TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/16 G250/93, G251/93

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Veröffentlicht am 16.06.1994
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Index

32 Steuerrecht
32/06 Verkehrsteuern

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
BG BGBl 554/1980, mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird (=SEG) §4
SEG siehe BG BGBl 554/1980, mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird
ErdölsonderabgabeG siehe BG BGBl 554/1989, mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der unterschiedlichen Belastung von Rohölen und Erdölprodukten bei der Erdölsonderabgabe

Spruch

Die Wortfolge ", 2. bei Erdölprodukten 8 vH der Bemessungsgrundlage" in §4 des Bundesgesetzes vom 26. November 1980, mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird, BGBl. Nr. 554, in der Fassung der Bundesgesetze BGBl. Nr. 557/1985, Nr. 312/1987 und Nr. 29/1991, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 1995 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gemäß §1 Abs1 des Bundesgesetzes vom 26. November 1980, mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird, BGBl. 554, idF BGBl. 557/1985, 312/1987 und 29/1991, (SEG), unterliegen folgende Vorgänge der Sonderabgabe von Erdöl:

"1.

Die Gewinnung von Rohölen (Abs2) im Zollgebiet (§1 des Zollgesetzes 1955, BGBl. Nr. 129),

2.

die Einfuhr von Rohölen und Erdölprodukten (Abs3) in das Zollgebiet,

3.

die Erzeugung von Erdölprodukten im Zollgebiet aus anderen Stoffen als Rohölen."

Gemäß §4 SEG beträgt die Sonderabgabe für jeden abgabepflichtigen Vorgang

"1. bei Rohölen 2,4 vH der Bemessungsgrundlage,

2. bei Erdölprodukten 8 vH der Bemessungsgrundlage."

2. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B953/92 und zu B1748/92 Beschwerden gemäß Art144 B-VG gegen Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland anhängig, mit denen den beschwerdeführenden Gesellschaften jeweils gemäß §4 Z2 SEG die Sonderabgabe von Erdöl vorgeschrieben wurde. Die beschwerdeführenden Gesellschaften erachten sich durch die angefochtenen Bescheide in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §4 SEG iVm §1 SEG, verletzt und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide.

3. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß vom 14. Oktober 1993, B953/92 ua., davon aus, daß die Beschwerden zulässig sind und daß er bei seiner Entscheidung darüber - ebenso wie die belangte Behörde bei Erlassung der angefochtenen Bescheide - §4 Z2 SEG anzuwenden hat. Er hegte das Bedenken, daß §4 Z2 SEG dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz widerspricht. Der Verfassungsgerichtshof war auf Grund der von den beschwerdeführenden Gesellschaften ebenso wie von der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen vorläufig der Auffassung, daß der Gesetzgeber mit der im §4 SEG festgelegten unterschiedlichen Abgabenhöhe für Rohöle einerseits und Erdölprodukte andererseits in unsachlicher Weise zwischen der Gewinnung von Rohölen und der Erzeugung bzw. Einfuhr von Erdölprodukten unterschieden hat.

4. Die Bundesregierung beschloß, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen, und beantragte, für den Fall der Aufhebung für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

5. In einem Schriftsatz weist die beschwerdeführende Gesellschaft des Anlaßbeschwerdeverfahrens zu B953/92 erneut darauf hin, "daß (aufgrund moderner Raffinationsmethoden) der Ausbeutesatz weit über 30 % liegt" und legt unter einem das Schreiben der "ÖMV Aktiengesellschaft vom 22. November 1993" vor, mit welchem diese die Ausbeutesätze an Fertigprodukten aus Rohöl getrennt nach Rohöltypen bekanntgibt. Dazu bemerkt die beschwerdeführende Gesellschaft, "daß 'Heizöl extraleicht' und 'Dieselkraftstoff' ein- und dasselbe (Gasöl-)Produkt sind", und ersteres daher genausogut als Dieselkraftstoff verwendet werden kann. "Bei der Berechnung der effektiven Abgabenbelastung ist daher auch Heizöl extraleicht einzubeziehen."

Aus diesen Aufstellungen ergäbe sich, "wenn man - richtigerweise - Heizöl extraleicht in die Berechnung miteinbezieht", daß "die effektive Abgabenbelastung für die ÖMV Aktiengesellschaft zwischen 3,20 % und 4,02 % liegt, aber ... selbst wenn man Heizöl extraleicht aus der Berechnung ausklammert, die effektive Abgabenbelastung ... immer noch lediglich zwischen 4,3 % und 5,7 % liegt".

Im Gegensatz dazu müsse die beschwerdeführende Gesellschaft "jedenfalls die effektive Abgabenbelastung von 8 % (der Bemessungsgrundlage) tragen, also eine um 40 % (5,7 % zu 8 %) bis zu 150 % (3,2 % zu 8 %) höhere Abgabenbelastung als die ÖMV Aktiengesellschaft". Die Regelung des §4 SEG sei sohin wegen der exzessiven und unterschiedlichen Abgabenbelastung gleichheitswidrig.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Im Verfahren ist weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen, daß die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden sowie über die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung unzutreffend sind. Da auch alle sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2.a. Wie der Verfassungsgerichtshof (unter Verweis auf seine Vorjudikatur, zB VfSlg. 5356/1966, 5727/1968 und 7135/1973) in VfSlg. 8457/1978 ausgeführt hat, verbietet der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber, Gleiches ungleich zu behandeln, ohne daß es ihm verwehrt ist, sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen. Hingegen verbietet das Gleichheitsgebot dem Gesetzgeber, Differenzierungen zu schaffen, die nicht sachlich begründbar sind. Die dem Gesetzgeber - freilich nicht unbegrenzt - zustehende politische Gestaltungsfreiheit umfaßt sowohl die angestrebten Ziele als auch die Auswahl der zur Zielerreichung einzusetzenden Mittel. Der Verfassungsgerichtshof kann dem Gesetzgeber nur dann entgegentreten, wenn er bei der Bestimmung der einzusetzenden Mittel die ihm von Verfassungs wegen gesetzten Schranken überschreitet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er das sich aus dem Gleichheitsgebot ergebende Sachlichkeitsgebot verletzt, wenn also beispielsweise die vorgesehenen, an sich geeigneten Mittel zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen.

b. Auf Grund dieser allgemeinen Überlegungen erweist sich die in Prüfung gezogene Wortfolge des §4 SEG im Hinblick auf die Steuerpflicht gemäß §1 Abs1 SEG als gleichheitswidrig: Der Gesetzgeber differenziert in §4 SEG hinsichtlich der Abgabenhöhe zwischen Rohölen, bei denen die Sonderabgabe von Erdöl 2,4 vH der Bemessungsgrundlage (laut der Z1 der Bestimmung) beträgt, und Erdölprodukten, bei denen die Sonderabgabe 8 vH der Bemessungsgrundlage ausmacht (so §4 Z2 SEG). Wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (477 BlgNR 15. GP, S. 3) entnommen werden kann, soll durch die befristete Einführung einer Sonderabgabe von Erdöl neben dem fiskalpolitischen Zweck der für die Verbesserung des Bundeshaushaltes notwendigen Erschließung neuer Einnahmen "auch eine Abschöpfung der durch die Preisentwicklung auf dem Erdölsektor hervorgerufenen Gewinne herbeigeführt werden". Den "Grundtatbestand" der Erdölsonderabgabe soll "die Urproduktion" bilden. "Im Hinblick auf den ordnungspolitischen Zweck der Abgabe sollen Rohöle als Ausgangsstoff für Motorentreibstoffe sowie Motorentreibstoffe besteuert werden." Zur Abgabenhöhe wird in den Erläuterungen ausgeführt, daß "für die Urproduktion ... dieselbe Abgabenbelastung wie für die sonstigen abgabepflichtigen Tatbestände herbeigeführt werden (soll)". Ausdrücklich wird dann zur unterschiedlichen Abgabenhöhe für Rohöle und Erdölprodukte ausgeführt:

"Das Verhältnis der Abgabenhöhe für Rohöle zu jener für Fertigprodukte soll bewirken, daß entsprechend dem Ausbeutesatz eine gleichmäßige Abgabenbelastung von Rohölen und Fertigprodukten eintritt."

Entgegen dieser in den Erläuterungen zum Entwurf des SEG zum Ausdruck gelangten Absicht, dieselbe Abgabenbelastung bei Rohölen und Fertigprodukten eintreten zu lassen, hat der Gesetzgeber für Rohöle und Erdölprodukte unterschiedliche Abgabenhöhen festgelegt, die Fertigprodukte im Verhältnis zu Rohölen unverhältnismäßig stärker belasten.

Wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach (VfSlg. 5854/1968, 7844/1976, 9524/1982) dargetan hat und wie sich bereits aus dem Text des Art7 B-VG und des Art2 StGG ergibt, stellt das Gleichheitsgebot, soweit es sich an die Gesetzgebung wendet, nicht auf den Zeitpunkt der Erlassung der generellen Norm ab. Ein Gesetz muß sohin jederzeit dem Gleichheitssatz entsprechen. Der Verfassungsgerichtshof ist ferner verpflichtet, die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Gleichheitssatz im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu überprüfen. Daher muß jedenfalls der gegenwärtige Ausbeutesatz von Erdölprodukten aus Rohölen für die Beurteilung der Verfassungskonformität der Abgabenhöhe bei Rohölen und Erdölprodukten der Prüfung des Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof zugrundegelegt werden.

Gleichgültig ob der Ausbeutesatz an Benzinen und Gasölen aus Rohöl in dem der Abgabenerhebung zugrundeliegenden Jahr 1989 bei 42 % lag (wie die belangte Behörde in ihren Gegenschriften in den Anlaßbeschwerdeverfahren zugesteht), oder dieser Ausbeutesatz rund 52 % ausmachte (wie die beschwerdeführende Gesellschaft zu B953/92 in ihrer Stellungnahme vom 21. Dezember 1992 unter Hinweis auf das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten, Sektion VII, herausgegebene Österreichische Montan-Handbuch 1991 dartut), und wie immer auch das aus Rohöl gewonnene Heizöl extraleicht diesbezüglich einzustufen ist, erweist sich jedenfalls der der Regelung der Abgabenhöhe in §4 SEG für Rohöle (mit 2,4 vH der Bemessungsgrundlage) und für Erdölprodukte (mit 8 vH der Bemessungsgrundlage) zugrundeliegende Ausbeutesatz von 30 % an Motorenbenzinen und Dieselölen aus Rohölen bei weitem als verfehlt. Damit wird eine weitaus höhere Sonderabgabenbelastung für die Erzeugung von Erdölprodukten im Vergleich zur Gewinnung oder Einfuhr von Rohölen bewirkt, für die mit Rücksicht auf die Absicht des Gesetzgebers, die Menge an Motorentreibstoffen gleichsam in die für ihre Erzeugung erforderliche Menge an Rohöl "umzurechnen" (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 477 BlgNR 15. GP, S. 3) kein - sachlicher - Grund besteht.

Auch die vom Bundesminister für Finanzen zu B1748/92 angedeutete (wenn gleichwohl nicht näher ausgeführte) tendenzielle Begünstigung von Erdölprodukten mit höherem inländischen Wertschöpfungsanteil bildet keinen hinreichenden sachlichen Grund für die Differenzierung des §4 SEG, weil ansonsten für das im Inland gewonnene Rohöl im Vergleich zum importierten Rohöl - wegen der bei jenem Rohöl ebenfalls wesentlich höheren inländischen Wertschöpfung - eine weitere Differenzierung im Steuersatz erforderlich wäre. Nicht die inländische Wertschöpfung sollte sohin das Maß für die Erdölsonderabgabe sein, sondern wegen des ordnungspolitischen Zwecks der Abgabe sollten Motorentreibstoffe gleich ihrem Ausgangsstoff, dem Rohöl, besteuert werden.

Die sohin sachlich (in Anbetracht des Zieles einer gleichmäßigen Abgabenbelastung) nicht begründbare Differenzierung der Abgabenbelastung von Rohölen und Erdölprodukten in §4 SEG widerspricht entweder hinsichtlich der Abgabenhöhe bei Rohölen oder hinsichtlich der Abgabenhöhe bei Erdölprodukten dem Gleichheitssatz. Zweifellos liegt es nämlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, je nach dem erwünschten Steueraufkommen entweder von der 8 %igen Sonderabgabe bei Erdölprodukten oder von der 2,4 %igen Sonderabgabe bei Rohölen ausgehend entsprechend dem tatsächlichen Ausbeutesatz die Steuerhöhe beim jeweils anderen Steuerobjekt entsprechend dem Ziel einer gleichmäßigen Abgabenbelastung festzulegen. Da in beiden Beschwerde(anlaß)fällen lediglich die Sonderabgabe von Erdölprodukten Gegenstand des Verfahrens ist, mußte sich der Verfassungsgerichtshof schon aus Gründen der Präjudizialität auf die Prüfung und Aufhebung der Z2 des §4 SEG beschränken.

3. Wegen der erforderlichen legistischen Vorkehrungen hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung den Ablauf des 30. Juni 1995 bestimmt. Gründe, denen zufolge der Gesetzgeber eine längere Frist benötigt, hat die Bundesregierung in ihrer Äußerung nicht angeführt.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG 1953.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Erdölsonderabgabe, Sonderabgabe von Erdöl

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G250.1993

Dokumentnummer

JFT_10059384_93G00250_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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