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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, im Recht auf Freizügigkeit sowie im Gleichheitsrecht durch eine ganztägige Ausgangsbeschränkung für weder geimpfte noch genesene Personen; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt zur 6. COVID-19-SchutzmaßnahmenV für die – gesetzlich gedeckte – Ausgangregelung; Unerlässlichkeit der Ausgangsregelung, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung zu verhindern; keine Gesetzwidrigkeit einer Maßnahme des Verordnungsgebers, die ex post betrachtet auf Grund neuer Einsichten möglicherweise anders zu treffen wäre; Verbreitungsrisiko durch Neuinfektionen mit Omikron-Variante bei ungeimpften bzw unzureichend immunisierten Personen erhöht; Verhältnismäßigkeit der Ausgangsbeschränkung angesichts zahlreicher Ausnahmen; Erforderlichkeit der Betretungs- und Einlassbeschränkungen für Betriebsstätten des Handels und für nicht öffentliche Sportstätten für Personen ohne 2G Nachweis zur weiteren Reduktion der persönlichen Kontakte sowie der Hospitalisierungszahlen als komplementäre Maßnahmen; Beschränkungen angesichts der erhöhten Infektiösität sowie der reduzierten Impfwirksamkeit bei der Omikron-Variante im Gestaltungsspielraum des VerordnungsgebersRechtssatz
Zurückweisung des Individualantrag auf Aufhebung der 6. COVID-19-SchutzmaßnahmenV idF BGBl II 24/2022 (6. COVID-19-SchuMaV) des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) sowie des Eventualantrags auf Aufhebung des §6 Abs3, §7 Abs1, 7 und 8, §8 Abs2, 5 und 6, §9 Abs4, §10 Abs2 und 6, der Wortfolge "einen 2G-Nachweis und zusätzlich" in §12 Abs4 und in §13 Abs4, §14 Abs1, 2, 3, 8 und 9, §15, §17 und §18 der 6. COVID-19-SchutzmaßnahmenV idF BGBl II 24/2022. Im Übrigen: Abweisung des Eventualantrags.
Die Antragstellerin bringt zu ihrer aktuellen Betroffenheit in ihrer Rechtssphäre (ua auf Freizügigkeit) vor, durch §3 und §6 der angefochtenen Verordnung daran gehindert zu sein, für ihr Kind "Schulartikel in Schreibgeschäften" zu kaufen, ferner, dass es ihr nicht erlaubt sei, ihren "Sohn mit seinen Freunden zu Indoorspielplätzen oder (Hallen-)Fußballspielen seines Vereins zu begleiten". Damit hat die Antragstellerin ihre aktuelle und unmittelbare Betroffenheit in Bezug auf §3, §6 Abs1, 1a und 2 sowie §9 Abs2 der 6. COVID-19-SchuMaV hinreichend konkret dargetan. §21 Abs7, 7a, 10 und 10a der Verordnung steht mit diesen Bestimmungen in Zusammenhang. Hinsichtlich der weiteren, mit dem ersten Eventualantrag angefochtenen Bestimmungen fehlen jedoch hinreichende (über bloße Behauptungen der Betroffenheit hinausgehende) Darlegungen zur aktuellen Betroffenheit der Antragstellerin; das Erfordernis solcher Darlegungen besteht auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die allgemeine Situation naheliegen mögen. Bei diesem Mangel handelt es sich um kein behebbares Formgebrechen, sondern um ein Prozesshindernis, sodass der Antrag hinsichtlich §6 Abs3, §7 Abs1, 7 und 8, §8 Abs2, 5 und 6, §9 Abs4, §10 Abs2 und 6, §12 Abs4, §13 Abs4, §14 Abs1, 2, 3, 8 und 9, §15, §17 und §18 der 6. COVID-19-SchuMaV als unzulässig zurückzuweisen ist. Der erste Eventualantrag erweist sich, soweit er sich auf §3, §6 Abs1, 1a und 2, §9 Abs2 sowie §21 Abs7, 7a, 10 und 10a der 6. COVID-19-SchuMaV bezieht, als zulässig.
Hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt:
Der Verordnungsgeber hat im Verordnungsakt dargelegt, dass er die angefochtenen Maßnahmen im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen sowie die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. Der Verordnungsakt enthält: "Fachliche Begründung" zur 7. Novelle der 6. COVID-19-SchuMaV mit ausführlicher Darstellung der epidemiologischen Situation, Zahl an Neuinfektionen, Inzidenz nach Immunitätsstatus, Systembelastung auf Normal- und Intensivstationen, Impffortschritt in der Gesamtbevölkerung, Virusvarianten und "Übertragungssettings" sowie zur Wirksamkeit verschiedener Schutzmaßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung; "Einschätzung der epidemiologischen Lage in Österreich" der Corona-Kommission vom 13.01.2022, Befassung der Corona-Kommission am 17.01.2022, Herstellung des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss des Nationalrates am 20.01.2022. Der Verordnungsgeber hat zudem hinreichend dargetan, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Entscheidung über die Erlassung der angefochtenen Bestimmungen der 6. COVID-19-SchuMaV getroffen wurde. Die in weiterer Folge zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung durch den VfGH erforderliche aktenmäßige Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen ist damit hinsichtlich der angefochtenen Bestimmungen hinreichend erfolgt.
Entscheidungen über die nach dem COVID-19-MG zu treffenden Maßnahmen müssen in Anbetracht sich rasch ändernder epidemiologischer Gegebenheiten und des bei neu auftretenden Infektionskrankheiten bzw Krankheitsvarianten vielfach unvollständigen Wissensstandes typischerweise unter hoher Unsicherheit getroffen werden. Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen gesetzlich vorgesehen und auch gefordert ist. Der Verordnungsgeber hat dabei die Entwicklungen notwendigerweise ex ante zu betrachten. Dass eine Maßnahme ex post betrachtet auf Grund neuer Einsichten möglicherweise anders zu treffen wäre, macht die Entscheidung daher nicht gesetzwidrig.
Gesetzliche Deckung der Ausgangsregelung:
Die angefochtene Ausgangsregelung des §3 6. COVID-19-SchuMaV ordnete eine ganztägige Ausgangsbeschränkung (Lockdown) an. Diese Ausgangsregelung erlaubte das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und den Aufenthalt außerhalb desselben gemäß §3 Abs1 leg cit nur zu bestimmten Zwecken, wie ua zur Gefahrenabwehr, für die Ausübung familiärer Pflichten, zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse, zu beruflichen Zwecken und zur Erholung im Freien. Personen mit einem 2G-Nachweis wurden von dieser Ausgangsregelung ausgenommen (§3 Abs4 6. COVID-19-SchuMaV).
Die Ausgangsregelung des §3 6. COVID-19-SchuMaV wurde (ua) auf Grundlage von §6 COVID-19-MG erlassen. Eine solche Anordnung, wonach das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, darf vom Verordnungsgeber nur angeordnet werden, sofern sie zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 "unerlässlich" ist, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern und gelindere Maßnahmen nach dem COVID-19-MG - das sind im Wesentlichen Betretungsverbote und -beschränkungen für bestimmte Orte und Betriebsstätten sowie Regelungen für Zusammenkünfte - nicht ausreichen. Dabei müssen nicht alle Maßnahmen gemäß §§3 bis 5 ausgeschöpft werden, wenn eine Ausgangsregelung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen als das verhältnismäßigere Mittel erscheint.
§6 Abs1 COVID-19-MG sieht damit in verfassungsrechtlich - insbesondere auch im Lichte der von der Antragstellerin ins Treffen geführten Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Freizügigkeit - nicht zu beanstandender Weise vor, dass eine Ausgangsregelung nur nach Maßgabe einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angeordnet werden darf. Der Verordnungsgeber hat daher bei der Entscheidung über die Erlassung einer Ausgangsregelung iSd §6 COVID-19-MG auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Prognose die verfassungs- wie auch einfachgesetzlich gebotenen Abwägungsprozesse vorzunehmen, aus denen hervorgeht, aus welchen Gründen er die Anordnung dieser Maßnahme für unerlässlich erachtet.
Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des §6 COVID-19-MG im Zeitpunkt der Erlassung der 7. Novelle zur 6. COVID-19-SchuMaV; Aufrechterhaltung einer für Personen ohne 2G-Nachweis geltenden "unerlässlichen" Ausgangsbeschränkung:
§3 6. COVID-19-SchuMaV zielt auf die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und des Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung ab und verfolgt damit ein im öffentlichen Interesse gelegenes Ziel. Entgegen dem Antragsvorbringen steht diese Zielsetzung auch im Einklang mit dem COVID-19-MG (siehe §1 Abs1 und §6 Abs1 COVID-19-MG).
Angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen ist es nachvollziehbar, dass die angeordnete Ausgangsbeschränkung zur Einschränkung von Kontakten und der Mobilität der davon betroffenen, über keinen oder nur unzureichenden Immunschutz gegen COVID-19 verfügenden Personen führt und damit ein geeignetes Mittel zur Zielerreichung darstellt (vgl bereits E v 17.03.2022, V294/2021).
Die (prognostizierte) Bettenbelegung auf den Normal- und Intensivstationen stellt ein wichtiges Kriterium für die von der verordnungserlassenden Behörde vorzunehmende Beurteilung der epidemiologischen Situation und des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Maßnahmen nach dem COVID-19-MG dar. Es greift jedoch zu kurz, wenn mit dem Antragsvorbringen für die Beurteilung des Vorliegens einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems ausschließlich auf die Zahl an COVID-19-Patienten in den Spitälern abgestellt wird. Die im Zuge der Entscheidungsfindung zu berücksichtigenden "Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitswesen" beziehen sich nicht nur auf die Zahl belegter bzw freier Krankenhausbetten. Die verordnungserlassende Behörde hat weitere maßgebliche Faktoren, wie etwa insbesondere Personalressourcen oder (über Betten hinausgehende) verfügbare medizinische Infrastruktur, in die Beurteilung miteinzubeziehen.
Der VfGH verkennt nicht, dass sich die Situation auf den Intensivstationen im Vergleich zur letzten "Delta-Welle" der COVID-19-Pandemie im November 2021 sowie auch im Verlauf der Geltung der am 10.12.2021 in Kraft getretenen 6. COVID-19-SchuMaV insofern verbesserte, als die Zahl der bundesweit auf den Intensivstationen zu betreuenden COVID-19-Patienten bis zum 20.01.2022 konstant zurückging und in keinem Bundesland eine Überschreitung der als systemkritisch definierten Auslastungsgrenze von 33 % drohte. Wie aus der Fachlichen Begründung zur Verordnung hervorgeht, ging auch das österreichische COVID-Prognose-Konsortium davon aus, dass im Hinblick auf die Omikron-Variante die Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit für eine Aufnahme auf der Intensivstation (ICU-Aufnahme) sinke. Zugleich sah sich die verordnungserlassende Behörde allerdings mit der bundesweit höchsten 7-Tages-Inzidenz seit Pandemiebeginn konfrontiert. In allen Bundesländern waren stark steigende Infektionszahlen mit der neuen, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) als besorgniserregend eingestuften Virusvariante Omikron dokumentiert, die die zuvor dominante Delta-Variante binnen kurzer Zeit verdrängt hatte. Die Charakteristika von Omikron und die Auswirkungen dieser Virusvariante auf das Gesundheitssystem konnten anhand der im Zeitpunkt der Verordnungserlassung verfügbaren Datenlage noch nicht abschließend beurteilt werden. Die der Entscheidung des BMSGPK zugrunde gelegten, im Verordnungsakt ausreichend dokumentierten Erkenntnisse und Daten, ua des COVID-Prognose-Konsortiums und der WHO, ließen aber bereits darauf schließen, dass auf Grund der veränderten Eigenschaften dieser Virusvariante mit einer sehr hohen Zahl an gleichzeitig infizierten bzw erkrankten oder abgesonderten Personen gerechnet werden musste und somit trotz der zu erwartenden milderen Krankheitsverläufe steigende Hospitalisierungszahlen zu erwarten waren. Zudem war damit zu rechnen, dass es insbesondere im Gesundheitswesen, das im Laufe der COVID-19-Pandemie mit einer mangelnden Verfügbarkeit von Personal konfrontiert war, zu weiteren Personalausfällen kommen würde. Hinzu kommt, dass die Behandlung und Betreuung von mit COVID-19 infizierten Patienten besonders personalintensiv ist und daher auf COVID-19-Stationen höhere Personalschlüssel angesetzt werden müssen.
Der Verordnungsgeber nahm auf Basis der im Verordnungsakt dokumentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse auch nachvollziehbar an, dass auch in Bezug auf die Omikron-Variante das Verbreitungsrisiko (Neuinfektionen) sowie das Systemrisiko (Hospitalisierungen) stärker von den ungeimpften bzw nicht oder unzureichend immunisierten Personen ausging. Im Ergebnis ging der BMSGPK daher zutreffend davon aus, dass die Verlängerung der Ausgangsregelung des §3 6. COVID-19-SchuMaV um weitere zehn Tage, sohin bis zum 30.01.2022, auch noch im Zeitpunkt der Erlassung der 7. Novelle dieser Verordnung (20.01.2022) iSd §6 Abs1 COVID-19-MG unerlässlich war, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern.
Keine Verletzung im Recht auf Freizügigkeit und auf Achtung des Privat- und Familienlebens:
Die Ausgangsregelung des §3 6. COVID-19-SchuMaV greift intensiv in die von der Antragstellerin geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte ein. Dies gilt umso mehr in Anbetracht des Umstandes, dass diese Maßnahme für Personen ohne 2G-Nachweis zum Antragszeitpunkt bereits seit einigen Wochen in Geltung war.
Der Verordnungsgeber verfolgt demgegenüber aber ein gesundheitspolitisches Ziel von erheblichem Gewicht, wenn er - wie dies schon im COVID-19-MG vorgegeben ist - die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und des drohenden Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung zum Anlass für die Erlassung der angefochtenen Ausgangsregelung nimmt. Weiters ist zu berücksichtigen, dass §3 Abs1 6. COVID-19-SchuMaV im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Rechtsposition der betroffenen Personen zahlreiche Ausnahmen von der Ausgangsbeschränkung vorsieht, so zB für die Ausübung familiärer Rechte und die Erfüllung familiärer Pflichten sowie die Pflege näher umschriebener familiärer und privater Beziehungen, und den Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung zulässt.
Keine Unverhältnismäßigkeit der Betretungs- und Einlassbeschränkungen zu Betriebsstätten des Handels und für nicht öffentliche Sportstätten:
Dem BMSGPK ist nicht entgegenzutreten, wenn er angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen davon ausging, dass die Einlass- und Betretungsbeschränkungen der §§6 Abs1, 1a und 9 Abs2, die das zulässige Betreten von Betriebsstätten des Handels und von nicht öffentlichen Sportstätten an das Vorliegen eines 2G-Nachweises knüpfen, zu einer weiteren Reduktion der persönlichen Kontakte von nicht immunisierten Personen führen und damit auch im Hinblick auf die Omikron-Variante ein geeignetes Mittel zur Zielerreichung darstellen.
Die Antragstellerin macht ferner geltend, die Betretungs- und Einlassbeschränkungen seien auf Grund der seit Wochen moderaten Hospitalisierungszahlen nicht notwendig. Dem ist zu entgegnen, dass ein isoliertes Abstellen auf die (prognostizierte) Bettenbelegung auf den Normal- und Intensivstationen auch in diesem Zusammenhang zu kurz greift.
Auch der Einwand der Antragstellerin, dass die "2G-Regel" nicht das gelindeste Mittel darstelle, zumal auch Abstandsregelungen und eine FFP2-Maskenpflicht einen wirksamen Schutz vor viralen Infektionen gewährleisteten, trifft für die hier zu beurteilende Rechtslage nicht zu. Dazu weist der BMSGPK darauf hin, dass die genannten Alternativmaßnahmen durchgehend als komplementäre Maßnahmen zum Einsatz kamen und die 7. Novelle zur 6. COVID-19-SchuMaV nicht die erste Verordnung darstellte, in der die angefochtenen Regelungen verordnet wurden. Es seien bereits im Vorfeld zahlreiche Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene gesetzt worden, wobei sich schon bei der 5. COVID-19-SchuMaV gezeigt habe, dass diese nicht ausreichten, um dem Infektionsgeschehen Einhalt zu gebieten. Die verordnungserlassende Behörde überschreitet den ihr vom COVID-19-MG eingeräumten Entscheidungsspielraum nicht, wenn sie allein die von der Antragstellerin ins Treffen geführten alternativen Maßnahmen beim Betreten der in Rede stehenden Orte für sich genommen als nicht ausreichend erachtete.
Ausgehend davon ist dem BMSGPK nicht entgegenzutreten, wenn er die Betretungs- und Einlassbeschränkungen der §§6 Abs1, 1a und 9 Abs2 6. COVID-19-SchuMaV im Zeitpunkt der Erlassung der 7. Novelle zur 6. COVID-19-SchuMaV für "erforderlich" erachtete. Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen somit aus den geltend gemachten Gründen nicht gegen §§3 und 4 COVID-19-MG.
Auch im Lichte der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freizügigkeit und auf Achtung des Privat- und Familienlebens hat der Verordnungsgeber mit den (zulässig) angefochtenen Betretungs- und Einlassbeschränkungen der 6. COVID-19-SchuMaV keine insgesamt unangemessenen Maßnahmen erlassen. Mit dem gesundheitspolitischen Ziel der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 wird ein Ziel von erheblichem Gewicht verfolgt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Verordnungsgeber im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung die Schwere des Eingriffes in die grundrechtlich geschützte Rechtsposition der Betroffenen durch die Festlegung zahlreicher Ausnahmen abmildert. So ist in Bezug auf die 2G-Nachweispflicht für das Betreten von Betriebsstätten des Handels auf den Ausnahmenkatalog des §6 Abs2 (iVm §3 Abs1 Z8) 6. COVID-19-SchuMaV zu verweisen. In Bezug auf §9 6. COVID-19-SchuMaV ist festzuhalten, dass gemäß Abs4 leg cit öffentliche Sportstätten im Freien auch von Personen ohne 2G-Nachweis betreten werden durften.
Kein Verstoß der angefochtenen Bestimmungen gegen den Gleichheitssatz:
Das COVID-19-MG ermächtigt den Verordnungsgeber explizit dazu, zwischen Personen zu differenzieren, von denen eine geringe epidemiologische Gefahr ausgeht (Geimpfte, Genesene, Getestete und Personen mit einem Antikörpernachweis) und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Keine Differenzierung ist jedoch zB in Bezug auf Betriebsstätten und bestimmte Orte zulässig, die zur Deckung notwendiger Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betreten werden. Das COVID-19-MG sieht zudem vor, dass bei Auflagen iSd §1 Abs5 Z5 COVID-19-MG - zB beim Betreten von Betriebsstätten - zwischen Personen, von denen jeweils eine geringe epidemiologische Gefahr ausgeht, nur differenziert werden darf, wenn dies auf wissenschaftlich vertretbare Unterschiede hinsichtlich der Verbreitung von COVID-19 gestützt wird. Bei weitergehenden Ausnahmen von den auf Grundlage dieses Gesetzes festgelegten Beschränkungen müssen Differenzierungen etwa zwischen nicht immunisierten Personen und geimpften bzw genesenen Personen auf wissenschaftlich vertretbare Annahmen über signifikante Unterschiede (arg: "deutlich reduziert") in Bezug auf die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 zurückgeführt werden. Der Gesetzgeber hat damit den Entscheidungsspielraum des Verordnungsgebers in verfassungsrechtlich (insbesondere auch gleichheitsrechtlich) nicht zu beanstandender Weise determiniert.
Zum Vorbringen, die angefochtenen Ausgangsbeschränkungen seien ohne sachliche evidenzbasierte Gründe verhängt worden, und es seien Ausgangsbeschränkungen nur für ein Drittel der Bevölkerung wirkungslos, ist festzuhalten, dass im Verordnungsakt ausführlich Daten zu den Inzidenzen und zur Hospitalisierung nach Immunitätsstatus dokumentiert sind. Die fachlichen Grundlagen dokumentieren zudem die Auseinandersetzung mit einer Reihe von internationalen Studien zur Impfeffektivität, zum Reinfektionsrisiko und zur Wirksamkeit zusätzlicher Maßnahmen für nicht immunisierte Personen.
So verweisen insbesondere die in der Fachlichen Begründung enthaltenen Auswertungen der AGES zur 7-Tages-Inzidenz (per 13.01.2022) auf einen deutlichen Unterschied der Inzidenzen nach Immunitätsstatus. Demnach würden Personen, die keinen impfinduzierten oder natürlich erworbenen Immunschutz haben, eine vergleichsweise deutlich höhere 7-Tages-Inzidenz in allen Altersgruppen aufweisen. Eine stichtagsbezogene Erhebung des Impfstatus der hospitalisierten Personen (per 18.01.2022) zeigt, dass lediglich 18,3 % der Patienten auf Intensivstationen bzw 41,7 % der Patienten auf Normalstationen über einen ausreichenden Immunschutz verfügten. Dem BMSGPK ist vor diesem Hintergrund nicht entgegenzutreten, wenn er davon ausging, dass nicht immunisierte Personen auch in Bezug auf die zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung dominante Omikron-Variante deutlich stärker zum Infektionsgeschehen und zur Belastung auf den Krankenpflegestationen beitragen als immunisierte Personen, die über einen 2G-Nachweis verfügen.
Zugleich räumt die verordnungserlassende Behörde selbst ein, dass der Unterschied zwischen diesen Personengruppen - insbesondere in Bezug auf jene Personen, die zwar geimpft sind, aber (noch) keine sog "Booster-Impfung" erhalten haben - nicht mehr so ausgeprägt war wie zuvor. So zeichne sich die Omikron-Variante den fachlichen Ausführungen der verordnungserlassenden Behörde zufolge zum einen durch eine erhöhte Infektiösität aus; zum anderen zeige sich aber auch eine insgesamt reduzierte Impfwirksamkeit im Vergleich zur Delta-Variante, wodurch auch vermehrt immunisierte Personen infiziert werden und erkranken könnten. Der BMSGPK verweist im Verordnungsakt jedoch auch auf eine Reihe internationaler Studien, um darzulegen, weshalb davon auszugehen ist, dass von nicht immunisierten Personen noch immer ein höheres Ansteckungs- und Transmissionsrisiko ausgeht und bei diesen Personen insbesondere die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufes und der Notwendigkeit einer stationären Betreuung oder sogar intensivmedizinischer Behandlung höher ist.
Insgesamt ist, worauf der BMSGPK auch in seiner Stellungnahme hinweist, die Studienlage zur Omikron-Variante, die erst Ende November 2021 entdeckt wurde und sich innerhalb kürzester Zeit in Österreich (mit Anfang Jänner 2022) zur dominanten Variante entwickelt hat, im Zeitpunkt der Verordnungserlassung noch nicht sehr breit und auf Grund des kurzen Beobachtungszeitraumes von Unsicherheiten geprägt gewesen. Die im Verordnungsakt dokumentierten fachlichen Grundlagen zeigen jedoch, dass sich die verordnungserlassende Behörde mit dem internationalen Stand der wissenschaftlichen Diskussion laufend befasst und diesen in ihre Überlegungen einbezogen hat.
Der BMSGPK konnte im Ergebnis zum Entscheidungszeitpunkt davon ausgehen, dass Personen mit einem 2G-Nachweis - sei es auf Grund einer Schutzimpfung oder einer Genesung - eine deutlich geringere epidemiologische Gefahr darstellen als nicht immunisierte Personen.
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht erkennbar, dass die angefochtenen Ausgangsregelungen und Betretungsbeschränkungen für nicht immunisierte Personen zur Zielerreichung ungeeignet waren. Das von der Antragstellerin zitierte Dokument der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) fasst diverse Studien zur Evidenz verschiedener Maßnahmen der Pandemiebekämpfung überblicksartig zusammen und gibt keinen Anlass an der Geeignetheit der angefochtenen Maßnahmen zu zweifeln. Sofern die Antragstellerin vermeint, die angefochtenen Maßnahmen seien mangels einer wirksamen Kontrolle unsachlich, ist nicht zu erkennen, dass der Verordnungsgeber seinen Spielraum überschritten hätte. Im Übrigen fordert auch die gesetzliche Vorgabe einer effektiven Kontrolle keine lückenlose Überprüfung der Einhaltung der angeordneten Maßnahmen.
In einer Gesamtbetrachtung gründet die mit den angefochtenen Maßnahmen vorgenommene Differenzierung zwischen nicht bzw unzureichend immunisierten Personen und Personen mit gültigem 2G-Nachweis im Hinblick auf die von diesen Personengruppen ausgehende epidemiologische Gefahr nachvollziehbar auf relevanten Unterschieden im Tatsächlichen. Ausgehend vom Antragsvorbringen ist auch nicht ersichtlich, dass der BMSGPK mit den angefochtenen Beschränkungen der §§3, 6 Abs1, 1a und 9 Abs2 6. COVID-19-SchuMaV eine sachlich nicht gerechtfertigte Maßnahme getroffen hätte.
Schlagworte
COVID (Corona), Freiheit persönliche, Legalitätsprinzip, Grundlagenforschung, Verordnungserlassung, Verhältnismäßigkeit, Privat- und Familienleben, Rechtspolitik, Verordnung, VfGH / Verhandlung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, EventualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V23.2022Zuletzt aktualisiert am
11.05.2022