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82/04 Apotheken, ArzneimittelNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Kein Verstoß des Apothekenvorbehalts betreffend den Verkauf von nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit; Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit im öffentlichen Interesse zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, dem Gesundheits- und Konsumentenschutz sowie der Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln; Verhältnismäßigkeit des Eingriffs angesichts des besonderen Stellenwertes der öffentlichen Interessen; Apothekenvorbehalt auf Grund zahlreicher standes- und disziplinarrechtlicher Verpflichtungen der Apotheken sachlich gerechtfertigt; keine Gesetzwidrigkeit der Abgrenzungsverordnung 2004 betreffend die Abgabe nicht potenziell gefährlicher Arzneimittel durch Drogerien; Verbot der Abgabe von nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Selbstbedienung, durch Fernabsatz oder Automaten im öffentlichen InteresseRechtssatz
Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Anlage zur Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen und des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit betreffend die Abgabe und Kennzeichnung bestimmter Arzneimittel im Kleinverkauf (Abgrenzungsverordnung 2004) idF BGBl II 150/2014 als zu eng gefasst. Im Übrigen: Abweisung des Antrags eines Betreibers von Drogeriemärkten. Durch die angefochtenen Vorschriften wird der antragstellenden Partei untersagt, (rezeptpflichtige genauso wie nicht rezeptpflichtige) Arzneimittel zu beziehen, Arzneimittel "im Kleinen" abzugeben, Humanarzneispezialitäten in Selbstbedienung oder durch Fernabsatz abzugeben; sie ist daher auch durch diese angefochtenen Bestimmungen unmittelbar und aktuell betroffen. Es steht ihr kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, weil ihr im Fall des Zuwiderhandelns gegen die angefochtenen Bestimmungen eine Verwaltungsstrafe droht. Der VfGH gelangt bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung des im Hinblick auf §§57 Abs1 und 62 Abs1 VfGG widersprüchlich oder unklar scheinenden Begehrens und unter Berücksichtigung der im Antrag dargelegten Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen zur Auffassung, dass der Antrag teilweise zulässig ist. Bei antragsgemäßer bloßer Aufhebung der Anlage zur AbgrenzungsV 2004 idF BGBl II 150/2004 wird die behauptete Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit nicht zur Gänze beseitigt, weil in der Anlage nur jene Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen genannt werden, für die der sogenannte Apothekenvorbehalt gemäß §59 Abs1 iVm Abs3 AMG nicht gilt und sich dann nach wie vor insbesondere aus §1 Abgrenzungsverordnung 2004 das Verbot der Abgabe von Arzneimitteln für die antragstellende Partei ergäbe. Der Eventualantrag auf Aufhebung der gesamten Verordnung ist jedoch zulässig, weil sämtliche Regelungen der Abgrenzungsverordnung 2004 derart ineinandergreifen, dass eine isolierte Anfechtung einer einzelnen Bestimmung nicht möglich ist. Die Verordnung enthält nämlich nicht mehrere voneinander trennbare Tatbestände, und die Bedenken der antragstellenden Partei beziehen sich auf sämtliche (wesentliche) Bestimmungen der Verordnung, weswegen die Anfechtung der gesamten Verordnung zulässig ist.
Der VfGH hat bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Abgrenzungsverordnung 2004 die gesetzlichen Grundlagen von Amts wegen zu prüfen, wenn er Bedenken ob deren Verfassungsmäßigkeit hegt. Als gesetzliche Grundlage ist dabei zunächst §59 Abs3 AMG heranzuziehen; da dieser aber in einem untrennbaren Zusammenhang mit §59 Abs1 AMG und auch §57 Abs1 AMG steht, sind auch diese gesetzlichen Vorschriften zu untersuchen. Soweit die antragstellende Partei die Aufhebung der einschlägigen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 und des Arzneimittelgesetzes, die ausdrücklich den Fernabsatz den Apotheken vorbehalten, begehrt und zahlreiche Bestimmungen anficht, die in einem Zusammenhang mit den Bestimmungen stehen, die expressis verbis den Fernabsatz Apotheken vorbehalten, ist dies iSd der stRsp des VfGH zulässig (aber nicht geboten).
Keine Bedenken gegen das Bezugs- und Abgabeverbot nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel sowie gegen die Abgrenzungsverordnung 2004:
Der VfGH sieht sich nicht zu einer Prüfung der die angefochtene Verordnung tragenden Rechtsvorschrift, nämlich des §59 Abs3 AMG, sowie der damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen des §59 Abs1 und §57 Abs1 AMG veranlasst: Die genannten Bestimmungen bewirken in ihrer Gesamtheit, dass Drogerien nicht rezeptpflichtige Arzneimittel grundsätzlich nicht beziehen und abgeben dürfen. Neben anderen Ausnahmen sind Drogerien daher lediglich im Rahmen der auf Grundlage des §59 Abs3 AMG erlassenen Abgrenzungsverordnung 2004 berechtigt, Arzneimittel zu beziehen sowie abzugeben. Der Gesetzgeber verfolgt mit diesen Bestimmungen mehrere öffentliche Interessen, nämlich den Gesundheits- und Konsumentenschutz, den Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie die Sicherstellung einer funktionierenden Heilmittelversorgung der Bevölkerung. Für den VfGH bestehen keine Zweifel, dass diese Ziele legitime öffentliche Interessen darstellen, die eine Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit rechtfertigen können.
Die Normierung eines Apothekenvorbehaltes bzw eines Bezugs- und Abgabeverbotes von nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln für Drogerien ist darüber hinaus auch geeignet, die genannten öffentlichen Interessen zu verwirklichen: Apotheken unterliegen einer Vielzahl an öffentlich-rechtlichen, standes- und disziplinarrechtlichen Vorschriften. So sind Apotheken insbesondere verpflichtet, über ausreichend pharmazeutisches Fachpersonal zu verfügen. Überdies bestehen detaillierte Anforderungen an die sachliche Ausstattung von Apotheken sowie hinsichtlich der Handhabung und Lagerung von Arzneimitteln. Apotheken trifft darüber hinaus auch eine Verpflichtung zum ununterbrochenen Offenhalten während der gesetzlich festgelegten Betriebszeiten, eine Verpflichtung zu Bereitschaftsdiensten außerhalb der festgelegten Betriebszeiten sowie zur Meldung von Arzneimittelzwischenfällen. Zu diesen Verpflichtungen kommen noch weitere Einschränkungen, die sich aus dem Disziplinar- und Berufsrecht der Apotheker ergeben. Die genannten Bestimmungen sind vor diesem Hintergrund und der Zielsetzung des Gesetzgebers, eine funktionierende Heilmittelversorgung sicherzustellen, somit geeignet, die verfolgten öffentlichen Interessen zu erreichen.
Verhältnismäßigkeit des §59 Abs3 und des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden §59 Abs1 und §57 Abs1 AMG:
Mit dem Argument, dass auch Drogerien imstande wären, die vom Gesetzgeber vorgesehenen Anforderungen an Apotheken zu erfüllen, übersieht die antragstellende Partei, dass Apotheken einer Vielzahl an öffentlich-rechtlichen, standes- und disziplinarrechtlichen Verpflichtungen unterliegen, die in einem komplexen Regelungssystem sicherstellen sollen, dass die mit der Normierung des Apothekervorbehaltes verfolgten öffentlichen Interessen auch tatsächlich erreicht werden. Angesichts des besonderen Stellenwertes dieser öffentlichen Interessen vermag der VfGH nicht zu erkennen, dass die angefochtenen Bestimmungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht der antragstellenden Partei gemäß Art2 und 6 StGG sowie Art7 B-VG darstellen. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, ein Verfahren zur amtswegigen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Regelungen des Arzneimittelgesetzes einzuleiten.
Gesetzmäßigkeit der Abgrenzungsverordnung 2004:
Der Gesetzgeber differenziert mit der Bestimmung des §59 Abs3 AMG nachvollziehbar anhand der potentiellen Gefährlichkeit der Arzneimittel: Jene Arzneimittel, die selbst bei einer nach den Erfahrungen des täglichen Lebens vorhersehbaren nicht bestimmungsgemäßen Verwendung keine Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens von Mensch oder Tier besorgen lassen, dürfen entsprechend der näheren Regelung durch die Abgrenzungsverordnung 2004 auch von Drogerien abgegeben werden.
Der Argumentation, dass sämtliche nicht rezeptpflichtige Arzneimittel in die Abgrenzungsverordnung 2004 aufgenommen werden müssten, weil es iSd §59 Abs3 AMG jedenfalls unvorhersehbar sei, dass Arzneimittel nicht bestimmungsgemäß verwendet werden könnten, sind insbesondere jene Studien entgegenzuhalten, die belegen, dass die missbräuchliche Anwendung von Arzneimitteln sehr wohl ein faktisches Problem darstellt. Vor diesem Hintergrund entbehrt diese Auffassung einer nachvollziehbaren Grundlage. Im vorliegenden Verfahren ist darüber hinaus auch nicht hervorgekommen, dass die Abgrenzungsverordnung 2004 nicht den Vorgaben des §59 Abs3 AMG entspräche.
Dem Argument, dass der Verordnungsgeber seine Verpflichtung zur Dokumentation seiner Erwägungen im Verordnungsakt verletzt habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass es im vorliegenden Zusammenhang keiner Prognoseentscheidung bedurfte: Wenn der Verordnungsgeber im vorliegenden Zusammenhang davon ausgeht, dass bei nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln grundsätzlich anzunehmen ist, dass ihr nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch zu einer Gesundheitsgefährdung führen kann, ist ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten.
Verbot der Abgabe in Selbstbedienung, der Abgabe durch Fernabsatz sowie gewerberrechtliches Verbot der Abgabe von nicht rezeptpflichtiger Arzneimitteln durch Automaten:
Soweit die Abgabe nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel grundsätzlich - in verfassungskonformer Weise - nur Apotheken vorbehalten ist, bestehen gegen Regelungen, die den Fernabsatz dieser Arzneimittel ebenfalls auf Apotheken beschränken, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Für die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheken im Fernabsatz bestehen strengen Vorgaben. Gemäß §59a Abs5 AMG dürfen insbesondere Humanarzneispezialitäten im Fernabsatz nur in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge versendet werden und sind so zu verpacken, zu transportieren und auszuliefern, dass ihre Qualität und Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird; sie sind außerdem nachweislich jener Person auszufolgen, die vom Auftraggeber der Bestellung der jeweiligen öffentlichen Apotheke mitgeteilt wurde. Gemäß §59a Abs6 AMG hat im Rahmen des Bestellvorgangs eine Beratung auch über allfällige Wechselwirkungen zu erfolgen.
Darüber hinaus hat die Abgabe von Humanarzneispezialitäten im Fernabsatz unter der Verantwortung des Apothekenleiters zu erfolgen; dieser hat dabei insbesondere sicherzustellen, dass die Humanarzneispezialität nur in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge versendet wird und es keine Mindestbestellmenge gibt, die Humanarzneispezialität ohne unnötigen Aufschub versendet und nur gegen eine Empfangsbestätigung ausgefolgt wird. Durch ein pharmazeutisches Qualitätssicherungssystem ist insbesondere sicherzustellen, dass die Humanarzneispezialität zur Versendung geeignet ist und so verpackt, transportiert und geliefert wird, dass ihre Qualität und Wirksamkeit nachweislich nicht beeinträchtigt wird. Darüber hinaus haben Apotheken eine entsprechende pharmazeutische Beratung sicherzustellen.
Das Verbot der Abgabe nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel in Selbstbedienung dient dazu, eine hinreichende Beratung der Konsumenten durch qualifiziertes pharmazeutisches Personal sicherzustellen. Angesichts der obigen Ausführungen und der Zwecke, die mit dem Verbot der Abgabe in Selbstbedienung verfolgt werden, bestehen für den VfGH keine Zweifel an der Verfassungskonformität des §59 Abs9 AMG. Im Übrigen ist auch darauf zu verweisen, dass §2 der Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 25.03.1981 über die äußere Geschäftsbezeichnung und über Ausübungsvorschriften für das Drogistengewerbe, BGBl 177/1981, die Abgabe vergleichbarer Waren im Wege der Selbstbedienung durch Kunden ebenfalls verbietet.
Die genannten Bestimmungen sind somit geeignet und erforderlich, um die öffentlichen Interessen der Arzneimittelsicherheit und des Konsumentenschutzes zu gewährleisten (s Bezugs- und Abgabeverbot).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Arzneimittel, Apotheken, Erwerbsausübungsfreiheit, Gesundheitswesen, Konsumentenschutz, Verhältnismäßigkeit, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Weg zumutbarer, VfGH / Antrag, VfGH / Individualantrag, Eventualantrag, DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:V75.2019Zuletzt aktualisiert am
01.06.2022