TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/12 Ra 2022/22/0001

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Veröffentlicht am 12.04.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §19 Abs3
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §49 Abs5
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der A Z, vertreten durch Mag. Theresia Koller, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Friedrich Schmidt Platz 7/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 10. September 2021, VGW-151/049/5864/2021-14, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine serbische Staatsangehörige, stellte am 21. Juni 2018 unter Berufung auf ihre am 26. März 2018 geschlossene Ehe mit einem ungarischen Staatsangehörigen einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2        Mit Bescheid vom 16. März 2021 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Antrag der Revisionswerberin - gestützt auf § 54 Abs. 7 NAG - zurück und stellte fest, dass die Revisionswerberin nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. In ihrer Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass es sich bei der ins Treffen geführten Ehe um eine Aufenthaltsehe handle.

3        In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte die Revisionswerberin ua. vor, die belangte Behörde habe es unterlassen, die in der Stellungnahme vom 15. März 2021 namhaft gemachten fünf Zeugen einzuvernehmen. Mit diesen Zeugen hätten die Ehegatten regelmäßig Kontakt bzw. ein freundschaftliches Verhältnis gehabt und es seien auch regelmäßig Einladungen ausgesprochen worden.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. September 2021 wies das Verwaltungsgericht Wien diese Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

Nach Darstellung des Verfahrensganges stellte das Verwaltungsgericht fest, die Revisionswerberin und ihr Ehegatte seien an derselben Adresse gemeldet. Das Vorliegen einer Wohnungs-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft habe jedoch nicht objektiviert werden können, sodass aus Sicht des Verwaltungsgerichtes eine Aufenthaltsehe vorliege.

Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht ua. (näher dargestellte) Widersprüche zum Kennenlernen der Ehegatten, zu den Umständen des Heiratsantrages und zum Ort der Eheschließung ins Treffen. Zudem stützte sich das Verwaltungsgericht auf die Angaben des Zeugen L, der den Bericht der Landespolizeidirektion Wien zu den entsprechenden Erhebungen verfasst und dazu angegeben habe, er habe in der Wohnung der Revisionswerberin keine „für einen Mann typischen“ Hygieneprodukte oder Kleidungsstücke auffinden können. Außerdem seien die Ehegatten nicht auf Facebook befreundet gewesen, obwohl sie vorgebracht hätten, sich über diese Plattform kennengelernt zu haben. Die Zeugen L und R (letzterer leitete die Einvernahme der Ehegatten bei der belangten Behörde) hätten - so das Verwaltungsgericht weiter - übereinstimmend angegeben, dass die Revisionswerberin und ihr Ehemann keinen vertrauten Eindruck gemacht hätten. Demgegenüber hätten sich die Zeugen S und B, bei denen es sich um Bekanntschaften der Revisionswerberin handle, zwar angegeben, dass die Ehegatten einen liebevollen und sehr vertrauten Eindruck gemacht hätten; allerdings hätten sich diese beiden Zeugen in (wiederum näher dargestellte) Widersprüche verstrickt. Es erscheine auch nicht nachvollziehbar, dass die Zeugin B, welche einen engeren Kontakt zur Revisionswerberin pflege, keine Angaben zum Kennenlernen der Ehegatten habe machen können. Den Aussagen der Zeugen L und R sei daher eine höhere Glaubwürdigkeit beizumessen.

In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin und ihr Ehegatte hätten zwar formal den Bund der Ehe geschlossen, jedoch sei davon auszugehen, dass die Ehe nur zur Erlangung eines Aufenthaltstitels geschlossen worden sei und nie ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK bestanden habe.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revisionswerberin macht zur Zulässigkeit der Revision Ermittlungsmängel des Verwaltungsgerichts geltend. So habe das Verwaltungsgericht (ua.) im Hinblick auf den zur mündlichen Verhandlung geladenen, aber nicht erschienenen Schwager der Revisionswerberin nicht die bei unentschuldigtem Nichterscheinen von geladenen Zeugen rechtlich gebotene Vorgangsweise gewählt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Vernehmung des beantragten Zeugen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

8        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. VwGH 19.10.2021, Ra 2020/14/0135 bis 0137, Rn. 34, mwN).

9        Im vorliegenden Fall stellte die Revisionswerberin im behördlichen Verfahren im Zuge ihrer Stellungnahme vom 15. März 2021 ua. den Antrag, ihren Schwager zum Beweis für das Vorliegen einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft zwischen ihr und ihrem Ehegatten einzuvernehmen. Diesen Antrag, dem von der belangten Behörde nicht entsprochen wurde, hielt sie in ihrer Beschwerde aufrecht und erstattete näheres Vorbringen zum Verhältnis zu den Ehegatten. Das Verwaltungsgericht lud den Schwager der Revisionswerberin in der Folge zwar zur mündlichen Verhandlung, zu der dieser jedoch nicht erschien. Eine neuerliche Ladung des Zeugen durch das Verwaltungsgericht erfolgte nicht.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Behörde (und nichts Anderes gilt für das Verwaltungsgericht) die Einvernahme eines Zeugen nicht allein deshalb unterlassen darf, weil dieser trotz Ladung nicht erscheint. Vielmehr ist es Pflicht der Behörde (bzw. des Verwaltungsgerichts), einen allenfalls unwilligen Zeugen zum Erscheinen und zur Aussage zu zwingen (vgl. VwGH 5.6.1998, 97/19/1473; 25.11.2009, 2009/02/0095, jeweils mwN; vgl. dazu, dass das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit der Einvernahme eines beantragten Zeugen durch die Ladung zum Ausdruck gebracht hat, VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0164, Rn. 17).

11       Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hat das Verwaltungsgericht durch das - im angefochtenen Erkenntnis nicht begründete - Absehen von einer erneuten Ladung des Schwagers der Revisionswerberin die hg. Rechtsprechung missachtet. Dass es auf dessen Aussage nicht ankäme oder sie als Beweismittel an sich ungeeignet wäre, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen, ist nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (vgl. etwa VwGH 17.6.2019, Ra 2018/22/0200, Rn. 10, mwN; sowie - im Zusammenhang mit der beantragten Vernehmung der früheren Schwiegereltern - VwGH 22.1.2013, 2012/18/0184).

12       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13       Ausgehend davon erübrigt es sich, über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzusprechen.

14       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. April 2022

Schlagworte

Ablehnung eines Beweismittels Allgemein Beweismittel Zeugen Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220001.L00

Im RIS seit

13.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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