TE Vwgh Erkenntnis 1969/12/22 0516/69

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Veröffentlicht am 22.12.1969
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Index

StVO
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

AVG §45 Abs2
StVO 1960 §5 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte Dr. Schmid, Dr. Jurasek, Hofstätter und DDr. Heller als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Baran, über die Beschwerde des JH in W, vertreten durch Dr. Robert Wallentin, Rechtsanwalt in Wien IX, Währingerstraße 6 - 8, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 21. Februar 1969, Zl. VerkR-43.703/1-1968, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Linz sprach mit Straferkenntnis vom 28. Jänner 1969 aus, der Beschwerdeführer habe am 3. Oktober 1968 um 23.35 Uhr von der Zufahrtstraße der Halle 4 auf die Umfahrungsstraße des Urfahrer Jahrmarktes in Linz einen dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt, wobei ein Blutalkoholgehalt von mehr als 0,8%o anzunehmen gewesen sei. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159 (StVO), begangen und es werde gemäß § 99 Abs. 1 StVO gegen ihn eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzarreststrafe 14 Tage) verhängt. In der Begründung wurde dargelegt, es sei eine 0,8 %o zumindest erreichende Alkoholisierung des Beschwerdeführers, der trotz Belehrung eine Blutabnahme verweigert habe, durch das Ergebnis der klinischen Untersuchung seitens eines Polizeiarztes im Zusammenhang mit dem positiven Alkotest anzunehmen. Für die Zeit des Urfahrer Jahrmarktes seien die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung auf die Umfahrungsstraße und die Zufahrten in das Marktinnere voll anzuwenden, weil diese Verkehrswege von allen Verkehrsteilnehmern unter den gleichen Bedingungen, wenn auch mit gewissen Beschränkungen, benutzt werden könnten. In der Berufung bringt der Beschwerdeführer vor, der Tatort könne nicht als „Straße mit öffentlichem Verkehr“ im Sinne der Straßenverkehrsordnung bezeichnet werden, weil sich die Zufahrtsstraße auf dem Gelände des Jahrmarktes befinde, der zur Tatzeit bereits seit 18 Uhr geschlossen gewesen sei. Diese Straße sei daher ebensowenig für den öffentlichen Verkehr bestimmt wie Straßen in Fabriksgeländen, die nur von Werkfahrzeugen oder Fahrzeugen fremder Firmen zum Abholen oder Liefern von Waren benützt würden. Auch sei der Beschwerdeführer nicht mit dem Wagen gefahren. Er beantragte zum Beweis für sein Vorbringen die Vernehmung dreier namentlich genannter Zeugen. Ohne Durchführung eines weiteren Ermittlungsverfahrens hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 21. Februar 1969 der Berufung gemäß §§ 51 VStG 1950 und 66 Abs. 4 AVG 1950 im Zusammenhalt mit § 24 VStG 1950 keine Folge gegeben. In der Begründung wurde ausgeführt, es sei aus der Aussage des zur Wahrheit verpflichteten Meldungslegers zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer, obwohl er dies abstreite, seinen Wagen gelenkt habe. Da aber der Beschwerdeführer zumindest die Inbetriebnahme seines Kraftfahrzeuges selbst zugegeben habe, eine Tätigkeit, die der des Führens vorausgehe, und der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tatbestand auch schon durch die Inbetriebnahme eines Fahrzeuges erfüllt sei, bestünde kein Zweifel, daß der Beschwerdeführer die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung begangen habe, weshalb auch auf die Vernehmung der vom Beschwerdeführer genannten Zeugen habe verzichtet werden können, zumal von diesen nach einem halben Jahr keine konkreten Angaben mehr zu erwarten wären. Entscheidend für die Frage, ob die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung auf eine Verkehrsfläche anzuwenden seien, sei, daß ein allgemeiner Gebrauch vorliege. Dies sei für den. vorliegenden Fall des Festgeländes des Urfahrer Jahrmarktes gegeben, denn eine Straße sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon dann als eine solche mit öffentlichem Verkehr anzusehen, wenn sie von Fußgängern unter denselben Bedingungen benützt werden könne. Dies sei am fraglichen Tag auch für die Zeit nach 18 Uhr der Fall gewesen, weil zu dieser Zeit nur die Ausstellungshallen geschlossen gewesen seien, nicht aber der Vergnügungspark und die diversen Erfrischungszelte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wie auch aus den Erläuternden Bemerkungen zur späteren Straßenverkehrsordnung zu entnehmen ist (22 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, IX. GP.), ist die Frage, ob es sich um eine Straße für den öffentlichen Verkehr handle, nach ihrer Benützung zu beurteilen. Entscheidend ist die Bestimmung (Widmung) für den allgemeinen Gebrauch. Ein Verkehr findet, wie sich aus den Bestimmungen der §§ 1 Abs. 1 StVO und 2 Abs. 1 StVO ergibt, dann statt, wenn eine Straße oder eine andere hiefür bestimmte Landfläche von Fahrzeugen oder Fußgängern mit einer gewissen Regelmäßigkeit benützt wird (siehe z.B. Entscheidung des OGH vom 8. Oktober 1964, Zl. 11 Os 150/64, veröffentlicht in der Zeitschrift für Verkehrsrecht 1965 Nr. 155). Die Verkehrsfläche war, wie unbestritten auch zur Tatzeit zumindest noch für alle jene Fahrzeuge und Fußgänger bestimmt und benützbar, die sich vom oder zum Vergnügungspark oder den Erfrischungszelten begeben wollten, und wurde auch vom Beschwerdeführer zu diesem Zweck benützt. Kann aber eine Straße von jedermann, und seien es auch nur Fußgänger, unter den gleichen Bedingungen benützt werden, sind auf diese Verkehrsfläche die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung anwendbar (siehe z.B. die Erkenntnisse vom 7. November 1963, N. F. Nr. 6143/A, und vom 22. September 1969, Zl. 1819/68, auf dessen Ausführungen gemäß Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965 verwiesen wird).

Nach dem Spruch des erstinstanzlichen Bescheides, der von der belangten Behörde bestätigt worden ist, hat der Beschwerdeführer das Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Dieser Tatbestand sei, wie in der Begründung dieses Bescheides dargelegt ist (Seite 3), durch die Aussagen des Meldungslegers, aber auch durch das Geständnis des Beschwerdeführers erwiesen. Nach dem Akteninhalt hat der Beschwerdeführer jedoch nicht gestanden, den Wagen gelenkt, sondern diesen bloß gestartet, also in Betrieb genommen zu haben und dafür auch Zeugen genannt. Von der Einvernahme dieser Zeugen hat die belangte Behörde jedoch deshalb abgesehen, weil der Sachverhalt einerseits durch die Angaben des Meldungslegers genügend geklärt gewesen sei und andererseits nach einem halben Jahr von diesen Zeugen keine konkreten Angaben mehr zu erwarten seien.

Das Vorliegen der Meldung eines Sicherheitswacheorganes entbindet, wie der Verwaltungsgerichtshof z. B. in seinen Erkenntnissen vom 14. Februar 1964, Zl. 1978 und 2140/63 ausgeführt hat, die Behörde jedoch nicht, auf Beweisanträge einzugehen und sich mit Zeugenaussagen auseinanderzusetzen. Die Glaubwürdigkeit von Zeugen, wozu auch die Beurteilung ihres Erinnerungsvermögens gehört, wird in der Regel erst auf Grund ihrer Aussagen beurteilt werden können. Eine antizipierte Beweiswürdigung - um eine solche handelt es sich im vorliegenden Fall, weil die belangte Behörde ohne die Zeugen gehört zu haben, ihr Erinnerungsvermögen bezweifelt - ist den Verwaltungsverfahrensgesetzen fremd (siehe z. B. das Erkenntnis vom 25. Juni 1968, Zl. 1214/68 und die dort zitierten diesbezüglichen Erkenntnisse).

Dieser Verfahrensmangel ist deshalb wesentlich, weil zwar auch die bloße Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges den Tatbestand des § 5 Abs. 1 StVO erfüllt, das Tatbild der Inbetriebnahme jedoch verschieden von dem des Lenkens ist und diesem vorausgeht (siehe z.B. die Erkenntnisse vom 19. Oktober 1955, Slg. N.F. Nr. 3854/A, und vom 7. November 1963, Slg. N.F. Nr. 6143/A). Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer des Lenkens eines Kraftfahrzeuges und nicht der Inbetriebnahme schuldig erkannt. Der Tatbestand des Lenkens eines Kraftfahrzeuges wurde jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht vom Beschwerdeführer zugegeben, sondern nur der der Inbetriebnahme. Die belangte Behörde hätte sich daher nach Durchführung eines vollständigen Ermittlungsverfahrens, wozu auch die Einvernahme der vom Beschwerdeführer genannten Zeugen gehört, darüber klar werden müssen, welches der beiden Tatbilder des § 5 Abs. 1 StVO sie dem Beschwerdeführer zur Last legt, weil der Beschwerdeführer einen Anspruch darauf hat, desjenigen Tatbestandes schuldig erkannt zu werden, den er tatsächlich verwirklicht hat.

Der angefochtene Bescheid war also gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, weil Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden sind, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Wien, am 22. Dezember 1969

Schlagworte

Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1969:1969000516.X00

Im RIS seit

13.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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