TE Vwgh Erkenntnis 1996/5/22 95/21/0646

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Veröffentlicht am 22.05.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z2;
KFG 1967 §64 Abs1;
MeldeG 1991 §1 Abs1;
MeldeG 1991 §22 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des D in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 20. März 1995, Zl. III 128-3/95, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 2 und den §§ 19, 20, 21 FrG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die "drei" rechtskräftigen Verwaltungsstrafen des Beschwerdeführers wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes bzw. des Fremdengesetzes sowie die drei wegen Übertretung des Meldegesetzes und je eine wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG und des § 5 Abs. 1 StVO erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG. Das diesen Bestrafungen zugrundeliegende Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers rechtfertige die Annahme, daß der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.

Dem Straferkenntnis vom 5. Dezember 1991 liege zugrunde, daß sich der Beschwerdeführer "ohne den erforderlichen Sichtvermerk seit 3. Oktober 1991 in Österreich aufgehalten habe". Die Strafverfügung vom 30. September 1993 sei ergangen, weil der Beschwerdeführer am 26. Juni 1993 um 02.36 Uhr seinen PKW auf der B 186 in Haiming gelenkt habe und dabei seinen Reisepaß nicht mitgeführt habe, obwohl Fremde in Österreich verpflichtet seien, ein gültiges Reisedokument mitzuführen. Da der Beschwerdeführer am 24. Juli 1994 um 20.00 Uhr anläßlich einer fremden- und meldepolizeilichen Kontrolle am Gendarmerieposten Seefeld in Tirol weder seinen Reisepaß noch ein sonstiges maßgebliches Dokument für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet habe vorweisen können, sei die Strafverfügung vom 7. Oktober 1994 ergangen. Wegen Nichtmitführens eines Reisedokumentes anläßlich einer fremden- und meldepolizeilichen Kontrolle sei der Beschwerdeführer auch mit Strafverfügung vom 30. Jänner 1995 belegt worden.

Die rechtskräftigen Bestrafungen wegen Übertretung des Meldegesetzes beruhten darauf, daß der Beschwerdeführer ca. Mitte Mai 1992 seine Unterkunft in Ramsau, an welcher er sich am 10. April 1992 angemeldet hatte, aufgegeben habe, ohne sich abzumelden, daß er ca. im August 1992 seine Unterkunft in Seefeld in Tirol, an welcher er sich am 2. Juli 1991 angemeldet hatte, aufgegeben habe, ohne sich abzumelden und schließlich, daß er es unterlassen habe, sich in Seefeld in Tirol abzumelden, obwohl er seine Unterkunft an einer genau bezeichneten Anschrift zu einem nicht mehr genau eruierbaren Zeitpunkt aufgegeben hatte.

Die rechtskräfige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG aus dem Jahre 1993 beruhe darauf, daß der Beschwerdeführer im öffentlichen Straßenverkehr ein Fahrzeug gelenkt habe, ohne im Besitz der hiefür erforderlichen gültigen behördlichen Lenkerberechtigung gewesen zu sein, jene wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO aus dem Jahre 1994 darauf, daß er im öffentlichen Straßenverkehr ein Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe; beide Übertretungen seien schwerwiegende Verwaltungsübertretungen im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes stelle einen Eingriff in das Leben des Beschwerdeführers dar. Dieser Eingriff sei aber im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu Verwaltungsstraftaten (im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen sowie im Hinblick auf das gewichtige öffentliche Interesse daran, daß am öffentlichen Straßenverkehr nicht Fahrzeuglenker teilnehmen, die dazu behördlicherseits gar nicht berechtigt bzw. alkoholisiert sind) zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen bzw. zum Schutz der Rechte anderer sowie zum Schutz der öffentlichen, näherhin fremdenpolizeilichen Ordnung dringend geboten.

Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes: Der Beschwerdeführer sei laut seinen persönlichen Angaben seit dem Jahre 1991 zum Großteil rechtmäßig in Österreich aufhältig. Er arbeite im Bundesgebiet als Hilfsarbeiter im Gastgewerbe und sei dementsprechend integriert. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer nicht. Er habe selbst angegeben, daß sich außer seiner Freundin keine Angehörigen im Bundesgebiet befänden. Die Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers müßten angesichts der vom Beschwerdeführer ausgehenden, aus seinem Vorleben erschließbaren großen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Hinblick auf die relative Kürze seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und den Umstand, daß er volljährig und ledig sei, in den Hintergrund treten. Dazu komme, daß seine Freundin ebenfalls mit einem Aufenthaltsverbot belegt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, daß die Strafverfügung vom 30. September 1993 zumindest ein unrichtiges Datum aufweise. Er sei wegen der dieser Strafverfügung zugrunde liegenden Übertretung mit Strafverfügung vom 21. März 1994 bestraft worden. Dem ist entgegenzuhalten, daß laut Ausweis des vorgelegten Verwaltungsaktes die Strafverfügung vom 30. September 1993 dem Beschwerdeführer am 22. März 1994 zu eigenen Handen zugestellt wurde. Der Beschwerdeführer bestreitet in Wahrheit nicht das Vorliegen dieser Bestrafung und auch nicht der in weiteren zwei Fällen nach dem Fremdengesetz, in drei Fällen nach dem Meldegesetz, in einem Fall nach dem Fremdenpolizeigesetz und wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG. Soweit der Beschwerdeführer in bezug auf die letztgenannte rechtskräftige Bestrafung geltend macht, daß der dieser Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhalt es nicht gestatte, von einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung zu sprechen, ist er darauf zu verweisen, daß er trotz Gelegenheit im Verwaltungsverfahren erstmals in der Beschwerde ein solches Vorbringen erhebt. Das im Verwaltungsverfahren versäumte Vorbringen kann aber in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mehr nachgeholt werden (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Seite 174).

Die Auffassung der belangten Behörde, daß die vorstehend genannten rechtskräftigen Bestrafungen den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG erfüllen, ist zutreffend.

Die belangte Behörde ging auch von einer rechtskräftigen Bestrafung wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO aus. Der Beschwerdeführer hingegen behauptet, daß er wegen des Lenkens eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand nicht bestraft worden sei.

Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich hiezu, daß die Behörde erster Instanz von einem anhängigen Verfahren wegen der Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO ausgegangen ist; ein Nachweis einer rechtskräftigen Bestrafung wegen dieser Übertretung findet sich im Verwaltungsakt nicht. Die belangte Behörde ist somit erstmals in ihrem angefochtenen Bescheid vom Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung gemäß § 5 Abs. 1 StVO ausgegangen, ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, zu diesem zusätzlichen Sachverhalt Stellung zu nehmen (§ 45 Abs. 3 AVG). Dies wäre im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewesen, zumal im gegenständlichen Verwaltungsakt keinerlei Hinweise über das Vorliegen der rechtskräftigen Bestrafung wegen dieser Übertretung enthalten sind.

Ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme erfüllt ist, kann derzeit aufgrund nachstehend aufgezeigter Verfahrensfehler nicht beurteilt werden:

Im Verwaltungsakt findet sich eine Fotokopie des dem Beschwerdeführer am 14. Juli 1993 ausgestellten Führerscheines. Dieser Umstand wurde von der belangten Behörde zu Unrecht nicht berücksichtigt, weil die durch den Verstoß gegen § 64 Abs. 1 KFG hervorgerufene Gefährdung der öffentlichen Ordnung aufgrund dieser erworbenen Lenkerberechtigung weggefallen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 1996, Zl. 94/18/1117).

Der Beschwerdeführer verweist mit Recht darauf, daß die Bestrafung nach dem Fremdenpolizeigesetz wegen des unerlaubten etwa zweimonatigen Aufenthaltes im Jahre 1991 die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme nicht rechtfertigt: Die belangte Behörde hat nicht berücksichtigt, daß dieser unbefugte Aufenthalt des Beschwerdeführers im Zeitpunkt ihrer Entscheidung bereits mehr als drei Jahre zurücklag und den Beschwerdeführer seither immer wieder Aufenthaltsberechtigungen erteilt wurden. Im Hinblick darauf kommt dieser Bestrafung nicht jenes Gewicht zu, um darauf die Annahme im Sinne des § 18 Abs. 1 leg. cit. stützen zu können (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0272).

Auch die Bestrafungen nach dem Meldegesetz allein rechtfertigen noch nicht die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. Dem Beschwerdeführer wird durch diese Bestrafungen zur Last gelegt, die rechtzeitige Abmeldung unterlassen zu haben. Ob dieses Verhalten, ungeachtet seiner Strafbarkeit, im Hinblick auf die Umstände des Falles von solchem Gewicht ist, daß darauf die Annahme im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG gestützt werden kann, kann im vorliegenden Fall noch nicht abschließend beurteilt werden. Sollte nämlich der Beschwerdeführer an seinem tatsächlichen Aufenthaltsort gemeldet gewesen sein, geht von ihm nicht jene Gefahr für die öffentliche Ordnung, insbesondere für ein geordnetes Fremdenwesen aus, wie dies bei einem typischen "illegalen Einwanderer" der Fall ist.

Hinsichtlich der Bestrafung nach dem Fremdengesetz wegen Nichtmitführens des Reisepasses führte der Beschwerdeführer ohne Zuordnung zu einer konkreten Bestrafung aus, daß er sich bei der gegenständlichen Kontrolle "nur etwa fünf Minuten von seiner Wohnung entfernt befunden habe". Dazu ist festzuhalten, daß zwei Bestrafungen, nämlich die vom 7. Oktober 1994 und vom 30. Jänner 1995 von der belangten Behörde erstmals herangezogen wurden. Parteiengehör wurde dem Beschwerdeführer dazu nicht eingeräumt. Ungeachtet dessen, daß Bestrafungen nach dem Fremdengesetz jedenfalls dem § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG zu unterstellen sind, ist für die Beurteilung, ob dadurch auch die in § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, der der Bestrafung zugrundeliegende Sachverhalt zu ermitteln. Schon aus diesem Grund hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer zu den von ihr erstmals herangezogenen rechtskräftigen Bestrafungen Parteiengehör gewähren müssen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren, Ergebnis gekommen wäre.

Da die belangte Behörde Ermittlungen im aufgezeigten Sinn unterließ, kann noch nicht überprüft werden, ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist.

Die belangte Behörde belastete damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die angesprochene Umsatzsteuer ist in dem Pauschalbetrag bereits enthalten, sodaß ein gesonderter Zuspruch nicht erfolgen konnte.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995210646.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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