TE OGH 2022/4/27 15Os30/22h

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Veröffentlicht am 27.04.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Strafsache gegen K* A* wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 17. Dezember 2021, GZ 12 Hv 38/21v-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde K* A* dreier Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB (A./I./ bis III./), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB (A./IV./), der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (B./1./, 3./ und 4b./), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B./2./ und 4./a./) sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (B./5./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB eingwiesen.

[2]       Danach hat er in * und andernorts

A./ gegen die nachstehend genannten Personen im Zeitraum von 1. Juni 2009 bis 30. Mai 2021 durch körperliche Misshandlungen, Körperverletzungen und strafbare Handlungen gegen die Freiheit eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er durch die Taten zu I./ bis IV./ eine umfassende Kontrolle des Verhaltens sowie eine erhebliche Einschränkung der autonomen Lebensführung derselben bewirkt hat, die Taten zu I./ bis III./ teilweise gegen unmündige Personen begangen hat und in beiden Fällen die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt hat, und zwar

I./ gegen J* A*, geboren am *, indem er

1./ ihn im Zeitraum von 2013 bis 29. Mai 2021 etwa alle ein bis zwei Monate mit diversen Gegenständen, den Fäusten oder den Händen schlug und mit Küchenutensilien und Werkzeugen bewarf;

2./ ihn im Jahr 2013 auf den Boden warf, Anlauf nahm und ihm mit dem Fuß in das Gesicht trat, sodass dessen linke Gesichtshälfte blutete;

3./ ihn etwa im Jahr 2017 mit der Faust auf sein Auge schlug, wodurch dieser ein Hämatom erlitt;

4./ ihm etwa im Jahr 2017 Schläge versetzte, wodurch dieser eine blutende Wunde am Ohr erlitt;

5./ ihn im Jahr 2018 mehrere Tage widerrechtlich gefangen hielt;

6./ ihn im Zeitraum von etwa 2018 bis Mai 2021 mehrmals mit einem 30 cm langen Brotmesser durch Stichbewegungen gegen dessen Bauch und Oberkörper gefährlich mit dem Tod bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

7./ ihn im Zeitraum von etwa 2019 bis Winter 2020 oder 2021 in den Wintermonaten wiederholt mit eiskaltem Wasser überschüttete, in der Küche oder im Wohnzimmer bei geöffnetem Fenster bis zu mehrere Stunden frieren ließ und dadurch widerrechtlich gefangen hielt;

8./ ihm im Februar 2021 zwei Tage die Küche versperrte, sodass dieser zwei Tage lang keinen Zugang zu Lebensmitteln hatte;

9./ ihm am 28. Mai 2021 Faustschläge in das Gesicht und auf den Oberkörper versetzte;

10./ am 29. Mai 2021

a./ durch die Äußerung, er werde ihn abstechen, es sei ihm egal, ob er ins Gefängnis komme oder nicht, gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

b./ ihm im Anschluss an die zu 10./a./ angeführte Tat Schläge versetzte sowie gegen dessen rechtes Knie trat;

c./ im Anschluss an die zu 10./b./ angeführte Tat unter Vorhalt eines 30 cm langen Brotmessers durch Stichbewegungen gegen dessen Bauch und Oberkörper zum Verlassen des Wohnhauses genötigt;

11./ ihn am 30. Mai 2021 durch die Äußerung, er werde „sie“ (gemeint [US 24]: B*, Bl*, M*, J* und F* A*) finden und sie alle umbringen, gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

II./ gegen B* A*, geboren am *, indem er

1./ sie im Zeitraum von 1. Juni bis Ende 2009 mehrmals im Jahr, ab 2010 bis 2019 etwa zehnmal im Jahr sowie im Zeitraum von 2019 bis Mitte November 2020 alle paar Wochen mit den Fäusten sowie mit Gegenständen wie etwa einer Fahrradpumpe, einem Kabel, einem Brecheisen, einer Bohrmaschine oder mit anderem Werkzeug schlug;

2./ sie im Herbst/Winter 2011 wiederholt mit einem 20 bis 30 cm langen Kreuzschraubenzieher „pikste“, wodurch sie mehrmals blutete;

3./ im Zeitraum von etwa 2014 bis 2020 in wiederholten Angriffen in den Wintermonaten

a./ sie widerrechtlich gefangen hielt, indem er sie mit eiskaltem Wasser überschüttete und bei geöffnetem Fenster bis zu mehrere Stunden frieren ließ;

b./ sie durch die Androhung des Versetzens von Schlägen zur Abstandnahme der Schließung des Fensters nötigte;

4./ etwa im Jahr 2017

a./ ihr Schläge erteilte;

b./ sie im Anschluss an die zu 4./a./ angeführte Tat einen ganzen Tag widerrechtlich gefangen hielt;

5./ ihr etwa im Jahr 2017 mit einem Brecheisen am Rücken mehrere Schläge zufügte, wodurch sie ein zirka 20 bis 30 cm großes Hämatom erlitt;

6./ sie im Jahr 2018 mehrere Tage widerrechtlich gefangen hielt;

7./ im Februar 2019

a./ ihr mit einem Stanley-Messer eine Schnittwunde am Ringfinger zufügte;

b./ im Anschluss an die zu 7./a./ angeführte Tat durch die Äußerung, nächstes Mal komme er zu ihrem Hals, gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

c./ ihr Schläge versetzte, wodurch sie Hämatome an den Beinen erlitt;

8./ sie im Zeitraum von etwa 2016 bis November 2020 mehrmals durch die Äußerung, wenn sie jetzt etwas sage, dann schlage er sie mit der Eisenstange, zur Unterlassung eines Widerspruchs genötigt;

III./ gegenüber M* A*, geboren am *, indem er

1./ ihr von 1. Juni 2009 bis 28. Mai 2021 zunächst mehrmals im Jahr und ab 2010 etwa alle ein bis zwei Monate Schläge versetzte und sie mit Gegenständen wie etwa einem Aschenbecher, Gläsern oder Tellern bewarf;

2./ sie im Herbst/Winter 2011 wiederholt mit einem 20 bis 30 cm langen Kreuzschraubenzieher „pikste“, wodurch sie mehrmals blutete;

3./ im Zeitraum von etwa 2014 bis 2020 in wiederholten Angriffen in den Wintermonaten

a./ sie widerrechtlich gefangen hielt, indem er sie mit eiskaltem Wasser überschüttete und bei geöffnetem Fenster bis zu mehrere Stunden frieren ließ;

b./ sie durch die Androhung des Versetzens von Schlägen zur Abstandnahme der Schließung des Fensters nötigte;

4./ sie im Zeitraum von etwa 2016 bis November 2020 mehrmals durch die Äußerung, wenn sie jetzt etwas sage, dann schlage er sie mit der Eisenstange, zur Unterlassung eines Widerspruchs genötigt;

5./ etwa im Jahr 2017

a./ ihr Schläge versetzte;

b./ sie im Anschluss an die zu 5./a./ angeführte Tat einen ganzen Tag widerrechtlich gefangen hielt;

6./ sie im Jahr 2018 mehrere Tage widerrechtlich gefangen hielt;

7./ ihr am 28. Mai 2021 Schläge gegen das Gesicht und den Oberkörper versetzte;

8./ sie am 30. Mai 2021 durch die Äußerung, er werde sie (gemeint [US 24]: B*, Bl*, M*, J* und F* A*) finden und sie alle umbringen, gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

IV./ gegen F* A*, indem er

1./ sie im Zeitraum von 1. Juni 2009 bis 28. Mai 2021 zumindest ein Mal im Monat an den Haaren zog, ihr Schläge in das Gesicht versetzte, mit einer Eisenstange gegen ihren Oberkörper und gegen ihre Knie schlug, sodass sie mehrmals blutete und Hämatome erlitt;

2./ im Zeitraum von etwa 2014 bis 2020 in wiederholten Angriffen in den Wintermonaten

a./ sie widerrechtlich gefangen hielt, indem er sie mit eiskaltem Wasser überschüttete und sie bei geöffnetem Fenster bis zu mehrere Stunden frieren ließ;

b./ sie durch die Androhung des Versetzens von Schlägen zur Abstandnahme der Schließung des Fensters nötigte;

3./ sie im Jahr 2018 mehrere Tage widerrechtlich gefangen hielt und ihr dabei Schläge versetzte;

4./ ihr Mitte November 2020 unter anderem mit dem Metallteil eines Gürtels Schläge auf den Kopf versetzte und sie an den Haaren riss, wodurch sie aufgeplatzte Lippen sowie mehrere Hämatome und Schwellungen im Gesicht erlitt;

5./ ihr im Februar 2021 mit den Fäusten auf den Kopf schlug;

6./ sie am 28. Mai 2021 am Oberkörper und im Gesicht schlug;

7./ am 29. Mai 2021

a./ ihr mit den Fäusten auf den Kopf schlug, wodurch sie eine Beule auf der Stirn erlitt;

b./ ihr mit dem unteren Teil einer Bohrmaschine auf den Hinterkopf schlug, wodurch sie zumindest starke Schmerzen erlitt;

8./ sie am 30. Mai 2021 durch die Äußerung, er werde sie (gemeint [US 24]: B*, Bl*, M*, J* und F* A*) finden und sie alle umbringen, gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

B./ Bl* A*

1./ Anfang des Jahres 2010 durch Aussperren auf dem Balkon eine Stunde widerrechtlich gefangen gehalten;

2./ im Jahr 2018 mit einem Metallteil auf den Kopf geschlagen, wodurch sie eine Platzwunde erlitt;

3./ im Jahr 2018 mehrere Tage widerrechtlich gefangen gehalten;

4./ am 31. Dezember 2019

a./ durch Schläge mit einer Eisenstange am Rücken und Fußtritten am Körper verletzt, wodurch sie Hämatome erlitt;

b./ durch Einsperren im Dachgeschoss widerrechtlich gefangen gehalten;

5./ am 30. Mai 2021 durch die Äußerung, er werde sie (gemeint [US 24]: B*, Bl*, M*, J* und F* A*) finden und sie alle umbringen, gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4]       Der von der Verfahrensrüge (Z 3) behauptete Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO durch die Vorführung der Ton- und Bildaufnahmen über die kontradiktorischen Vernehmungen der Zeugen B*, J* und Bl* A* (ON 62 S 2 ff, 6 f, 8 iVm ON 21a, 21b und 21c) liegt nicht vor:

[5]            Die drei Zeugen haben durch in der Hauptverhandlung am 17. Dezember 2021 von der juristischen Prozessbegleiterin vorgelegte schriftliche Mitteilungen (ON 62 S 4 und Blg ./II), die Zeugin B* A* darüber hinaus durch ihre Erklärung anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung (ON 21a S 26), unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, eine Aussage in der Hauptverhandlung zu verweigern (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO; vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 74; RIS-Justiz RS0111315 [insb T14]).

[6]            Dass die Zeugen J* und Bl* A*
– die Zeugin B* A* war den Behauptungen der Rüge zuwider bereits anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung mit einer neuerlichen gerichtlichen Befragung nicht einverstanden (vgl ON 21a S 26) – zunächst eine weitere Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht von vornherein abgelehnt haben (ON 21b S 22, ON 21c S 18), stand der späteren Geltendmachung ihres Rechts auf Aussagebefreiung nicht entgegen. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe auf die Zusagen der Zeugen, für weitere Befragungen zur Verfügung zu stehen, vertraut, weshalb sein Fragerecht durch die nachträglich vorgelegten Erklärungen „neuerlich“ unterlaufen worden sei, geht daher unter dem Aspekt der Z 3 ins Leere.

[7]            An den am 30. Juni 2021 erfolgten gerichtlichen Vernehmungen der Genannten konnten sich die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte (unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die albanische Sprache) sowie der Verteidiger wirksam beteiligen, indem sie die gemäß § 165 Abs 3 StPO vorgenommenen Befragungen der Zeugen nicht nur mitverfolgen, sondern jeweils auch Fragen an dieselben stellen (lassen) konnten (ON 21a, 21b und 21c).

[8]            Mit den Behauptungen, der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit zur Befragung der Zeugen gehabt, weil er einerseits mit diesen (seinen Kindern) zu Hause nur albanisch kommuniziert habe, während die Vernehmungen in der deutschen Sprache abgehalten wurden, und weil andererseits die Übersetzung von jeweils einstündigen Vernehmungen durch die Dolmetscherin in jeweils zehn Minuten „denkunmöglich“ sei, werden keine Umstände aufgezeigt, die bewirkt hätten, dass die für die Aussagebefreiungen erforderlichen „Gelegenheiten“ des Angeklagten und seines Verteidigers, sich an den kontradiktorischen Vernehmungen zu beteiligen (§ 252 Abs 1 Z 2a letzter Halbsatz StPO; vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 82), nicht vorgelegen wären.

[9]            Der (im Rahmen der Z 3 erfolgte) Einwand, durch die Vorführung nicht anklagerelevanter Angaben der kontradiktorisch vernommenen Zeugen seien die Schöffen zum Nachteil des Angeklagten „beeinflusst und in die Irre geführt“ worden, zeigt keinen Nichtigkeitsgrund auf.

[10]                    Die von der weiteren Rüge (Z 3) behauptete Verletzung des (gemeint:) § 439 Abs 2 StPO, weil die psychiatrische Sachverständige in der Hauptverhandlung am 10. Dezember 2021 „nur teilweise und anfänglich“, in jener am 17. Dezember 2021 „überhaupt nicht mehr“ anwesend gewesen sei, liegt ebenfalls nicht vor:

[11]           „Beigezogen“ im Sinn der als verletzt erachteten Bestimmung wird die Sachverständige nämlich – wie hier (ON 57 S 19 ff) – durch ihre Vernehmung gemäß §§ 247, 248 f StPO oder durch Verlesung von Befund und Gutachten nach Maßgabe des § 252 Abs 1 Z 2 und 4 StPO. Keine Nichtigkeit begründet es wiederum, wenn die Sachverständige nicht während der gesamten Hauptverhandlung anwesend ist (vgl RIS-Justiz RS0101782 [T3]; Danek/Mann, WK-StPO § 241 Rz 7; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 260; siehe auch RIS-Justiz RS0101664).

[12]           Die behauptete Wiedergabe von Angaben entschlagungsberechtigter Zeugen im Befund der beigezogenen Sachverständigen kann einen aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO beachtlichen Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO von vornherein nicht bewirken, weil letztgenannte Bestimmung auf die Verlesung amtlicher Schriftstücke abstellt (RIS-Justiz RS0120787; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 28; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 236). Mit der darüber hinausgehenden Behauptung einer Verwertung dieser Angaben im Sachverständigengutachten wird keine Nichtigkeit aufgezeigt.

[13]           Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider, wurden durch die Abweisung (ON 62 S 11) der Anträge (ON 62 S 2 ff) auf ergänzende Vernehmung der Zeugen B*, J* und Bl* A* Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Die Anträge wurden (undifferenziert für alle drei Zeugen gleichermaßen) zum Beweis gestellt, dass

- J*, B* und M* A* im Zeitpunkt der behaupteten Übergriffe und der fortgesetzten Gewaltausübung bereits mündig waren;

- der Angeklagte Bl* A* nicht eine Metallbox, sondern einen Tabaksack aus Stoff auf den Kopf schlug;

- der Angeklagte Bl* A* nicht am 31. Dezember 2019 mit einer Eisenstange Schläge auf den Rücken versetzte;

- der Angeklagte B* und M* A* nicht mit einem Kreuzschraubenzieher „pikste“;

- der Angeklagte B* A* nicht im Jahr 2017 mit einem Brecheisen Schläge am Rücken versetzte;

- der Angeklagte M* A* nicht den kleinen Finger brach.

[14]     Darüber hinaus wurde vorgebracht, es gebe bezüglich des Vorwurfs, der Angeklagte habe seine Kinder mit Wasser nass gemacht und mehrere Stunden frieren lassen, völlig unterschiedliche Angaben sowohl hinsichtlich des Tatorts als auch des Tatzeitraums.

[15]           Indem der Antragsteller nach Vorlage der Erklärungen der drei Zeugen, von ihrem Recht auf Aussagebefreiung Gebrauch zu machen (ON 62 S 4; vgl zur Zulässigkeit abermals RIS-Justiz RS0111315 [insb T14]), unverändert behauptete, die Zeugen J* und Bl* A* hätten sich (gemeint: zuvor) ausdrücklich bereit erklärt, für eine weitere persönliche Befragung zur Verfügung zu stehen und vor Gericht zu erscheinen (ON 62 S 3, 4 und 10), legte er schon nicht dar, weshalb die Zeugen aus seiner Sicht aktuell dennoch zu einer Aussage bereit sein würden (RIS-Justiz RS0117928).

[16]           Darüber hinaus wird mit den Beweisthemen und der Behauptung offener Fragen zu Tathandlungen und -zeiten der Sache nach nur eine Änderung in der Beweislage reklamiert. Einen Entfall des Entschlagungsrechts bei Hervorkommen neuer Beweisergebnisse (nach Durchführung einer kontradiktorischen Vernehmung im Sinn des § 165 StPO) sieht das Gesetz aber nicht vor (RIS-Justiz RS0118084, RS0131839; Kirchbacher, WK-StPO § 156 Rz 18 und § 252 Rz 94; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 233; vgl aber RIS-Justiz RS0128501 [T2]).

[17]           Das Vorbringen, nur ein persönliches Erscheinen der Zeugen vor Gericht versetze die Schöffen in die Lage, die Vorwürfe verlässlich und rechtssicher zu beurteilen (ON 62 S 3 f), orientiert sich nicht am Gesetz (§ 156 Abs 1 Z 2 und § 252 Abs 1 Z 2a StPO).

[18]           Die in der Beschwerde enthaltene ergänzende Begründung für die angeführten Beweisanträge ist mit Blick auf das sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebende Neuerungsverbot unbeachtlich (vgl RIS-Justiz RS0099618).

[19]           Die von der Beschwerde gerügte Begründungspassage des den Antrag abweisenden Zwischenerkenntnisses, die Anträge wären „teilweise auch wegen geklärter Sach- und Rechtslage abzuweisen“ (ON 62 S 11), steht als solche nicht unter Nichtigkeitssanktion, wenn dem Antrag – wie hier – auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs (bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung) keine Berechtigung zukam (RIS-Justiz RS0116749).

[20]     Mit der Behauptung, das Schöffengericht hätte mildernd berücksichtigen müssen, dass sämtliche Taten im Zusammenhang mit einem übermäßigen Alkoholkonsum des Angeklagten standen, erstattet die Sanktionsrüge (Z 11) nur ein Berufungsvorbringen (RIS-Justiz RS0099911).

[21]           Die Heranziehung der Erschwerungsgründe des § 33 Abs 2 Z 1, 2 und 6 StGB (US 57) verstößt – der weiteren Rüge (Z 11 zweiter Fall) zuwider – gegenständlich nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 StGB). Letzteres verbietet nämlich nur die Heranziehung von Strafbemessungsgründen, die bereits „die Strafdrohung“ (im Sinn von Strafsatz) bestimmen (RIS-Justiz RS0130193; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711). Vorliegend sind aber die Umstände, dass die Taten teilweise von einem Volljährigen gegen minderjährige Personen (§ 33 Abs 2 Z 1 StGB), jeweils gegen Angehörige (§ 33 Abs 2 Z 2 StGB) und teilweise unter Einsatz von Waffen (§ 33 Abs 2 Z 6 StGB) begangen wurden, für die Subsumtionen nicht maßgeblich. Dass sich die strafbaren Handlungen sowohl gegen Voll- als auch gegen Minderjährige gerichtet haben, wurde – dem Beschwerdeeinwand zuwider – gar nicht erschwerend gewertet (vgl US 57).

[22]           Da alle Umstände, die über das für die Subsumtion notwendige Maß hinausgehen, als Erschwerungsgrund herangezogen werden können, bewirkte auch die aggravierende Wertung des „selbst für ein Dauerdelikt“ langen Deliktszeitraums (US 57; § 33 Abs 1 Z 1 StGB) keine Nichtigkeit.

[23]     Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[24]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E134757

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00030.22H.0427.000

Im RIS seit

16.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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