Da derselbe Grund auch den beiden Mitangeklagten, die keine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen haben, zustatten kommt (vgl RIS-Justiz RS0129172), war der Schuldspruch zu A/1 in Ansehung dieser beiden von Amts wegen aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).
[6] Die Beseitigung sämtlicher Strafaussprüche sowie des Widerrufsbeschlusses (RIS-Justiz RS0100194 ?T5?) war Folge davon.
[7] Die Aufhebung des Schuldspruchs zu A/2 erfolgte in Wahrnehmung der dem Obersten Gerichtshof durch § 289 StPO eingeräumten Befugnis, um – für den Fall einer Erledigung des wegen des Erzeugens von Suchtgift erhobenen Anklagevorwurfs auf andere Weise als durch Schuldspruch – hinsichtlich M* die Möglichkeit einer Diversion nach § 35 Abs 2, § 37 SMG zu eröffnen (RIS-Justiz RS0119278).
[8] Soweit die zu B/2 ergriffene Mängelrüge kritisiert, die Konstatierung, der Beschwerdeführer habe Suchtgift diversen Abnehmern, „unter anderem“ den drei namentlich genannten (Mu*, Mo* und B*) verkauft (US 8), bleibe insofern unbegründet, als die Entscheidungsgründe zu einem Überlassen an weitere (nicht genannte) Abnehmer keine weiteren Ausführungen enthielten, spricht sie keine entscheidende Tatsache an (vgl aber RIS-Justiz RS0117499), weil insoweit kein eigenständiger Schuldspruch gefällt und das zu diesem Punkt angelastete Verhalten – (wie unten näher dargestellt) rechtlich verfehlt – ohnehin nur einem Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 und 3 SMG subsumiert wurde.
[9] Im Recht ist allerdings der weitere Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der zu diesem Punkt des Schuldspruchs getroffenen Feststellung, der Beschwerdeführer habe mit der Absicht gehandelt, sich durch den wiederkehrenden Verkauf von Cannabiskraut (im Urteil zudem nicht konkretisierte) längere Zeit hindurch ein Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich bei „jährlicher Durchschnittsbetrachtung“ zu verschaffen (US 8). Zwar wäre die Ableitung von Feststellungen zur subjektiven Tatseite (hier: zur Absicht) „aus dem äußeren Geschehen“ (vgl US 13) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht von vornherein zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0116882). Dies gilt jedoch nur, wenn der in objektiver Hinsicht festgestellte Sachverhalt so gelagert ist, dass der Schluss von diesem auf die (entsprechende) innere Tatseite im Einklang mit den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungswerten steht (RIS-Justiz RS0118317). Dem Urteil ist „zum äußeren Geschehen“ jedoch bloß zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer durch den angelasteten Verkauf von Cannabiskraut im gesamten Tatzeitraum von etwa sechs Monaten 700 Euro eingenommen habe (US 8 f). Zwar steht es der Annahme einer auf die Erzielung eines nicht bloß geringfügigen Einkommens gerichteten Intention nicht generell entgegen, wenn der Erlös tatsächlich geringer ausgefallen ist. Als – wie hier – einzige Begründung für die Konstatierung einer solchen Absicht taugt ein solches objektives Tatgeschehen jedoch nicht, zumal zufolge Aufhebung des Schuldspruchs A/1 die zu diesem getroffenen Feststellungen nicht bestehen bleiben (vgl RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 17).
[10] Auf Grund dieses Begründungsmangels war die Subsumtion der von Punkt B/2 des Schuldspruchs erfassten Taten auch nach § 27 Abs 3 SMG aufzuheben.
[11] Das auf die Punkte A/1 und B/2 des Schuldspruchs bezogene weitere Beschwerdevorbringen bedarf mit Blick auf deren (teilweiser) Aufhebung keiner Erwiderung.
[12] Die zu Punkt B/1 des Schuldspruchs ergriffene Tatsachenrüge (Z 5a) ist hingegen nicht im Recht. Aus dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer (zu B/2) zur Last liegt, Cannabiskraut überlassen zu haben, ergeben sich keine erheblichen Bedenken gegen die Feststellung, er habe das in seiner Wohnung in drei verschiedenen Päckchen in großer Menge (von mehr als einem Kilogramm) versteckte Cannabisharz nicht bloß zum Eigenverbrauch, sondern mit Inverkehrsetzungsvorsatz besessen (vgl US 8 iVm US 11).
[13] Das Einziehungserkenntnis war insoweit aufzuheben, als es sich auf sichergestellte Cannabisblüten (vgl ON 46) und damit auf Punkt A/1 des Schuldspruchs bezog. Mit dessen Aufhebung bleiben nämlich auch keine Feststellungen zu einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zusammenhang mit diesem Suchtgift bestehen (RIS-Justiz RS0088115 [T3]).
[14] Der die Angeklagten M* und G* betreffende Konfiskationsausspruch war schon wegen der Aufhebung sämtlicher in Ansehung dieser beiden getroffenen Schuldsprüche aufzuheben. Im Übrigen enthält das Urteil hinsichtlich der sichergestellten Mobiltelefone der Angeklagten M* und G* keine Urteilsannahmen zu einer Verwendung dieser Gegenstände zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat (vgl § 19a Abs 1 StGB). Auf welches „Equipment“ sich der weitere Ausspruch (vgl US 5) bezieht, wird mangels näherer Konkretisierung nicht klar, weshalb auch insoweit das Vorliegen der gesetzlichen Konfiskationsvoraussetzungen nicht beurteilt werden kann.
[15] Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte C* auf die Aufhebung des Strafausspruchs und des Widerrufsbeschlusses zu verweisen.
[16] Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten C* beruht auf § 390a StPO. Sie erstreckt sich nicht auf die mit der amtswegigen Maßnahme verbundenen Kosten (RIS-Justiz RS0101558).
Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein:
[17] 1/ Die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 1 SMG verdrängt (bei – hier angenommener – gleichzeitiger Verwirklichung) jene des § 28a Abs 2 Z 2 SMG zufolge Spezialität, weil sie alle Merkmale dieser Qualifikation und darüber hinaus eine weitere Voraussetzung (früherer Verurteilung wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG) enthält (RIS-Justiz RS0114258 [T3], vgl [allgemein zur Spezialität] RS0091146; vgl hingegen US 3 [Schuldspruch hinsichtlich C* zu A/1).
[18] 2/ Der Schuldspruch zu B/2 lautet auf ein Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG, obwohl C* wiederholte Einzelverkäufe an mehrere Abnehmer zur Last liegen und das Urteil (auf der Sachverhaltsebene) keine Anhaltspunkte für die Begehung im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit enthält. Der daraus resultierende Subsumtionsfehler wirkte sich zum Vorteil dieses Angeklagten aus und war daher einer amtswegigen Korrektur nicht zugänglich. Angesichts dieser Klarstellung ist allerdings das Erstgericht im weiteren Verfahren bei der Strafbemessung nicht an den insoweit fehlerhaften (in Teilrechtskraft erwachsenen) Schuldspruch gebunden (RIS-Justiz RS0129614 [T1]; vgl [zum nur den Sanktionsbereich betreffenden Verschlechterungsverbot] RIS-Justiz RS0100565).
[19] 3/ Gewerbsmäßigkeit verlangt neben bestimmten objektiven Kriterien die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung der in Rede stehenden strafbaren Handlung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen zu verschaffen. Dem gewerbsmäßig handelnden Täter muss es also darauf ankommen, sich eine zumindest für einen längeren Zeitraum wirksame Einkommensquelle zu erschließen, welche Voraussetzung die Rechtsprechung in einer Einzelfallbetrachtung anhand folgender Überlegung beurteilt: Je höher die Frequenz der (bereits erfolgten oder geplanten) Angriffe, desto geringer sind die Anforderungen an die beabsichtigte zeitliche Ausdehnung des Einnahmeflusses und vice versa (RIS-Justiz RS0107402 ?T8?; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 7). Die bloße Wiedergabe der verba legalia („längere Zeit“ [US 8]) schafft keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Beurteilung, ob – ausgehend von diesen Kriterien – die Absicht auf Erzielung eines Einkommens „längere Zeit hindurch“ gerichtet war (vgl RIS-Justiz RS0119090).
[20] 4/ Konfiskation setzt voraus, dass sie zur Bedeutung der Tat oder zu dem den Täter treffenden Vorwurf nicht außer Verhältnis steht, weshalb vom Gericht stets eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist.
Textnummer
E134755European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00028.22G.0426.000Im RIS seit
16.05.2022Zuletzt aktualisiert am
16.05.2022