TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/4 Ra 2021/01/0306

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Veröffentlicht am 04.04.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs3 Z3 litb
VwGG §42 Abs3 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M H, in W, vertreten durch Mag. Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 2021, Zl. W122 2207950-1/11E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 16. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen Afghanistans, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16. Juni 2018.

2        Mit dem angefochtenen, dem Revisionswerber am 21. Juli 2021 zugestellten Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) in der Sache dem Revisionswerber gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen, keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, ausgehend von der aktuellen Lage in Afghanistan sowie den persönlichen Umständen des Revisionswerbers hätten sich im Vergleich zu den im Zuerkennungsbescheid getroffenen Feststellungen die Umstände insofern wesentlich geändert, als dem Revisionswerber nunmehr eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat offen stünde. Dem Revisionswerber drohe im Fall seiner Rückführung keine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte. Diese Einschätzung stützte das Verwaltungsgericht unter anderem auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 11. Juni 2021). Da somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen, habe das BFA dem Revisionswerber zu Recht den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 aberkannt.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Das BFA erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5        Die Revision erweist sich zu dem im Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes über die Verpflichtung zur Heranziehung der aktuellen maßgeblichen Länderberichte bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat als zulässig und begründet.

6        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Asylbehörde bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren, wie vorliegend ein Verfahren wegen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005. Auch das Verwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. etwa VwGH 24.1.2022, Ra 2021/20/0367, Rn. 11, mwN).

7        Der Revisionswerber weist zu Recht darauf hin, dass sich seit Herausgabe der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte die Situation in Afghanistan in maßgeblicher Weise verändert hatte, sodass das Verwaltungsgericht im Fall der Berücksichtigung aktueller - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses dem Verwaltungsgericht zugänglicher - Berichte zu anderen Feststellungen und aufgrund dieser auch zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte kommen können (vgl. zur Lageänderung in Afghanistan nochmals etwa Ra 2021/20/0367).

8        Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Aussprüche gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das weitere Vorbringen in der Revision war sohin nicht mehr einzugehen.

9        Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010306.L00

Im RIS seit

12.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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