Entscheidungsdatum
27.08.2021Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG 1991 §34 Abs3Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Hillisch über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen den Bescheid über eine Ordnungsstrafe der Landespolizeidirektion Wien vom 04.05.2021, Zl. VStV/.../2021, zu Recht:
I. Die Beschwerde wird abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch zu lauten hat wie folgt:
„Sie haben sich in Ihrer Eingabe vom 03.05.2021 insofern einer beleidigenden Schreibweise bedient, als Sie in Ihrem Schreiben Folgendes anführten:
‚Im Übrigen ist es angesichts der Palette an Straftaten bzw. Kriegsverbrechen dieser illegitim durch einen ausländischen Putsch an die Macht gekommene und auch durch die „üblichen“ Kreise der Industrie und Hochfinanz fremdgesteuerte „Regierung“ ein Hohn, von einer Anstandsverletzung meinerseits zu sprechen.‘
sowie
„Sämtliche COVID-Maßnahmen stellen Menschenversuche zur Einführung einer Impfpflicht und Bevölkerungskontrolle bzw. –reduktion dar […].“
Es wird daher über Sie gemäß § 34 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG eine Ordnungsstrafe von € 300,00 verhängt.“
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Angefochtener Bescheid, Beschwerde und Verfahrensgang
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) wegen beleidigender Schreibweise eine Ordnungsstrafe in der Höhe von € 300,– verhängt.
2. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit E-Mail vom 4. Juni 2021 Beschwerde.
3. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien unter Anschluss des verwaltungsbehördlichen Akts vor.
4. Auf Ersuchen des Verwaltungsgerichts Wien fragte die belangte Behörde bei der Österreichischen Post AG an, wann die Hinterlegung des Schriftstücks, mit welchem der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, erfolgte. Die Österreichische Post AG gab daraufhin bekannt, dass das Schriftstück am 6. Mai 2021 hinterlegt wurde und mit 7. Mai 2021 die Abholfrist begann.
II. Sachverhalt.
1. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 14. April 2021 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer zur Rechtfertigung hinsichtlich der Tatvorwürfe aufgefordert, er habe – zusammengefasst – im Zuge einer Versammlung lautstark die Aussagen „Ich bin nur auf der Demo, wegen den s. Ni. in der Regierung“ und „Ich hab net Ni. gesagt, ich hab s. Ne. gesagt“ getätigt und damit jeweils den öffentlichen Anstand verletzt.
2. Daraufhin übermittelte der Beschwerdeführer der belangten Behörde mit E-Mail vom 3. Mai 2021 ein Schreiben, in dem er sich unter anderem der folgenden Formulierungen bediente:
‚Im Übrigen ist es angesichts der Palette an Straftaten bzw. Kriegsverbrechen dieser illegitim durch einen ausländischen Putsch an die Macht gekommene und auch durch die „üblichen“ Kreise der Industrie und Hochfinanz fremdgesteuerte „Regierung“ ein Hohn, von einer Anstandsverletzung meinerseits zu sprechen.‘
„Sämtliche COVID-Maßnahmen stellen Menschenversuche zur Einführung einer Impfpflicht und Bevölkerungskontrolle bzw. –reduktion dar und sind somit als Menschenrechtsverletzung zu sehen.“
3. Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.
III. Rechtsgrundlagen
§ 34 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) lautet:
„6. Abschnitt: Ordnungs- und Mutwillensstrafen
Ordnungsstrafen
§ 34.
(1) Das Verwaltungsorgan, das eine Verhandlung, Vernehmung, einen Augenschein oder eine Beweisaufnahme leitet, hat für die Aufrechterhaltung der Ordnung und für die Wahrung des Anstandes zu sorgen.
(2) Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, sind zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen werden oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 726 Euro verhängt werden.
(3) Die gleichen Ordnungsstrafen können von der Behörde gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen.
(4) Gegen öffentliche Organe und gegen Bevollmächtigte, die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt sind, ist, wenn sie einem Disziplinarrecht unterstehen, keine Ordnungsstrafe zu verhängen, sondern lediglich die Anzeige an die Disziplinarbehörde zu erstatten.
(5) Die Verhängung einer Ordnungsstrafe schließt die strafgerichtliche Verfolgung wegen derselben Handlung nicht aus.“
IV. Rechtliche Beurteilung
1. Eine beleidigende Schreibweise liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 1.9.2017, Ra 2017/03/0076) vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. Dabei ist es ohne Belang, ob sich die beleidigende Schreibweise gegen die Behörde, gegen das Verwaltungsorgan oder gegen eine einzige Amtshandlung richtet. Für die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 3 AVG reicht es aus, dass die in der schriftlichen Eingabe verwendete Ausdrucksweise den Mindestanforderungen des Anstands nicht gerecht wird und damit objektiv beleidigenden Charakter hat.
Versucht man dem Inhalt des Begriffes "Beleidigung" näher zu kommen, so müssen mit ihm Ausdrucksweisen verbunden werden, die kränkend, verletzend, demütigend, entwürdigend, erniedrigend, herabsetzend, schimpflich, verunglimpfend, schmähend, verspottend, verhöhnend, der Lächerlichkeit aussetzend wirken sollen, die den Vorwurf eines verächtlichen, schändlichen, schmachvollen, sittlich verwerflichen Handelns zum Ausdruck bringen sollen, kurzum Behauptungen sind, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind und für die ein Wahrheitsbeweis nicht in Frage kommen kann (vgl. VwGH 27.10.1997, 97/17/0187).
Bei der Lösung der Rechtsfrage, ob eine schriftliche Äußerung den Anstand verletzt, ist auch zu berücksichtigen, dass die Behörden in einer demokratischen Gesellschaft Äußerungen der Kritik, des Unmutes und des Vorwurfs ohne übertriebene Empfindlichkeit hinnehmen zu müssen. Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist aber nur dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs. 3 AVG aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweiswürdigung nicht zugänglich sind. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, wird der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG erfüllt. Eine Kritik ist nur dann "sachbeschränkt", wenn die Notwendigkeit dieses Vorbringens zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung angenommen werden kann (vgl. etwa VwGH 1.9.2017, Ra 2017/03/0076).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Vorwürfe strafgesetzwidriger Handlungen, ohne dazu konkrete, geschweige denn überprüfbare Angaben zu machen, jedenfalls den Mindestanforderungen des Anstandes widersprechend (vgl. VwGH 26.3.1996, 95/05/0029, sowie VwGH 21. 9.1988, 87/03/0237).
Wie die belangte Behörde zutreffend ausführt, stellt die Strafbestimmung des § 34 Abs. 3 AVG zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Sinne der Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK dar, sie ist aber als solche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der demokratischen Gesellschaft notwendig und daher im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 13 StGG und des Art. 10 EMRK unbedenklich. Allerdings ist der § 34 Abs. 3 AVG bei der bescheidförmigen Verhängung einer solchen Ordnungsstrafe im Einzelfall im Lichte dieses Vorbehaltes und des darin normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen. Der Zweck dieser Bestimmung ist die Spezialprävention, also die Absicht, die betreffende Person von der Setzung eines ordnungswidrigen Verhaltens abzuhalten und damit den Anstand im schriftlichen Verkehr mit den Behörden zu wahren (VwGH 15.10.2009, 2008/09/0344).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nicht auf die Eignung der an eine Behörde gerichteten schriftlichen Äußerung an, diese, eine Behörde unterer Instanz oder Organwalter dieser Behörden zu beleidigen. Entscheidend ist vielmehr, ob durch diese Äußerung der im Verkehr mit Behörden gebotene Anstand verletzt wird, was freilich nicht davon abhängt, auf wen die Äußerung bezogen ist (VwGH 17.2.1997, 95/10/0221). § 34 Abs. 3 AVG schützt nicht nur den Empfänger eines Schreibens, sondern auch andere staatliche Organe vor beleidigender Schreibweise (vgl. etwa VwGH 1.9.2017, Ra 2017/03/0076).
2. Die in der Rechtfertigung des Beschwerdeführers vom 3. Mai 2021 enthaltenen (unsubstantiierten) Vorwürfe, die österreichische Bundesregierung sei „illegitim durch einen ausländischen Putsch an die Macht gekommen“, „fremdgesteuert“ und verfolge das Ziel einer „Bevölkerungskontrolle bzw. –reduktion“ sind aufs Gröbste verunglimpfend und unterstellen der österreichischen Bundesregierung schwere Straftaten. Die Verwendung dieser beleidigenden Äußerungen war für den Beschwerdeführer nicht notwendig, um sich im Verfahren betreffend die ihm vorgeworfene Anstandsverletzung zweckentsprechend zu verteidigen. Auch im Lichte der Meinungsäußerungsfreiheit ist es vor diesem Hintergrund nicht als erforderlich zu erachten, dass derartige Äußerungen im Zuge eines Verwaltungsstrafverfahrens an die Behörde getätigt werden können.
3. Schon im Hinblick auf diese Äußerungen ist die verhängte Ordnungsstrafe in Anbetracht des bis zu € 726,– reichenden Strafsatzes angemessen. Die Verhängung einer spürbaren Geldstrafe erscheint erforderlich, um den Beschwerdeführer den Unrechtsgehalt seines Verhaltens vor Augen zu führen und ihn von ähnlich gelagerten Ordnungswidrigkeiten in Zukunft abzuhalten.
4. Die Modifikation des Spruchs des angefochtenen Bescheids erfolgte zur Konkretisierung des vorgeworfenen Verhaltens innerhalb des Rahmens der Sache des Beschwerdeverfahrens.
5. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen. Im vorliegenden Fall lässt die mündliche Erörterung einer weiteren Klärung der Rechtssache nicht erwarten und die Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung ist auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht ersichtlich.
6. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ordnungsstrafen; Beleidigende Schreibweise; schriftliche Äußerung; Tatsachenbehauptung; Beweiswürdigung; im Verkehr mit Behörden gebotener Anstand; Meinungsäußerungsfreiheit; VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.101.069.10428.2021Zuletzt aktualisiert am
12.05.2022