Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des S in Z, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 20. Dezember 1994, Zl. III 295-2/94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 8 sowie den §§ 19, 20 und 21 FrG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer am 28. Juni 1993 um ca. 10.00 Uhr von Organen des Arbeitsamtes Kitzbühel bei Straßenausbesserungsarbeiten für die Firma T Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in K in der Nähe des Gasthauses X, sohin bei einer Beschäftigung betreten worden sei, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen. Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 8 FrG sei erfüllt; die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes stelle einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Dieser Eingriff sei aber im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse an einem geordneten Arbeitsmarkt zur Erreichung des im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zieles des Schutzes der öffentlichen Ordnung dringend geboten.
Der Beschwerdeführer sei seit März 1993 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Seine Gattin und sein minderjähriges Kind seien bereits vor ihm in das Bundesgebiet gekommen. Die Gattin des Beschwerdeführers arbeite rechtmäßig als Hilfsarbeiterin im Gastgewerbe. Eine intensive familiäre Bindung bestehe naturgemäß zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie, wenngleich nicht die gesamte Familie ständig in der elterlichen Wohnung zusammenlebe, weil die Ehegattin des Beschwerdeführers auswärts wohne und arbeite. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen aber nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Vorwurf des Beschwerdeführers gegenüber der belangten Behörde, sie habe ihm nicht einmal Gelegenheit gegeben, in die Strafakte J Einsicht zu nehmen, ist unbegründet: Abgesehen davon, daß der belangten Behörde im Hinblick auf das genannte Strafverfahren keine Zuständigkeit zukam, hat laut Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten der Beschwerdeführer keinen Antrag auf Gewährung der Akteneinsicht in diesem Verfahren gestellt.
Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen und insbesondere dem Ersuchen auf Einvernahme der Beteiligten als Zeugen nachzukommen.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
Im Verwaltungsakt findet sich die Anzeige des Arbeitsamtes Kitzbühel vom 29. Juni 1993, wonach unter anderem der Beschwerdeführer am 28. Juni 1993 um ca. 10.00 Uhr bei Straßenausbesserungsarbeiten für die Firma T G.m.b.H., K, in der Nähe des Gasthauses X angetroffen worden sei. Er (der Beschwerdeführer) sei gerade auf der Ladefläche eines dem Kennzeichen nach bezeichneten LKW"s beschäftigt gewesen. Der für ihn von der genannten Firma gestellte Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sei mit Bescheid vom 19. Mai 1993 abgelehnt worden. In der Niederschrift vom 20. Juli 1993 vor der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel gab der Beschwerdeführer dazu an, daß es richtig sei, daß er am 28. Juni 1993 um ca. 10.00 Uhr von zwei Bediensteten des Arbeitsamtes Kitzbühel bei Straßenausbesserungsarbeiten für die Firma T G.m.b.H., K, in der Nähe des Gasthauses X angetroffen worden sei. Da für ihn - so die Niederschrift weiter - keine gültige Beschäftigungsbewilligung vorgelegen sei und er auch keinen Befreiungsschein oder eine Arbeitserlaubnis besitze, nehme er zur Kenntnis, daß über ihn ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren erlassen werde.
In der Berufung gegen den Bescheid der Behörde erster Instanz hingegen führte der Beschwerdeführer aus, daß er am genannten Tag am Firmensitz vorsprach, um sich über das Schicksal des Antrages auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung zu erkundigen. Der damit betraute Y sei aber nicht anwesend gewesen, weil er sich die durch die Unwetter entstandenen Schäden habe ansehen müssen. Der Beschwerdeführer sei daher mit einem eben wegfahrenden LKW mitgefahren, um Herrn Y auf der Baustelle zu sprechen. Er habe ihn auf dieser Baustelle jedoch nicht angetroffen. Er sei dort vollkommen nutzlos herumgestanden, von der genannten Firma habe ihm niemand eine Arbeit angeschafft. Er sei auch für diese Firma zu keiner Zeit tätig geworden. Angesichts des großen durch die Unwetter entstandenen Schadens sei es ihm peinlich gewesen, nur herumzustehen und nicht mitzuhelfen. Vollkommen freiwillig und ohne von irgendjemandem dazu aufgefordert worden zu sein, habe er begonnen mitzuarbeiten. Diese Tätigkeit sei auf keinen Fall im Auftrag der genannten Firma erfolgt. Er habe für diese Tätigkeit auch nichts bezahlt erhalten. Der Beschwerdeführer führt in dieser Berufung weiters aus, daß die Einvernahme des Geschäftsführers der genannten Firma, Herrn H und der Ehegatten Y unbedingt erforderlich gewesen wäre.
Die belangte Behörde wartete den Ausgang des gegen den Geschäftsführer der genannten Firma eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens nach dem AuslBG ab und teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. November 1994 zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme binnen einer Woche mit, daß dieser Geschäftsführer mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol wegen der rechtswidrigen Beschäftigung des Beschwerdeführers am 28. Juni 1993 um ca. 10.00 Uhr bei Straßenausbesserungsarbeiten für die Firma T G.m.b.H. in K in der Nähe des Gasthauses X wegen Übertretung des AuslBG rechtskräftig bestraft worden sei. Diesem Berufungsbescheid kann entnommen werden, daß Josef H in der Berufung gegen das Straferkenntnis der Behörde erster Rechtsstufe ausführte, daß der Beschwerdeführer bei dieser Firma nie beschäftigt gewesen sei. An der Berufungsverhandlung habe der genannte Geschäftsführer wegen behaupteter Erkrankung nicht teilgenommen.
Die belangte Behörde wies in dem hier angefochtenen Bescheid zum Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren, er habe nie rechtswidrig für die genannte Firma gearbeitet, lediglich auf die rechtskräftige Bestrafung des handelsrechtlichen Geschäftsführers der genannten Firma hin.
Der Beschwerdeführer gab bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Behörde erster Instanz eine Beschäftigung für die in Rede stehende Gesellschaft zu. In der Berufung hingegen nahm er unter ausführlicher Schilderung des Vorfalles einen gegenteiligen Standpunkt ein und machte dafür Zeugen namhaft. Bei dieser Sachlage war die belangte Behörde verpflichtet, in einem Ermittlungsverfahren durch Einvernahme der beantragten oder anderer Zeugen sich Klarheit zu verschaffen; sie durfte sich keineswegs mit der ersten Angabe des Beschwerdeführers begnügen. Aber auch der von der belangten Behörde ausgesprochene Hinweis auf die rechtskräftige Bestrafung des Geschäftsführers dieser Gesellschaft reicht nicht aus. Eine Bindung der belangten Behörde an diese rechtskräftige Bestrafung besteht schon deswegen nicht, weil nicht von einer Vorfrage im Sinn des § 38 AVG gesprochen werden kann. Die belangte Behörde konnte jedoch das Ermittlungsverfahren auch in diesem Strafverfahren berücksichtigen und dann in freier Beweiswürdigung Feststellungen treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0084).
Der Hinweis der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid auf die rechtskräftige Bestrafung des Geschäftsführers der in Rede stehenden Firma zeigt, daß die belangte Behörde zu Unrecht von einer Bindung an dieses Straferkenntnis ausgegangen ist und aus diesem Grund es unterlassen hat, Feststellungen aufgrund des Ermittlungsverfahrens eigenständig zu treffen. Sie belastete damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 420,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 60,--) zu entrichten waren.
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung RechtsmittelverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995210095.X00Im RIS seit
20.11.2000