TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/22 93/01/0260

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Veröffentlicht am 22.05.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. April 1992, Zl. 4.316.178/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein "jugosl." Staatsangehöriger, der am 2. Mai 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Juni 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 30. November 1992, B 705, 706/92, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese mit Beschluß vom 19. März 1993, gleiche Zahl, dem Verwaltungsgerichtshof ab. In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigebrachten Beschwerdeergänzung macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 24. Mai 1991 angegeben, er gehöre der albanischen Minderheit in seinem Heimatland an und habe als Vermessungsbeamter den Auftrag gehabt, die Zäune und Häuser der Albaner zu schleifen bzw. "niederzuräumen". Da er dies nicht gemacht habe, sei er gerichtlich verurteilt und 15 Tage lang eingesperrt worden. Im Jahr 1989 habe er auch seinen Arbeitsplatz verloren. Er habe der "PDP" angehört, der er freiwillig Mitgliedsbeiträge bezahlt und für die er auch Geld gesammelt habe, "daß wir ins Parlament kommen". Es sei auch noch wegen der Nichtbefolgung der Anordnungen zum Schleifen von Häusern ein gerichtliches Verfahren gegen ihn gelaufen, doch habe er sich dem durch Flucht entzogen. Er habe nie Ruhe gehabt; er sei zu Hause aufgesucht worden, und man habe ihm gedroht, er werde inhaftiert werden und nie wieder aus dem Gefängnis herauskommen. Die Kinder des Beschwerdeführers hätten albanisch reden wollen; deswegen habe er Probleme gehabt. Er habe nicht gewollt, daß seine Kinder nur einen serbokroatischen Unterricht bekämen. Seine Kinder hätten auch nicht weiterstudieren können.

In seiner gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Juni 1991 erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen und machte geltend, daß der erstinstanzliche Bescheid nicht auf seine Situation eingehe und keine ausreichende Begründung aufweise.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände, aus denen seine Flüchtlingseigenschaft hätte abgeleitet werden können, glaubhaft zu machen. Die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer Minderheit allein könne nicht als Grund für seine Anerkennung als Flüchtling gewertet werden. Die geltend gemachte Inhaftierung wegen der Weigerung, dienstlichen Weisungen nachzukommen, sei nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren und weise auch keinen zeitlichen Bezug zu seiner Ausreise auf. Die von einem Asylwerber in einem anderen Land erwarteten besseren Verdienstmöglichkeiten sprächen nicht für das Vorliegen begründeter Furcht. Die Verwendung eines Formulars bei Erstellung des erstinstanzlichen Bescheides stelle keinen Verfahrensmangel dar; auch sei im Berufungsverfahren auf das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen worden.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde sei ihrer Ermittlungspflicht gemäß § 16 Asylgesetz 1991 nicht nachgekommen und habe es auch unterlassen, ihm gemäß § 8 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zuzusprechen, gehen diese Ausführungen ins Leere, weil der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer bereits am 24. April 1992 zugestellt worden ist, wohingegen das Asylgesetz 1991 erst am 1. Juni 1992 in Kraft getreten ist. Eine Anwendung von Bestimmungen dieses Gesetzes war der belangten Behörde somit im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides verwehrt.

Wohl kann aus keiner Angabe des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren entnommen werden, daß er auf Grund besserer Verdienstmöglichkeiten nach Österreich gekommen sei, doch kann aus den diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht abgeleitet werden, weil es sich insoweit um keine den angefochtenen Bescheid in der Hauptsache tragende Begründung handelt.

Dem Beschwerdeführer ist aber darin beizupflichten, daß die belangte Behörde auf sein Vorbringen, es sei wegen der Weigerung, Häuser von Albanern zu schleifen, noch ein gerichtliches Verfahren gegen ihn anhängig, nicht eingegangen ist. Mit diesem Vorbringen hat der Beschwerdeführer eine konkret gegen ihn gerichtete Maßnahme des Staates geltend gemacht, die im Zeitpunkt seiner Flucht noch wirksam war. Daß die Anhängigkeit eines wegen der Weigerung des Beschwerdeführers, Häuser von Albanern zu schleifen, eingeleiteten und noch nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahrens nicht von vornherein als ungeeignet angesehen werden kann, beim Beschwerdeführer begründete Furcht vor Verfolgung hervorzurufen, ergibt sich schon daraus, daß der Beschwerdeführer - seinen unwiderlegt gebliebenen Angaben zufolge - wegen eines gleichen Sachverhaltes bereits einmal gerichtlich verurteilt und für 15 Tage in Haft genommen worden ist und im Jahre 1989 deswegen auch seinen Arbeitsplatz verloren hat. Dazu kommt noch, daß angesichts der angespannten politischen Lage im Kosovo, von der bekanntermaßen die dortige albanische Bevölkerung besonders betroffen ist, nicht ausgeschlossen werden kann, daß dem Beschwerdeführer der Auftrag zum Schleifen der Häuser von Angehörigen dieser Minderheit, der auch er angehört, mit der Absicht erteilt wurde, gegen ihn im Fall seiner als wahrscheinlich anzusehenden Weigerung behördlich bzw. gerichtlich vorgehen zu können, woraus aber Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität abzuleiten wäre.

Es wäre somit Aufgabe der belangten Behörde gewesen, durch eingehendere Befragung des Beschwerdeführers zu klären, um was für ein Verfahren es sich bei dem gegen ihn noch anhängigen Gerichtsverfahren handelt, sowie, ob und inwieweit der ihm erteilte Auftrag auf seine Zugehörigkeit zur albanischen Minderheit zurückzuführen ist.

Die belangte Behörde hat somit dadurch, daß sie auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers überhaupt nicht eingegangen ist, ein maßgebliches Sachvorbringen unbeachtet und ungeklärt gelassen. Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1993010260.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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