Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Roland Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, Josefstädter Straße 80, 1080 Wien, wegen Versehrtenrente (hier wegen Akteneinsicht der Einschreiter), über den Revisionsrekurs der Einschreiter 1. D*, 2. H* GmbH, *, und 3. W* AG, *, alle vertreten durch Mag. Alexandra Knapp, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Jänner 2022, GZ 12 Rs 1/22m-28, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. November 2021, GZ 18 Cgs 85/20p-24, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger begehrte die Weitergewährung der Versehrtenrente im bisherigen Ausmaß, worüber mit Urteil des Erstgerichts vom 7. 5. 2021 (rechtskräftig) entschieden wurde.
[2] Mit Eingabe vom 7. 10. 2021 (ON 21) ersuchten die Einschreiter um Übermittlung einer Kopie des Aktes des Erstgerichts – nach Möglichkeit elektronisch via ERV – gegen Kostenersatz. Sie seien Beklagte im Verfahren AZ 9 Cg 84/21k des Erstgerichts, in dem der Kläger Ansprüche ua auf Verdienstentgang aufgrund des Verkehrsunfalls vom 31. 7. 2013 infolge behaupteter unfallskausaler Minderung der Erwerbsfähigkeit geltend mache. Zum selben Sachverhalt der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei das Sozialgerichtsverfahren geführt worden, in dem insbesondere bereits diverse Gutachten eingeholt worden seien.
[3] Der Kläger sprach sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht aus, weil das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit kein Thema im Verfahren AZ 9 Cg 84/21k sei und dort ohnedies verschiedene medizinische Gutachten eingeholt werden müssten; außerdem werde sein Vertreter ein bestimmtes Sachverständigengutachten (ON 16) vorlegen.
[4] Die Beklagte äußerte sich zum Antrag nicht.
[5] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die beantragte Akteneinsicht sei im Sinn des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO iVm § 219 ZPO jedenfalls nicht „erforderlich“. Im Zivilverfahren zu AZ 9 Cg 84/21k würden ohnedies medizinische Gutachten einzuholen sein; durch die Gewährung der Akteneinsicht würde die Beweislage für die Einschreiter daher nicht günstiger gestaltet werden. Auch eine Interessensabwägung würde zu Lasten der Einschreiter ausfallen. Das Geheimhaltungsinteresse des Klägers an seinen persönlichen Gesundheitsdaten überwiege gegenüber dem Interesse der Einschreiter an der Verteidigung im Verfahren AZ 9 Cg 84/21k.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Einschreiter teilweise Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es den Einschreitern die Akteineinsicht in das Gutachten ON 16 durch Übermittlung im ERV-Weg bewilligte und im übrigen Umfang (Übermittlung einer Kopie des restlichen Akteninhalts) abwies. Wenn es den Antragstellern nicht schon am rechtlichen Interesse fehle, schlage jedenfalls das Recht auf Schutz sensibler Gesundheitsdaten zugunsten des Klägers aus. Allerdings seien jene Teile zugänglich zu machen, deren Übermittlung der Kläger ohnehin zugestimmt habe.
[7] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu. Aufgrund der teilweise abändernden Entscheidung greife der Rechtsmittelausschluss des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung liege vor, weil keine Judikatur zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage aufgefunden werden habe können, unter welchen Voraussetzungen Dritten bei Belangung mit Verdienstentgangsansprüchen Einsicht in den sozialgerichtlichen Akt auf Versehrtenrente und damit in Gesundheitsdaten zu gewähren sei.
[8] Gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung richtet sich der – vom Kläger beantwortete – Revisionsrekurs der Einschreiter.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) – jedenfalls unzulässig.
[10] 1. Gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls (absolut) unzulässig, wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt worden ist, es sei denn, dass die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Der angeführte Ausnahmefall der Zurückweisung einer Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen liegt bei der – vom Rekursgericht bestätigten – Abweisung eines Antrags auf Akteneinsicht nach der Rechtsprechung nicht vor (4 Ob 44/08m = RS0041522 [T3]).
[11] 2.1. Wurde der erstinstanzliche Beschluss vom Rekursgericht teilweise bestätigt, ist der Beschluss des Rekursgerichts dann zur Gänze (also auch, soweit er den erstinstanzlichen Beschluss bestätigt) anfechtbar, wenn der bestätigende und der abändernde Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung in einem engen, unlösbaren Sachzusammenhang stehen, dass sie voneinander nicht gesondert gesehen werden können (RS0044238; RS0044191; RS0044257 [T61]). Bei dieser Beurteilung ist darauf abzustellen, ob die Aussprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben können (RS0044238 [T4, T5, T15]; RS0044191 [T7]; RS0044257 [T13]) oder es nur eine einheitliche Entscheidung geben kann (vgl RS0044244).
[12] 2.2. Bereits das Gesetz nimmt bestimmte Aktenteile (Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichts und Schriftstücke, die Disziplinarverfügungen enthalten) aus der Akteneinsicht der Parteien und Dritter („in gleicher Weise“) generell aus (§ 219 Abs 1 ZPO). Das Akteneinsichtsrecht eines Dritten ist überdies zweifach in seinem Umfang beschränkt, nämlich insoweit er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht und soweit dem nicht gewisse überwiegende Interessen entgegenstehen (§ 219 Abs 2 ZPO). Das Recht auf Akteneinsicht ist daher für jeden Aktenteil gesondert zu prüfen (vgl 4 Ob 238/17d) und kann – je nach Vorliegen der Voraussetzungen – unterschiedlich zu beurteilen sein.
[13] 2.3. Das Recht auf Akteneinsicht kann daher in Bezug auf unterschiedliche Aktenteile ein unterschiedliches rechtliches und tatsächliches Schicksal haben, sodass die jeweilige Entscheidung darüber nicht im engen, unlösbaren Zusammenhang steht. Gerade im vorliegenden Fall ist nicht zu erkennen – und wird vom Rekursgericht im Rahmen seines Zulässigkeitsausspruchs auch nicht näher begründet –, weshalb hier ein derart enger Zusammenhang bestehen sollte, dass die Aussprüche nicht voneinander gesondert gesehen werden könnten. Die vom Rekursgericht zur Begründung herangezogene Entscheidung 4 Ob 44/08m trifft zu dieser Frage keine Aussage. Die Begründung für die teilweise Gewährung der Akteneinsicht durch das Rekursgericht spricht vielmehr für die gesonderte Beurteilung der Anfechtbarkeit, bejahte dieses doch das Vorliegen einer (seiner Ansicht nach entscheidenden) tatsächlichen Voraussetzung in Bezug (nur) auf diesen Aktenteil.
[14] 3. Der – sich nur gegen den bestätigenden Teil richtende – Revisionsrekurs ist daher absolut unzulässig und zurückzuweisen.
[15] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 40, 50 ZPO. Ein Anspruch auf Kostenersatz besteht im Zivilprozess grundsätzlich nur zwischen den Parteien; eine Kostenersatzpflicht oder ein Kostenersatzanspruch Dritter wird nur ausnahmsweise angeordnet (RS0132792). Für die Akteneinsicht besteht keine solche Sonderregelung (6 Ob 45/19i; 2 Ob 90/15x). Ein Kostenersatzanspruch gegenüber einem die Akteneinsicht begehrenden Dritten besteht daher nicht.
Textnummer
E134725European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00034.22F.0329.000Im RIS seit
12.05.2022Zuletzt aktualisiert am
12.05.2022